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CARL SPITZWEG
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Spitzweg, Angelika (vh) / Moralt (gb); – 24.11.1873 (München), 52 Jahre alt; Kaufmanns-Gattin
Spitzweg, Anna (vh) / Moralt (gb); – 29.9.1844 (München), 32 Jahre alt; Musikalienhändlers-Gattin
Spitzweg, Eduard; 20.4.1811 (München) – 28.4.1884 (München); Musikalienhändler
Spitzweg, Karolina (vh) / Madrach (gb); (München); – (5).4.1879 (München), 35 Jahre alt; Kaufmanns-Tochter / Kaufmanns-Gattin
Spitzweg, Simon; – 1.12.1828 (München), 52 Jahre alt; Kaufmann
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* 5.2.1808 (Unterpfaffenhofen)
† 23.9.1885 (München)
Dichter und Genremaler
Karl Spitzweg,
Genremaler.
Was ist Humor?
Man kann diese Frage zwanzigmal verschieden beantworten hören, und doch kann jeder der Antwortenden von seinem Standpunkte aus Recht haben.
Ueberdies hat jede Nation ihren eigenen Humor, der oft mit dem des Nachbarvolkes nicht mehr als eine entfernte Familienähnlichkeit hat.
Der Humor der Franzosen hat in der Regel einen Beigeschmack von Witz, hie und da auch von Sarkasmus und prickelt wie sein Schaumwein aus der Champagne.
Der Humor des Engländers ist etwas derberer Natur und könnte vielleicht mit seinem Lieblingsgetränke Porter verglichen werden, mit welchem er nicht selten etwas Bitteres gemein hat.
Dem Spanier ist er über seiner Grandezza verloren gegangen, und er hat ihn während der Zeit der Autodafé und später der Bürgerkriege nicht mehr finden können.
Der Italiener hätte vielleicht von Natur aus einige Anlage dafür; da er es sich aber zur Aufgabe gemacht hat, sein Leben lang Komödie zu spielen, so kann der Humor bei ihm nicht vollends zum Durchbruch kommen.
Der Humor des Deutschen endlich ist eine Wasserlilie, welche tief unten in dem perlenreichen Grunde eines unerforschten See’s wurzelt und in stiller Stunde emporsteigt, um auf dessen spiegelglatter Oberfläche sich anmuthig zu entfalten und manche köstliche Perle in ihrem Kelche mit heraufzutragen.
Unter den deutschen Dichtern besitzt keiner echteren deutschen Humor, als Jean Paul, und wenn nicht selbst der beste Vergleich immer etwas hinkte, möchte ich Carl Spitzweg den Jean Paul unter den Malern nennen.
Wie uns Jean Paul jetzt zu Thränen rührt und im nächsten Augenblicke wieder durch Thränen lachen macht, so erwecken Spitzweg’s köstliche Gestalten unsere Lachlust, um uns gleich darauf wehmüthig zu stimmen. Wer wäre griesgrämig genug, um nicht wenigstens zu lächeln, wenn er Spitzweg’s alte Junggesellen sieht, die nur aus Pantoffel und Schlafrock schlüpfen, um in die gewohnte Schenke zu wandern? Wie weltvergessen steht Jener auf der höchsten Leiter der Bibliothek, Bücher in der Hand, Bücher in den Taschen, Bücher unter den Armen, Bücher selbst zwischen die Beine geklemmt! Aber wir fürchten, er versäumt über seinem stillen Glücke die Stunde des Mittagsessens und dann wehe ihm! Der Haushälterin zorniger Redefluß ergießt sich unerbittlich über des Armen Haupt. Der im Actenstaub alt gewordene Schreiber, der mit blödem Auge seinen Kiel spitzt, o er fühlt sich unzweifelhaft als ein Theil der weltregierenden Bureaukratie. Unser inneres Auge sieht aber auch die Kehrseite des Bildes: Darben und Sorgen und Noth und ein einsames Sterbebett im Spital. Der alte Herr dort, der mit wollüstigem Behagen und doch mit Scheu und Ehrfurcht den Duft der Cactusblüthe in sich saugt, auf die er Jahre gehofft, jenes kleine Männchen, das mit einem Stückchen Zucker sein zutrauliches Vögelchen lockt, sie hofften, einst im Kreise sich lustig tummelnder Kinder zu sitzen, aber das Schicksal hat es anders gewollt. Und beim Anblick so viel verlorenen, thaten- und freudeleeren Lebens überkommt uns eine stille Wehmuth, daß wir uns fast unserer vorigen Heiterkeit schämen und nur der heimlichen Thränen, der zertrümmerten Hoffnungen und der tausendfachen Entbehrungen, wohl auch der stillen Resignation gedenken, die der Armen Erbtheil.
