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ADOLF
LIER
MALER
* 1826 † 1882
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* 21.5.1826 (Herrnhut/Sachsen)
† 30.9.1882 (Bahrn/Brixen)
Landschaftsmaler
Adolf Lier.
Von Brixen in Tirol kam am 1. October d. J. die Trauerkunde: Adolf Lier ist todt! Rasch und unerwartet streckte hier der unerbittliche Tod seine Hand aus, brachte ein Herzschlag ein reiches Künstlerleben vorzeitig zum Abschluß und damit der Kunst wie der Kunststadt München und allen denen, die dem Künstler persönlich nahe standen, einen unersetzlichen Verlust.
Wenige Tage zuvor hatte Adolf Lier, begleitet von seiner Familie, München verlassen, um sich in der reinern Bergesluft Tirols Genesung, Kraft und Stärke zu erneutem Schaffen zu holen. Es sollte nicht sein. Der kunstgeübten Hand des Meisters entsank jetzt schon die farbenreiche Palette, welcher sein Pinsel Töne voll schlichter Wahrheit und stimmungsvoller Poesie wie selten einer zu entlocken wußte. Des Künstlers offenes Auge und feiner Sinn fanden in der Natur, da wo geringere künstlerische Auffassung achtlos vorübergeschritten wäre, die reizvollsten Motive für seine Darstellung; Lier brauchte eben nicht viel zu geben, um zu entzücken, nicht den ganzen Apparat einer großartigen Gebirgsnatur, um künstlerisch angeregt zu werden.
Der Hauch tiefempfundener Wahrheit ist es, welcher alle seine Werke unvergeßlich macht, welcher diesen überall so sympathische Aufnahme bereitete; sei es nun, daß der Maler eine weite Ebene schildert, über welcher die schwüle Nachmittagssonne flimmernd brütet, sei es ein feuchter, dunstiger Nebelmorgen oder dämmerig glühende Abendruhe, von der seine Leinwand erzählte. Ein Winter, in Paris zugebracht, zeitigte diese Naturanschauung, Meister wie Duprez und Daubigny waren von größtem und bestimmendstem Einfluß auf Lier. Die Anregung aber, welche hier gegeben war, sie fiel nicht bloß auf fruchtbaren Boden; der deutsche Künstler hielt sich vor allem von blöder Nachahmung fremder Weise fern, seine Schöpfungen sind echt deutsch geblieben, der französische Naturalismus, die einfachere Naturanschauung ward bei Lier zur deutschen Idylle, von einer Innigkeit der Stimmung, wie es in dieser Art dem Franzosen nicht gelingt.
Kein Wunder, daß solch ein Beispiel junge, frische Kräfte um den Meister versammelte, dessen Werke mehr und mehr geschätzt und gesucht wurden und seinen Namen weit über die Grenzen des Vaterlands hinaustrugen. Was dem classischen Rottmann und dem genialen Coloristen Eduard Schleich nicht gelingen wollte, das erreichte Lier; er wurde der Begründer der neuern münchener Landschafterschule, deren hervorragendste Talente, wie Schönleber, Herm. Baisch, Aug. Finck, Wenglein u. s. w., in Adolf Lier den Lehrer, den aufrichtigen Freund und das beste Vorbild betrauern.
Die liebenswürdige, bescheidene Künstlernatur besaß keinen Feind; als die trauernde Witwe und das so sehr von ihm geliebte Pflegekind die irdische Hülle des Verlebten zurück in dessen künstlerische Vaterstadt geleiteten, da zog in weite Kreise der münchener Künstlerstadt aufrichtige Trauer ein, stand die ganze Künstlerschaft an dem offenen Grabe.
Adolf Lier war Ehrenmitglied der königl. bairischen Akademie der bildenden Künste in München, dem verdienstvollen Mann verlieh König Ludwig II. von Baiern den Titel eines königl. Professors, während der Staat ein größeres Werk desselben erwarb, um es den öffentlichen Staatssammlungen einzuverleiben. Es sollte dies seine letzte Schöpfung sein. Der Meister verherrlichte darin eine Stätte bairischer Größe, die in abendlicher Dämmerung liegende Theresienwiese mit der Ruhmeshalle und Bavaria im Hintergrund, eine Leistung, welche auch dem Namen Lier von der auszeichnenden Stelle aus, für welche dieselbe bestimmt ist, spätern Nachkommen noch ein ehrendes Zeugniß sein wird.
Prof. K. Raupp.
Prof. K. Raupp: Adolf Lier. Illustrirte Zeitung Nr. 2051. Leipzig, den 21. Oktober 1882.
Nekrologe Münchener Künstler.
(S. »Allg. Ztg.« Nr. 294 B.)
XXVII.
Adolf Lier, Landschaftsmaler.
Lier war ein geborner Dichter. Sein Genius hätte sich in jedem Gebiete zur Geltung gebracht und mit dem Meißel ebenso wie mit dem gebundenen Worte bewährt. Diejenigen Naturen sind freilich die glücklichsten, welche vom ersten Beginnen auf ein klar erfaßtes Ziel lossteuern. Doch auch von diesen stranden Viele seekrank und schiffbrüchig auf der Fahrt nach dem goldenen Vließe der Kunst. Unser Meister hatte dasselbe, trotz mancher Irrfahrten, frühzeitig entdeckt und erreicht.
