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Ludwig Vollmar
Genremaler
geb. z. SäcKingen ¿ 1842.
gest. z. München ¿ 1884.
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* 7.1.1842 (Säckingen)
† 1.3.1884 (München)
Genremaler
Nekrologe Münchener Künstler.
XXXVI.
(S. »Allg. Ztg.« Nr. 67 B.)
Ludwig Vollmar.
Ludwig Vollmar hatte das Glück, in verhältnißmäßig kurzer Zeit einen vorzüglichen, ja ausgezeichneten Namen zu erringen, und zwar nicht durch Reclamen-Gelärm oder Cameraderie, sondern einzig durch die Tüchtigkeit und Wahrhaftigkeit seiner Kunst.
Geboren wurde derselbe am 7. Jan. 1842 zu Säckingen, dem durch Scheffels Trompeter weltberühmt gewordenen Rheinstädtchen, wo sein Vater Joseph Vollmar, als städtischer Baumeister, Zeichnungslehrer, Bildhauer und Maler eine vielseitige Thätigkeit entfaltete und bei seinem am 8. Oct. 1870 erfolgten Ableben den Ruf eines wahren Ehrenmannes, festen Charakters und eines der besten Burger von echtem Schrot und Korn mit in das Grab nahm. Der Sohn genoß den Unterricht des Vaters, kam dann mit leidlichem Geld und frischem Blut und dem guten Vorsatz, etwas Rechtes zu lernen, 1858 auf die Münchener Akademie, exercierte von der Pike auf im Antikensaale und in der Malschule bei Hiltensperger und Anschütz und kam dann im gewissenhaften Fortschritt endlich 1862 in die Componirschule zu Plilipp Foltz, welcher eine ganze Reihe vorzüglicher Kräfte in seiner Schule bildete. Seit Kaulbach, welcher übrigens die Gabe hatte Einen zu loben, um Andere möglichst zu ärgern, den Ausspruch gethan, es gebe nur einen guten Lehrer an der ganzen Akademie und dieser sei der Philipp Foltz von Bingen – welcher, nebenbei bemerkt, nie ermüdete, dieses Directorial-Augurium im tiefsten Baß zur weitmöglichsten Verbreitung zu bringen – strebte Foltz auch mit brennendstem Ehrgeiz diesen Satz zu bewähren, und eine Anzahl glänzender Namen, wir erinnern nur an Andreas Müller, Schwoiser, Hauschild, Beyschlag, Schwörer Adamo, Baumeister, Watter, Pixis, Roegge, Weißbrod, Herterich, Munsch, Lossow u. s. w. geben hiefür Zeugniß. Ein feierlicher Ernst, ein enthusiastischer Wille, nur nach dem Höchsten und Idealen zu ringen, belebte das im Bewußtsein froherfüllter Pflicht so fröhlich schwärmende »Jung-München«, welches theilweise noch den Segen der echten Kunst, die Traditionen der früheren monumentalen Bestrebungen, als beiläufige Erbschaft mit in den Kauf erhielt. Die jüngste, geniale Generation liebt freilich über die Theorie der alten Zöpfe und Pedanten, die noch auf Schönheit der Linie, geschmackvoller Anordnung, Nichtigkeit und Strenge der Zeichnung bestanden, spöttisch und vornehm zu lächeln und jene Opfer einer überwundenen Zeit zu bedauern... Es war von jeher Brauch der Epigonen, die schwererungenen Principien ihrer Vorgänger auf den Kopf zu stellen. Wer besser dabei fährt, wird sich zeigen.
