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Prof.
Dr. phil. h. c.
Max Zenger
Hofmusikdirektor
Musikschriftsteller
1837 – 1911
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Zenger, Franz Xaver, Dr.; 28.11.1798 (Stadtamhof) – 30.6.1871 (München), Opfer kirchlicher Verfolgung; Jurist
Zenger, Maria Luise; – 7.9.1866 (München), Opfer eines Verkehrsunfalls
Zenger, Max, Dr. phil. h. c.; 2.2.1837 (München) – 16.11.1911 (München); Dirigent, Komponist und Musikschriftsteller
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* 2.2.1837 (München)
† 16.11.1911 (München)
Dirigent, Komponist und Musikschriftsteller
Max Zenger.
Max Zenger, einer der hervorragendsten deutschen Komponisten der Gegenwart, wurde zu München am 2. Februar 1837 geboren. Sein Vater war der o. ö. Professor der Rechte an der dortigen Hochschule, Dr. Franz Xaver Zenger. Von demselben ursprünglich zum Studium der Rechtswissenschaft bestimmt, errang er sich durch die Komposition eines Streichquartetts und andere von unzweifelhaftem Talente zeugende Jugendarbeiten endlich des Vaters Erlaubnis, sich gänzlich der Musik widmen zu dürfen, einer Kunst, der er sich indes erst völlig in die Arme warf, nachdem er der Laufbahn eines Landschafters, auf der ihm keine Geringeren als Heinrich Bürkel und Wilhelm von Kaulbach Erfolg versprachen, nicht ohne Kampf entsagt hatte. Zenger stand bereits im 20. Lebensjahre, als er zum ersten Male in seiner Vaterstadt öffentlich mit Kompositionen auf dem Gebiete der Kammermusik hervortrat, welche damalige Münchener Blätter als dem Ouslowschen Genre verwandt bezeichneten. Um diese Zeit siedelte sein Lehrer Ludwig Stark, der bekannte Mitverfasser der Lebert-Starkschen Klavierschule, nach Stuttgart über, nachdem er durch eine kaum halbjährige Unterweisung Zengers in Harmonie und Kontrapunkt die Entstehung jener Erstlingsversuche ermöglicht hatte. Von nun an war Zenger Autodidakt und blieb es auch während seines Aufenthaltes zu Leipzig 1859/60, woselbst er sich jedoch durch den Besuch der damals von Julius Rietz geleiteten Gewandhauskonzerte sowohl Sicherheit der Instrumentation, als auch die ersten Kenntnisse in der Einübung des Orchesters erwarb. In die Zeit nach dieser Leipziger Periode fällt die Komposition eines Klaviertrios in D-moll, später als op. 17 bei Siegel, und zweier Gesänge aus Goethes Faust: »Neige, du Schmerzenreiche« und: »Meine Ruh ist hin«, als op. 31 bei Kistner erschienen, welch beiden von Münchener Blättern bereits eine entschiedene Bedeutung zugemessen wurde. Weniger Glück hatte die in München unter Franz Lachner 1862 nur drei Male aufgeführte Oper »die Foscari«, deren Achtungserfolg jedoch mehr der unglücklichen Wahl des Textes als der Musik zugeschrieben wurde, welch letztere man dagegen »schwungvoll, charakteristisch und dramatisch, meist originell und durchaus edel« fand. Seine zweite Oper »Ruy Blas«, welche bald darauf entstanden, aber erst 1868 in Mannheim und München, später in Regensburg und Breslau aufgeführt worden ist, zeigt gegenüber jenem Erstlingswerke einen unverkennbaren Fortschritt in der Technik, namentlich in der Behandlung der Singstimmen, worüber in der badischen Landeszeitung eine Korrespondenz aus Mannheim berichtete: »Den größten Vorzug, welchen diese Oper vor den meisten, wenn nicht vor allen derartigen Erzeugnissen der Neuzeit voraus hat, finden wir in der weisen Bedachtnahme der Singstimmen als des herrschenden Elementes, welches von all der feinen orchestralen Charakterisierung, worin sich der Komponist als Meister bekundet, nicht unterdrückt oder gestört, sondern vielmehr gehoben wird. — Zenger kennt wie wenige Komponisten der Neuzeit die Macht des Gesanges.«
