Ω
DR.
JOHANNES
ANDREAS
SCHMELLER
SPRACHFORSCHER
1785 – 1852
Ω
Schmeller, Johann Andreas, Dr. phil.; 6.8.1785 (Tirschenreuth/Opf.) – 27.7.1852 (München); Germanist
|||
* 6.8.1785 (Tirschenreuth/Opf.)
† 27.7.1852 (München)
Germanist
München, 27 Jul. Heute nach 10 Uhr vormittags ist Dr. Andreas Schmeller nach dreitägigem Krankenlager gestorben; heiter, ruhig, wie sein Leben war. Mit ihm stirbt ein großer Gelehrter; aber er war mehr all das, er war ein großer Charakter. Der Stolz und die Freude seiner Freunde geht mit ihm dahin! Rein and lauter wie seine unsterbliche Seele in diese Existenz gesetzt worden war, hat er sie erhalten in einem Leben das reich war an Kämpfen und Mühen. Rein und in unbefleckter Schönheit hat er sie seinem Schöpfer zurückgegeben! Die Unschuld des Kindes und die bewußte, klare Stärke des Mannes war in diesem seltenen Menschen zur schönsten Harmonie vereinigt. Was er der Wissenschaft auf dem großen, theilweise erst durch ihn eröffneten Felde der Sprachforschung, zumeist der germanistischen, unvergängliches geleistet hat, das werden die Männer seines Faches, Mitarbeiter auf der Laufbahn, wie sein Freund Jakob Grimm and seine Schüler, dem Vaterlande dankbar zu berichten wissen. Aber unverwehrt sey uns jetzt schon die Klage um den hohen, reinen, thatkräftigen Charakter, um den Mann voll Liebe und zarter Empfindung, voll Bescheidenheit, sittlicher Sicherheit und Stärke, um den lautern Mann des Rechts, der Wahrheit, um den tiefen, duldsamen, nach allen Seiten hin milden Denker, um den Mann von unbeugsamer stiller Festigkeit, ohne Gepränge und Flitter, um den Mann der uneigennützigsten Tugend!
Allgemeine Zeitung Nr. 210. Augsburg; Mittwoch, den 18. Juli 1852.
München, 27 Jul. Ein großer und schwer zu ersetzender Verlust hat heute unsere Akademie und Universität betroffen. Diesen Morgen nach 9 Uhr verstarb, nach nur kurzer Erkrankung an einem Brechdurchfall, der ordentliche und öffentliche Professor der altdeutschen Sprache und Litteratur und Unterbibliothekar der königl. Hof- und Staatsbibliothek, Dr. Johann Andreas Schmeller.
Dieser um Sprachforschung und Erläuterung alter Sprachdenkmale hochverdiente, und deßhalb weithin berühmte Gelehrte war geboren im Jahr 1785 zu Tirschenreuth in der Oberpfalz, und erhielt seinen ersten wissenschaftlichen Unterricht am hiesigen Gymnasium und Lyceum. Ohne Mittel jedoch seine Studien fortsetzen zu können, faßte er, 18 Jahre alt, den Entschluß in die Welt zu gehen, und wandte sich deßhalb zuerst nach der Schweiz, wo damals der vortreffliche Pestalozzi seine neue Lehre mit allgemeiner Begeisterung begonnen hatte. Da er indeß auch hier nirgends ein Unterkommen fand, ließ er sich bei einem Schweizerregiment im spanischen Solde anwerben, und gelangte so im Jahr 1804 nach Tarragona und zwei Jahre später nach Madrid, wo er bei einer zunächst für Officierssöhne bestimmten und neu errichteten Probeschule nach Pestalozzi’s Grundsätzen als Lehrer eine Anstellung, und dadurch Gelegenheit fand seine früheren Ideen über Elementar-Unterricht anzuwenden und zu erproben.