Adolf Lier wurde am 21 Mai 1827 zu Herrnhut geboren. Wie viele Andere fand er den Weg zu seinem eigensten Berufe nicht sogleich; obwohl ihn die Malerei von Jugend auf besonders anzog, vermochte er seinen Wunsch doch nicht durchzusetzen, sondern wurde zum Baufach bestimmt. Deßhalb kam er auf die Dresdener Akademie zu Gottfried Semper, von wo er jedoch schon 1848 nach Basel ging und zwei Jahre am dortigen Museumsbau Beschäftigung fand. Dann hub er sich, angeregt durch den Genremaler Karl Adolph Mende 1851 gen München, warf sich auf die Malerei und trat nach einigem Schwanken in Richard Zimmermanns Atelier, dessen mit Nic. Berghem verwandte Stimmung ihn mächtig anzog. Gleichmäßig machte sich aber auch Eduard Schleichs Vorbild und Einfluß mächtig geltend. Bald erregte »unser Lier« große Erwartungen; sein strebsamer Fleiß und seine gentile Findigkeit förderten den Künstler, welcher mit diesen Vorzügen auch einen wohlthuenden weltgewandten Ton verband. Nach allerlei Studienreisen in Tirol und Oberitalien besuchte Lier 1861 Paris. Hier fand er das langerstrebte Ideal in den äußerst naturalistisch aufgefaßten, aber fein gestimmten Bildern der französischen Landschafter, vornehmlich bei Jules Dupré (geb. 1812) und Francois Daubigny (1817 † 78.) Nachdem Lier von 1864 auf 1865 einen längeren Aufenthalt in Paris genommen und dann auch London besucht hatte, verarbeitete er 1866 die gewonnenen Resultate zu München in einer »Abendlandschaft aus Mecklenburg« (nachmals im Besitz des Grafen Hoyos in Wien) und errang damit einen durchschlagenden Erfolg, obwohl die Stimmen darüber nicht einig waren, wie immer, wo alte Schule und Neuzeit sich berühren und durchschneiden. Während die einen ihn als eine höchst bedeutende Kraft erklärten und »die fesselnde Wärme der Farbe und die theilweise poesievolle Stimmung« rühmten, machte dasselbe Bild den Anderen »durch die neumodische Flüchtigkeit und unsolide Durchbildung geradezu einen widerstrebenden Eindruck.« Glücklicherweise schuf Lier unbeirrt weiter und brachte 1867 mit einer »Mondnacht an der Oise« ein vollendet classisches Bild (nun in der Dresdener Gallerie), womit er die Gegner nicht allein verblüffte und zum Schweigen brachte, sondern auch begeisterte und entzückte. Von nun an war sein Name begründet und »als der Besten Einer« achtungsvoll genannt, obwohl später noch Manche über den »Manieristen« grollten. Lier, welcher am besten selbst die aus einer gewissen Einseitigkeit drohenden Klippen ahnte, umging selbe durch den redlichen, echt deutschen Fleiß und wechselnde Vielseitigkeit. Gleich seinen Vorbildern liebte Lier das elementare Leben und Weben im kleinsten Winkel der Natur darzustellen: dürftiges Hügelland, niedrige Ebenen mit stehen gebliebenen Wassern und Regentümpeln und darüberziehendem Vieh, aufgeweichtes, klebriges Erdreich mit hinspinnenden Nebelstreifen und einer mäßigen Hügelreihe in der Ferne; dann aber wieder das durch laue Luft über frisches Gras zitternde Morgenlicht, brütend schwellende Mittagsgluth oder einen friedlich verglimmenden Abend. Und darüber hin schiebt sich ein Wolkenspiel, jeweilig mit melancholischem Trübsinn, festlicher Heiterkeit und schweigender Ruhe. Immer aber ist er der Dichter, welcher mit weiser Beschränkung der Mittel, ohne Wortschwall und Farbenjagd die Empfindung echt, voll und ungeziert zum Ausdruck bringt. Wie er das machte, war sein offenkundiges Geheimniß. So äußerte z. B. der Berichterstatter über Liers »Kartoffelernte« auf der Berliner akademischen Ausstellung (1871): »Lier versteht sich immer auf Stimmungen. Hier hat er zur Erzeugung des Stimmungstones sich einer Farbe bedient, in der die verschiedensten Localtöne gleichsam latent in einer fast mißfarbigen und doch höchst anziehenden Eintönigkeit enthalten sind. Es ist schwer, eine deutlichere Schilderung von dieser Art zu geben; die Wirkung war frappant.« (Vgl. Lützwow, Zeitschrift für bildende Kunst. 1871. VI, 177.) Zu Liers bedeutendsten Schöpfungen gehören ein »Herbstmorgen,« »Allee bei Nebel« (bei N. Goldschmit in Paris), »Englische Dorfgassen bei Mondschein« (bei Richard in Paris), »Canal bei Schleißheim« (angekauft zur Verloosung auf der dritten allgemeinen Kunstausstellung 1869 zu München), »Partie an der Elbe bei Dresden« (Frankfurter Kunstverein), »Bauernhof in der Normandie,« dann jene schlichte Flachansicht aus der angeblich so nüchternen Dachauer Umgebung Münchens – ein Bild, »welches bei jedem Verzicht auf blendende Wirkungen und Reminiscenzen aus alten Meistern jenes echte Naturgefühl athmet, welches vor Allem den Landschafter macht« (1871 in Wien). (Vgl. den Bericht in Lützwos Zeitschrift 1872. VII, 291.) Zu den Perlen der Berliner Ausstellung von 1872 zählte der in wunderbarer Stimmung ausgeführte »Herbstabend,« (Ebendas. 1873. VIII, 182 und 449 (Beiblatt)) voll süßen Duftes und schlichter Poesie, womit Lier den Beweis brachte, daß die großartigste Schönheit auch mit der äußersten Gränze des Realismus sich vertrage. In den ersten Monaten des Jahres 1873 brachte er drei Bilder in den Münchener Kunstverein: darunter ein Motiv »Aus dem Englischen Garten« und die »Landstraße bei München;« 1874 folgte ein Buchenwald« und der prächtige »Strand von Scheveningen,« 1875 ein »Bauernhof« (Fleischmann); 1876 die berühmt gewordene »Allée« mit einer durch die Abenddämmerung heimkehrenden Schafheerde und in demselben Jahre noch eine Winter- und Herbstlandschaft; 1877 den »Abend an der Isar« (1878 auch in Paris): im Mai 1880 einen Cyclus von 16 Studien voll eminenter Wahrheit, welche man wirklich »Seelen zu künftigen Gedichten« hätte nennen können. Ein Bild Liers ziert die annoch kleine Privatgallerie des Münchener Kunstvereins, sein letztes Werk »Die Bavaria mit der Ruhmeshalle« erwarb die bayerische Staatsregierung für die Neue Pinakothek. (Den Sommer über in der Nürnberger Landesausstellung. Vgl. Nr. 34 »Ueber Land und Meer« 1882.) Ein »Sommertag auf der Hochebene von München« wurde durch J. Richter in Stich vervielfältigt. In der Zeit von 1869 bis 1873 hielt Lier eine Schule, aus welcher Namen wie Paul v. Tiesenhausen († 1876), Herm. Baisch, Poschinger, Schönleber, Aug. Fink und Wenglein hervorgingen, welche ihrem am 30 September zu Brixen verstorbenen Meister zur hohen Ehre gereichen. Lier war traun als Mensch und Künstler »der Besten Einer;« sein Name wird immerdar ruhmreich verbleiben.
Allgemeine Zeitung Nr. 326. München; Mittwoch, den 22. November 1882.
Adolf Lier.
Mit Abbildungen.
