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6 – 12 – 34* (Glutz-Blotzheim)

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Das Grab ist nicht erhalten

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Robert Glutz-Blotzheim

* 30.1.1786 (Solothurn)
† 14.4.1818 (München)
Historiker und Schriftsteller

Ergänzungsbände zum Conversationslexicon für das katholische Deutschland (1849)

Glutz-Blotzheim, Robert, schweizerischer Geschichtschreiber, geboren den 30. Januar 1786 in Solothurn, stammte aus einer adeligen Familie, studirte in Landshut und Würzburg die Rechte und widmete sich nach seiner Heimkehr ganz der vaterländischen Geschichtsforschung.

Seit 1812 Mitglied des Stadtrathes und der Erziehungskommission, seit 1814 auch des Großen Rathes, legte er 1816, nach dem Tode seines Vaters, der ihn allein noch in Solothurn zurückgehalten hatte, diese Stellen nieder und begab sich nach Zürich und später nach München, wo er sich zur Uebernahme eines akademischen Amtes vorbereitete, aber schon am 14. April 1818 starb.

Hans Heinrich Füßli, der Freund des großen Geschichtsschreibers Johannes von Müller, bewog G., der Fortsetzer von Müller’s Schweizergeschichte zu werden. Es erschien zwar nur ein Band von G.’s Arbeit (»Geschichte der Eidgenossen vom Tode des Bürgermeisters Waldmann bis zum ewigen Frieden mit Frankreich, Zürich 1816«); aber er beweist, daß G., wenn er auch Müller an Gemüthstiefe, Genialität und unbefangener Forschung nicht erreicht, ihn im strengen Ernst der Wahrheitsliebe und in schöner, phantasiereicher Darstellung übertrifft. Wir nennen von seinen übrigen Schriften noch: »Handbuch für Reisende in der Schweiz« (6. Aufl., Zürich 1830) und »Darstellung des Versuches, die Reformation in Solothurn einzuführen« (Solothurn 1838).

L.

Dr. Wilhelm Binder (Hrsg.): Ergänzungsbände zum Conversationslexicon für das katholische Deutschland. Regensburg, 1849.

Gallerie berühmter Schweizer der Neuzeit (1871)

Robert Glutz.

In deinem Garten wächst ein Baum, nicht glatt und schlank, sondern knorrig; – nicht von zierlicher Krone, sondern dünn und ungleich beastet. Du glaubst wenig Freude an ihm zu erleben. Da bedecken sich unversehens übernacht seine Zweige mit Blüthen; und es reifet rasch an dem unscheinbaren Baum eine köstliche Frucht. Man traut seinen Augen kaum; und männiglich lobet den jungen Stamm. Aber wiederum unversehens und übernacht kömmt eine Krankheit über ihn. Und bevor er Zeit gefunden noch einmal Blüthen zu treiben und eine zweite Frucht zu tragen, verdorrt er und stirbt ab. Dieses Gleichniß gibt uns in kurzen Worten ein Bild der kurzgemessenen Lebenstage des Geschichtschreibers Robert Glutz-Blotzheim von Solothurn.

Der Familienname Glutz ist im Kanton Solothurn sehr verbreitet, insbesonders in den Dörfern der sogenannten Wasseramtei, dem Bezirk, welcher sich links und rechts am kiesigen Bett der Emme ausbreitet. Der Gründer jenes glutzischen Familienzweiges, welchem Robert angehörte, hieß Konrad, stammte aus Derendingen und ließ sich zu Ende des 15. Jahrhunderts in der Stadt Solothurn nieder. 1504 wurde er von der Schuhmacherzunft, welcher er angehörte, in den Großen-, 1506 in den Kleinen-Rath erwählt. Er war ein eifriger Anhänger der Reformation und führte für die Bekenner der neuen Lehre im Rathe das Wort. In Folge der Vermittelung des Schultheißen Wengi wendete er sich jedoch wieder dem alten Glauben zu.