In einer Reihe anderer, nicht minder trefflicher Compositionen Spitzweg’s tritt das komische Element als allein wirkendes auf. Sein Polizeidiener, der sich am Stadtthor die Zeit mit Fliegenfangen vertreibt, seine Anachoreten, die ihren exegetischen Eifer so weit treiben, daß sie sich die Bibeln an die Köpfe schlagen, seine Schaarwache, die mit der Laterne durch die mondhellen Gassen und Gäßchen der Stadt zieht, sein Wittwer, dessen Blick über das Medaillon seiner heimgegangenen Gattin nach den vollen Waden zweier im Park spazierenden Mädchen schweift, gehören zu dem Besten dieser Art, was je geschaffen wurde.
Die dritte Gruppe endlich bilden Compositionen, in denen der Künstler mit Beiseitlassung des Humors direct zum Herzen spricht, dem er ernste oder heitere Stoffe in der anziehendsten Weise vorführt. Eine hervorragende Stelle darunter nehmen jene seiner Bilder ein, welche uns Einsiedler vorführen. Meist ist der landschaftliche Theil dabei stark betont, alle aber fesseln durch den Abglanz eines tief-innigen Gemüthslebens. Es liegt ein Zauber in ihnen, dessen wunderbaren Bann wir nicht zu brechen vermögen und der uns unwiderstehlich hineinzieht in jene stillen, sonnigen Thäler, um uns dort auszuruhen vom Lärm und von der Qual des Lebens.
Es ist die Stimmung des Künstlers, die uns vor seinen Bildern überkommt, ehe wir uns dessen versehen, und wir sind, ohne zu wissen wie, urplötzlich genöthigt, zu denken und zu empfinden, wie er dachte und empfand, als er vor seiner Staffelei saß. Dies unwiderstehlich Bewältigende ist es, was seine Arbeiten kennzeichnet und das schlagendste Zeugniß für ihre innere Wahrheit ablegt. Aber nicht durch die landschaftliche Stimmung allein beherrscht Spitzweg den Beschauer. Häufig liegt der Schwerpunkt der Composition in einer unglaublich einfachen Staffage. Ein paar Kinder, Bücher und Schreibtafel unter dem Arm, kommen einen einsamen Thalweg her. In stiller, vom bleichen Lichte des Mondes nur zweifelhaft erhellter Nacht schreitet, von seinem treuen Hunde geleitet, ein armer Blinder. Ein Greis hat sich in einen fast unnahbaren Winkel des Thales zurückgezogen, und nur seine Erinnerungen haben ihn dahin begleitet. Häufig erhebt sich seine Staffage zu dramatischer Bedeutung, sei es, daß er uns zur Kirche im Walde hinführt, die Andächtige bereits so füllten, daß eine Gruppe von Mädchen, halb Kinder, halb Jungfrauen, im Waldesschatten hinknieten, sei es, daß er uns in das noch schlummernde Städtchen führt, in dem der Postwagen des Liebenden harrt, der sich den Armen der Geliebten nicht zu entreißen vermag, indeß der ungeduldige Postillon vergeblich in’s Horn stößt.
Spitzweg besitzt einen ungewöhnlich feinen Sinn für jene Zeit, die wir »die gute alte« zu nennen pflegen. Seine Landstädtchen mit den krummen, engen und hügeligen Gäßchen sind von einem Zauber stiller Poesie überhaucht, der uns das lärmende Treiben unserer modernen großen Städte noch peinlicher macht. Mit derselben Feinheit nimmt er die Erscheinung der Natur in sich auf und weiß seine Menschen mit ihr in harmonischen Bezug zu setzen, so daß er Verstand und Gemüth gleichmäßig anspricht.
Seine Bilder sind ebenso trefflich gezeichnet, als mit feinstem Farbensinn durchgebildet. Indem er vor Allem Werth auf den Gedanken legt, unterschätzt er die Anforderungen nicht, welche die Farbe zu machen berechtigt ist, und, indem er Beiden gerecht wird, sichert er sich seine unabhängige und durchaus selbständige Stellung in der Kunstwelt.