Die Entwicklung der neueren Münchener Landschaftsmalerei ist auf das engste mit den drei Namen: Rottmann, Schleich und Lier verknüpft. Erscheint Rottmann wenigstens in den Werken seiner besten Zeit als Vertreter der idealisirenden Richtung der Landschaftsmalerei, welche ihre Wirkungen durch die Betonung der Form und durch die Schönheit der Linienführung zu erreichen sucht, so beruht die Stärke seiner beiden Nachfolger auf dem Stimmungsbild, d. h. auf der Schilderung des Eindruckes, welchen die Landschaft auf das Gemüt auszuüben pflegt. Insofern gehören Schleich und Lier auf das innigste zusammen. Gleichwohl besteht auch zwischen ihnen trotz der Gemeinsamkeit ihres hauptsächlichsten künstlerischen Grundsatzes ein leicht zu erkennender Unterschied. Schleich, im wesentlichen Autodidakt und durch das Studium der alten Meister bestimmt, ist am größten, wenn er den Kampf in der Natur darstellt; Lier, ebensowohl ein Schüler jener als ihrer bedeutendsten Nachfolger, der modernen Franzosen, in der Wiedergabe des Friedens und der Ruhe in derselben. Schleichs Begabung glich mehr der des Dramatikers, diejenige Liers der des Lyrikers. Ein weiterer Unterschied ist in dem verschiedenen Verhältnis der beiden Künstler zur Natur zu finden. Lier stand derselben durchweg viel objektiver gegenüber als Schleich, der, weniger sorgfältig in der Zeichnung, namentlich in koloristischer Hinsicht ziemlich frei verfuhr und dabei gelegentlich ins Outrirte verfiel. Ohne Rücksichtnahme auf das natürliche Aussehen pflegte er die verschiedensten Gegenstände zu Trägern seiner prinzipiellen Farben zu machen, die er nach bestimmten Anschauungen gegen einander wirken ließ, während Lier zunächst jeden Gegenstand für sich studirte, um ihm dann vielleicht in seinem Bilde zu Gunsten eines feinen Graus die rein natürliche Farbe zu nehmen.
Fragt man nach dem Einfluß, welchen die drei Meister auf die Kunst ihrer Zeit ausgeübt haben, so findet man, daß Rottmann fast allein dastand und keinen ebenbürtigen Nachfolger gehabt hat. Ebenso wie seinem großen Zeitgenossen Cornelius fehlte ihm jegliche Begabung zum Lehrer. So gern er bereit war, andere zu fördern und zu unterstützen, so wenig war er im Stande, sich in fremde Ideen hineinzudenken, so daß er überall, wo er rathend und berichtigend eingriff, die Individualität des Kunstwerkes vernichtete und ihm das Gepräge seines eigenen Geistes aufdrücktc. Ganz anders bei Schleich, der als der »allgemeine Landschaftsrat« allen Zeitgenossen liebenswürdig zur Seite stand und durch sein Beispiel in ungewöhnlicher Weise anregend wirkte. Dennoch kann man von einer Schule Schleichs nicht reden. Dagegen gewann Lier als Lehrer auf die ganze jüngere Generation der Münchener Landschaftsmaler Einfluß und hatte die Freude, aus seiner Schule die bedeutendsten Vertreter dieses Kunstzweiges in Süddentschland hervorgehen zu sehen.
Schon aus diesem Grunde dürfte es gerechtfertigt erscheinen, wenn die Zeitschrift durch die folgenden Aufzeichnungen an das Leben und Wirken Liers erinnert und seine Bedeutung für die Geschichte der deutschen Kunst festzustellen versucht. Und gesetzt den Fall, daß seine Schule nicht den Erfolg gehabt hätte, den sie in der That hatte, so würden auch die von ihm selbst herrührenden Schöpfungen Anlaß genug bieten, ihm an dieser Stelle ein Blatt der Erinnerung zu widmen.(Für die biographischen Einzelheiten sei auf den Artikel der Allg. deutsch. Biographie hingewiesen.)
Es war Lier nicht vergönnt, von vornherein die schon in früher Jugend von ihm ersehnte Lanfbahn eines Malers einzuschlagen. Am 21. Mai 1826 (nicht, wie gewöhnlich angegeben wird, 1827) zu Herrnhut in der Oberlausitz geboren, mußte er sich dem Wunsche seines Vaters fügen, welcher ihn für das Baufach bestimmte, in der Meinung, daß dieser der Kunst nahestehende Beruf mehr Sicherheit für ein ausreichendes Brot als die Malerei gewähren und gleichzeitig den künstlerischen Anlagen des Sohnes genug Gelegenheit zur Entwicklung bieten werde. Diese wohlgemeinte Maßregel erwies sich jedoch als ein entschiedener Mißgriff. Lier besuchte zwar die Baugewerkenschule in dem nahen Zittau und später die Bauschule und Akademie zu Dresden, wo er eine Zeit lang als Schüler Sempers thätig war, mit gutem Erfolg, fühlte sich aber von seinem Studium nicht im mindesten befriedigt, obwohl er, wie manche seiner damaligen Kollegen bezeugen, die ihm übertragenen Aufgaben mit spielender Leichtigkeit bewältigte. Dies änderte sich auch nicht, als er im Anfang des Jahres 1848 nach Basel übersiedelte, um unter der Leitung des Architekten Melchior Berri für den dortigen Museumsbau zu arbeiten. Er zeigte nur wenig Ausdauer und ließ sich von den Wogen der revolutionären Bewegung und dem feurigen Wesen des Freiheitsapostels Hecker so gefangen nehmen, daß er sich in jugendlicher Übereilung dem abenteuerlichen Freischarenzuge desselben ins Badische anschloß. Der unglückliche Ausgang der Expedition, bei welcher er sich nur mit Mühe vor der Gefangennehmung durch die Flucht über die schweizerische Grenze rettete, ernüchterte ihn noch immer nicht. Er folgte Hecker nach Zürich und Bern, und wer weiß, was aus ihm geworden wäre, wenn dieser nicht eines schönen Tages nach Amerika verschwunden wäre. Lier kehrte nach Basel zurück und löste das ihm immer lästiger werdende Verhältnis zu Berri, um sich nunmehr unter der Anleitung eines Malers Süffert der Malerei zu widmen. Daß er, bereits dreiundzwanzig Jahre alt, sich doch noch entschloß, die Maurerkelle mit dem Pinsel zu vertauschen, dazu bestimmte ihn am meisten die Aufmunterung des Historienmalers Karl Adolf Mende aus Leipzig, welcher sich damals aus politischen Gründen in Basel aufhielt. Auch war inzwischen der Vater gestorben, und die Mutter gab es auf, dem Andringen ihres Sohnes länger Widerstand entgegenzusetzen.
Basel aber war nicht der Ort, wo ein Jünger der Kunst mit Erfolg seinen Studien obliegen konnte. Wo sollte sich Lier hinwenden? Nach Dresden zurückzukehren, kam ihm nicht in den Sinn; die Zustände an der Akademie hatte er gründlich verabscheuen gelernt, es blieb keine andere Wahl, als nach München zu gehen.
Lier siedelte also im Oktober 1849 nach der bayrischen Hauptstadt über, sah sich aber auch hier zunächst ratlos darüber, wie er am schnellsten zu seinem Ziele gelangen sollte. Er durfte bei seinen Verhältnissen nicht daran denken, den langjährigen Kursus einer Akademie durchzumachen, und war sich außerdem klar geworden, daß für ihn von den damaligen Professoren des Münchener Institus nichts zu lernen sei. Man hatte ihm gerathen, bei Joseph Bernhardt, welcher sich in jenen Jahren neben Joseph Stieler eines großen Rufes als Porträtmaler erfreute und eine eigene Schule unterhielt, einzutreten. Aber die Zahl seiner Jünger war so groß, daß Bernhardt den neuen Ankömmling zurückwies und ihn auf später vertröstete. Ein anderer Künstler, namens Lehmann, an den ihn sein Baseler Lehrer empfohlen hatte, war eben im Begriff abzureisen, als Lier sich ihm vorstellen wollte. So waren seine ersten Schritte in München wenig verheißungsvoll, und leicht hätte ihn die Reue, seine sichere Laufbahn aufgegeben zu haben, beschleichen können, hätte er nicht durch einen Zufall in einer Abendgesellschaft in dem Genre- und Landschaftsmaler Richard Zimmermann einen Lehrer und Freund gefunden, der sich seiner aufs wärmste annahm.