Im Jahr 1681 kaufte Urs Glutz das herrschaftliche Schloß Blotzheim im Elsaß, sammt Gerichtsbarkeit. Im Herbst desselben Jahres wurde ihm die kostbare Ehre zu Theil, den König Ludwig XIV., der mit zahlreichem Gefolge das Elsaß bereiste, bewirthen zu dürfen, Familientraditionen wissen noch heute von dem splendiden Mittagsmahle zu erzählen, welches auf dem Schloß Blotzheim dem Könige von Frankreich und seinen Höflingen aufgetragen wurde. Selbst der hohe Rath soll von der Sache Notiz genommen und zwei seiner Mitglieder abgeordnet haben, um nachzusehen, ob Urs Glutz nicht allzuverschwenderisch mit seinen Glücksgütern umgehe. Auch sie wurden trefflich bewirthet. Als sie dann nach dem Mahle auf ihren Auftrag zu sprechen kamen und Einsicht in die Haushaltungsrechnungen verlangten, fertigte sie ihr Wirth in der derb humoristischen Weise jener Zeit ab. »Die Einnahmen«, sagte er, »wurden Meinen Gnädigen Herren bei Tafel vorgewiesen; wie's mit den Ausgaben steht, davon mögen sie sich ebenfalls überzeugen.« Und führte seine Gäste aus dem Speisesaal in ein eben so unentbehrliches aber viel kleineres Gemach am andern Ende des Schloßes. König Ludwig belohnte die genossene Gastfreundschaft mit dem Adelstitel. Die Söhne des humoristischen Besitzers von Blotzheim verkauften zwar das väterliche Schloß. Sie und ihre Nachkommen fuhren jedoch nichtsdestoweniger fort, sich »Glutz von Blotzheim« zu schreiben zur Unterscheidung von andern Zweigen dieses Geschlechts. Robert Glutz verwarf dann das »von« als unvereinbar mit seinem republikanischen Stolze und schrieb sich einfach Glutz-Blotzheim, was seit der Revolutionszeit auch von andern seiner Vettern und Verwandten adoptirt wurde.

Roberts Vater brachte seine Jugend in sardinischem Kriegsdienste zu, wurde nach seiner Heimkehr in's Vaterland Mitglied des Großen und des Kleinen Raths, und Gemeinmann, d. h. Stellvertreter und Wortführer der Bürgerschaft. Gegen das Ende der Helvetik wurde er in die Regierung der Einheitsrepublik berufen. Nach der Aussage der Zeitgenossen war er zwar ein eingefleischter Aristokrat, aber nichtsdestoweniger ein Mann von solidem Wissen, redlich und allgemein geachtet. 1786 wurde ihm ein Sohn geboren, der älteste von dreien, der bei der Taufe die Namen Urs-Robert-Joseph-Felix erhielt. Aus diesem jungen Sproßen entwickelte sich im Verlauf der Jahre der schweizerische Geschichtsschreiber und Nachfolger Johannes Müllers.

Solothurn besaß zur Jugendzeit unseres Robert Glutz ein nicht wenig berühmtes und stark besuchtes Kollegium, welches fünf Gymnasial- und zwei Lycealklassen und einen dreijährigen theologischen Kursus umfaßte. Diese Unterrichtsanstalt war ganz nach dem Schnitt der ehemaligen Jesuitenkollegien eingerichtet. Sie war fast ausschließlich darauf berechnet, katholische Priester heranzuzuziehen. Die Patriziersöhne, welche später den Staat zu leiten hatten, machten kaum die untersten Klassen mit und giengen dann nach Frankreich, Spanien oder Piemont zum Regiment. Die Juristen machten ihre Lehre in der Schreibstube eines Notars und die Aerzte beschickte man meist aus der Fremde. Zeit und Fleiß der Alumnen des Kollegiums nahm fast ausschließlich die Erlernung der lateinischen Sprache in Anspruch. Die von gelehrten Jesuiten kastrirten Ausgaben der römischen Klassiker wurden gelesen, lateinische Reden komponirt, lateinische Verse gemacht, lateinische Komödien aufgeführt und Philosophie, Mathematik und Physik von den Professoren in lateinischer Sprache vorgetragen. Da das Lateinische die Hauptsache, alle andern Wissenschaften nur Nebensache waren, so konnte ohne besondern Nachtheil jede Klasse ihren besondern Professor haben, der in allen verkommenden Fächern Unterricht ertheilte; und jeder Professor stieg der Anciennität nach von der untersten Klasse bis zur obersten, im Laufe der Jahre Grammatik, Rhetorik, Philosophie, Physik und Mathematik und alle theologischen Disziplinen dozirend.

