Ω
Gabriel von Seidl
* 9.12.1848 † 27.4.1913
Fanny von Seidl
Geb. Neunzert
* 2.10.1862 † 24.5.1935
Therese Seidl
* 26.6.1892 † 21.7.1896
Ω
Seidl, Therese; 26.6.1892 – 21.7.1896 (Tölz)
|||
* 9.12.1848 (München)
† 27.4.1913 (Bad Tölz)
Architekt
Lokales
München, 10. Februar
Ehrung. Bei Professor Dr. Gabriel von Seidl, der, wie schon mitgeteilt, leider wegen Krankheit seit längerer Zeit das Haus hüten muß, fand sich heute vormittag Reichsrat Dr. Oskar v. Miller ein, um dem Patienten namens des Deutschen Museums eine künstlerisch ausgestattete, in Florentiner Leder gebundene Adresse zu überreichen, die folgenden Wortlaut hat:
»Hochverehrter Herr Dr. v. Seidl! Nachdem vor wenigen Tagen der Astronomieaufbau über dem Ehrensaal des Deutschen Museums fertiggestellt wurde, steht nunmehr der eigentliche Museumsbau vollendet da. Wir möchten diese Gelegenheit benützen, um Ihnen unseren Dank und unsere Anerkennung für die großen Verdienste auszusprechen, die Sie sich um die Errichtung unseres Neubaues erworben haben. Wir möchten gleichzeitig der Hoffnung Ausdruck geben, daß auch die innere Einrichtung des Museums, sowie der Bibliothekbau unter Ihrer künstlerischen Leitung in derselben glücklichen Weise vollendet werden mögen, und zeichnen mit dem wiederholten Ausdruck unseres Dankes. Das Deutsche Museum, v. Miller, v. Dyck, v. Linde.«
Der Patient war über diese Aufmerksamkeit sehr erfreut; den Wünschen, die in dieser Adresse zum Ausdruck kommen, werden sich alle die ungezählten Vertreter des Meisterarchitekten von Herzen anschließen.
Münchner Neueste Nachrichten No. 76. Dienstag, den 11. Februar 1913.
Gabriel v. Seidl †
Prof. Dr. h. c. Gabriel v. Seidl, der berühmte Münchner Architekt, Ehrenbürger der Stadt München, ist Sonntag nachmittag ¾4 Uhr in München nach langem, schwerem Leiden im 65. Lebensjahr gestorben.
Nun wir ihn verloren haben, wird sich die Welt wohl erst wieder darauf besinnen, was wir an ihm besaßen — wir Deutschen, nicht bloß wir Münchener! Aber wir Münchener vor allen! Gabriel Seidl, der mit einer heißen, bedingungslosen Liebe an seiner Vaterstadt hing, hat mehr Anteil, als irgend ein anderer schaffender Künstler gehabt an der Entwicklung von deren künstlerischem Charakter. Er und sein Kreis haben in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre einer neuen Zeit die Tore aufgetan, frisch und fröhlich, voll jugendstarker Zuversicht. Nach Jahrzehnten einer trostlosen Oede, in der die trocken-kühle Noblesse des Maximiliansstils noch eine wahre Oase bedeutete, nach einem Geschmacksverfall und einer Stilarmut, von der lange Straßenzeilen, in der Gründerzeit entstanden, heute noch einen schaudervollen Begriff geben, schaffte ein Seidl der Architektur wieder ihren Platz unter den Künsten. Man muß schon zu den Aelteren gehören, um das voll würdigen zu können, muß sich des Aufschwungs erinnern, den damals alle Zierkünste mit der Baukunst nahmen, plötzlich, wie Blütenfülle losbricht nach einem warmen Frühlingsregen. Wie ein Durst nach Schönheit auf einmal in unserem ganzen öffentlichen und privaten Leben sich fühlbar machte, wie die Gewerbetreibenden, auf köstliche Vorbilder hingewiesen, sich auf die Kultur ihres Handwerks wieder besannen und, vom Goldschmied bis zum Lebzelter, wetteiferten, ihre Arbeit in Schönheit zu tun! Man hatte den Formenschatz unserer Alten wieder entdeckt; wer unwissend genug ist, mag auf jene retrospektive Bewegung heute mit Achselzucken herabsehen — in Wahrheit stehen die Besten von heute in jenen Fächern auf den Schultern dieser »Retrospektiven«. Was sich heute in der deutschen Architektur als Zeitstil kristallisieren will, ist ohne Gabriel Seidl nicht zu denken, das ganze Aufblühen unserer »Angewandten Kunst« nicht ohne ihn und seinen Kreis, nicht ohne die Seidl und Seitz und Frhr. v. Miller und Gedon und Georg Hirth und viele andere. Die hohe Entwicklung aller Techniken des Kunsthandwerks, seine Organisationen und seine vorbildliche künstlerische Gesinnung — diese Faktoren machten es möglich, daß München, daß deutsche Handwerkskunst die Anerkennung der ganzen Kulturwelt erzwungen haben seit anderthalb Jahrzehnten. Alle diese wertvollen Errungenschaften wurden aber vorbereitet oder erworben in jenen Zeiten der »Retrospektivität«.