So versteht es Spitzweg, mit dem Zauberstabe seiner gemüthvollen Kunst unsere Herzen zu erheitern und zugleich zu rühren und beherrscht uns, indem er sich uns in seiner schlichten, bescheidenen Weise ganz so giebt, wie er ist, gleich liebenswürdig als Künstler, wie als Mensch. Er ist der bedeutendste Humorist nicht nur unter den Münchenern, sondern unter den deutschen Künstlern der Gegenwart überhaupt und seine Komik unwiderstehlich, wie unscheinbar auch seine Mittel sein mögen.
Carl Spitzweg ist als der Sohn eines vermöglichen Kaufmanns zu München daselbst am 5. Februar 1808 geboren. Von drei Söhnen sollte, wie der Vater halb scherzhaft, halb ernst meinte, der eine Doctor, der andere Apotheker, der dritte Material- und Spezereiwaarenhändler werden, auf daß sie einander gegenseitig in die Hände arbeiten könnten. Man sieht aus dieser väterlichen Willensmeinung, daß der Humor in seines Vaters Haus nicht zu den importirten Waaren gehörte. Unser Carl entschied sich für den Apotheker, machte die üblichen Vorstudien durch, indem er sechs Jahre lang auf den Schulbänken eines Münchener Gymnasiums herumrutschte, und trat dann als Lehrling in der k. Leib- und Hofapotheke zu München ein.
Doctor Pettenkofer sen., der Vorstand derselben, führte kein allzu gelindes Regiment, und wenn »der Gnädige«, so hieß er der Kürze halber bei seinen zahlreichen Untergebenen, in die Officin herabstieg, so beugten sich alle Rücken und erlaubte sich kein Mund auch nur das leiseste Flüstern.
Vier Jahre lang führte unser Künstler den Stößel, drehte Pillen und schrieb Signaturen auf Gläser und Schachteln, da kam die Zeit seiner Erhebung. Aus dem nichtbeachteten Lehrling, der mit Stolz die grüne Schürze in den Winkel warf, ward ein Subject, das seine Bedeutung im Leben wohl fühlen durfte. Den bestehenden Vorschriften gemäß hatte Spitzweg sich als Gehilfe für den Uebertritt an die Universität vorzubereiten. Ein Freund und Genosse unter Pettenkofer’s Herrschaft servirte in Straubing und als dort ein Wechsel im Personal eintrat, veranlaßte er Spitzweg, sich um die eröffnete Stelle zu bewerben.
Spitzweg ergriff sofort diese Gelegenheit und reiste alsbald in die alte Herzogsstadt an der Donau ab, wo ihn sein Freund mit offenen Armen empfing und nachdem die erste Freude des Wiedersehens vorüber war, einem unscheinbaren Menschen vorstellte, der sich bisher im Hintergründe der Officin gehalten und nun als Prinzipal herausstellte, als welchen ihn das abgegriffene Hauskäppchen und die abgenähte Jacke von geblümtem Zeug nicht hätte vermuthen lassen. Man kann sich denken, daß Spitzweg der Unterschied zwischen dem neuen und alten Prinzipal stark genug in die Augen fiel.
Obwohl seine Stellung im Hause eine durchaus angenehme war, verließ er sie doch, weil ihm der dort übliche Betrieb des Geschäftes nicht zusagte, und kehrte nach sechs oder sieben Monaten nach München zurück.
Nachdem er seine Vorbereitungspraxis durchgemacht, bezog er im Jahre 1830 die Universität daselbst und widmete sich mit Fleiß und so günstigem Erfolge seinen Studien, daß er bei seinem zwei Jahre später erfolgten Abgange mit der Note der Auszeichnung belohnt wurde. Während er mit dem Gedanken umging, entweder in Frankreich oder in der französischen Schweiz als Provisor in Condition zu treten und die desfallsige Korrespondenz noch im Laufe war, erkrankte er nicht unbedeutend, so daß vorerst der Gedanke, der ihn so lebhaft beschäftigt hatte, ausgegeben werden mußte.