Als diese Anstalt aber bald nach dem Ausbruch der spanischen Revolution ihr Ende fand, verließ Schmeller mit seinem Collegen Studer Spanien und begab sich wiederholt nach der Schweiz, wo er mit G. Hopf zusammen wieder eine Lehranstalt nach Pestalozzi’s System gründete, die er indeß erst mit dem denkwürdigen Jahr 1813 verließ, wo er als Freiwilliger in das bayerische Jägerbataillon des Iller- und Donaukreises eintrat. Nach Beendung der Befreiungskriege widmete er seine Studien vorzugsweise der bayerischen und deutschen Volkssprache, und seine ausgezeichneten schriftstellerischen Leistungen auf diesem Gebiete der Sprachforschung verschafften ihm im Jahr 1828 bei Verlegung der Universität von Landshut nach München die daselbst neu errichtete Professur der ältern deutschen Sprache und Litteratur, später die zweite Vorstandsstelle an der Staatsbibliothek, sowie seit dem Jahr 1824 einen Sitz in der bayerischen Akademie der Wissenschaften, deren erster Classensecretär er in letzter Zeit war. Außerdem war Schmeller in Folge seiner zahlreichen philologischen und historischen Arbeiten Mitglied vieler gelehrter Gesellschaften, und zählte auch zu den Rittern des bayerischen Verdienstordens vom heil. Michael.
Allgemeine Zeitung Nr. 210. Augsburg; Mittwoch, den 28. Juli 1852.
Johann Andreas Schmeller,
ordentl. Professor an der Universität und Bibliothekar der königl. Hof- und Staatsbibliothek, Mitglied und Sekretär der I. Klasse der königl. Akademie der Wissenschaften zu München;
geb. den 6. Aug. 1785, gest. den 27. Juli 1852 (Beil. zur Augsburger Allgem. Zeitg. 1852. Nr. 220.).
Sch., geboren als der Sohn eines Landmanns zu Tirschenreuth in der Oberpfalz, vom zweiten Lebensjahr an aber zu Rimberg im königl. Landgericht Pfaffenhofen, wohin seine Aeltern sich wendeten, erzogen, hatte seine wissenschaftliche Vorbildung (1796–1799) auf dem Gymnasium zu Ingolstadt und am Lyceum zu München (1799 bis 1804) erhalten. Zu arm und mittellos, um seine Studien fortsetzen zu können, faßte er, 18 Jahr alt, den Entschluß, sein Glück in der weiten Welt zu suchen. Das große Werk, das Pestalozzi in jenen Tagen unternommen hatte, zog ihn nach der Schweiz, wohin er sich im Juni 1804, nichts mit sich führend, als seine mit Begeisterung geschriebene Erstlingsarbeit, in frohem Jugendmuth auf den Weg machte. Allein Pestalozzi war gerade damals im Begriff, von Burgdorf nach Münchenbuchsen zu übersiedeln, und vertröstete ihn auf einen spätern Zeitpunkt. Sch. hielt das für eine höfliche Abweisung und zog weiter.
Als auch ein Versuch, in Bern ein Unterkommen zu finden, mißlungen, und in Basel die Hoffnung vereitelt war, von da zu Schiff nach Holland und weiter nach Amerika zu reisen, nahm Sch. seinen Weg nach Solothurn. Auf der Heerstraße traf er den Agenten eines Schweizerregiments in spanischem Sold, der ihm die Möglichkeit zeigte, leichten Kaufs über die Pyrenäen und wenn er wollte, vollends über das Weltmeer zu gelangen. Er ließ sich anwerben und gelangte im September nach Taragona. Hier machte er mit dem Hauptmann Voitel nähere Bekanntschaft, der Pestalozzi’s Leistungen kannte, dessen Lehrmethode bereits in der Schule des Regiments eingeführt und der sogar in Madrid Verbindungen angeknüpft hatte, um der neuen Unterrichtsweise in Spanien Eingang zu verschaffen. Als nun die Errichtung einer zunächst für Officierssöhne bestehenden Probeschule nach Pestalozzi’s Grundsätzen beschlossen und Voitel als Vorsteher derselben (1806) nach Madrid berufen wurde, begleitete ihn Sch. dahin und fand als Gehilfe der Lehranstalt Gelegenheit, seine früheren Ideen über Elementarunterricht anzuwenden und zu erproben.
Als aber bald nach dem Ausbruche der Revolution die Anstalt ihr Ende fand, verließ Sch. Spanien und zog mit seinem Kollegen, Studers, nach der Schweiz, wo er, im Mai 1808 angelangt, sich zu Basel mit Samuel Hopf zur Errichtung einer Privatanstalt verband, die bis 1813 bestand, wo Sch., als auch sein Vaterland gegen Frankreich aufstand, die Schweiz verließ und sich in die Reihen der bayer’schen Freiwilligen stellte. Da die aus denselben gebildeten Jägerbataillone während des Jahres 1814 dem Reserveheere zugetheilt blieben und das vereinte Bataillon des Iller- und Oberdonaukreises, in welchem Sch. stand, erst im Feldzug 1815 verwendet ward, so benutzte er seine Muße im J. 1814 zur Ausarbeitung einer kleinen gegen den ausschließlichen Gebrauch der französ. Sprache bei diplomatischen Verhandlungen gerichteten Schrift: »Soll es Eine allgemeine europäische Verhandlungssprache geben?« Kempten 1815.