Die nachdrängende Jugend, die ja immer das Recht hat, gegen die Aelteren ein wenig ungerecht zu sein, hat es Gabriel Seidl manchmal verübelt, daß er unbeugsam zu seiner künstlerischen Meinung stand. Diese Meinung aber war ihm natürlich geworden und nicht angezogen als ein Modekleid; er war nicht der Mann dazu, sie immer wieder nach dem neuesten Journal zu ändern. Entwickelt hat auch er sich und nicht wenig! Man braucht nur seine Erstlingswerke zu betrachten, etwa das immerhin noch streng im Banne des Renaissance-Kanon gehaltene »Deutsche Haus« und damit die Art zu vergleichen, wie der Sechzigjährige seine Formen im Stil des Deutschen Museums dem neuen Material, dem Beton, und dem praktischen Zwecke anpaßte, der hier so ganz anderes verlangte, als etwa das auf Traulichkeit und intimen Genuß gestimmte Nationalmuseum. Ganz nüchternen Zweckmäßigkeitsfanatismus konnte er freilich nicht verstehen und für die, die heute einen völligen Mangel an Phantasie für Genialität ansehen, hatte er nur ein Achselzucken. Wie sehr hat er recht bekommen, wenn er sich seine Gedanken machte über jene outrierte Schmucklosigkeit, die nur die reine Zweckmäßigkeitsform gelten lassen und das Ornament als Verbrechen ansehen wollte. Es kam, was er voraussah: heute herrscht ein starkes, aber ungestilltes Sehnen nach dem Ornament, das sich eben nicht rechnerisch entwickeln läßt, wie ein architektonischer Zweckmäßigkeitsstil — und wenn Zierformen gebraucht wernen, hilft man sich im Grunde genommen doch wieder mit der Anleihe bei den Alten, meist aber hilft man sich ungeschickt, pflastert gelegentlich schwere Ornamentik aus dem Barock oder dem Empire auf Möbelkonstruktionen, zu der sie nicht paßt und schafft da jedenfalls kuriose stilistische Pfropfbastarde, die nicht lebensfähig sind.