Vollmar componirte mit größtem Fleiße zwei große Cartons: »Petrus vom Engel aus dem Gefängniß befreit« und »Paulus vor Damaskus«, malte dann eine »Samariterin am Brunnen« und ein Altarbild für die Pfarrkirche zu Frick im Aargau, besuchte ein Semester lang die Kunstschule zu Karlsruhe und ging wieder nach München, wo er in der Schule des Professors Arthur v. Ramberg Aufnahme fand (1866–1870). Ein 1865 gemaltes Bild »Gretchen im Schmuck bei Frau Marthe« ist noch ganz nach dem Recepte der Foltz-Schule behandelt, während ein Stadt-Fräulein und -Herrlein im Kahn am See den unverdauten Einfluß Rambergs bekundet. Man sieht daraus, wie hart dem jungen Maler der Uebergang von der Historie zum Genre wurde. Bald aber hatte er mit den aus dem echten Volksleben genommenen Stoffen den ihm zusagenden Weg gefunden, auf welchem er mit sicherer Freudigkeit rasch vorwärts schritt. Auf vielen Ausflügen nach dem Schwarzwald und nach Tirol sammelte Vollmar einen Schatz von trefflich gemalten Studien, von Köpfen, Intérieurs u. s. w., die ihm wohl für eine doppelte Arbeitszeit immer noch erwünschtes Material geboten hätten. So wurde er der Maler der Dorfgeschichten, welche ebenso weit vom romantischen Süßholz wie vom schmutzigen Materialismus sich entfernt hielten, wobei ihm sein feiner Tact und der Gang seiner Lehrjahre wohl zu statten kamen.
Zu den frühesten Producten dieser Art gehört wohl ein Mädchen, welches über der Pflege ihres jüngsten Brüderchens im mächtigen Großvaterstuhle eingenickt ist und nun mit dem ihr zu Füßen in der Wiege liegenden beschwichtigten Liebling im süßen Bewußtsein treuerfüllter Pflicht um die Wette schlummert. Wie süß das holde Paar die warme Sommerluft umspielt, welche durch das halbgeöffnete Fenster in das lauschig stille Stübchen dringt; man könnte bei etwaiger Uebersetzung in mittelalterliches Costüm an Gretchen denken, welches, in der bekannten Gartenscene dem Faust ähnliche, wonnige Empfindungen erzählt. Dann führte uns Vollmar in eine bäuerliche Krankenstube, wo die auf Besuch gekommene Freundin dem treuen Liebchen eine Botschaft aus dem Briefe liest, welche die arme Patientin mit neuem Lebensmuthe zu beseelen scheint. Die Verlesende wie die Zuhörende sind beide mit jenem innigen Ausdrucke des Mitgefühls gegeben, welches Vollmars Bilder meist auszeichnet und für den Beschauer so anziehend und fesselnd macht. »Die Freundin« war auch das erste Bild unseres Künstlers, welches 1867 der Münchener Kunstverein erwarb. Dann folgten 1868 die »Altersfreuden«, wobei ein am schwäbischen Kachelofen sitzender Großvater in Abwesenheit der gerade zurückkehrenden netten Schwiegertochter den drallen Enkel füttert, ferner 1871 ein »Daheim« und 1873 das herzige »Stillleben« (Photographirt wie die meisten nachfolgenden Bilder in Hanfstängels Verlag) mit dem in ihre Näharbeit gedankenvoll vertieften Mädchen; man sieht das treuherzige, zudem theilweise durch eine Schleierhaube schimmernde Gesichtchen nur von der Seite, dessen Besitzerin in uns sogleich den Wunsch rege macht, die emsig Nadelnde möchte wohl an der eigenen Ausstattung arbeiten. Die Damen rühmten immer, wie schön Vollmar das Weißzeug behandle.
Wer so in die unscheinbare Alltäglichkeit eine Seele zu legen versteht, der ist ein Dichter und Künstler und begründet damit in nachhaltiger Weise einen ehrlichen Namen. Die Anerkennung in materieller Form ließ nicht lange warten; die erst schüchternen Preise wurden von den Kauflustigen, welche ein angefangenes Bild im voraus für sich belegten, gesteigert; Kunsthändler fanden sich ein; zu erhöhten Preisen wurden Wiederholungen gewünscht, welche immer wieder besser und schöner gelangen. Die Bilder fanden alsbald den Weg nach England und Amerika, wo der noble Sport des Bilderkaufens aufkam und mancher Crösus die Zinsen seiner schwer verdienten Capitalien lieber in Form guter Bilder an die Wand hängt, während anderswo vererbtes Vermögen mit Hunden, Pferden und dem Ewig-Weiblichen verjuckt wird. Auch äußere Ehren stellten sich ein, wie die z. B. Vollmars »Kartenlegerin« (angekauft 1877 vom Münchener Kunstverein) in der Ausstellung zu Sydenham-London 1879 durch die silberne Medaille ausgezeichnet wurde.