Nach der Heimkehr zogen ihn besonders die Eigenschaften der Volkssprache in seinem Vaterlande an: »Mir stehen die Mundarten neben der Schriftsprache da, wie eine reiche Erzgrube neben einem Vorrath schon gewonnenen und gereinigten Metalls, wie der noch ungelichtete Theil eines tausendjährigen Waldes neben einer Partie desselben, die zum Nutzgehölz durchforstet, zum Lufthain geregelt ist.« Diese Richtung seiner Forschungen gelangte durch die Vermittelung des Oberbibliothekars Jos. Scherer zur Kenntniß des Kronprinzen von Bayern, der ihm in hochsinniger Weise den Auftrag und die Mittel gab, die Mundarten Bayerns zum Gegenstand einer ausführlichen Arbeit zu machen, die bereits 1821 mit einer Karte zur Uebersicht der verschiedenen Mundart-Eigenheiten erschien; sie bildet die Grundlage des großen lexikalen Werkes: »Bayer’sches Wörterbuch«, das mit urkundlichen Belegen, nach den Stammsylben etmologisch-alphabetisch geordnet, bereits im J. 1827 begann und 1836 mit dem 4. Bande schloß: ein Idiotikon der lebenden Volkssprache, sowie Glossar der aeltern Sprache des Landes, das lange noch unerreicht dastehen wird als einziges Muster für alle Arbeiten ähnlicher Art.
Sch. erhielt um diese Zeit (1827) eine Professur im königl. Kadetenkorps und nach Uebersiedelung der Universität von Landshut nach München den neu errichteten Lehrstuhl für deutsche Literatur, den er mit dem Programm »Ueber das Studium der altdeutschen Sprache und ihrer Denkmäler« (München 1827) antrat. Für seine Zuhörer gab er nun das Evangelium des heil. Matthäus, nach der in St. Gallen befindlichen sogenannten tatiann’schen Evangelienharmonie heraus, 1828; bald folgte, nachdem Sch. an Docen’s Stelle Kustos der königl. Hof- und Staatsbibliothek, wo er später zum Unterbibliothekar vorrückte, geworden, die Ausgabe des Heljand, jener seither so berühmt gewordenen altsächs. Evangelienharmonie, von den beiden in Bamberg und London befindlichen Handschriften (Stuttgart 1830. 1. Bd., 1840. 2. Bd., das Wörterbuch und grammatische Uebersicht enthaltend.) Dann folgte in schneller Reihe die Herausgabe des von Docen entdeckten althochdeutschen Gedichts vom Weltuntergang (Muspilli, München 1832); dann 1833 die Denkschrift des Bürgermeisters Jörg Katzmair über die »Vierherzogregierung (1397–1403) in München.« In den mit Jakob Grimm herausgeg. »Lateinischen Gedichten des 10. und 11. Jahrhunderts« veröffentlichte er die Fragmente des Puodlieb, als dessen Dichter er den tegernseer Mönch Froutmut zu Anfang des 11. Jahrhunderts bezeichnet.
Die Akademie der Wissenschaften hat ihn, wohl ahnend, zu welchem Ruhm ihr sein Name noch gereichen würde, bereits 1829 zu ihrem Mitglied erwählt und seine in einer Reihe von Jahren dort niedergelegten Abhandlungen werden immer leuchtende Perlen bleiben im reichen Schreine der Germanistik, den besten Arbeiten der Grimm zu vergleichen, die durch den fleißigen Austausch ihrer Werke unserm Sch. ihre Freundschaft und hohe Anerkennung seiner Bestrebungen kund gaben. Als im J. 1846 Sch. zum ordentlichen Professor ernannt wurde, betrat er nach langer Unterbrechung, woran die Geschäfte der Bibliothek wohl einzig Schuld trugen, wieder den Lehrstuhl. Ein höchst gewähltes Kolleg umgab ihn; mit Begeisterung wurden seine Vorträge, seine gleichsam vergleichende Physiologie der Sprache über die deutschen lebenden Mundarten aufgenommen.