Wie organisch aber war das, was Seidl in alten Stilarten schuf, wenn er diese nicht etwa — und das tat er in seiner späteren Zeit viel lieber! — vollkommen frei mit modernen Elementen verschmolz! Man hat es oft genug ausgesprochen: er beherrschte zumal die Formensprache der Renaissance und des Barock wie seine »Muttersprache«. Das war nicht eine Synthese von Zierelementen, wie so oft bei anderen, zumal unseren »modernen« Gotikern. Da war alles vom Grundriß an im Geiste des betreffenden Stils gedacht, nein, nicht gedacht, sondern als ein Selbstverständliches empfunden — gemußt! Und darin lag ja das Epochemachende seiner Art. Während die vor ihm und noch so viele Zeitgenossen irgendwelche neuzeitliche Bauformen mit historischen Motiven verzierten, erschien sein Stil als ein Ganzes gewachsen; er hatte ein besonders sicheres Gefühl für die gute Baumeistertradition, für ruhige, klare, behäbige Struktur, und wurde damit der Neuschöpfer jenes gesunden Münchner Backstein-Stils, auf dem, wie gesagt, unsere Besten heute noch weiterbauen. Ihm danken wir's, wenn München heute so wenig gesegnet ist mit der kalten und protzigen Pracht einer gewissen großstädtischen Haustein-Architektur — eine Anzahl unserer Bankgebäude vertritt diese kulturlose Art allerdings auch hier. Durch Seidl wurde gerade das Gutbürgerliche zu einem künstlerischen Prinzip, zu einem Prinzip, das überaus entwicklungs- und wandlungsfähig war, wie sich erwies. Am Neuen Nationalmuseum hat Seidl gezeigt, daß dies Prinzip sich auch nach der Seite stolzer Monumentalität hin ausgestalten ließ; dessen hochragender Mittelbau gehört zu den schönsten Stücken der Münchner Architektur überhaupt, die Werke der alten Zeit mit eingerechnet. Wo Seidl warm, persönlich, diskret in seinen Mitteln sein durfte, war ihm ein glänzendes Gelingen sicher, ob es sich um ein bürgerliches Wohnhaus, einen Ratspalast oder eine Kirche handelte!
Unser Meister wurde am 9. Dezember 1848 als der Sohn des Bäckermeisters Anton Seidl in München geboren. Dieser war ein Freund der Künstler und der Kunst und das Seidlsche Stammhaus an der Theatinerstraße füllten Schätze alten deutschen Kunstgewerbes, das damals noch von recht Wenigen gewürdigt worden ist. Als Gabriel Seidl, der im Elternhause mit dem hochverdienstvollen Franz v. Seitz, mit Moriz v. Schwind und anderen herzensverwandten Künstlern in Berührung gekommen war, die Mittelschule verließ, trat er ans Polytechnikum über, noch schwankend beüglich der Wahl seines Berufes, Als Artillerist machte er den großen Krieg mit, holte sich bei Beaugency das Verdienstkreuz, und nach seiner Rückkehr trat er wieder ins Polytechnikum ein; dieses Mal endgültig um Architekt zu werden. Hier gewann besonders Gottfried Neureuther Einfluß auf ihn — einer, der ebenfalls bedeutsam geworden ist für die Gesundung unseres Stilgefühls und dessen Verdienste noch lange nicht genug gewürdigt sind. Seidl arbeitete auch mit Freuden praktisch auf dem Baugerüste — z. B. bei dem Neubau seines Onkels Sedlmayr, des Bierbrauers zum Spaten. Auf der deutschen Kunstgewerbeausstellung im Glaspalast 1878 stellte der junge Architekt ein bürgerliches Wohnzimmer aus, das überaus schlicht war mit seiner einfachen braunen Täfelung und Decke und den schmucklosen weiß getünchten Wänden, aber auch so verblüffend schön und traulich, so ganz etwas, was die Zeit brauchte, daß den Leuten die Augen auf- und übergingen. Man muß unseren Wohnungsstil der siebziger Jahre gekannt haben, um den Jubel zu verstehen, den die Ausstellung dieser Stube weckte. Seidl bekam nun, wie er selbst erzählt, Aufträge in Hülle und Fülle. Lenbach, Gedon, Rudolf Seitz zogen ihn, den Jüngeren, in ihren Kreis und mit Seitz gründete er bald eine Werkstätte für Handwerkskunst und Wohnungseinrichtung, die Firma Seitz und Seidl, das Urbild der »Vereinigten Werkstätten« von heute.