Nach seiner Herstellung im Sommer des Jahres 1833 empfahl ihm sein Arzt einen längeren Aufenthalt auf dem Lande. Die Wahl fiel auf das freundlich gelegene Bad Sulz, am östlichen Abhange des durch seine Fernsicht berühmten Peißenberges, woselbst er bei dem damaligen Besitzer, Doctor Zeuß, freundliche Aufnahme fand.
Sulz gehört nicht zu jenen Bädern, deren Besuch Sache der Mode und des Luxus ist; ein bescheidenes Haus beherbergt alle Gäste, welche dahin kommen, um in freundlicher Natur sich von Krankheit oder körperlichen und geistigen Anstrengungen zu erholen.
Der Zufall wollte, daß unter der eben nicht zahlreichen Gesellschaft, welche der Mittag- und Abendtisch vereinigte, sich auch Kunstdilettanten befanden, welcher Umstand einen heiteren Wetteifer in der Darstellung von Tagesereignissen aus ihrem Badeleben hervorrief, an dem sich Spitzweg, dessen fröhliche Laune mit gekräftigter Gesundheit zurückkehrte, bald lebhaft betheiligte.
Dem leider zu früh verstorbenen Hanson, mit welchem Spitzweg viel verkehrte, gebührt das Verdienst, dessen Begabung für die Kunst richtig gewürdigt und Spitzweg derselben zugeführt zu haben. Der eifrige Schüler durfte bereits im nächsten Winter zu Pinsel und Palette greifen und hatte die Freude, im Jahre 1830 das erste Bild, eine staffirte Landschaft, nach Hannover zu verkaufen.
Das Selbstvertrauen von Spitzweg war so schwach, daß es des ganzen Einflusses Hanson’s auf seinen Freund bedurfte, ihn der Kunst zu erhalten, und noch jetzt, nach so schönen Erfolgen, ist kaum ein Künstler von größerer Bescheidenheit zu finden als er. Sie veranlaßte ihn auch, längere Zeit ohne Veröffentlichung seines Namens zu arbeiten.
In jenen Tagen machten die fliegenden Blätter von Braun und Schneider in München ein bis dahin beispielloses Aufsehen und Glück. Spitzweg wurde bald einer ihrer fleißigsten Mitarbeiter, ihm verdanken sie den bekannten Türken und eine Reihe zeitgemäßer Denkmäler für Fanny Elsler, den Erfinder des Frackes u. A., sowie seine unübertrefflichen Theaterscenen. Spitzweg ist an brauchbaren Stoffen unerschöpflich, eine Eigenschaft, welche nicht allen neueren Künstlern innewohnt. Er wird darin einerseits durch seine wissenschaftliche Bildung, andererseits durch eine überaus glückliche Begabung, tiefe Blicke in das menschliche Leben zu thun, unterstützt.
Seiner Richtung nach ist Spitzweg Romantiker, aber im besten Sinne des Wortes, und eben dadurch Moriz von Schwind geistig verwandt, mit dem er auch die Tiefe des Gemüthes gemein hat.
Seine zahlreichen Bilder, von denen er eine beträchtliche Anzahl auf Bestellung wiederholen mußte, sind nicht blos über Europa, wo sie die bedeutendsten fürstlichen Galerien schmücken, verbreitet, sondern sind auch in Nordamerika gerne gesehen.
Im Nachstehenden mag das Bedeutendste in ein Verzeichniß gebracht sein, das freilich nicht Anspruch auf Vollständigkeit machen kann: »Baumgart« (1843), »Der Sonntagsjäger« (1844), »Der Wittwer« (1845), »Der Polizeidiener« (1852), »Der Bücherwurm« (1852), »Der federschneidende Schreiber« (1854), »Die Anachoreten« (1860), »Der Bibliothekar« (1860 für Kunsthändler Schaus in New-York gemalt), »Der Porträtmaler« (1862 gemalt und in den Besitz des Prager Kunstvereins gekommen), »Schulkinder« (1859), »Dachauerinnen an der Waldkapelle« (1862 gemalt und gleichfalls im Besitze des Prager Kunstvereins), ein »türkisches Cafe« (1862), »Der Briefbote« (1862), »Der Postwagen« (1862), »Wiedersehen alter Freunde« (1863 gemalt und dem Kaiser Ferdinand von Oesterreich gehörig), »Der Geolog« (1864 von Schaus in New-York angekauft), »Der Astrolog« (1864 nach Cöln verkauft), »Spanisches Ständchen« (1865 gemalt und Baron Schack gehörig), »Sennerinnen« (ebenfalls bei Schack), »Die Schaarwache« und »Das Ständchen« (1868 gemalt und im Besitze der Kaiserin von Oesterreich), »Die Waldkapelle«, »Der Aufgang auf die Alpe« und »Der Niedergang von derselben« (alle drei 1870 gemalt und vom Kunsthändler Humpelmair in München angekauft).