Nun brachte Vollmar alljährlich mehrere Bilder, von denen wir nur einzelne ausheben. So z. B. 1873 den stutzerischen »Freier« – man könnte auch sagen »Hr. Lehrer auf Freiersfüßen«, wo der siegesgewisse, tanzmeisterlich schwebende Fant einem dörflichen Gänseblümchen zum stillen Gaudium ihrer Freundinnen eine Rose anbietet (vergl. »Illustrirte Welt«, 1873 S. 517); die Scene »Vor der Schule« (1875), wie die ältere Schwester in Gegenwart der kleinen Geschwister das jüngere Brüderchen »überhört«, welches mit so grundgescheidtem Verständnisse antwortet, daß man wirklich auf eine brillante Zukunft des Examinirten wetten möchte.
Ein Meisterstück seiner, fröhlicher Laune, sowohl der Erfindung als der sorgsamen Durchbildung nach, war die »Ueberraschung«, welche Anfangs 1876 im Kunstverein erschien und von der Kritik mit verdientester Anerkennung besprochen wurde: als ein Genrebild »von einer Lebendigkeit, einer Wärme der Auffassung, von einer Lebenswahrheit, einem Geschmack und einer Kraft der Darstellung, wie wir sie höchstens von Vautier gesehen zu haben uns erinnern.« Ein bildschönes Bauernmädchen, ein jungfrisches Blut und wahres Blitzmädel, welches Kopf und Herz am rechten Fleck hat, kerngesund an Geist und Leib und vom vollendetsten Ebenmaße, wird von einer alten, unter ihrer ungeheuerlichen echt schwäbischen Radhaube ehrsam hereintretenden Frau aus der Nachbarschaft überrascht, welche nach Besorgung ihrer häuslichen Einkäufe an Linnen und herzstärkendem Nordhäuser, nicht umhin konnte, ihr liebes Bäschen oder Godenkind zu besuchen. Leider zur ungelegensten Zeit. Denn eben hatte sich ein ländlicher Adonis zur Erklärung eingefunden und die Rose in der Hand des Mädchens zeigt, daß selbe mit herzlichstem Einverständniß und gleichem Wohlgefallen angehört wurde. Aber der umgeworfene Stuhl, die vergessene Pelzkappe und Tabakpfeife und das offene Fenster zeigen von der plötzlichen Unterbrechung. Nun wird ein moralischer Kaltwassersturz, ein endloser Sermon losplatzen. In dem wunderhübschen Gesichte des Mädchens – diese Wahl gereicht dem Geschmacke des Werbers nur zur Ehre – streiten Betretenheit, Entrüstung und jungfräuliche Scham; das den inquirirenden Blick klar aushaltende Auge kämpft mit zornigen Thränen und der Mund zuckt vielleicht nach der Frage, ob ihr zahnlückiges Gegenüber denn nie geliebt oder geküßt habe. Vollmar hatte denselben Stoff schon früher bearbeitet, wobei der hinter das Mädchen versteckte Amoroso durch den bellenden Spitz der Alten verrathen wird. Ein oberflächlicher Blick beweist, wie sehr das zweite Bild in erneuter Fassung an lakonischer Kürze gewonnen hatte.