Die große Bewegung der Neurenaissance war in vollem Gange. Bald war es Seidl vergönnt, einen Bau zu schaffen, der das Interesse für den jungen Künstler auch in Bezug auf Außenarchitektur auf allen Seiten weckte: das in den Formen der deutschen Renaissance gehaltene Restaurant zum »Deutschen Haus« beim Eingang des Botanischen Gartens. Auch dieser schlichte und friedliche Giebelbau in einer, damals noch sehr nüchternen Umgebung wirkte als Offenbarung und man weiß, daß von dieser Offenbarung aus geradezu der Aufschwung der Baugesinnung, des guten Geschmacks in München ausging, so unendlich bescheiden und prätensionslos das »Deutsche Haus« dem Menschen von heute auch erscheinen mag. Damals war's wie ein frischgrüner Trieb aus dürrem Stamm — der Bau war eine grundlegende Tat. Nun begann die Aera der gesunden und in des Wortes richtigem Sinne »urwüchsigen« Münchener Ziegelarchitektur, die so viele unserer privaten und öffentlichen Bauten zum Objekt der Bewunderung und des Studiums sachverständiger Besucher gemacht hat.
Was Seidl selbst, der als Dreißigjähriger nach dem Bau des »Deutschen Hauses« unbestritten in der ersten Reihe der Münchener Baukünstler stand, alle die Jahre her hier und auswärts geschaffen, ist so enorm Vieles und Mannigfaltiges, daß unser Raum auch für die bloße Aufzählung nicht ausreicht. Seine Tätigkeit beim Deutschen Bundesschießen 1881, dessen schöne Hallen er ausführte, war wieder in anderem Stil epochemachend für einen neuen Stil der Dekorationskunst, seine stattlichen kernig-soliden Ausgestaltungen des Franziskaner- und Arzberger-Kellers gaben Vorbilder für ähnliche Räume in ganz Deutschland, und ein Kunsthistoriker hat sogar behauptet, Seidl habe, indem er solchen feuchtfrohen Stätten den Zauber der Schönheit verlieh, zur Milderung der wüsten Münchener Trinksitten Wesentliches beigetragen. Noch feiner, ein intimes und wahrhaft gemütliches Werk der Raumkunst, ist das später entstandene Gasthaus zum Bauerngirgl. Das »Spatenbrä« in Berlin, das »Münchner Kindl« in Straßburg sind ebenfalls von Gabriel Seidl gebaut. Von seinen Münchener Privatbauten ist wohl Lenbachs reicher Palazzo am berühmtesten geworden. Der Oeffentlichkeit weniger bekannt ist das Künstlerheim Friedrich August von Kaulbachs an der Kaulbachstraße, dessen vornehme Gartenfacade von der Straße aus kaum zu erspähen ist. Von Gabriel Seidl stammt dann noch das Böhlerhaus an der Briennerstraße, von ihm der recht schwierige und ebenso originell als malerisch gelöste Neubau des Ruffiniblocks, der ganzen Häuserflucht am Karlstorrondell, in der so diskret die Linien des alten Stadtbildes gewahrt sind. Dies Bestreben hat Seidl ja immer gezeigt und wie bekannt, war er auch die treibende Kraft zur Erhaltung des unvergleichlichen alten Architekturbildes beim Umbau des Augustinerstocks. Auch das Onuphriushaus beim alten Rathaus ist mit solcher Pietät für das alte Gesamtbild erfunden. Unseres Neuen Nationalmuseums wurde schon gedacht — es umfaßt einen Reichtum an baukünstlerischen Gedanken, der ohne Gleichen ist, und wenn die Fachleute auch sagen mögen, daß es eben mehr das Werk eines Künstlers und Altertumsenthusiasten sei, als das eines Museumsmannes — bei der Eigenart gerade dieser köstlichen Sammlung bedeutet dies eher ein Lob, als einen Tadel. Im Münchener Künstlerhaus, auch da mehr von dem Willen zur Schönheit als der Anpassung an einen praktischen Zweck geleitet, legte Seidl dann geradezu die Summe seines Wissens und Könnens auf dekorativem Gebiete nieder und war auch hier wieder mit glänzendem Gelingen bemüht, durch diesen Bau das architektonische Gesamtbild mit der engeren und weiteren Umgebung harmonisch zu gestalten. Ein wuchtiges Denkmal seiner Kunst, stark und originell, ruhevoll und groß in ihren Umrissen, ist die romanische St.-Anna-Kirche im Lehel. Mit seinem letzten großen Münchener Profanbau, dem Deutschen Museum auf der Kohleninsel, dessen Hauptteil im Rohen ja bereits fertig dasteht, hat der Meister dann, wie gesagt, erwiesen, daß seine Kunst ebensowenig versagte, wenn er seine persönlichen Neigungen den kühleren Forderungen des Tages unterordnen mußte. Zumal der schlanke schöne Turm ist ein Zugeständnis an das Heute.