Es mag in München wohl Hunderte von sogenannten Kunstfreunden geben, welche jeden Sonntag mit der größten Gewissenhaftigkeit die Locale des Kunstvereins besuchen und glauben, sie hätten damit das richtige Bild des Münchener Kunstlebens in sich aufgenommen. Keinesfalls haben sie dort ein Bild von Spitzweg zu Gesicht bekommen und das aus dem einfachen Grunde, weil Spitzweg nur ein einziges Bild und zwar sein erstes daselbst ausstellte.
Spitzweg ist durch und durch Gemüthsmensch. Die Thorheiten und Schrullen der Menschen machen ihn nicht zum geißelschwingenden Satyriker, seine Herzensgüte läßt sie ihm höchstens komisch erscheinen, aber nur so lange, als es ihm gelingt, sie zu entschuldigen. Diese Richtung seines ganzen Seelenlebens spricht sich denn auch unverkennbar in seinem künstlerischen Wirken aus und sichert ihm neben der rückhaltlosen Anerkennung seiner Leistungen zugleich die Liebe Aller, welche persönlich mit ihm in Berührung kommen.
An M. v. Schwind hat Spitzweg einen treuen Freund verloren. Der geniale Meister schätzte ihn überaus hoch und pflegte ihn jeden Sonntag-Morgen im Atelier aufzusuchen.
Spitzweg ward 1865 durch Verleihung des Michaels-Ordens ausgezeichnet.
Carl Albert Regnet: Münchener Künstlerbilder. Ein Beitrag zur Geschichte der Münchener Kunstschule in Biographien und Charakteristiken. Leipzig, 1871.
Carl Spitzweg
Mit dem Aufruf des Namens »Carl Spitzweg« tritt die menschlich empfindsamste, künstlerisch bedeutendste Erscheinung aus der nicht allzu großen Schar deutscher Maler vor uns, die als Nachzügler der mondumglänzten Romantiker schon den schlichten Vortrab des Realismus gebildet haben. Erst in einer Entfernung von den Zeiten vor der Einigung Deutschlands, die abschließende Übersicht gestattete, ist es möglich geworden, den Wert dieser besonders in Süddeutschland für die Entwicklung einer immer freieren und lebendigeren künstlerischen Darstellung wichtigen Genossen gebührend einzuschätzen und das Verdienst der einzelnen zu sondern. Mit überraschender Deutlichkeit heben sich aus diesem Kreise die Persönlichkeit und das Werk Carl Spitzwegs heraus, die Natürlichkeit, die Anmut und die malerische Kraft des bescheidenen Meisters verleihen den Absichten seiner Kunst erst jetzt die gebührende allgemeine Anerkennung. Wohl ist Spitzweg Münchner, und zwar ein typischer Vertreter der Münchener Kunst im 19. Jahrhundert, aber seine Schöpfungen, völlig frei von lokalen Anspielungen und Traditionen, haben als die ansprechendsten Erinnerungen der Biedermeierzeit in ganz Deutschland Freunde gefunden.
Ein Menschenalter ist vergangen, seitdem Carl Spitzweg zu Grabe getragen wurde. Das Geheimnis seiner Kunst schied mit ihm, der keine Schüler und Nachfolger besaß. Aus dem Werk Carl Spitzwegs tritt uns schon aus diesem Grunde die Ursprünglichkeit einer ungewöhnlich hohen künstlerischen Begabung anregend und überzeugend vor Augen, und der Humor seiner Schilderung, den wir an den zahllosen Zeugnissen seiner künstlerischen Laune verfolgen, wie sie uns in seinen Bildern und Zeichnungen erhalten sind, überträgt sich ganz von selbst auf den Beschauer. So ergibt sich der Wunsch nach einem kurzen Bericht über das Leben dieses freundlichen Junggesellen, der uns immer wie ein gütiger Onkel erscheint, dessen Launen und Grillen wir uns gerne anschmiegen, weil seine Geschichten uns unbezwinglich festhalten, als eine unmittelbare Folgerung der verschiedenartigen Eindrücke, die wir von Spitzwegs Kunst empfangen.