In dieser unsern heutigen Begriffen nur wenig entsprechenden Lehranstalt sollte Robert Glutz in die Wissenschaften eingeweiht werden. Er trat in das Kollegium im Jahr 1797 und besuchte dasselbe während 7 Jahren, bis im Herbst 1804. Er saß stets unter den ersten und erhielt die besten Noten; dennoch wären die Keime der Erkenntniß schwerlich in ihm aufgegangen, hätte ihm nicht das Glück einen Lehrer zugeführt, der höchst anregend auf den jugendlichen Geist einwirkte. Es war dieß ein ehemaliger Conventuale von Bellelay, Pater Pacific Migy aus Pruntrut, welcher von 1801 auf 1802 in Solothurn die Professur der Rhetorik und Poesie versah und seinen Schülern, worunter Robert Glutz, nicht ohne Geist den Horaz und Virgil und die Reden Ciceros erklärte. Pater Pacific hatte einige Jahre der Verbannung in Deutschland zugebracht nnd war dort vom Hauche deutscher Wissenschaft angeweht worden. Die kurze Zeit, während welcher Robert sich des Unterrichts dieses Mannes erfreute, genügte um ihn zu fruchtbarem Selbststudium anzuregen. War es vielleicht der aus Deutschland kommende Pater Pacific, welcher, wenn auch selbst romanischen Stammes, dennoch seinem Schüler den ersten Keim der Vorliebe für deutsches Wesen und deutsche Wissenschaft einpflanzte, die unsern Robert Glutz durch's ganze Leben begleitete und ihn gegenüber den Leistungen anderer Nationen vielleicht sogar ungerecht machte?

Im Herbst 1804 bezog Robert Glutz die Universität Landshut in Bayern, um dort Rechtswissenschaft zu treiben. Ungefähr um dieselbe Zeit traf der Professor der Geschichte, Karl-Wilhelm-Friedrich Breyer, in Landshut ein, um dort seine Vorträge zu beginnen. Der junge Schweizer wurde sein eifrigster Zuhörer. In den Vorlesungen Breyers begeisterte sich Robert Glutz für die historischen Wissenschaften und wurde der Entschluß in ihm reif, das Studium und die Darstellung der Geschichte seines Vaterlandes zu seiner Lebensaufgabe zu machen. Breyer, ein naher Verwandter des Philosophen Schilling, brachte einen bereits bekannten Namen nach Landshut. Sein Vortrag war logisch und klar, sein Mund beredt. Wenn er auf ein wichtiges Ereigniß der Geschichte, einen großen Tag im Leben der Völker zu sprechen kam, schien ein heiliges Feuer sein ganzes Wesen zu durchdringen, seine klangvolle Stimme tönte lauter und mit angehaltenem Athem lauschten ihm seine 200 jungen Zuhörer. Vor Allem waren es die Thaten der alten Eidgenossen, die Entstehung des Schweizerbundes, die Schlachten von Morgarten, Sempach und St. Jakob, welche den Lehrer und seine Schüler begeisterten. Wir dürfen uns nicht wundern, daß da in der Brust des Schweizerstudenten ein heiliges Feuer sich entzündete, das um so intensiver zu glühen fortfuhr, als eine kalte spröde Hülle es umschloß.

Breyer war ein großer Bewunderer Johannes Müllers. Er theilte diese Vorliebe für den Geschichtsforscher von Schaffhausen seinen fleißigsten Schülern mit. Als im Sommer 1805 Johannes Müller den eben erschienenen vierten Band seiner Schweizergeschichte dem Landshuter Professor zuschickte, schrieb dieser an Müller: »Die Vorrede zu diesem 4. Band hat einen wackern jungen Menschen, ihren Landsmann, Glutz aus Solothurn, tief ergriffen. Sie sind seine Liebe und sein Stolz; er besitzt, liest, verschlingt alle Ihre Werke. Von Ihnen zu sprechen ist für mich und ihn ein inniges Vergnügen ....«