Von den vielen Bauten, die Gabriel v. Seidl auswärts errichtete, seien vor allem die stolzen Villen von Heyl in Darmstadt, Schoen in Worms, das Schloß Büdesheim des Grafen Oriola, Schloß Repten, die romanische Gottliebenkapelle in Hernsheim, die Rathäuser in Ingolstadt und Worms genannt, und des Künstlers letztes Werk, der Neubau des Bremer Rathauses, der dem schon schwer Erkrankten noch so reiche künstlerische Ehren eintrug. Die verantwortungsvolle Aufgabe, ein unersetzliches Juwel alter Baukunst mit einem Neubau organisch und geschmackvoll zu verbinden, war hier mit einer Meisterschaft gelöst, die gerade hierfür nur einer aufbringen konnte — Gabriel Seidl.
Wie der Heimgegangene innig und unermüdlich an dem Wohl und Wehe seiner engeren Heimat Anteil nahm, wie er begeistert sich jeder Bewegung anschloß, die Münchens Verschönerung, die Konservierung alter Kultur- oder Naturschätze zum Ziele hatte, das weiß die Generation von heute gar gut. Es sei nur auf seine Tätigkeit bezüglich der Erhaltung der Reize des Isartals erinnert und an seine Grünwalder Brücke, in der sich Kunst und moderne Technik so innig vermählten, an das unermüdliche Wirken Seidls für sein geliebtes Tölz, wo er einen ebenso schmucken als behaglichen Landsitz sich geschaffen. Gabriel von Seidl war einer von den Seltenen und Auserwählten, deren Kraft und Wert noch weit über den eigentlichen Kreis ihrer beruflichen Tätigkeit hinauswirkt, befruchtend, begeisternd und erwärmend. Daß einer, der sich selber so viele Denkmäler in seiner Heimat gesetzt, in dieser Heimat nicht vergessen werden wird, das braucht wohl nicht erst versichert zu werden!
F. v. O.
Münchner Neueste Nachrichten No. 215. Montag, den 28. April 1913.
Die Beerdigung G. v. Seidls
München, 30. April
Der hohen Bedeutung seines künstlerischen Schaffens würdig war die Trauerfeier, die man dem dahingegangenen Meister am Mittwoch nachmittag im südlichen Friedhof bereitete. Emanuel v. Seidl, der Bruder des teuren Toten, hatte ihm das Grab prächtig geschmückt. Eine mächtig getürmte Kranzpyramide hatte ihren Mittelpunkt in einem Riesengebinde weißer Rosen — dem letzten Blumengruß der Familie. Nach beiden Seiten schlossen sich an die Pyramide hohe, kranzbehangene Wände, abgeschlossen von schwarzdrapierten, mit Silberlorbeer umschlungenen Pilonen mit lodernden Pechpfannen obenauf.
Die Ehrenwache am Grabe hielten Rechtsrat Hörburger und Mag.-Rat Ragaller. Vor der Aussegnungshalle, deren Wände mit dunklem Flor umkleidet waren, versammelte sich eine schier unübersehbare Schar Trauernder, die gekommen waren, Münchens großem Ehrenbürger das letzte Geleite zu geben.