R. Zimmermann, geb. am 2. März 1820 zu Zittau, gestorben den 4. Februar 1875, war ein Landsmann Liers. Auch er hatte es erfahren, was es heißt, in seinen künstlerischen Neigungen beschränkt zu werden, da ihn sein älterer Bruder Albert wider seinen Willen für die historische Kunst bestimmte und seinem Wunsche, als Landschaftsmaler thätig zu sein, entgegentrat. Aber auch er hatte den Widerstand zu überwinden gewußt und nahm gerade in dem Anfang der fünfziger Jahre, als Lier in sein Atelier eintrat, eine hochgeachtete Stellung unter den Münchener Landschaftsmalern ein. Die ersten Aufgaben, die er Lier zuerteilte, lagen indessen nicht auf dem Gebiete der Landschaft. Lier mußte vielmehr anfänglich bei ihm Porträts und Genrcscenen entwerfen, von denen sich nur wenige Proben im Beseitz der Familie erhalten haben, bei denen es jedoch ungewiß ist, wie weit sie etwa Kopien nach Zimmermann oder eigene Kompositionen sind. Gleichzeitig übte er sich in der Privatschule des von Genelli und Rahl beeinflußten Historienmalers Johann Baptist Berdellé, des Schöpfers der Fresken im neuen Polytechnikum zu München († 22. Juli 1876 durch Selbstmord) im Zeichnen von Köpfen und Akten. Nach solchen Vorübungen ging er jedoch bald ganz zum Landschaftsfache über, das seinen Neigungen und seiner Befähigung am meisten entsprach.
Die damals in München vorherrschende Richtung in der Landschaftsmalerei entnahm ihre Motive der erst seit kurzer Zeit in ihrer Schönheit entdeckten Welt der bayrischen und tiroler Alpen. Neben Zimmermann und seinen Brüdern hatten sich auf diesem Gebiete namentlich Max Haushofer und Heinrich Heinlein hervorgethan. Lier trat allmählich, wenigstens gesellschaftlich, auch diesen Künstlern nahe und folgte ihrem Beispiel, indem er so oft, wie es ihm seine Mittel erlaubten, hinauszog, um im Gebirge Studien zu machen. Seine zahlreichen Skizzenbücher aus dieser Zeit lassen erkennen, welche Wege er bei diesen ersten künstlerischen Streifzügen einschlug. Eine seiner ersten Sommerreisen führte ihn nach dem südlichen Tirol; die Frucht derselben war sein erstes Ölbild, eine Partie bei Brixen (1852), welche er seiner Mutter zum Geschenk machte. Mehrere Jahre später zog er durch das Salzburgische nach dem Salzkammergut an den Hallstädter See und nach Gosau, von wo aus er eine Ansicht des Dachsteins bei Abendbeleuchtung (1858) heimbrachte. Wiederholt weilte er in der Ramsau und in dem lieblichen Brannenburg, wo die Münchener Maler in den vierziger und fünfziger Jahren ein vielbesuchtes Sommerlager aufgeschlagen hatten, um namentlich den herrlichen Wald in der Nähe für ihre Zwecke auszubeuten. Lier hat die ihm dort gebotene Gelegenheit redlich ausgenutzt und sein Skizzenbuch mit einer Menge von Baumstudien und Waldansichten bereichert, von denen er eine Anzahl Proben unter dem Titel »deutsche Bäume« in den Münchener Bilderbogen veröffentlichte. Auch ein großes Ölbild entstand nach einem Motiv aus der Brannenburger Umgebung. Lier führt uns auf demselben einen Brautzug vor, der von einer hoch auf einer Felsenwand zur Linken gelegenen Kapelle herabkommt, um im Hintergrunde im Walde zu verschwinden. Das Bild erinnert durch die Innigkeit der Auffassung an Ludwig Richters bekannten Brautzug in der Dresdener Galerie, nur daß bei Lier die Staffage ganz nebensächlich behandelt ist und das Hauptgewicht auf der Schilderung des heimlichen Waldesdunkels liegt. In Bezug auf Komposition und Zeichnung steht dasselbe, obwohl schon 1857 gemalt, seinen späteren Schöpfungen aus der besten Zeit nur wenig nach; dagegen genügt die Farbe kaum mäßigen Ansprüchen, da der Künstler in dieser Hinsicht noch ganz in der konventionellen Manier seiner Zeit befangen war.
Weit glücklicher fielen die Versuche aus, bei welchen Lier ein anspruchsloseres Motiv wählte. So kennen wir ein Bauernhaus in Habach bei Murnau aus dem Jahre 1855, vor welchem die Großmutter mit ihrem Enkelchen Platz genommen hat, während man durch die geöffnete Thür die Bäuerin am Herde schalten sieht: ein an Eduard Meyerheim gemahnendes Bild, auf dem die Luftperspektive nur wenig zur Geltung kommt, das aber eben deshalb viel mehr als das eben geschilderte auch in malerischer Hinsicht befriedigt. In demselben Jahre entstand ein anderes uns leider nicht zu Gesicht gekommenes Gemälde, das den Kritiker der »Allgemeinen Zeitung«, vermutlich Friedrich Pecht, zu folgender Auslassung bestimmte (Beilage zu Nr. 212. 31. Juli 1855. S. 387): »Das Beste bietet wie gewöhnlich die Landschaftsmalerei, wo uns ein jüngerer Künstler, Lier, durch eine Aussicht von der Eiblinger Höhe ein ganz vortreffliches Bild beschert hat. Wir sehen einen der kleinen Seen an der Abdachung des Gebirges, wie sie tausendmal gemalt werden. Vorn ein Kornfeld, dessen gelbe Wogen bis gegen den See hinunter rauschen, rechts ein sandiger Rain, hinten dampfige Berge in der Hitze eines schwülen Mittags. Das ist aber mit einem schönen Naturgefühl gesehen und empfunden, mit einer Bescheidenheit der Mittel und einer Wahrheit gemalt, die wahrhaft überrascht und so lebhaft an Wynants erinnert, daß man vor manchem andern Bild seufzend wünscht, daß es einen doch auch an etwas Gutes erinnern möchte, anstatt so unvergleichlich zu sein.«
Infolge der bisher gemachten Erfahrungen fing Lier indessen mehr und mehr zu erkennen an, daß die Gebirgsmalerei nicht sein Feld sei. Auch er sah ein, was so viele hervorragende Landschaftsmaler erkannt und ausgesprochen haben, daß die Großartigkeit der Alpen erdrückend auf den Künstler wirkt, daß es kaum möglich ist, durch die bildliche Darstellung einen auch nur annähernden Begriff ihrer Schönheit zu geben, und daß die einfacheren Reize einer mehr ebenen Gegend mit dem Hochgebirge im Hintergrund mit weit größerem Glück zu behandeln sind. Seitdem wählte er seine Studienplätze in weiterer Entfernung vom Gebirge und arbeitete z. B. wiederholt in der lieblichen Umgebung des Starnberger Sees, die ihm Stoff zu einer Reihe tüchtiger Schöpfungen darbot. Noch mehr zog ihn der stillere Chiemsee und das kleine Eiland der Fraueninsel an. Jahre lang gehörte er der dort allsommerlich hausenden Malerkolonie an, die in Haushofer und Ruben ihren Mittelpunkt fand, wegen seines einfachen und schlichten Wesens und seines frischen und fröhlichen Humors bei Jedermann beliebt und geachtet. Auch nach seiner Pariser Reise und dem durch sie hervorgerufenen Wechsel seiner künstlerischen Ansichten kehrte er gern zu der Idylle des Chiemsees zurück, bis ihm durch den Tod einer geliebten Nichte, die ihm bei einem Besuch auf der Fraueninsel im Jahre 1873 durch plötzliche Erkrankung entrissen wurde, der Aufenthalt dort verleidet wurde.