Wenn Grimm, der Meister, vom Quell aus die Strömungen verfolgte und wie ein Feldherr überall zu gleicher Zeit siegreich, wunderbaren Geistes und Blickes vorgedrungen, so hatte Sch. in gleichem Drange und gleich starker Liebe zur Heimath und zum heimischen Erbgut den mühsameren Weg eingeschlagen und war von der Mündung der einzelnen Flüsse neben oft schwierigem Rennsal zum Ursprunge der Wasser zurückgegangen; »der Steinkenner,« so äußerte er sich damals, »schaue und mustere das durch Stromesmacht vom Gebirge herabgeflößte und außgebreitete Kiesfeld der Ebene und finde und schließe gleich hier, aus welchem Fels und Kitt der ferne blaue Bergwall gebaut und aufgerichtet ist; der Sammler steige unverdrossen darüber hinweg, hinauf in die Höhen und schlage sorgsam an jedem Stein mit prüfendem Hammer und trage mühselig den gefundenen Schatz mit sich in die Tiefe zurück.«
Welch’ einen Schatz von Blüthen und Blumen, die der Vielerfahrene von früher Jugend allerorts aus dem Munde redseliger Bauern und kräftiger, annoch vom ermattenden Hauche städtischer Verbildung unberührter Werkleute, in rauchigen Schenken einsamer Dörfer, in waldumnachteten Mühlen, verschränkten Schluchten, in lichten Sennen der steilen Alpenhöhe mit dem Fleiße der Biene gesammelt und emsig und ordnend zum Stocke getragen hatte! Freudig schied er im Sommer 1847 von seinem Auditorium; wer dachte an ein so schmerzliches Wiedersehen?
Kräftig und wohlgemuth war er nach Meran hinabgestiegen und mit gebrochenem Beine lange hilflos liegen geblieben. Erst nach vielen Stunden aufgefunden kam die ungeschickte Hand eines Chirurgen dazu; die Folge davon war, daß Sch., unter qualvollen Schmerzen endlich nach München zurückgebracht, den freien Gebrauch seines Fußes niemals mehr erlangte. Abgezehrt und gealtert, sich mühsam an Krücken schleppend, ein Bild des Jammers, so kam er im Sommer 1848 wieder zurück. »Ein Mann, ein Wort,« so meinte er, als ihm seine Freunde mit aller Vorsicht zum Lehrstuhl geleitet hatten, »das zieme sich sonsten; an ihm aber sey der Spruch wahr geworden: der Mensch denke und Gott lenke.« Es war wahrlich rührend zu sehen, wie der Mann alle Schmerzen vergaß und nun, nachdem er eine peinliche lange Zeit von seinen liebsten Studien geschieden gewesen, mit jugendlicher Seele seinem Berufe nachkam.
Jetzt, da eine tückische Krankheit in wenigen Tagen sein kostbares Leben, viel zu früh für die Wissenschaft, gelöscht, halten wir es für eine heilige Pflicht, sein Gedächtniß zu feiern, nicht für seine Freunde, in denen sein Bild ohnehin nie verschwinden wird, sondern für Diejenigen, so ihm ferner standen und verblieben.
Sch. war ein ganzer Mann, einfach und gerade, liebevoll und freundlich, der Jugend geneigt, selbst da, wo es sich häufig traf, daß er gerade in den wichtigsten Studien unvorhergesehen gestört ward; jeder, selbst der unwichtigsten Persönlichkeit, wenn sie sich vertrauensvoll um Rath an ihn gewendet, mit der größten Bereitwilligkeit entgegenkommend; er zählte zu jenen wenigen Glücklichen, die im schönen Streben der Wissenschaft nie einer Partei anheimfallen, duldsam gegen Alle und Jeden; Unfrieden vermeidend, nur gegen Unnatur und Unlauterkeit hart und entschieden, wo sich seine Stirne höher wölbte und Wackernagel’s Verse paßten:
…gegen das Schlechte
Mag noch immer ich jugendlich
Laut verfechten das Rechte
Und wo der Dünkel des Unverstands
Pocht, selber genügsam,
Bin ich noch heute ein Jüngling ganz
Unschmiegsam und unfügsam.
Was Sch. für die Bibliothek war, wird die Welt staunend erfahren, wenn der von ihm angefertigte Handschriften-Katalog der Oeffentlichkeit übergeben seyn wird; die Wissenschaft verliert an ihm einen Stern erster Größe; wie ihn sein König zu schätzen verstand, zeigt der Orden auf seiner Brust.