Man bemerkte u. a. als Vertreter des Prinz-Regenten Flügeladjutanten Grafen zu Castell, als Vertreter der Prinzen Rupprecht und Georg Hofmarschall Grafen Pappenheim und Hauptmann v. Steinling, Oberhofmeister Baron Rotberg als Vertreter der Herzogin Karl Theodor, Kultusminister Dr. v. Knilling und Ministerialrat v. Winterstein, Staatsrat v. Kahr und Ministerialrat Knözinger, die Staatsminister Graf Podewils und Graf Feilitzsch, Oberbürgermeister Dr. v. Borscht und Bürgermeister Dr. v. Brunner mit Mitgliedern der beiden städtischen Kollegien, Polizeipräsidenten von der Heydte, Präsidenten v. Englert, Rektor Geheimrat Dr. Günther mit Professoren der Techn. Hochschule, Direktor Reichsrat F. v. Miller mit Professoren der Akademie der bildenden Künste, als Vertreter des Generalkonservatoriums der Kunstdenkmale und Altertümer Bayerns Konservator Dr. Richard Hoffmann, ferner den Präsidenten des Oesterreichischen Ingenieur- und Architektenvereins Oberbaurat L. Baumann und die Vertreter der weiter unten anfgeführten Städte und Korporationen.
Mit dem ergreifenden Liede »Ruhe sanft« von Schwab leitete der Hofopernchor die Trauerfeier ein. P. Rupert Jud nahm, assistiert vom großen Kondukt der Pfarrei St. Bonifaz, die Aussegnung vor; dann setzte sich der Leichenzug zum Grabe in Bewegung. Voraus die Wackersberger Schützenkompagnie in ihrer althistorischen Tracht, die Drillinge geschultert, die Fahne umflort. Ihr schlossen sich an der Kathol. Gesellenverein Bad Tölz, die Kapelle des 1. Feldartillerie-Regiments, der Verband der Prinz-Regent-Luitpold-Kanoniere, flambeauxtragende Ratsdiener, das Korps Germania, die Kranzträger und die Geistlichkeit. Zu beiden Seiten des Sarges schritten Mitglieder der Allotria mit brennenden Wachsfackeln. Als der Sarg ins Grab gesenkt wurde, ertönte Böllersalut. P. Rupert Jud sprach dem Toten, dem Freund, eine würdevolle Gedächtnisrede; der Gedankengang seiner zum Herzen sprechenden Ausführungen war ungefähr folgender:
»...Gerade darin, daß der Künstler im Menschen ganz und gar aufging, scheint mir der Grund zu liegen für den Zauber, der von diesem seltenen Manne in reichstem Maße ausging auf Fürst und Volk, auf Stadt und Land, auf Kunst und Leben, in Nord und Süd des deutschen Vaterlandes, für dessen Einheit er nicht nur als bayerischer Artillerist tapfer gekämpft im großen Kriege vor 42 Jahren, sondern unablässig gesorgt hat in unvergänglichen Werken des Friedens. Mit Recht ist einmal von ihm gesagt worden, er sei ein Sprachkünstler und seine Bauten seien Lyrik, er wolle nicht nur den Raum bezwingen, sondern Stimmungen mauern, alle seine Werke seien geboren aus der Tiefe des Gemütes. Der große Künstler, ohne den wir uns unser München gar nicht mehr denken können, blieb aber trotz aller, trotz der höchsten Ehrungen eine einfach schlichte, kindlich unbefangene Natur, ein abgesagter Feind aller Ueppigkeit und Genußsucht in Kunst und Leben, der nicht im Fortschritt des menschlichen Wissens und Könnens an und für sich, sondern in der Heilighaltung erprobter Kunst- und Kulturwerte der Vergangenheit, in der Pflege heimatlicher, sittlicher und religiöser Ideale den Gesundbrunnen nationaler Kraft und Tüchtigkeit erblickte. Ein Mann mit solchen Gesinnungen mußte ein idealer Familienvater sein, und in der Tat: sein Familienleben, seine Liebe zu Frau und Kindern war und bleibt ein vorbildliches makelloses Heiligtum; ein christliches Haus ist das schönste Erbe, das er den Seinigen hinterläßt. ...«
Mit tief zu Herzen gehenden Worten des Abschiedes schloß der Redner.