Eine ganze Anzahl Ölbilder und Skizzen nach Motiven vom Chiemsee, z. B. ein »Erntetag« auf der Fraueninsel, vor allen aber der köstliche »Nebelmorgen am Chiemsee« mit Fischern im Einbaum als Staffage vom Jahr 1872, der zu seinen besten Werken gehört, geben ihm ein Anrecht, mit unter die berufenen Verherrlicher dieses einzig schönen Fleckchens deutschen Landes gezählt zu werden.
Unermüdlich schaffend und immer aufs neue an der Natur selbst sich erfrischend, hatte sich Lier inzwischen zu einem der besseren Münchener Landschaftsmaler emporgearbeitet. Die Kritik zählte seine Bilder schon damals zu den hervorragenderen Leistungen der Zeit, und die Künstler stimmten derselben bereitwilligst zu, ja es fanden sich sogar vereinzelte Schüler ein, die an seinem Beispiel zu lernen gedachten. Aber Lier selbst war nicht mit sich zufrieden. Zwar hatte er in Zimmermanns Schule tüchtig zeichnen gelernt und durfte sich auch in malerischer Hinsicht mit der Mehrzahl seiner Kollegen messen, aber es fehlte seinen Schöpfungen ein gewisses Etwas, das ihm selbst nicht klar war und das er zu erringen sich vergebens mühte. In diesem dunkeln Drange machte er sich, nachdem er sich im Jahre 1858 verheiratet hatte, im Jahre 1861 nach Paris auf in der Hoffnung, dort die Lösung des Rätsels zu finden. Sein Wunsch schien sich jedoch nicht zu erfüllen. Damals war die französische Landschaftsmalerei zu einer Blüte gelangt, wie sie kaum je wieder ihres Gleichen finden wird. Auf Lier aber wirkten die Werke der großen Meister zunächst nur abstoßend ein; was er sah, wollte sich mit seinen Münchener Anschauungen durchaus nicht vereinigen lassen, und so kehrte er nach einem mehrmonatlichen Aufenthalt in Paris und einem kurzen Ausflug an die Küste der Normandie unbefriedigt in die Heimat zurück. Die gewonnenen Eindrücke waren indessen zu mächtig und nachhaltig, als daß er sie hätte abschütteln können. Wer seine Arbeiten aus den nächsten Jahren unter diesem Gesichtspunkte prüft, wird deutlich erkennen, wie allmählich die Pariser Einflüsse bei ihm zum Durchbruch kommen. So malte er z. B. im Jahre 1863 in ziemlich großem Maßstab das Flußbett der Isar bei Sonnenuntergang, »dessen in sanfte Dämmerung gehüllter Vordergrund mit dem räderdurchfurchten Kiesufer und den stillen Altwassern, in deren glatten Flächen die klare schimmernde Abendluft sich spiegelt, bereits als ein schöner Vorläufer von seiner besten Zeit erscheint.« Neben den größeren Darstellungen von Flachlandschaften, bei denen der Schwerpunkt in der Behandlung des weiten Horizontes zu suchen ist, entstanden damals mehrere kleinere Bilder, die ein enger begrenztes Terrain mit viel Glück wiedergeben. »Bald ist cs«, sagt der Berichterstatter der »Dioskuren«, (Jahrg. IX. 1864, S. 188.)von ihnen, »der Hof eines Bauernhauses, das mächtige Bäume gegen die Wut der Stürme schützen, bald ein enges Thal, in dem ein frischer Gebirgsbach die Mühle treibt, bald ein lauschiges Plätzchen, wo zwischen Erlen und Ulmen eine Quelle rauscht, die von einem halbverwitterten Wehr gestaut wird. Lier erwarb sich früh den Namen eines tüchtigen Koloristen und gewann seit Jahren mit jedem neuen Bilde an Feinheit der Farbe, während er zugleich ein für den Rhythmus der Linie fein gebildetes Auge besitzt.«
Derartiges Lob vermochte Lier in seinem strengen Urteil gegen sich selbst nicht irre zu machen. Er hatte allmählich die Überzeugung gewonnen, daß er nur in Paris das, was ihm mangelte, erlernen könne, und setzte deshalb alles daran, um einen längeren Aufenthalt daselbst zu ermöglichen. Im Jahre 1864 reiste er also zum zweitenmal nach Paris, diesmal in Begleitung seiner Gattin, welche als eine Art von Reisemarschall seine geringen Mittel vortrefflich verwaltete, und wurde, bereits 38 Jahre alt, noch einmal Schüler, indem er sich unter die Leitung von Jules Dupré begab und den Herbst und Winter in dessen Nähe zu Isle-Adam an der Oise verbrachte. Sein Hauptaugenmerk war hier vor allem darauf gerichtet, die Wahrheit des Tones zu erreichen. Dupré ließ ihm zu diesem Zweck vornehmlich Stillleben malen, bei denen es weniger auf die Schönheit des Arrangements, als auf die möglichst getreue Erfassung der Farbenwerte ankam. Gleichzeitig vertiefte sich Lier in die Werke seines Lehrers und kopirte eine Reihe derselben, nachdem er schon vorher die Landschaften der Niederländer, namentlich aber Hobbema im Louvre studirt hatte. Die Frucht dieser mühevollen Arbeitszeit sollte rasch gezeitigt werden und die Entschädigung für so mancherlei Entbehrungen und Einschränkungen nicht ausbleiben. Denn als Lier nach einem mehrmonatlichen Aufenthalt in England und einem Besuch bei Verwandten in Mecklenburg, im Sommer 1865 nach München zurückgeckehrt war und daheim sein erstes Bild nach den bei Dupré gewonnenen Anschauungen, ein Motiv aus Mecklenburg in Abendstimmung, vollendet hatte, fühlte er, daß er mit demselben ein Werk geschaffen habe, das seinen eigenen Anforderungen genügte. Seit dieser Zeit war er sich über das Wesen der Landschaftsmalerei klar, und die von Jahr zu Jahr wachsende Anerkennung, namentlich aber der Beifall der Künstler, die bald die von ihm angewandten Prinzipien anzunehmen anfingen, brachte ihm die Gewißheit, daß er den richtigen Weg gefunden hatte.