Schließlich müssen wir noch einige seiner kleinern Arbeiten hervorheben. Hierher gehört Einzelnes in Zschokke’s »Miscellen 1807–11; Ruiz de Padron über die Inquisition in den »Europäischen Annalen;« ferner in der »Ens« 1818, im »Ausland« 1828, »Inland« 1829. Dann in den Abhandlungen der Akademie: Zu Schorn’s Abhandlung üb. d. röm. Denkmal in Igel bei Trier; Entstehung des Klosters Waldsassen, in deutschen Reimen des 14. Jahrh.; über Valentine Fernandez Alema, und seine Sammlung von Nachrichten über die Entdeckungen und Besitzungen der Portugiesen in Afrika u. Asien bis zum J. 1508; über Hadamar von der Baber Minnegedichte; über Raphael Sanzio als Architekten; über Wolfram v. Eschenbach’s Heimath; Grab und Wappen; über die sogenannten Cimpern der VII. u. XIII. Kommunen auf den venetischen Alpen u. ihre Sprache; über die Hof- u. Pilgerreise des böhm. Herrn Leo v. Rozmital (in den Publikationen des literar. Vereins zu Stuttgart, der sich seiner Mitwirkung erfreute); über einige ältere handschriftl. Seekarten; St. Ulrich’s Leben in den deutschen Versen nach B. v. Reichenau etc.
Neuer Nekrolog der Deutschen. Weimar, 1854.
Die »Ruhmeshalle« unter den Arkaden des südlichen (älteren) Friedhofes in München.
Von C. Reber.
7. Dr. Johann Andreas Schmeller, Sprachforscher und Germanist, geboren zu Tirschenreuth in der Oberpfalz am 6. August 1785 als Sohn eines armen Kürbenzäuners.
Früh schon lernte er das Wandern; denn als er erst zwei Jahre alt war, verzogen seine Eltern nach Rinnberg bei Pfaffenhofen.
Zu Hause vorbereitet, besuchte er vom Jahre 1794 an die Schule zu Pörnbach und fand dann durch Verwendung eines Gönners im Seminare des Klosters Scheyern Aufnahme. Doch nur kurze Zeit war dort seines Bleibens: im nächsten Jahre wurde das Kloster von französischem Kriegsvolke besetzt, und er mußte wieder wandern. Sein nächstes Ziel war Ingolstadt, wo er das Gymnasium besuchte. Auch hier blieb er nicht lange, sondern wandte sich nach München, wo er das Gymnasium und sodann das Lyceum absolvierte.
Nun hieß es einen Lebensberuf wählen! Am meisten hätte ihn wohl das Studium der Chemie und Mechanik angezogen, doch konnte er sich bei seiner Mittellosigkeit keinen Erfolg versprechen, deshalb wandte er sich der Landwirtschaft zu, allerdings ohne durch sie befriedigt zu werden.
Für seine erste Arbeit »über Schrift und Schriftunterricht« fand er keinen Verleger, und da seine Barmittel fast gänzlich erschöpft waren, beschloß er, sich an den damals gerade berühmt gewordenen Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi zu wenden. Im Alter von 18 Jahren mit 25 Gulden bar trat er die Wanderschaft nach der Schweiz an – es war vergebens, er fand auch dort keine Aufnahme.
Da, eines Tages, Schmeller mochte wohl gerade, die Straßen durchschreitend, über seine mißliche Lage Nachdenken und dabei ein verzweifeltes Gesicht machen, sprach den etwas fadenscheinig Gekleideten einer jener Werber an, die damals die ganze Welt durchstreiften.
Dem jungen Manne mußte bei seiner Lage und Aussichtslosigkeit das in den glänzendsten Farben geschilderte Militärleben schon als halbwegs glänzend erscheinen, so ließ er sich denn für ein spanisches Regiment anwerben und war bald auf dem Wege nach Spanien. In Tarragona, wo sein Regiment stand, verlebte er harte Monate. Im Jahre 1806 aber hatte sich seine Lage schon wieder verbessert. Er wirkte als Lehrer in Madrid an einer nach Pestalozzis Grundsätzen eingerichteten, für Offizierssöhne bestimmten Probeschule. Die Probe scheint die Schule allerdings nicht bestanden zu haben, denn zwei Jahre später erfolgte ihre Auflösung. Schmeller griff wieder zum Wanderstabe und wandte sich nach der Schweiz zurück. In Basel gründete er eine Privatanstalt, später wirkte er noch in Konstanz.