Unter Vollmars Bildern aus dem Jahre 1877 steht »Der kleine Cither-Virtuos« allen anderen voran. Wie prächtig ist der ganz in sein Spiel vertiefte, die Klänge aus eigenem Ingenium zusammenfindende Knabe gegeben, wie spiegelt und steigert sich das Hören und Staunen bei der ganzen Umgebung. (Auch dieses Bild hat Vollmar 1879 völlig und mit bestem gesteigerten Erfolge umgearbeitet) Im Bestreben, den ganzen inneren Menschen abzuspiegeln, in Farbe und Vortrag erinnerte das Bild an Defregger, ohne daß Vollmar je dessen Schüler gewesen wäre noch eine Imitation angestrebt hätte. Jeder Meister hat eine eigene Atmosphäre, welcher die Mitlebenden mehr und minder bewußt, sich nicht entziehen können, wie Raphaels und Rembrandts Einfluß lehrt, ohne daß man bei ihren Zeitgenossen an dolose Entlehnung oder absichtliches Nachtreten zu denken braucht.
Glücklicherweise malen und schreiben wir heutzutage keine pomadisirten Dorfgeschichten mit porcellanener Glätte, verwahren uns jedoch gegen einen nicht allein das Auge, sondern auch den Geruchssinn beleidigenden Realismus. Wer nun den richtigen Mittelweg gehen will, kann nicht anders, als unser die ganze Welt erobernder Tiroler-Meister, welcher neidlos neben sich gern allen Anderen gleiche Luft, Licht, Ehre und Freiheit läßt. Vollmar kam ihm sehr nahe, fast bis zum Verwechseln, wie auch der Berichterstatter über das vorgenannte, im Wiener Künstlerhaus ausgestellte Bild bemerkt: das sei eine virtuose Imitation, ein Pasticcio von Defregger-Figuren und -Köpfen und ganz in der Art und dem Colorit Defreggers gemalt; selbst in geringer Distanz glaube man noch vor einem Bilde des Tiroler Meisters zu stehen. (Lützow: Zeitschrift für bildende Kunst. 1877. 12. 492.)
Dann kamen, vielleicht auch, was hier ziemlich gleichgültig ist, in anderer Reihenfolge, eine »Briefleserin;« eine schüchterne »Erklärung« (1877); ein Zwiegespräch mit einer schmucken Maid und einem schneidig frischen Burschen; ein hübsches Mädchen am Herdfeuer, den zu ihren Füßen knuspernden Kaninchen zuschauend; ein mit Katzen spielendes Mägdlein! »Großvaters Freude« an dem im Bade sitzenden Enkel; »Großmutters Liebling;« spielende Kinder; ein »Freier« (1880), voll packender Komik, wobei wir über die nutzlosen Bemühungen des ehestiftenden Alten ebenso lachen müssen, wie über den Jüngling, der sich überaus »schön angethan« hat, oder über die mit ihrem Unmuth kämpfende Auserwählte, welche, reizender denn je, in ihrer unholden Verschmähung auf einen ausgiebigen Korb zu sinnen scheint. Ihnen folgte das »Bilderbuch« (1881 )und »Der Schwester Räthselschatz« (»Ueber Land und Meer.« 1881, 46. Bd. S. 1028.) und die »Strickstunde bei der Großmutter« (Nr. 22 »Illustrirte Frauen-Zeitung« vom 13. November 1882.) (1882). Im folgenden Jahre wurde die »Am frühen Morgen« auf ihrer Veranda Blumen begießende Bäuerin vollendet und die zwei großen Bilder »Die Gratulation der Großmutter« und der an die unrechte Adresse abgelieferte »Liebesbrief« – beide erschienen auf der jüngsten Münchener internationalen Kunstausstellung – vollendet; das eine ebenso reich an wohlthuender Wärme der Empfindung, wie das andere durch die humoristische Wirkung der im Grunde doch dramatischen Spannung ausgezeichnet, jedes von gleicher Feinheit des Tones und detaillirtester Durchbildung (Vgl. Fr. Pecht: Die Moderne Kunst auf der Internationalen Kunstausstellung zu München. 1883, S. 64.) Dazu kam noch, eine wahre Perle unter Vollmars Bildern, das herzige ganz in ihre Strickerei vertiefte »Bärbele«, ein wirklich holdseliges Mädchengesicht, von Anmuth, Fleiß und Selbstvergessenheit und einem süßen Reiz kindlicher Unschuld umspielt. Außer einer breit und sicher untermalten Wiederholung trug sich Vollmar noch mit vielerlei Stoffen und Entwürfen, welche seine volle Thätigkeit gewiß auf mehrere Jahre hinaus in Anspruch genommen hätten, darunter ein Zigeunerbild, ein italienischer Dudelsackbläser, der erste Gang zur Schule, eine Schaudergeschichten-Erzählerin, ein Guitarre-Spieler, zwei »Frühjahr« und »Herbst« betitelte Gegensätze u. s. w.