Hierauf legte Reichsrat Ferd. v. Miller namens der Akademie der bildenden Künste einen Kranz am Grabe nieder. Er feierte Gabriel von Seidl als den »Freund seiner Freunde, den Freund der Kunst und Poesie, den Freund der Natur und alles Schönen, der opferwillig war, wenn es galt, jemanden zu helfen mit Rat und Tat, der unermüdlich war, wenn es galt, Schönes zu schützen, zu erhalten in Kunst und Natur«. Die pfälzische Kreishauptstadt Speyer ließ ihrem hochverdienten Ehrenbürger durch Bürgermeister Dr. Hertrich mit einem Kranz die letzten Grüße übermitteln, Geheimrat Dr. Günther widmete für die Technische Hochschule, Professor v. Mecenseffy für die Architektenabteilung der Hochschule Kranz und Nachruf, ebenso Senator Nebeltau für den Senat der Freien Hansastadt Bremen, Regierungsrat Fischer für den Historischen Verein für das bayerische Oberland, für den Gewerbeverein und für den Bezirk Tölz, Geheimrat Friedrich v. Thiersch für die Akademie der Künste zu Berlin, rechtskundiger Bürgermeister Stollreither für die Stadt Tölz (»ihrem Ehrenbürger«), sächs. Gesandter Frhr. v. Friesen für die Akademie der Künste zu Dresden, Reichsrat Oskar v, Miller für das Deutsche Museum, Prof. v. Petersen für die Münchner Künstlergenossenschaft, Direktor Dr. Stegmann für das Nationalmuseum, Justizrat Pailler für den Isartalverein, Verwaltungsgerichtsrat v, Chlingensperg für das Historische Museum der Pfalz, Direktor Riemerschmid für die Kunstgewerbeschule, Baurat Rehlen für den Bayerischen Architekten- und Ingenieurverein, Ministerialrat v. Schacky für den Münchner Architekten- und Ingenieurverein, Prof. Emil Högg für die Dresdner Künstlervereinigung »Zunft«, Prof. Fritz von Miller für den Künstlerhausverein, Oberregierungsrat Dr. Döberl für den Historischen Verein für Oberbayern.
Dr. Georg Hirth gedachte des Verstorbenen unter Niederlegung einer Kranzspende in folgendem anerkennendem Nachruf:
»Es ist schon von geistlicher Seite erwähnt worden, daß unser verewigter Freund auch ein Meister der Sprache und des Wortes war wenn es galt, seine Ideale zum Ausdruck zu bringen, er war aber auch ein Künstler der Feder, wenn es galt, eine gute Idee zu verfechten und zahlreiche Aufsätze in der Münchner Presse legen Zeugnis ab von seinem schriftstellerischen Talent. Diesen Kranz lege ich nieder im Namen des Journalisten- und Schriftstellervereins München, aber auch in meinem eigenen Namen als einer seiner glühendsten Verehrer dem großen deutschen Baumeister, dem vorbildlichen Kämpfer für Münchens Größe, Schönheit und Ruhm.«
Herzliche Abschiedsworte rief dem geschiedenen Freund Prof. Toni Stadler unter Niederlegung einer Kranzspende der Allotria nach. Ebenfalls unter ehrenden Nachrufen ließen noch Kränze niederlegen Aktivitas und Philisterium des Korps Germania, die Wackersberger Schützenkompagnie, die Ortsgruppe München des Bundes deutscher Architekten, die Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst, der Kirchenbauverein St. Ruppert, der Künstler-Unterstützungsverein, die Studierenden der Akademie der bildenden Künste, der Akademische Architektenverein, die Künstlervereinigung »Luitpoldgruppe«, die Künstlergruppe »Der Bund«, der Bayerische Verein für Volkskunst und Volkskunde, der Passiv-Verband des Akademischen Architektenvereins, der Interessenverein Grünwald, die Münchner Sezession, der Bayer. Kunstgewerbeverein, der Münchner Bund für angewandte Kunst und der Münchner Privat-Architektenverein. Die Kranzspenden auf dem Grabhügel türmten sich zu einem riesigen Blumenberg. Der Hofopernchor und die Regimentskapelle beschlossen die Feier mit dem Vortrag von Trauerweisen.