Als sich im Jahre 1813 ganz Deutschland gegen den korsischen Eroberer erhob, litt es auch Schmeller nicht mehr in der Fremde. Am Sylvesterabende desselben Jahres kehrte er nach München zurück und schloß sich sofort den bayerischen Freiwilligen an. Wenige Tage darauf schon wurde er auf Verwendung des Kronprinzen Ludwig zum Oberlieutenant bei dem freiwilligen Jägerbataillon des Illerkreises befördert. Zum Kampfe kam er zwar nicht mehr, doch führte ihn der Feldzug von 1815 nach Frankreich. Im kgl. bayer Armeemuseum zu München wird das Kaskett, das er beim Ausmarsche trug, aufbewahrt.
Nach seiner Rückkehr aus Feindesland erhielt er als Lieutenant unbestimmten Urlaub, den er sich zu verschiedenen Malen wieder verlängern ließ. Unverdrossen arbeitete er, der jetzt wieder Gelehrter war, an seinen großen sprachwissenschaftlichen Werken. Nach zehn Jahren heißen Mühens gelang es ihm endlich, unterstützt durch den Kronprinzen und die kgl. Akademie der Wissenschaften, eine außerordentliche Professur für deutsche Sprache und Literatur an der Münchener Universität zu erhalten.
Seine Hauptwerke sind das »Wörterbuch der bayerischen Mundart« und »Grammatik der Mundarten«. Durch sie ward er der Begründer der wissenschaftlichen Mundartenkunde und Erschließer des bayerischen Sprachschatzes, sie sind das glänzendste Denkmal, das ein Forscher einer Mundart setzen konnte.
Auch dichterisch war er thätig, doch veröffentlichte er nichts, er freute sich nur der poetischen Übung.
Infolge eines Choleraanfalles starb der hochverdiente Gelehrte am 27. Juli 1852 zu München in dem Hause Nr. 9 an der Theresienstraße, welches durch eine entsprechende Gedenktafel kenntlich gemacht ist.
Eine Vereinigung von Freunden und Verehrern ließ durch den Bildhauer Johann Halbig unter Benützung der Totenmaske und eines Ölbildnisses eine Büste Schmellers herstellen, welcher ein Ehrenplatz in der kgl. Hof- und Staatsbibliothek angewiesen wurde.
Von dieser Büste ließ die Stadtgemeinde München aus ihren Mitteln einen Abguß machen, der im Jahre 1853 in einer Nische unter den Arkaden Aufstellung fand.
Außerdem erinnern noch ein Medaillonbildnis an der Südfacade des kgl. Wilhelmsgymnasiums und der Name einer Straße in München, dem Schauplatze seiner Hauptthätigkeit, an ihn.
Aber auch seine Geburtsstadt Tirschenreuth, ehrte ihren großen Sohn durch Errichtung eines Denkmals, das am 20. Juli 1891 enthüllt wurde.
C. Reber: Die »Ruhmeshalle« unter den Arkaden des südlichen (älteren) Friedhofes in München. Das Bayerland. München, 1898.
Schmeller Johann Andreas, Dr. phil., 1785 (Tirschenreuth/Opf.) – 1852, Germanist, Universitätsprofessor und Bibliotheksrat; aus ärmlichen Verhältnissen stammend konnte er sich ein Studium in der Jugend nicht leisten, er trat deshalb in ein Schweizer Regiment ein, das in spanischen Diensten stand, wurde 1806 Lehrer an einer in Madrid nach Pestalozzis Grundsätzen eingerichteten Probeschule und gründete, selbst ein Freund des Schweizer Pädagogen, in Basel eine Privatanstalt (1808); nach den Befreiungskriegen, an denen er als bayerischer Freiwilliger teilnahm, widmete sich Sch. vorzugsweise der Erforschung der bayerischen Mundart.
Hauptwerke: Die Mundarten Bayerns, grammatisch dargestellt, und Bayerisches Wörterbuch (1827–37; 2. Aufl., v. G. Karl Frommann 1868/77; unveränderter Nachdruck der 2. Aufl. 1939, 2 Bde.); diese Arbeiten legten durch ihre strenge Methode, vor allem in bezug auf die Lautlehre, den Grund zu wissenschaftlichen Forschungen der deutschen Dialekte überhaupt und sind heute noch unentbehrliche Nachschlagewerke.
© Dr. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.