Spitzweg ist einer der wenigen hervorragenden Münchner Künstler, die schon von Geburt Münchner waren. Sein Vater ist ein wohlhabender und angesehener Bürger gewesen, auch politisch trat er hervor, und im Landtage hat er das Denkmal des Königs Max Joseph vor dem Hoftheater angeregt. Von der Kunst wollte er sonst freilich nicht viel wissen. Er war bestrebt, den Sohn, folgsam wie dieser war, zu einem guten und bürgerlich angesehenen Berufe zu erziehen. Man schickte ihn in die Lateinschule, und dann vertauschte er den Cicero mit dem Mörser des Apothekers. Die Hofapotheke hat die Ehre, »Subjekt« und Provisor Spitzweg zum behäbigen Apotheker ausgebildet zu haben. Wir können uns den kurzsichtigen Meister gut vorstellen, wie er mit Fläschlein und Pillenschachtel hantierte, und ein kleiner Rest seines ursprünglichen Berufes steckt deutlich erkennbar in der Bedachtsamkeit und Genauigkeit des Künstlers, der an den »nachdrücklichen« Apotheker in Goethes Hermann und Dorothea gemahnt. Als Spitzweg die Rothenburger Marienapotheke malte mit dem ängstlich wartenden Mütterlein und dem wichtigtuerischen Provisor, der im Stoßen innehält, um der sittsam vorbeispazierenden Jungfer Nachbarin feurige Blicke nachzusenden – da wird er sicher vergnüglich an die eigene Lehrzeit zurückgedacht haben, in der er übrigens eine reichlich zugemessene Urlaubzeit klug nutzte, um nach Tirol und Italien hineinzusehen.
Da starb der Vater. Fast dreißigjährig grüßte Carl Spitzweg die Freiheit. Aber den neuen Beruf besserte sich die Meinung bei den Münchenern. Die Gunst König Ludwigs I. leuchtete den Künstlern, und so fühlte sich auch der Bürger der Stadt bemüßigt, um nicht nach obenhin Ärgernis zu geben, eine freundlichere Miene zu ziehen. Aus dem absprechenden »Malervolk« wurde Wohlgeboren der Herr Kunstmaler. Spitzweg konnte als Erbe eines stattlichen Vermögens die Nachteile des Künstlerberufes vermeiden, aber die Akademie besuchen wollte er dennoch nicht. Seit Jahren hatte er Büchelchen mit Skizzen gesammelt, den eigenen Augen folgend, festgehalten, was seine Laune anregte, zahnwehkranke Dienstboten und ausgediente brummige Feldzugssoldaten draußen in Bruck, den verulkten Flurhüter im Englischen Garten und die preziösen alten Jungfern auf der Promenade, übergewissenhafte Briefträger und grillenhafte Stadtoriginale – ein Material stand ihm zur Verfügung, wie es zu gleicher Zeit der norddeutsche Autodidakt Menzel nicht fleißiger zusammengebracht hat. Zu den Figuren fand sich alsbald die Bühne, auf der sie stimmungs- und beifallssicher wandelten. Spitzweg zog aus mit Schleich, dem prächtigen Landschafter, um die Sonne im Dachauer Moor scheiden zu sehen, er wanderte ins Isartal zu Füßen unserer Voralpen, an manchem unersteiglichen Felsblock, den allein der romantische Efeu zu erklettern vermag, sah er hinauf, und dann versuchte er heimlich die Waldnymphe im grünen Bergsee zu belauschen. Er stieg empor zu der Sennerin auf der Alm, lagerte im hellen Grün und blinzelte erwartungsvoll die Windungen des Pfades hinab, ob nicht am Gatterl drunten sich etwas ereignen werde, ob nicht der Forstler oder der Bader daherkäme, und sein Herz frohlockte, als er einmal gar den juhschreienden heimkehrenden »Leiber« anrücken sah. War’s noch zu kalt, um bergwärts zu rüsten, bummelte er gemächlich in den engen Gassen der Münchener Altstadt, und als es ihn antrieb, die Höfe und Tore, die seltsamen Giebel und die blumenumstellten Erker der alten Reichsstädte kennen zu lernen, fuhr er auf der Thurn und Taxisschen Post weit über Land und zeichnete in Nördlingen und Dinkelsbühl, vor allem in der Stadt, deren dichterisch-verklärtes Märchendasein seine Muse so verwandtschaftlich nahe ansprach, in Rothenburg ob der Tauber.