Das alles, und dazu ein glückliches Leben im Kreise seiner Familie, endete am 1. März lfd. Js. der frühzeitige Tod, welcher unter einem tückischen Lungenleiden dem Künstler schon längst aufgelauert hatte. Vollmar war, wie jeder echte Künstler, ein tief innerlicher Mensch, der außer der sonntäglichen Lust des Scheibenschießens und einer vorübergehenden Anwandlung zur Fischerei keine andere Passion kannte, außer im Genuß des eigenen Heims, welches sich denn auch in seinen Schöpfungen in anziehendster Weise ausspricht. Gezeichnet hat er wenig. Er war kein Freund des Bleistifts; wo er etwas Brauchbares fand, griff er lieber gleich zu Pinsel und Palette. Anderes hielt er, Dank eines photographisch treuen Gedächtnisses, in der Erinnerung fest. So reproducirte Vollmar nach einmaligem Beschauen die in der französischen Abteilung der Münchener Kunstausstellung vom Jahre 1879 befindliche »Arrestation« Salmsons mit einer Sicherheit, daß wir dieses Farbenproblem für die Original-Skizze des Autors hielten. Wie ein Componist seine Melodien für sich hinsummt, so kritzelte Vollmar seine Einfälle auf den häuslichen Ahorntisch; was ihm dann brauchbar däuchte, bauste er durch. Zahllose Einfälle verschwanden unausgenützt unter der Bürste des scheuernden Hausmädchens, da der Gebrauch sogenannter Skizzenbücher ihm unnütz dünkte. Daß sein prachtvolles Talent noch der Steigerung und weiteren Entwicklung fähig gewesen wäre, zeigt der frische Gang seiner geplanten Ideen und Projecte. Schüler hatte er keine. Am nächsten unter seinen Bekannten standen ihm der liebenswürdige sinnige Rudolf Epp und der heitere Karl Kronberger.
Das frühe Scheiden des Künstlers, dessen Name auswärts besser bekannt war als in der nächsten Umgebung, ist sicherlich tief zu beklagen. Weder München noch Karlsruhe besitzen vorerst etwas von seiner Hand, wozu wenigstens vorläufig noch Gelegenheit wäre. Folgen Vollmars letzte Bilder ihren Vorgängern in die ferne Fremde, dann bleibt uns nur die Photographie, welche gewiß mächtig beitragen wird, seinen Namen populär und im guten Andenken zu erhalten. Eine Ausgabe derselben und Sammlung in Albumform wäre sicherlich ein dankbares Unternehmen.
Allgemeine Zeitung Nr. 98. München; Montag, den 7. April 1884.
Vollmar: Ludwig V., Genremaler, geboren am 7. Januar 1842 in dem durch Scheffel’s »Trompeter« weltberühmt gewordenen Rheinstädtchen Säckingen; genoß den ersten Unterricht bei seinem Vater Joseph V., welcher als städtischer Bauzeichner, Zeichnungslehrer und Bildhauer eine vielseitige Thätigkeit übte.