Eine Ferienreise führte unsern Robert Glutz nach Wien. Von da gieng's nach Würzburg, wo während des Wintersemesters 1805/6 wiederum den Geschichtsstudien obgelegen wurde. Von dort wanderte er wieder nach Landshut zurück, welches einen so entscheidenden Einfluß auf seine Geistesrichtung ausgeübt hatte. Im Herbst 1806 endlich schloß er seine akademische Laufbahn und kehrte unter das väterliche Dach zurück. Nach dem Wunsche seines Vaters hätte er nun noch den letzten Schliff der Bildung in Paris holen sollen. Aber der junge Mann mit seinem ausgesprochenen Widerwillen gegen französisches Wesen war nicht dazu zu bewegen. Hätte er dem Rathe des Vaters gehorcht, so würde er wahrscheinlich die gesellige Unbehülflichkeit, das Schroffe und Eckige, das durch sein ganzes Leben an ihm haften blieb, von sich abgestreift haben.

Robert Glutz war schon in Landshut als Schriftsteller aufgetreten. Mit einigen Freunden hatte er dort einen Sonderabdruck der Müllerschen Vorrede zum erwähnten 4. Band seiner Schweizergeschichte veranstaltet. Das Vorwort zu diesem Sonderabdruck ist aus seiner Feder.

Zu Hause angelangt blieb er nicht lange unthätig. Die Bekanntschaft mit dem bernischen Schultheißen und Geschichtsforscher von Mülinen brachte ihn auf den Gedanken der Gründung einer schweizerischen geschichtsforschenden Gesellschaft, welche noch jetzt fortblüht. In seiner Vaterstadt stiftete er die sogenannte »literarische Gesellschaft«, einen Sammelpunkt der Gebildeten und Strebenden, welche nach 60jährigem Bestehen einen kräftigen Schößling, die Museumsgesellschaft, getrieben hat. Er nahm sich der öffentlichen Bibliothek seiner Vaterstadt an und begann einiges System in den ungeordneten Bücherhaufen zu bringen. Er gieng mit dem Gedanken um, einen »schweizerischen Plutarch«, eine Sammlung von Biographien ausgezeichneter Schweizer anzulegen und wollte mit dem Leben des Felix Hämmerlin beginnen. Ebenso beschäftigte ihn der Vorsatz, eine Geschichte des Kantons Solothurn zu schreiben. Im Jahr 1809 übernahm Robert Glutz die Redaktion des »solothurnischen Wochenblattes«, welches später einen europäischen Ruf erhielt und in keiner historischen Bibliothek, welche auf einige Vollständigkeit Anspruch macht, fehlen darf. In diesem damals sehr bescheidenen Organ der Oeffentlichkeit, dessen Spalten großentheils mit Anzeigen der gewöhnlichsten Art und Publikationen der Ortsbehörden angefüllt waren, legte er die Erstlinge seiner ernsten historischen Muse nieder: Biographien, kurze Erzählungen geschichtlicher Begebenheiten und historische Anekdoten. Die ängstliche Censur, die damals in den Kantonen der Schweiz aus Furcht vor dem allmächtigen Mediator ausgeübt wurde, ließ ihn bald dieser publizistischen Beschäftigung überdrüssig werden. Er überließ schon nach der 30. Nummer das Wochenblättchen seinem Schicksal, um ihm dann zwei Jahre später neuerdings seine Aufmerksamkeit zu schenken und in Verbindung mit dem Rathsherrn Lüthy und Dr. Scherer dasselbe zur Rettungs- und Bewahranstalt einer großen Zahl darin abgedruckter historischer Urkunden zu machen.

Als guter Republikaner sträubte sich Robert Glutz nicht, einen Theil seiner Zeit den öffentlichen Angelegenheiten zu widmen; er wurde Mitglied des großen Stadtraths seiner Vaterstadt und der Schulkommission. Die Ereignisse von 1813 und 1814 zogen auch ihn in den Strudel der politischen Ereignisse.

Er war mit einem Vetter, Karl Glutz, eng befreundet, jenem Glutz, dessen Körperbeschaffenheit ihm später den Beinamen des »dicken« zuzog. Dieser Karl Glutz stand in lebhaftem Verkehr mit der großen und der diplomatischen Welt; insbesondere hatte er intime Beziehungen zum badischen Hof. Diese Verbindungen sicherten ihm einen gewissen Einfluß zu einer Zeit, wo die Künste der Diplomatie eine größere Rolle spielten als heutzutag. Zudem war Karl Glutz ein Mann von Geist und ungewöhnlicher Bildung und in hervorragendem Maße mit den Waffen des Witzes begabt.