Eine ausführliche, sehr beifällige Besprechung dieser Oper, insbesondere nach der musikalischen Seite hin, enthält die Mainzer süddeutsche Musikzeitung in der Nummer vom Juni und Juli 1868. Gleichwohl konnte sich die Oper, welche das seltsame Schicksal hatte, in München wie in Mannheim als Novität in unmittelbare Konkurrenz mit Wagners Meistersingern treten zu müssen, an keiner der genannten Bühnen halten, und wiederum lag die Schuld am Texte, welcher der geschickten Mache des Viktor Hugoschen Dramas, nach dem er bearbeitet ist, gänzlich entbehrt. Einen glänzenden Erfolg dagegen erzielte Zenger mit seinem Oratorium Kain (von Theodor Heigel nach dem gleichnamigen Mysterium Byrons sehr geschickt bearbeitet), einem Werke, welches überall, wo es zur Aufführung gelangte, einer zündenden Wirkung nicht verfehlte und von der Kritik mit seltener Einmütigkeit als ein »auf der Höhe zeitgemäßer Kunstanschauung stehendes Werk« begrüßt wurde. Es wurde in Stuttgart, München, Frankfurt, Leipzig, Schwerin, Solothurn, Innsbruck und neuerlich in Barmen aufgeführt und trug den Ruf seines Autors auch über die Grenzen deutscher Zunge, indem es Monstre-Aufführungen unter Verhulst's Leitung in Amsterdam erlebte. Das gewichtigste Zeugnis erteilte diesem Werke Moritz Hauptmann, der dem Komponisten, als dieser es ihm im Freundeskreise aus der Partitur vorspielte, versicherte, es freue ihn, in seinem Alter noch dieses durchaus schöne Werk kennen gelernt zu haben.« An diesem Ausspruche hinderte den geistreichen, immer objektiv bleibenden Kritiker auch nicht die Wahrnehmung, daß Zenger im »Kain« die Bahn des Händelschen und Mendelssohnschen Oratoriums insofern verlassen hatte, als er seine Personen dramatisch ein- und durchführte, von der Erzählung ganz Umgang nahm und den Chor (Engel und Dämonen) als Personifikation der in Kains Seele widerstreitenden Gefühle und Gedanken darstellte. Von seinen geringen Erfolgen auf dem Gebiete der historischen Oper zum Teil entmutigt, zum Teil wohl aus wahrer Begeisterung für die germanischen Sagen wählte nun Zenger die Sage von »Wieland dem Schmied« und arbeitete an der neuen romantischen Oper dieses Namens, wozu ihm sein Neffe Dr. Philipp Allfeld den Text gedichtet, mehrere Jahre. Aus den verschieden gefärbten, teils animos gegnerischen, teils hoch begeisterten Berichten über diese an der Münchener Hofbühne zum Öfteren gegebene Oper geht hervor, daß Max Zenger nichts Geringeres beabsichtigte, als zwischen zwei bisher unversöhnlich scheinenden Richtungen eine Versöhnung, zum mindesten ein Kompromiß herzustellen.
Daß sich indes diejenigen, welche seit der Veröffentlichung dieser Oper Zenger zu den »Überläufern in das andere Lager« rechnen, im Irrtum befinden, dürfte schon aus der Thatsache erhellen, daß Zenger gleichzeitig mit seinem »Wieland« Recitative zu Mehuls »Josef in Ägypten« mit einem verständnisvollen Eingehen in dieses Meisters Eigenart geschrieben hat, womit er ebensoviel Kenntnis des Letzteren, als Liebe für diese Oper verrät, sowie daraus, daß die Komposition dreier Balletts (mit Stoffen aus der Zeit Ludwigs XIV und XV), für die Separat-Aufführungen vor Bayerns König Ludwig II bestimmt, gerade Zenger übertragen und von ihm derart ausgeführt worden ist, daß die Hofmusiker zu ihrer größten Überraschung eine klassische Musik aus dem vorigen Jahrhundert zu spielen glaubten. Für Zengers künstlerischen Charakter zeugen indes am besten seine allerorts beliebten Männerchöre, in welchen er durch eine kernige Melodik und stets geistvolle Behandlung der Texte der gerade auf diesem Gebiete immermehr um sich greifenden Verflachung wirksam entgegentritt, (als jüngstes Opus sind zu nennen »Stieleriana«, 6 Männerchöre nach Gedichten seines verstorbenen Freundes Karl Stieler, (bei Fr. Kistner in Leipzig) unter welchen Nr. 5 »Der Guckezer (Kukuk)«, eine den drastischen Gebirgshumor des Gedichtes köstlich wiedergebende Komposition, bereits große Verbreitung erlangt hat), ferner die beträchtliche Anzahl seiner 4 und 5 stimmigen gemischten Gesänge und Lieder mit und ohne Klavierbegleitung, (neuerlich die bei C. F. W. Siegel in Leipzig erschienenen 7 fünfstimmigen Chorgesänge mit verschiedener Stimmenmischung op. 49), endlich die prächtige, Josef Rheinberger gewidmete vierhändige Klaviersonate in As-dur (München, bei Alfr. Schmid).