Dieser kecke Wandersinn des Malers stellt ihn in Beziehung zu einer ganzen Gruppe Münchener Künstler, neben denen er sich ganz selbständig hält. Während der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts bildete das künstlerische Leben Münchens zwei scharfe Gegensätze. Es schritt teils einher auf dem hohen Kothurn akademisch-selbstgefälliger klassizistischer Tradition, teils war es ein romantisches Nachzüglertum voller Humor und Laune, eine lustige Schar, die mit offenen Augen durch die Gassen und über die Landstraßen lief, dort Cornelius, Kaulbach, Heß, hier die Kaiser und Morgenstern, die Bürkel und Schleich, im Fähnlein dieser Aufrechten der stattlichste Bannerträger, Carl Spitzweg. Was ihn über die Genossen erhebt, ist die nach Stoff, Gehalt und malerischer Technik frei und frisch sich aussprechende Eigenart seiner Kunst. Denn er wertete in seiner Phantasie, deren Lebendigkeit ihm die merkwürdigsten Kunststücke gelingen ließ, wie etwa die wegen ihrer Naturwahrheit angestaunten Bilder aus dem Orient, die er nach der eifrigen Durchnahme eines gewichtigen ethnographischen Werkes über Ägypten schuf, frei im Kopf Geschautes und Gelesenes um und kopierte gleichsam nach einem Bilde, das er schon fertig in sich trug. Das Anekdotenhafte des Genre, die köstliche Pointe kam dann erst in zweiter Linie und fiel weg, wenn sie sich hätte erzwingen lassen müssen und sich nicht ganz von selber gab. Das malerisch Natürliche der Ausführung ist vielleicht das Anziehendste der Spitzwegschen Kunst. Für die Harmonie der Farben, für die kleinste Nuance wie für den absichtlichen Kontrast mit der gleichen sensitiven Feinheit des Empfindens begabt, entzückt und erstaunt sie durch die Einfachheit des Eindrucks, die rein äußerlich durch das kleine Format der Bilder verstärkt wird.
Spitzweg nahm es sehr gewissenhaft bei der Arbeit. Wenn das Werk seiner Kritik nicht standhielt, wanderte es in den Ofen, und so ging es fort, bis endlich, oft erst nach einem Dutzend von Versuchen, die gerunzelte Stirn sich in zufriedenen Falten glättete. Das wichtigste Instrument des Ateliers war das zerstörende Federmesser. Trotzdem hat der Meister, dem ein unermüdlicher Fleiß bis zum letzten Stündlein eigen war, Hunderte von Bildern hinterlassen. Man hat sich bemüßigt gefühlt, mehrere Perioden in der Kunst Spitzwegs zu unterscheiden. Doch ist nur ein einziger wirklich wichtiger Wendepunkt deutlich wahrzunehmen. Dem Münchener Freundeskreise, dem Dyck und Flüggen Anregungen gaben, welchen Spitzwegs frühe Bilder sich nicht entziehen konnten, mit dem Freunde Schleich 1851 zu einer längeren Studienreise nach Frankreich und England entwichen, hat Spitzweg in London von den theoretischen Erklärungen Burnetts gelernt, in Paris Decamps und Diaz, vor allem Eugen Delacroix technische Ausdrucksmittel abgesehen, die er, heimgekehrt, maßvoll prüfte. Ähnliche Anregungen gaben ihm die holländischen Meister, die er in Pommersfelden und München liebevoll kopierte. Als glückliche Folge dieses doppelten Verkehrs zeigt sich bei Spitzwegs späteren Werken in der Farbe eine gesteigerte Klärung der hellen Töne, die seine Technik bis an die Grenze impressionistischer Farbenentwicklung gelangen lassen, in der Zeichnung eine sichere Ausnutzung architektonischer Wirkungen im Raum. Ein volles Menschenaller ist Spitzweg sich so treu geblieben. Während er äußerlich die liebenswürden Seiten des verbitterten Junggesellen zur Schau trug, blieb der Künstler auf der schaffensfreudigen Höhe stehen – einer Höhe, deren überragende Position er skeptisch und weltverachtend nicht einsehen wollte.