Als nach der Schlacht bei Leipzig die Macht des corsischen Despoten in ein bedenkliches Schwanken gerieth, kehrte Karl Glutz von seinem Herrschaftssitze Wachenhofen, wo er auf einem großen Fuße lebte, nach seiner Vaterstadt zurück, mit der geheimen Absicht, die von Napoleon oktroirte Mediationsverfassung und die daraus hervorgegangene Regierung zu stürzen. Es gelang ihm, Roberts Vater und Robert selbst für seine Absichten zu gewinnen; es steht fest, daß letzterer lebhaften Antheil an der Verschwörung nahm, aus welcher der reaktionäre Staatsstreich vom 8. Januar 1814 hervorgieng. Wir dürfen jedoch nicht glauben, daß es die Wiederherstellung der alten Mißbräuche war, was Robert Glutz dabei bezweckte; berücksichtigen wir den Franzosenhaß desselben, den Druck, welchen der napoleonische Despotismus auch auf ihn ausgeübt hatte, und die Begeisterung, mit welcher die deutsche Erhebung den alten Landshuter- und Würzburgerstudenten erfüllen mußte, so finden wir dessen Betheiligung an jener Staatsaktion, welche das Werk der napoleonischen Vermittlung stürzte, motivirt genug. Nicht die Wiederherstellung des alten aristokratischen Zopfes war es, was er fördern wollte, sondern die Herrschaft einer Aristokratie der Bildung, welche sich aus allen Kreisen rekrutiren sollte, wo das Licht der Humanität und Aufklärung leuchtete; sei es nun aus den patrizischen, bürgerlichen oder bäuerlichen Gesellschaftsschichten.

In der Nacht vom 7. auf den 8. Januar wurde der Staatsstreich vollzogen unter der Mithülfe der Mitglieder des alten Patriziats und der Mehrzahl der städtischen Bürgerschaft. Bei der Neukonstituirung der Behörde wählte die Schneiderzunft unsern Robert in den Großen Rath. Sein Vater wurde Mitglied des Kleinen-Raths und Karl Glutz Staatsschreiber. Robert wurde nebst zwei andern Mitgliedern des Großen-Raths nach Basel in's Hauptquartier der alliirten Mächte abgeordnet, um den veranstalteten Umschwung anzuzeigen und zu rechtfertigen.

Nicht lange gieng's, so drang sich unserm Robert nicht minder als seinem Vetter Karl die Wahrnehmung auf, daß von Seiten derjenigen, die mit ihrer Hülfe wiederum an's Ruder gekommen waren, ganz andere Tendenzen verfolgt wurden, als jene, wozu sie sich selber bekennen durften. »Alte Vorurtheile stiegen auf, wie Leichen aus dem Grabe, unter den Lebenden Platz zu nehmen (Vorrede zur »Geschichte der Eidgenossen« Seite VII.).« Karl Glutz schied aus dem Rathssaal mit dem bekannten derben Sarkasmus über die Regierungskunst seiner HH. Kollegen. Auch Robert sagte sich los, als er sah, daß sich Niemand um die Lehren der Vergangenheit kümmere und daß die Vorzüge der Gegenwart, durch welche die öffentliche Sache hätte verbessert werden können, mißachtet wurden.