Eine Würdigung seiner künstlerischen Bestrebungen und Leistungen ist Zeuger in letzter Zeit durch die Münchener Generalintendanz widerfahren, welche ihn beauftragt hat, zu den beiden Teilen von Goethes Faust die Musik zu schreiben. Ein Einblick in deren Partitur läßt ersehen, daß der Goethesche Geist voll erfaßt worden, und daß diese Faustmusik sich den besten Schöpfungen auf diesem Gebiete ebenbürtig zugesellt. Eines durchschlagenden Erfolges hatte sich ferner das von Zenger im März 1885 veranstaltete Konzert mit eigenen Kompositionen zu erfreuen, ein Erfolg, der noch durch die im Konzerte der musikalischen Akademie in München am Ostersonntage desselben Jahres aufgeführte »tragische Ouvertüre« übertroffen worden und sich zu einer begeisterten Ovation für den Komponisten steigerte.
Nachdem Zenger über ein volles Jahr durch ein schweres Nervenleiden an der Ausübung seines Berufes als Lehrer des Sologesangs an der k. Musikschule München verhindert gewesen und jeder Kompositionsthätigkeit hatte entsagen müssen, geben nunmehr ein achtstimmiges Stabat mater à capella und ein Cyclus Frauenterzetten mit Klavier-Begleitung — wahre Perlen auf diesem Gebiete des Chorgesanges — Zeugnis von seiner wiedererlangten vollen Gesundheit und erwarten seine Münchener Freunde mit Spannung ein von ihm für die Fastenzeit in Aussicht gestelltes Konzert, in welchem er außer diesen Novitäten seine missa solemnis in C-moll (die letzte größere Komposition vor seiner Erkrankung), Violinstücke und neue Lieder für eine Singstimme zur Aufführung zu bringen gedenkt.
Nach all dem darf von dem Schöpfer so vieler trefflicher, von der reichsten Begabung und dem edelsten Streben zeugenden Tondichtungen noch manches gehaltvolle Werk erwartet werden.
J. G.
Der Chorgesang No. 13. Leipzig; 1. April 1887.
Aus aller Welt
Max Zenger.
Nach langer Verzögerung ist Professor Dr. Max Zengers dreiaktige Oper »Eros und Psyche« in München, der Vaterstadt des Komponisten, erfolgreich zur Aufführung gelangt und dürfte von hier wohl ihren Weg auf die andern großen Bühnen nehmen. Ter Text des Werkes ist nach dem anmutigen Märchen des Apulejus von dem Wiener Wilhelm Schriefer geschrieben worden. Am 2. Februar 1837 geboren, bildete sich Max Zenger, nachdem er in der Vaterstadt unter Ludwig Stark die ersten Proben seines Kompositionstalentes abgelegt, in Stuttgart an Bach, Händel und Gluck weiter, um dann 1859 in Leipzig, bei Rietz auf gleicher Spur weiterwandelnd, Selbständiges auf dem Gebiete des Liedes und der Symphonie zu schaffen. Mit seiner Oper »Die beiden Foscari« trat er 1861 hervor und erzielte einige Jahre später noch größeren Erfolg mit der Oper »Ruy Blas«. Weiter folgte »Wieland der Schmied«, den er 1892 neu bearbeitete, während neben seinen vielgesungenen Liedern und Chören das mächtige Oratorium »Kain« und die treffliche Faustmusik seinem Namen Ansehen verliehen. Nachdem Max Zenger einige Zeit als Hofkapellmeister in Karlsruhe gewirkt, wurde er 1878 zum Dirigenten des Münchener Oratorienvereins und des Akademischen Gesangvereins erwählt; zum sechzigsten Geburtstag wurde er 1897 von der Universität München zum Ehrendoktor ob seiner Verdienste als Komponist und Musikschriftsteller promoviert. Im gleichen Jahre legte er sein Amt an der Musikschule nieder, um sich völlig der Komposition zu widmen. Vorher war er auch Lehrer der Harmonielehre des Solo- und des Chorgesangs an der königlichen Musikschule.