Mit dem Namen »Spitzweg« verbindet sich nunmehr eine feste Vorstellung, die die Nachwelt stärker und sehnsuchtsvoller empfindet. An seinen Bildern allen haftet der feine Duft, den wir einstmals als Kinder einsogen, als Großmutter ihren Schrank öffnete, um ihr Brautkleid mit den guten Spitzen zu zeigen. Es ist der milde Hauch der guten alten, der glücklichen goldnen Zeit. Der Maler mit dem weichen Herzen, den die Nachbarschaft als höchsten Schiedsrichter in allen menschlich-häuslichen Dingen verehrte, der stille Erzähler und Dichter hat manchmal auch zur Feder gegriffen, um den launigen Einfällen des Pinsels andere Genossen zu geben, sarkastischer und tiefer Art. Allgemein suchte man sein Wesen, das zwischen liebenswürdiger Schelmerei und geistreichem Necken, holder Beschaulichkeit und junggesellenhaftem Gram schwankte, neben Jean Paul zu stellen. Uns steht Altmeister Spitzweg neben einem Anderen, Größeren, dessen Ruhm ebenfalls stündlich wächst, neben Gottfried Keller. In Spiegel dem Kätzchen ist gedruckt: »Sogleich kleidete sich der Herr Pineiß in sein abgeschabtes gelbes Sammetwämschen, das er nur bei feierlichen Gelegenheiten trug, setzte die bessere Pudelmütze auf und umgürtete sich mit seinem Degen; in die Hand nahm er einen alten grünen Handschuh, ein Balsamfläschchen, worin einst Balsam gewesen und das noch ein bißchen roch, und eine papierne Nelke, worauf er vor das Tor ging, um zu freien.« Kann man sich eine köstlichere Beschreibung Spitzwegscher Figuren denken? In diesen Worten stehen sie leibhaftig vor uns. Und wie wir Meister Gottfried den schlichten Eichenkranz geben, um ihm die Jubellast des Lorbeers zu ersparen, so wollen wir Carl Spitzweg feiern, den ewig jugendlichen Meister unserer deutschen Kunst. Wenn wir abends den Staub gewischt haben von der ältesten Lampe unseres Hausrates, und sie dann schwachen, wohltuenden Schein wirft über den eichenen Tisch, dann nehmen wir die Blätter zur Hand, auf denen der stimmungsvolle Apostel häuslichen Behagens, der köstliche Erzähler harmlos heiterer Geschichten, der gründlichste Beobachter der guten alten Zeit und des gemütlichen Daseins von ehemals so herzensinnig zu uns spricht: »Liebe das Leben mit seinen Torheiten.« Denn so heißen die goldenen Worte über der Türe zum Herzen der Spitzwegschen Kunst.
Kleine Delphin-Kunstbücher. 1. Bändchen: Carl Spitzweg. München, 1921.
Spitzweg Karl, 1808 (München) – 1885, Apothekerprovisor und Genremaler; er war anfangs Apotheker und wandte sich erst seit etwa 1835 der Malkunst zu; als Autodidakt hat er sich durch Studien und Kopien älterer Meister gebildet, wobei er vor allem in Paris von Barbizon angeregt wurde; S. gilt als Hauptmeister der Münchener Genremalerei, die Vielseitigkeit in seinem Wesen voll sprudelnden Witzes kommt in der Schilderung kleiner Landstädte mit winzigen Gäßchen und hohen Dächern, behaglichen Philistern und poetisch trauten Stübchen und Gärten zum Ausdruck; altmeisterliche Feinheit vereinigt sich im Kolorit seiner vornehmen Kabinettstücke mit modernem Farbenempfinden.
Hauptwerke in der Bayerischen Staatsgemäldesammlung: Der arme Poet, Im Dachstübchen, Die beiden Einsiedler; in der Schack-Galerie: Serenade aus dem Barbier von Sevilla, Der Abschied, Sennerinnen auf der Alm; Werke auch in Galerien von Dresden, Leipzig und Berlin; seit 1846 beteiligte sich S. auch als Illustrator bei den »Fliegende Blätter«; seine Werke erschienen seit 1886 in zwei größeren Sammlungen »Spitzweg-Mappe« und »Spitzweg-Album«. Ss. Grab wird am meisten gefragt.
© Dr. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.