(Schluß folgt.)
Adolf Lier.
Mit Abbildungen.
(Schluß.)
Fragt man, worin der Unterschied seiner Bilder vor und nach dem Pariser Aufenthalt besteht, so ist es schwer, denselben mit Worten darzulegen. Zunächst tritt der gewaltige Fortschritt in der koloristischen Behandlung in den Werken seiner zweiten Periode vor denen der ersten deutlich genug hervor. Es sind oft nur kleine Nüancen, die sich kaum beschreiben lassen, die aber dem nur einigermaßen geschulten Auge sofort bemerklich werden. Wenn Lier einst in einer bestimmten Manier und nach fertigen Recepten gemalt hatte, so hielt er sich jetzt auf das engste an die Natur, der er sich mit einer Innigkeit und Selbstlosigkeit hingab, wie sie sich nur selten wieder finden wird. Seine Studien nach 1864 leisten in dieser Hinsicht das Höchste und umfassen fast alle Beleuchtungen, die in der Natur vorkommen. Die gewählten Motive sind dagegen die einfachsten, denn Lier war fortan darauf bedacht, die Schönheit in der Wahrheit und Einfachheit zu finden und durch sie zur Poesie zu gelangen. Aus diesem Grunde verschmähte er es, wie früher eine Menge an sich reizvoller Details in seinen Bildern anzuhäufen; es kam ihm vor allen Dingen auf die Einheitlichkeit der Stimmung an, durch welche die Landschaft erst ihre Seele erhält. Mit einem Blick muß das Auge das Centrum des Bildes erfassen, das Interesse darf nicht durch die Vielheit der Erscheinungen zersplittert werden; die Einzelheiten sind durch einen Gesamtton, wie ihn die Natur selbst stets zeigt, zusammenzuhalten. Der Staffage kann daher nur eine nebensächliche Bedeutung zuerkannt werden, ja für den feineren Sinn ist sie schließlich ganz entbehrlich. Nach diesen Grundsätzen ungefähr pflegte Lier seit 1864 zu arbeiten, ohne daß er sie bei seiner naiven Art zu schaffen je genauer formulirt hätte. In das Gebirge zog er seitdem nur zum Vergnügen oder um sich zu erholen; seine Studienplätze lagen dagegen durchweg in der Ebene. Er arbeitete unter anderem in der Umgegend von Dachau, in Pang, Seefeld, Übersee und Polling, Orten, die einst von den Malern kaum beachtet worden waren, seitdem aber immer mehr in Aufnahme gekommen sind. Die Studien wurden an Ort und Stelle in Öl auf das Sorgfältigste ausgeführt und gelegentlich auch gleich mit den sich darbietenden Menschen und Tiergestalten versehen, um auf diese Weise von vornherein die richtige Beleuchtung auch für sie zu gewinnen. Mit der Vollendung der Studie war jedoch für Lier in den meisten Fällen das Interesse an dem Vorwurf erschöpft. »War sie fertig«, so erzählt Otto Baisch (»Vom Fels zum Meer« 1883, Sp. 439.) in seinem vortrefflichen Aufsatz über den Künstler, »so stellte er sie in den Schrank, aus dem er sie zu eigener Benutzung selten hervorholte. Sein Gewinst war die natürliche Erscheinung selbst, die er während des Malens tief in seinen Geist aufsgenommen hatte. Umgekehrt pflegte er in seinen Bildern nur die Stimmungsmomente zu reproduziren, die er seinem Gedächtnis eingeprägt hatte. Wenige Striche, die er in sein Skizzenbuch gezeichnet, genügten ihm als äußere Anhaltspunkte. Alles andere, alles das, worauf es ihm bei dem Bilde eigentlich ankam, reproduzirte er von innen heraus. Erfüllt von dem Eindruck, den er darzustellen beabsichtigt, wußte er denselben binnen kürzester Frist auf die Leinwand zu zaubern. Ein heute begonnenes Bild stand morgen schon in der Gesamtwirkung fertig da. Was er weiter daran that, betraf nur jene formelle Ausfeilung, wie sie von dem vollendeten Kunstwerk verlangt wird. Gelang es ihm einmal ausnahmsweise nicht, am zweiten oder spätestens am dritten Tage das Bild in seiner Totalwirkung fertig zu bringen, so stellte er es weg, um es nie wieder vorzunehmen. Ein solches Versagen des ersten Entwurfes war ihm ein Merkzeichen, daß seine künstlerische Intuition in einem derartigen einzelnen Falle nicht lebhaft genug gewesen war, um ein seinen eigenen hohen Anforderungen gemäß künstlerisch lebenskräftiges Werk frischweg zutage zu fördern, und nie machte er den unglücklichen Versuch, seinem künstlerischen Genius mühsam abzuringen, was derselbe nicht thatenfreudig von selbst spendete.«
Das obenerwähnte Bild aus Mecklenburg fand bald einen Liebhaber, indem es durch Vermittelung des österreichischen Kunstvereins in den Besitz des Grafen Hoyos in Wien überging. Leider fehlte dasselbe auf der von der Direktion der königl. Nationalgalerie zu Berlin im März und Mai 1883 veranstalteten Sonderausstellung von Liers Werken, ebenso wie die 1867 entstandene »Mondnacht an der Oise« in der Dresdner Galerie, da das Gesuch um Überlassung an maßgebender Stelle abgelehnt worden war. Dies war aber um so mehr zu beklagen, als gerade das letztere Bild mehr als alle anderen den Einfluß Dupré's verrät, indem es denselben tiefen, der natürlichen Beleuchtung nicht vollkommen entsprechenden Ton besitzt, wie er an den von Lier gefertigten Kopien nach Dupré zu bemerken ist. Schon in den folgenden Bildern machte sich jedoch Lier von der Art seines Meisters ziemlich frei, um fortan wieder seine eigenen Wege zu gehen und nur die Natur als Führerin anzuerkennen. Leider fehlten die Schöpfungen der nächsten Jahre, welche von seinen Schülern einstimmig als seine bedeutendsten angesehen werden, auf der Berliner Ausstellung fast sämtlich, so daß dieselbe gerade die Blütezeit des Künstlers nicht zur Anschauung brachte, wenn sie auch das Studienmaterial vollständig vereinigt hatte. Für die Pariser Ausstellung des Jahres 1867 hatte Lier zwei