Ueber Land und Meer No. 19. Stuttgart; 1901.
Lokales
München, 20. November
Professor Dr. Max Zenger †. Die Beerdigung des bekannten Komponisten, die am Sonntag nachmittag im südlichen Friedhof stattfand, gestaltete sich zu einer ehrenden Trauerkundgebung. Zum Leichenbegängnis fanden sich ein als Vertreter der Stadtgemeinde Rechtsrat Hörburger und Stadtschulrat Dr. Kerschensteiner, außerdem Direktor Bußmeyer mit Lehrern der Akademie der Tonkunst, Hofkapellmeister Becht mit Mitgliedern des Hoforchesters, Abordnungen des Korps Isaria, des Akademischen Gesangvereins, des Oratorienvereins München und der Bürger-Sängerzunft u. v. a. Nach der Einsegnung ließen unter ehrenden Nachrufen Kränze am Grabe niederlegen die Aktivitas des Korps Isaria, Aktivitas und Allgemeiner Philisterverband des Akademischen Gesangvereins, der Gesangverein Liederhort, die Bürger-Sängerzunft und der Oratorienverein Augsburg. Von der Fülle der übrigen Kranzspenden seien noch erwähnt die »der trauernden Stadtgemeinde München dem um das musikalische Leben Münchens hochverdienten Tonkünstler«, der Akademie der Tonkunst und des Philisteriums des Korps Isaria. Ein Grabgesang der Bürger-Sängerzunft beschloß die Trauerfeier.
Münchner Neueste Nachrichten No. 543. Dienstag, den 21. November 1911.
Theater und Musik
Max Zenger †
Eine der bekanntesten Erscheinungen aus dem Kreise älterer Münchener Musiker, Komponist Professor Max Zenger, ist dieser Tage aus dem Leben geschieden. Der Künstler, der ein Alter von fast fünfundsiebzig Jahren erreichte, konnte auf ein an Arbeit und Erfolg reiches Leben zurückblicken. Am 2. Februar 1837 zu München als Sohn eines Universitätsprofessors geboren, studierte er anfangs Philologie, sich nebenbei autodidaktisch zum Musiker bildend. Den ersten öffentlichen Erfolg als solcher hatte er gelegentlich der Aufführung seiner »Gretchenszenen« aus »Faust« in einem Akademie-Konzert unter Lachner im Jahre 1861. Nunmehr ganz sich der Musik zuwendend, wurde er Dirigent der Münchener Bürgersängerzunft und betrat dann die Karriere des Theaterkapellmeisters, die ihn im Laufe der nächsten zehn Jahre nach Regensburg, München und Karlsruhe führte. Gesundheitsrücksichten nötigten ihn Ende der siebziger Jahre, sich nach einer ruhigeren Position umzusehen. So wurde er zunächst Dirigent des Münchener Oratorien- und des Akademischen Gesangvereins, dann Lehrer für Chorgesang und Harmonielehre an der Kgl. Musikschule. Die Komposition dreier Ballette im Rokokostil für die Separatvorstellungen König Ludwigs II. brachten ihm die Ernennung zum königlichen Professor ein; zu seinem 60. Geburtstage ehrte ihn die Münchener Universität durch Verleihung des Doktortitels.