Auf den reaktionären Putsch vom 6. Januar folgte der liberale Putsch vom 2. Juni. Obgleich nicht eingeweiht, weil die Leiter desselben dem Begünstiger des aristokratischen Staatsstreiches mißtrauten, freute er sich dennoch desselben. Er scheute sich nicht, seine Beistimmung öffentlich auszudrücken und begab sich nach dem Rathhaus, um seinen Freunden vom leitenden Komite gute Räthe zu ertheilen. Aber schon am folgenden Tag ward diese liberale Erhebung durch Mithülfe bernischer Bajonette unterdrückt und die Anhänger des Alten hatten wiederum die Oberhand. Der reaktionäre Eifer gieng so weit, unsern Robert verhaften zu lassen. Da jedoch keine gesetzlichen Gründe dazu vorhanden waren, so wurde er wieder freigelassen, sobald das erste Strohfeuer der Parteileidenschaft heruntergebrannt war. Diese unfruchtbaren politischen Wirren in der kleinen Republik, der Mangel an Verständniß höherer politischer Gesichtspunkte und Zwecke bei den meisten seiner Mitbürger; und ganz besonders der Hohn und Spott, der sich bei Vielen breit machte, als bekannt wurde, Robert Glutz gehe mit dem anmaßlichen Vorsatz um, ein Fortsetzer des berühmten Geschichtschreibers Johannes Müller zu werden, verbitterten ihm den Aufenthalt in seiner Vaterstadt. Nachdem er seine häuslichen Geschäfte geordnet, schüttelte er den Staub von seinen Schuhen und siedelte sich zu Anfang des Jahres 1815 in Zürich an.

In der Gelehrten-Athmosphäre des schweizerischen Athen fand Robert Glutz sein wahres Lebenselement. Bibliotheken und Archive boten ihm reichhaltiges Material für seine historischen Studien und Forschungen. Anregend wirkte auf ihn der Umgang mit bedeutenden Männern, mit Paul Usteri, J. J. Hottinger, Schinz, J. H. Füßli und andern. Der letztere war es gewesen, welcher unserm Robert den ersten Anstoß oder doch die erste Aufmunterung gegeben hatte, sich an die Fortsetzung der Müllerschen Schweizergeschichte zu wagen. Es geschah dieß während einem zufälligen Besuche Roberts in Zürich im Jahr 1809. Im Jahr 1811 machte er sich an das gewagte Werk. 1812 las er einzelne Bruchstücke einem Freunde vor, dessen wohlmeinende aber strenge Kritik ihn veranlaßte, das bisher Niedergeschriebene einer vollständigen Umarbeitung zu unterwerfen. Während seines Aufenthaltes in Zürich war es, wo er den inhaltreichen Band seiner »Geschichte der Eidgenossen vom Tode des Bürgermeisters Waldmann bis zum ewigen Frieden mit Frankreich« vollendete und der Oeffentlichkeit übergab. Der eben angeführten Aufschrift, welche das Werk als eine selbstständige Arbeit erscheinen ließ, hatte der Verfasser den zweiten Titel beigefügt: »Johann von Müllers Geschichten schweiz. Eidgenossenschaft fünften Theils, zweite Abtheilung, von Robert Glutz-Blotzheim.« Diesen zweiten Titel seinem Werke vorzusetzen, konnte Robert nur durch die dringendsten Vorstellungen der Verleger (Orell, Füßli und Comp. in Zürich) bewogen werden.

Das Ganze zerfällt in fünf Bücher.

Das erste Buch enthält eine Schilderung der schweizerischen Zustände unmittelbar vor dem Ausbruch des Schwabenkrieges.

Das zweite Buch schildert den Schwabenkrieg, dessen wichtige Folge die faktische Lostrennung der Eidgenossenschaft vom deutschen Reiche war. Jahr für Jahr wird am Tage, wo die solothurnischen Kantonsschüler den Sieg der Schweizer bei Dorneck feiern, unseres Robert Glutz ausgezeichnetes Schlachtgemälde von einem der Jünglinge der lauschenden Volksmenge vorgelesen.

Das dritte Buch entrollt das unerquickliche und beschämende Bild des Parteienkampfes, nicht etwa des Widerstreites sich entgegenstehender Prinzipien, sondern des Zanks der Eidgenossen, ob es vortheilhafter sei für den Papst, für den Kaiser oder für den König von Frankreich die Haut auf die italienischen Schlachtfelder zu Markt zu tragen.

Im vierten Buche werden jene unseligen italienischen Kriegszüge geschildert, wo die Schweizer zwar nicht minder tapfer als in alten Zeiten, aber nicht mehr für die Freiheit und Unabhängigkeit des Vaterlandes, sondern um den Sold des Meistbietenden kämpften. Zu den farbenreichsten historischen Gemälden gehört die Schilderung der Riesenschlacht von Marignano, welche in diesem Buche enthalten ist.