Bilder gemalt und erregte durch sie zum erstenmal die Aufmerksamkeit größerer Kreise. Sie waren sowohl dem Gegenstande als auch der Behandlung nach so einfach wie möglich. Otto Baisch (A. a. O., S. 423.) schildert sie in folgender Weise: »Das eine derselben, das in breitgestrecktem Format ausgeführt ist, zeigt eine zu beiden Seiten mit Bäumen besetzte Landstraße, die, von herbstlichen Morgennebeln umlagert, sich perspektivisch in das Bild hineinzieht. Das andere, ein bescheidenes Hochformat, führt uns auf eine von blassem Mondschein matt erhellte Dorfgasse in England. Der fesselnde Reiz beider Gemälde liegt in der außerordentlichen Feinheit, mit welcher die betreffenden Naturstimmungen beobachtet und unter Anwendung der bescheidensten Mittel in packender Weise wiedergegeben sind. Hier der flimmernde Silberton des Herbstmorgens, der durch seinen halb durchsichtigen, halb verschleierten Nebel der schlichten Landschaftspartie mit ihren bereits entblätterten Bäumen ein die Phantasie lebhaft anregendes und beschäftigendes poetisches Gepräge verleiht; da der zitternde Mondschein, innerhalb dessen die Umrisse der Gegenstände verschwimmen und nur die in die sanft durchleuchtete Luft hinaufragenden Äste der Bäume und die Giebel der englischen Dorfhütten ihre Formen zu bestimmter Geltung bringen.«
Unter den Gemälden des folgenden Jahres verdienen zwei eine besondere Hervorhebung; das eine derselben, gegenwärtig in Privatbesitz zu Frankfurt a. M., stellt eine »Partie an der Elbe bei Pillnitz« vor, welche von Segelschiffen und Boten reich belebt ist, während im Hintergrund der Rauch eines Dampfers aufsteigt, das andere eine »Partie am Kanal bei Schleißheim«, von der wir einen Holzschnitt nach einer leider ziemlich unvollkommenen Photographie bringen. Lier hat dieses Motiv zweimal behandelt, zuerst in Morgenstimmung, und später mit abendlich glühendem Horizont, wie er überhaupt wiederholt die Umgegend des Schleißheimer Schlosses für seine Zwecke verwertet hat. Unter seinen Bleistiftskizzen findet sich jedoch nur ein kleines Blatt, auf dem mit wenigen Strichen die Umrisse für die erwähnten beiden Bilder festgehalten sind.
Mit welchem Fleiße Lier damals arbeitete, ohne sich dabei Flüchtigkeiten zu schulden kommen zu lassen, das konnte man am besten auf der Münchener internationalen Kunstausstellung des Jahres 1869 sehen. Denn obwohl er von den Vorbereitungen und der Durchführung dieses so glänzend gelungenen Unternehmens als einer der Vertrauensmänner der Künstlerschaft ungemein in Anspruch genommen war und obendrein im Auftrage derselben eine längere Reise nach Paris und Belgien auszuführen hatte, um persönlich die dortigen Künstler zur Teilnahme aufzufordern, fand er doch Zeit selbst mit sechs neuen Schöpfungen auf der Ausstellung zu erscheinen. Mit ihnen stellte er sich zum erstenmal seinem großen Münchener Kollegen Eduard Schleich ebenbürtig zur Seite; ja es fehlte nicht an Stimmen, welche seine Arbeiten sogar über diejenigen Schleichs stellten. Friedrich Pecht berichtete damals in der Allgenmeinen Zeitung (Jahrg. 1869. Nr. 265. S. 4091) über das Verhältnis der beiden Rivalen, das persönlich fort und fort ein freundschaftliches blieb, wie folgt: »Strenger, einfacher und von größerer unmittelbarer Wahrheit, besonders des Details, weniger genial schwungvoll und prächtig, aber um so tiefer gemütlich, noch anspruchsloser gefangen nehmend erscheint als eigentlicher Repräsentant der paysage intime bei
uns Lier neben Schleich, dessen anerkanntester Nebenbuhler er allmählich geworden ist. Seine vier Tageszeiten sind wahrhaft überraschende Bilder, besonders der Morgen von einer entzückenden Lichtfülle und Klarheit des silbernen Tons. Gleiche Morgenklarheit breitet ihren Zauber auch über einen weiten Anger aus, auf welchem Vieh weidet, und nur der Vordergrund streift bisweilen in seinem Grün der Lichter und seinem Violettgrau der Schatten noch leise ans Bunte, während eine Isarlandschaft bei München im Abendschein ein vollendetes koloristisches Meisterwerk als Stimmungsbild genannt werden muß.«
Auch während der folgenden Jahre hielt sich Lier auf der erreichten Höhe. Doch würde es zu weit führen, wollten wir hier der ganzen Reihe von Bildern erwähnen, mit denen er fortfuhr, die Anhänger seiner Kunst zu erfreuen. Es mag genügen die »Kartoffelernte« des Jahres 1871 ins Gedächtnis zu rufen, weil kein anderes von Liers Gemälden so sehr den Beweis liefert, daß auch mit den einfachsten Mitteln die größten Wirkungen zu erzielen sind. Lier hatte sich hier, wie Bruno Meyer (Zeitschrift für bildende Kunst, Bd. 6, 1871 S 177) berichtet, »zur Erzeugung des Stimmungstones einer Farbe bedient, in der die verschiedenen Lokaltöne gleichsam latent in einer fast mißfarbigen und doch höchst anziehenden Eintönigkeit enthalten sind«, und damit eine frappante Wirkung erzielt. Noch kühner und gleichgiltiger gegen die herkömmlichen Anschauungen der Schönmalerei verfuhr Lier bei jener »Landstraße im Regen« bei München, welche ihm im Jahre 1873 die Medaille der Wiener Weltausstellung eintrug. Die außerordentliche Wahrheit und Treue der Beobachtung in dieser Landschaft, auf welcher der Regen in vollen Strömen zu Boden fällt, wurde allgemein als ein Meisterstück anerkannt, während gleichzeitig sich niemand dem poetischen Eindruck entziehen konnte, den der Künstler auch diesem an und für sich unerfreulichem Gegenstände abzuringen verstanden hatte (Vgl. namentlich »Die Dioskuren«, Jahrg. 18, 1873, S. 98.).