Am Münchener Musikleben war er im übrigen nicht nur als praktischer Musiker, sondern auch als Schriftsteller, speziell als Musikreferent der »Allgemeinen Zeitung« beteiligt. Mit zunehmendein Alter zog er sich von der Oeffentlichkeit mehr und mehr zurück: nur als Dirigent eigener Werke erschien er in den letzten Jahren noch hin und wieder auf dem Konzertpodium. Sein kompositorisches Schaffen umfaßt so ziemlich alle Kunstformen; weitaus am bedeutendsten ist sein Oratorium »Kain« (nach Byron, 1867). »Aus der Tonsprache dieses Werkes läßt sich eine vornehme Künstlernatur von überlegener Bildung vernehmen, die sich in gewählten Formen mit Einfachheit ausdrückt und bei äußerlicher Ruhe warm empfindet. Die eigensten und fesselndsten Töne hat Zenger für die Engelchöre und die Partien der Ada und des Kain gefunden. Aus der letzteren (Bariton) gelangt zuweilen die von edlem Liebesgefühl bewegte Szene »Ihr schönen Sterne« zum Einzelvortrag.« (H. Kretzschmar, Führer durch den Konzertsaal.) Zeitenweise Beifall haben ferner zwei Opern »Wieland der Schmied« und »Eros und Psyche« gefunden; auch von den Liedern wie der instrumentalen Kammermusik hat sich Verschiedenes gehalten; besonders beliebt sind aber vor allem viele seiner (aus der Vereinsdirigenten-Tätigkeit hervorgegangenen) Chorgesänge. Der Stil Zengers war stark der Vergangenheit zugeneigt und in dieser Beziehung manchmal auffallend dem Brahmsschen verwandt.
—tz.
Allgemeine Zeitung Nummer 47. München; Samstag, den 25. November 1911.
Eine Erinnerung an Max Zenger.
(† am 18. November 1911.)
Von Max Steinitzer.
Ich war noch so affenjung, daß eine einfache zweistellige Zahl keinen deutlichen Begriff davon gibt, als ich mit einem lyrischen Operntext im Gewände zu Zenger schlich, den ich, wenn ich nicht sehr irre, in der Münchener »Wurstküche« flüchtig kennen gelernt. Seine Oper »Wieland der Schmied« war eben am Hoftheater gegeben worden; die im Oratorienverein gehörten reizvollen Chorlieder für Frauenstimmen aber hatten in mir die Vorstellung einer anderen Grundrichtung seiner Begabung erweckt. Ich habe es Zenger nie vergessen, wie direkt kollegial er trotz meines jugendlichen Alters mit mir verkehrte, und wie er die Komposition des Textes nach dessen Durchsicht sofort in derartige Erwägung zog, daß er z. B. gleich die zu einem szenischen Umbau erforderliche Zeit als für fortlaufende Verwandlungsmusik zu lange berechnete und mich deshalb einen »praktikablen Erker« zu streichen bat usw. Mit der ganzen Offenheit eines echten Charakters zeigte er mir in der Partitur seines Wieland die Stellen, die er für einen Ausfluß der »Wagnerkrankheit« hielt, und zog Parallelen zwischen sich selbst und einem zweiten damaligen »Modernen« Bayerns, Cyrill Kistler, wobei freilich auch für diesen mancher deutsche Hieb abfiel. Aber ein großes Bedenken hatte Zenger sofort, und in der Art, wie er es aussprach, zeigte sich eine häufige Eigenart des echten Müncheners: feine, ja zarte, keusche Empfindung in betreff des Erotischen bei vollkommenster Drastik des wörtlichen Ausdrucks. Mein Stoff war romantischer Art. Ein Prinz entführt eine Königstochter in sein einsames Waldschloß, hält sie jedoch rein, bis er für den Bund den Segen der Kirche erlangen kann, wozu vorläufig keine Aussicht ist. Sie weilt im verglimmenden Tag auf einer Steinbank vor dem öden Schloß; er steht vor ihr in stummer Qual; an ihr, die sein Leiden nicht ganz begreift, nagt es, ihn liebevoll und doch zurückhaltend und unglücklich zu sehen. Da tritt ein Vasall ihres väterlichen Hofes auf; der Prinz zieht kampfbereit sein Schwert, aber jener naht friedlich; er verkündet, daß auf den Wunsch der Eltern der Bischof des Landes den Bund der beiden in absentia gesegnet habe, entrichtet gleich als erster seinen Glückwunsch — und empfiehlt sich eilig, um den Eltern die Auffindung des Paares und den Vollzug seines Auftrages zu melden. Sie bleiben allein; der Mond steigt herauf.