Das fünfte Buch dürfte das interessanteste des ganzen Werkes genannt werden; es handelt: »Von den Staatsverfassungen, dem Bundesvereine, der Gottesverehrung, der Kriegart, den Kenntnissen und der Lebenweise der alten Eidgenossen.«

Hottinger zieht folgende Parallele zwischen den beiden schweizer Geschichtschreibern Johannes Müller und Robert Glutz:

»Müller dachte: ich will groß werden und durch mich mein Vaterland groß und geehrt sehen; glücklich, dabei der Wahrheit getreu bleiben zu dürfen. Glutz hätte gesagt : ich will wahr sein und sollt' ich dadurch allen meinen Freunden nahe treten und alle meine Feinde loben müssen. Müller fand im weiten Zeitraum, dessen Geschichtschreibung ihm anheim fiel, einen überreichen Stoff die Eidgenossen unter einem günstigen Lichte zu zeigen, er schilderte die glänzendsten und erhabensten Perioden der Schweizergeschichte, jene Zeiten, wo unsere Ahnen sich in Wirklichkeit groß, heldenmüthig und edel erwiesen; einzig der Ausgang des Burgunderkrieges wirft den Schatten beginnender Entsittlichung auf dieß Gemälde, indeß schweizerische Tapferkeit sich noch in ihrem vollen Glanze zeigt. Glutz dagegen erzählt einen kurzen aber bedauernswerthen Zeitraum unserer Geschichte: die Großherzigkeit unserer Ahnen hatte einer niedrigen Händelsucht Platz gemacht. Die italienischen Feldzüge, Bestechung und Bestechlichkeit nach allen Seiten schamlos ausgeübt und entgegengenommen, die Gewohnheit des Reislaufens hatte sowohl die Mannszucht als die Ehre zu Grunde gerichtet und die Schweizer zu Söldlingen der Fürsten herabgewürdigt; der Skandal der Pensionen stand auf seinem Gipfelpunkt; selbst die Priester ließen sich vom Strome fortreißen und einzig die Rückwirkung der Reformation vermochte die katholische Geistlichkeit zu Zucht und guten Sitten zurückzuführen. Um wahr zu bleiben durfte Glutz kaum andere Thatsachen erzählen als solche, die Tadel verdienten; dennoch liebte er es, löbliche Sachen zu loben, wie es die Schilderung der Schlacht von Marignano beweist, wo er die schweizerische Tapferkeit verherrlicht, die sich mit Ruhm bedeckte – leider nicht im Dienste des Vaterlandes. Glücklicherweise fiel auch der Schwabenkrieg ihm zu, wo mehr als ein Lichtpunkt sich zeigt. Die Schreibart seines Werkes ist gleichmäßig, gedrängt, von logischer Einfachheit, schmucklos, nicht ohne Anmuth, aber weit entfernt von Müllers warmem Colorit. Der letztere reißt mehr hin, aber er hatte hinreißendere Ereignisse zu erzählen. Beide schöpfen an den Quellen, aber Glutz zeigt die nackte Wahrheit, während Müller die Fehler der Eidgenossen vielleicht zu sehr verhüllt und sich allzubesorgt für ihren Ruf zeigt. Die Geschichte soll wahr und unparteiisch sein; Glutz scheint keinem andern Gesetze gehorcht zu haben...«

So urtheilt über die zwei großen schweizerischen Geschichtschreiber J. J. Hottinger, der Fortsetzer beider.

Außer dem besprochenen Hauptwerk hat unser Robert Glutz noch folgende Schriften veröffentlicht:

Topographisch-statistische Beschreibung des Kantons Solothurn (im Helvetischen Almanach von 1813). Diese Arbeit machte in Solothurn wegen der Freimüthigkeit der darin enthaltenen Urtheile großes Aufsehen.

Darstellung des Versuchs die Reformation in Solothurn einzuführen (im Schweizerischen Museum 18l6).

Handbuch für Reisende in der Schweiz, nebst einem Anhang von den Merkwürdigkeiten der im Handbuch verkommenden Ortschaften; ein Vorläufer der Reisebücher Bädeckers, Berlepschs, Tschudis u. s. w.

Nachrichten von den öffentlichen Lehranstalten in Solothurn und Vorschläge zur Verbesserung der selben. 1818. Dieses Schriftchen, welches eine scharfe Kritik über das kryptojesuitische Solothurner-Kollegium enthält, war der Schwanengesang des Verfassers.