Inzwischen war Lier an einem gefährlichen Schleimfieber erkrankt, von dessen Folgen er sich nie wieder ganz erholen sollte. Dasselbe legte vermutlich den Grund zu einem hochgradigen, erst nach seinem Tode von den Ärzten erkannten Herzleiden und raubte ihm die frühere Schaffensfreudigkeit, so daß er etwa von dem Jahre 1874 an immer nur in größeren Pausen an der Staffelei beschäftigt war. Als ob er gefühlt hätte, daß sein Lebensabend bald hereinbrechen würde, vertiefte er sich seit dieser Zeit immer mehr in die Schilderung des Abends und des Friedens, der meist kurz vor und nach dem Untergang der Sonne über die Natur sich zu verbreiten pflegt. Die meisten Nummern der Berliner Ausstellung zeigten den Künstler gerade nach dieser Richtung thätig. Wenn daher, wie der Referent der Nationalzeitung (Jahrg. 1883, Nr. 143 Morgenausgabe.) richtig bemerkte, bei Liers Namen »in der Vorstellung der meisten Ausstellungsbesucher ein braunes bayerisches Moos aufsteigen wird, mit klarem, ruhigen Wasserspiegel im Vordergrund, einem schmalen Nebelstreif über dem niedrigen Ufer und einem großen wolkenlosen Himmel von sorgfältiger Abtönung, an dessen Horizont vielleicht noch ein Schimmer der fernen, beschneiten Berggipfel glänzt«, so gilt diese Charakteristik wohl im allgemeinen für die Mehrzahl von Liers letzten Werken, nicht aber, wie aus unserer Darstellung deutlich hervorgehen dürfte, für die Blütezeit seines Schaffens. Daß er aber neben der Abendstimmung auch in späteren Jahren die anderen Stimmungen des Tages gepflegt, beweist z. B. auch der »Frühlingsmorgen« des Jahres 1878, ein Bild von wunderbarer Feinheit des Tones und einer Zartheit der Linien, die in der dem vorigen Hefte beigegebenen Radirung nur unvollkommen angedeutet werden konnte.
Die gestörte Gesundheit nötigte Lier auch, seine Schule bereits im Jahre 1873 oder 1874 wieder aufzugeben, obwohl er gerade auf diese Seite seiner Thätigkeit stolz sein durfte, da er mit keinem seiner Schüler einen Mißerfolg, vielmehr mit den meisten die größten Erfolge gehabt hatte. Er eröffnete die Schule im Herbste 1869, nachdem er schon im Sommer vorher einen Teil seiner Schüler in Dachau um sich versammelt hatte. Die ersten, die in sie eintraten, waren der verstorbene Marinemaler Paul von Tiefenhausen, C. von Malchus, Kubinsky, Hermann Baisch und Charles Miller aus New-York. Im Laufe des Jahres 1870 kamen Josef Wenglein, Gustav Schönleber und Richard von Poschinger hinzu, zu denen sich bald darauf auch eine Dame, Fräulein Marie Kirschner, gesellte. In den letzten Jahren hatte sich dann noch der ihm persönlich befreundete Josua von Gietl seiner Leitung zu erfreuen. Wie es aber seine Stellung als Haupt einer verheißungsvoll auftretenden Schule mit sich brachte, so nahmen auch zahlreiche andere Landschaftsmaler in München seinen Rat in Anspruch, so daß man seinen Einfluß auf die jüngeren Vertreter dieses Kunstzweiges wohl mit dem vergleichen kann, den einst Piloty auf die Münchener Historien- und Genremaler ausgeübt. Auch hierin zeigte er sich diesem berühmten Lehrmeister ähnlich, daß er soviel als möglich dem einzelnen seine Eigentümlichkeit ließ und es vermied, ihm eine seiner Natur fremde Richtung aufzudrängen. Dadurch erklärt sich ein Teil des Erfolges, zumal da er es nur mit talenvollen Jüngern zu thun hatte. Wer sich die Werke eines Schönleber, Baisch und Wenglein vor Augen stellt, wird sofort erkennen, daß in ihrer Art zu schaffen kein geringerer Unterschied obwaltet, als er z. B. unter den Pilotyschülern Makart, Max und Defregger besteht. Ein besonderes Verdienst aber erwarb sich Lier durch sein Beispiel in specieller malerischer Hinsicht. »Wenn man in München gegenwärtig durchschnittlich besser malt als sonst in Deutschland«, urteilte Rosenberg kürzlich in diesen Blättern (1884. Bd. 19, S. 134.), »so gebührt das Verdienst dafür in erster Linie Diez, Lier und Löfftz.«
Im Verhältnis zu dieser umfassenden Wirksamkeit fielen die dem Künstler zuerkannten äußeren Ehrenerweisungen nicht eben reichlich aus. Doch hat er nach dergleichen Dingen bei seinem bescheidenen Wesen nie verlangt und blieb daher ganz gleichgültig, wenn Freunde und Schüler über diesen Mangel zu klagen anfingen.
Eine akademische Thätigkeit in München wäre ihm vielleicht in jüngeren Jahren nicht unerwünscht gewesen; als sie ihm außerhalb von verschiedener Seite angeboten wurde, lehnte er von vornherein jede Berufung ab, ohne die bei solchen Gelegenheiten übliche Reklame in Bewegung zu setzen. Die bayerische Hauptstadt, in der er sich seit 1868 ansässig gemacht hatte, mit ihrer bei aller ultramontanen Gesinnung doch vorwiegend gesunden und frischen Bevölkerung, vor allem aber die an eigenartigen Reizen so reiche Umgebung derselben, die in hervorragendem Grade das ist, was die Franzosen »paysage intime« nennen, war ihm zu lieb geworden, als daß er sich auf die Dauer von ihr hätte trennen mögen. – Als sein Leiden immer schlimmer wurde, gab er endlich dem Rate der Ärzte, nach dem Süden zu gehen, Gehör. Doch sollte er das von ihm ins Auge gefaßte Reiseziel nicht mehr erreichen. Er starb unterwegs am 30. September 1882 zu Vahrn bei Brixen und wurde am 4. Oktober auf dem südlichen Friedhof in München zur Ruhe bestattet.
»Sein letztes Werk«, heißt es in dem Nekrolog der Münchener Neuesten Nachrichten, (4. Okt. 1882.) »ist die (in den Besitz des bayerischen Staates übergegangene) in abendliche Dämmerung gehüllte Theresienwiese mit der Ruhmeshalle und Bavaria im Hintergrund. Hoch hält die Bavaria den Lorbeerkranz empor, sie reicht ihm sicher jetzt auch dem Verstorbenen dar, der ihn, als der besten einer, wohl verdient hat.«
Zeitschrift für Bildende Kunst. Leipzig, 1887.
Lier Adolf, 1826 (Hermhut/Sachsen) 1882, Landschaftsmaler; nach Studien in seiner Heimat wurde L. 1849 in München Schüler von Richard Zimmermann; Aufenthalte in Frankreich und England beeinflußten Ls. französische und englische Landschaftsmotive; seit 1865 hielt er sich dauernd in München auf, wo er später hauptsächlich landschaftliche Stimmungsbilder aus der Münchner Umgebung schuf.
Hauptwerke: Kanallandschaft von Schleißheim, Landstraße bei München im Regen, Abend an der Isar, Theresienwiese mit Ruhmeshalle; L. hat einen großen Einfluß auf die neuere Richtung der Münchner Landschaftsmalerei ausgeübt.
© Dr. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.