»Der Abschluß ist unmöglich,« sagte Zenger ganz bestürzt. »Jeder Mensch im Theater weiß ja, was die zwei jetzt tun. — Begehren, Verlangen, meinetwegen, dazu ist die Musik da, aber die Erfüllung, so deutlich — es wird Nacht, und die zwei gehen hinein — nein, mein Lieber — sowas komponiere ich nie! — Er erging sich in leidenschaftlichen Klagen über den Text von Carmen und verwandte Stoffe. — »Soweit sind wir jetzt! — Eine Idee muß doch da sein! — ja, wenn zwei einen Helden zeugen wollen! — aber einfach — daß jeder dumme Kerl im Theater geistreich grinst — nein! Denken Sie nach, wie Sie das ändern!«
Als ich wiederkam, war Zenger sehr ernst. »Vorläufig ist's aus mit unsrem Paar! Jetzt habe ich von Seiner Majestät den Auftrag bekommen, die volle Begleitmusik zu Faust, erster und zweiter Teil, zu schreiben, für die Separatvorstellung. Das bedeutet ein Jahr ausschließliche Arbeit, und für Ihn allein, nur für Ihn persönlich.«
Zwölf Jahre lang sah ich dann Zenger nicht mehr. Es war nach dem Kompositionsabend eines der ultrakonservativsten Münchener. Beim Hinausgehen sang einer neben mir die letzte ganz verboten harmlose Polkamelodie nach, die wir eben von Chor und Orchester gehört.
»Um Gottes willen, nicht wieder anfangen!« bat ich verzweifelt. »Wenn sie wenigstens in C-moll ginge, statt in C-dur!« Da drehte sich ein Herr mit steifem schwarzem Hut auf dem mächtigen Haupt dicht vor mir um und bemerkte laut, mit halb gutmütigem, halb wütendem Hohn: »Damit's noch gemeiner klingt, meinen S'?« Es war der inzwischen grau gewordene Zenger. Da er, wie ich, nicht allein war, wurde in dem Gedränge des Mathildensaalausgangs die alte Bekanntschaft nicht erneuert.
Allgemeine Musikzeitung No. 48. Berlin, Leipzig; 1. Dezember 1911.
Theater und Musik
Aus Münchener Konzertsälen.
Aus unserem Leserkreise geht uns die Anfrage zu, warum bis jetzt keine Münchener Konzertvereinigung an die Veranstaltung einer Max Zenger-Gedenkfeier gedacht habe. Wir wissen diese Anfrage selbst nicht zu beantworten, hoffen aber, daß sie zur Anregung werde, das Versäumte baldigst nachzuholen. Max Zenger hätte es um seine Vaterstadt nicht verdient, wenn der Mottl- nicht auch eine Zenger-Gedenkfeier folgte. D. Red.
Allgemeine Zeitung Nummer 3. München; Samstag, den 20. Januar 1912.
Zenger Max, Dr. phil. h. c., 1837 (München) – 1911, Hofmusikdirektor, Akademieprofessor und Musikschriftsteller; dieser Autodidakt hat schon 22jährig Szenen aus Faust und eine in Leipzig entstandene Symphonie komponiert, die von König Ludwig I. sehr gelobt wurde; sein größter Erfolg war das Oratorium »Kain« (1867, nach Byrons Mysterium); Z. wurde 1869 Musikdirektor an der Münchner Hofoper und 1872 Hofkapellmeister in Karlsruhe, dann in München Dirigent des Oratorienvereins (1878–1885) und Professor an der Akademie der Tonkunst; neben seinen musikalischen Schöpfungen (Opern: »Wieland der Schmied«, »Die Foscari«, »Eros und Psyche«, Balletts, Lieder, Messen, zwei Tedeum und ein Stabat Mater) schrieb Z. auch Biographien über Musiker, einen »Grundriß der Musikgeschichte«, »Meditationen über Sprechton, Ausdrucksweise und Leitmotiv« u. a., seine größte musikliterarische Leistung ist die »Geschichte der Münchener Oper« (aus dem Nachlaß herausgegeben von Theodor Kroyer, 1923).
© Dr. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.