Bei der Fülle der schon vor der Trauerfeier übermittelten Kranzspenden ist es nicht möglich, sie alle aufzuzählen; zu den bereits erwähnten sind noch nachzutragen diejenigen des Kultusministeriums, des Baubureaus des Deutschen Museums, des Bureaupersonals Emanuel v. Seidls und der Absolvia des Realgymnasiums.
Münchner Neueste Nachrichten No. 221. Donnerstag, den 1. Mai 1913.
Lokales
München, 16. November
Gedenktafel für Gabriel von Seidl. In dem Säulengang am Studiengebäude des Bayerischen Nationalmuseums hat in den letzten Tagen, nachdem der König hierzu die Genehmigung erteilt hatte, eine Gedenktafel für Professor Dr. Gabriel v. Seidl Aufstellung gefunden.
Die in Bronze gegossene Tafel zeigt in schlichter architektonischer Umrahmung den Kopf des genialen Erbauers unseres Nationalmuseums im Profil nach rechts, im Bildnis von packender Lebenstreue in der äußeren Erscheinung und von jener fast rührenden Schlichtheit und Ehrlichkeit im Ausdruck, die den feinfühlenden Künstler wie liebenswürdigen Menschen seiner Mitwelt, vor allem seinen Freunden gleich teuer machten. Einem Freunde, der kaum wie ein anderer zu dieser Aufgabe berufen war, verdankt auch dieses Gedächtnismal seine Entstehung und seine Wahrhaftigkeit.
Adolf v. Hildebrand, der schon vor zwei Jahnen in der Empfangshalle des Museums dem treuen Freunde und kongenialen Künstlergenossen Gabriel v. Seidl, Rudolf v. Seitz, durch eine lebensvolle Reliefbüste eine bleibende Erinnerung sicherte, hat auch dieses neue Werk geschaffen und gestiftet.
Die Ehrentafel, die durch die Art ihrer Aufstellung in der offenen Loggia an der Prinzregentenstraßc das Gedächtnis nicht allein an den Erbauer unseres Nationalmuseums, sondern zugleich auch an seine bahnbrechenden Verdienste um die Kunstentwicklung ganz Münchens für alle Zeiten wach erhält, wird gleichermaßen zum Denkmal dessen, der es in selbstloser Weise schuf und schenkte.
Münchner Neueste Nachrichten No. 590. Dienstag, den 17. November 1914.
Seidl Gabriel, Dr. Ing., von, 1848 (München) – 1913, Baumeister und Akademieprofessor; S. stammt aus einer kunstfördernden Münchner Bäckerfamilie; nach Besuch der Latein- und Gewerbeschule, des Polytechnikums und der Technischen Hochschule in München (Schüler von Gottfried Neureuther) praktizierte er zunächst in der Maffeischen Maschinenfabrik; er nahm am Feldzug 1870/71 teil und betätigte sich dann hauptsächlich im Privatbau, wobei er auf die Innendekoration großen Wert legte; seine Werke sind im Stil der Neu-Romanik und der Neu-Renaissance.
Hauptwerke: St.-Anna- und St.-Rupert-Pfarrkirchen, Bayerisches Nationalmuseum mit Landesamt für Denkmalspflege und Neuer Sammlung, Lenbach-Villa, Künstlerhaus, Palais Schrenck-Notzing, Ruffini-Haus; als Baumeister hat S. »um die Jahrhundertwende die Hegemonie in Händen gehabt« (S. von Pölnitz); (sein Bruder Emanuel von S., auch Baumeister, Schöpfer des Deutschen Museums, liegt im Münchner Waldfriedhof bestattet).
© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.