Die Glücksumstände unseres Robert Glutz waren keineswegs sehr glänzend. Sein Erbgut genügte zwar seinen Bedürfnissen als Junggeselle; aber ein großer Theil desselben steckte in einem industriellen Unternehmen, dessen Kredit schon zu Lebzeiten Roberts zu schwanken begann und das auch bald darauf Bankerott machte, das Vermögen mancher solothurnischen Familie in seinem Sturze zertrümmernd.

Robert sah die Tage kommen, wo er genöthigt sein würde, durch seine Arbeit für sein täglich Brod zu sorgen. Da es ihm widerwärtig erschien, um ein Amt in seiner Vaterstadt sich zu bewerben, wandte er seine Blicke nach Deutschland. Ein Lehrstuhl an der Universität Breslau in Preußen wurde ihm in Aussicht gestellt. Er verließ die Schweiz, um bei seinem Freund und Lehrer Breyer, der von Landshut nach München übergesiedelt war, gute Räthe und erfahrene Anleitungen vor dem Betreten seiner neuen Laufbahn entgegenzunehmen. Am 30. Januar 1818, an seinem 32. Geburtstage langte er in München an und wurde von Breyer als willkommener Gast aufgenommen. Aber bald erkrankte dieser bewährte Freund. Robert Glutz wldmete sich seiner Pflege; bald wurde auch er von dem in München herrschenden Schleimfieber befallen. Am 14. April 1818 traf ihn ein Gehirnschlag. Der letzte Hauch aus den sterbenden Lippen war das Wort: Vaterland!

Zehn Jahre später, 1828, errichteten die schweizerischen Studenten in München dem Landsmann ein Grabmal: eine von einem Granitwürfel getragene dreikantige Pyramide.

Monnard entwirft folgendes Bild vom Manne, der auf dem Münchener Friedhof begraben liegt: Sein vorherrschender Charakterzug, mochte es Sachen, Menschen oder ihn selbst betreffen, war Wahrheitsliebe. Er suchte die Wahrheit mit Eifer, er durfte sie aussprechen und sie hören; er war ein geschworner Feind jedes Schmuckes und jeder Künstelei, die sie vermäntelte. Als Mensch und Geschichtschreiber lobte er nur, was ihm löblich, tadelte er, was ihm tadelnswerth schien..... Sein Wahrspruch hieß: lieber sein, als scheinen. Er verfiel sogar in jenes andere Extrem, weniger scheinen zu wollen, als er war. Auch war er nicht liebenswürdig im Sinne, welcher der große Haufe diesem Worte beilegt; aber um so würdiger der Liebe derer, die ihn kannten oder erriethen..... Diese Eigenthümlichkeit und der Mangel an gesellschaftlichem Schliff machten ihn oft herb und schneidend in seinem Urtheile. Die Worte »elend«, »gemein« kamen oft über seine Lippen. Daher die zurückstoßende Kälte, die von solchen empfunden wurde, die zum erstenmal mit ihm zusammentrafen. Robert Glutz war weder ein Genie, noch was man einen Mann von Geist nennt; aber er besaß eine ungewohnte Intelligenz, unterstützt durch seltenen Fleiß, Ausdauer und Muth. Er war nicht besonders für das öffentliche Lehrfach geeignet. Er war nicht beredt; es fehlte ihm die geistige Lebhaftigkeit, welche die Zuhörerschaft hinreißt; seine Aussprache war fehlerhaft und undeutlich, was seine Rede denen, die ihn zum erstenmal hörten, unverständlich machte. Dagegen hätten seine Kenntnisse, seine Liebe zur Ordnung und Pünktlichkeit, seine Integrität und sein Abscheu vor allem, was der Lüge gleich sieht, ihn zu einem ausgezeichneten republikanischen Staatsmann qualifizirt. Der Baum verdorrte, bevor ihm vergönnt war, die Fülle seiner Früchte zu spenden.

Alfred Hartmann: Gallerie berühmter Schweizer der Neuzeit. Baden im Aargau, 1871.



© Reiner Kaltenegger · Gräber des Alten Südfriedhofs München · 2007-2025


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