Mit guten Vorkenntnissen ausgestattet kam der Jüngling 1858 an die Münchner Akademie, besuchte den Antikensaal und die Malschule unter Prof. Hiltensperger und Anschütz und 1862 die sogen. Componirschule bei Philipp Foltz, welcher als guter Lehrer eine ganze Reihe von jüngeren Kräften zu erfreulicher Reife bildete. Hier componirte V. zwei Cartons »Petrus vom Engel aus dem Gefängniß befreit« und »Paulus vor Damaskus«, malte dann eine »Samariterin am Brunnen« und ein Altarbild für die Pfarrkirche zu Frick im Aargau, besuchte ein Semester lang die Kunstschule zu Karlsruhe und ging wieder nach München, wo er bei Professor Arthur v. Ramberg Aufnahme fand (1866–70).
Ein 1865 gemaltes »Gretchen im Schmuck bei Frau Marthe« war noch ganz nach dem Recepte der Foltz-Schule behandelt, während eine »Kahnfahrt« mit städtischen Insassen den Einfluß Ramberg’s bekundete. Man sieht daraus, wie hart dem jungen Maler der Uebergang von der stelzenden Phrase der Historie zum ungesuchten Genre wurde. Bald aber hatte sein gesunder Sinn mit den Scenen aus dem echten Volksleben den ihm zusagenden Weg gefunden, auf welchem V. mit sicherer Freudigkeit rasch vorwärts schritt.
Auf vielen Ausflügen nach dem Schwarzwald und nach Tirol sammelte er einen Schatz von trefflich gemalten Studien, von Köpfen und Interieurs, die ihm wol für eine doppelte Arbeitszeit immer noch neues Material geboten hätten. So wurde er der Maler selbsterfundener Dorfgeschichten, womit V., ohne je Defregger’s Unterweisung genossen zu haben, doch ganz in dessen Fußstapfen trat. Zu den frühesten Proben dieser Art gehört ein Mädchen, welches über der Pflege ihres jüngsten Brüderchens im Großvaterstuhle eingenickt ist und nun mit dem ihr zu Füßen in der Wiege liegenden beschwichtigten Liebling im süßen Bewußtsein treuerfüllter Pflicht um die Wette schlummert; die warme Sommerluft spielt über das holde Paar im lauschig stillen Stübchen; man könnte bei etwaiger Uebersetzung in mittelalterliches Costüm an »Gretchen« denken, welches in der Gartenscene dem Faust ähnliche, wonnige Empfindungen und Erinnerungen aus ihrer stillen Pflegethätigkeit erzählt.
Dann führte der Maler in eine bäuerliche Krankenstube, wo die auf Besuch gekommene Freundin dem treuen Liebchen eine Botschaft aus dem Briefe liest, welche die arme Dulderin mit neuem Lebensmuthe beseelen dürfte. Die Vorlesende wie die Zuhörende sind beide mit jenem innigen Ausdrucke des Mitgefühls gegeben, welches Vollmar’s Bilder für den Beschauer so anziehend und fesselnd macht.
Es dauerte nicht lange bis der Maler die goldne Regel vom Hineingreifen ins volle Menschenleben erfaßte und bewährte. Gleiche Sympathie erregte »Die Freundin«, das erste Bild Vollmar’s, welches der Münchener Kunstverein erwarb. Dann folgten 1868 die »Altersfreuden«, wo ein am schwäbischen Kachelofen sitzender Großvater in Abwesenheit der gerade zurückkehrenden netten Schwiegertochter den drallen Enkel füttert, ferner 1871 ein »Daheim« und 1873 das »Still-Leben« mit einem in ihre Näharbeit gedankenvoll vertieften Mädchen; obwol man das treuherzige, zudem theilweise durch eine Schleierhaube schimmernde Gesichtchen nur von der Seite sieht, so wird doch in uns sogleich der Wunsch rege, die emsig Nadelnde möchte an der eigenen Ausstattung arbeiten. Dazu kommt, daß die Damen immer rühmten, wie schön V. das Weißzeug behandle!
Wer so in die unscheinbare Alltäglichkeit eine Seele zu legen versteht, der ist ein Dichter und Künstler und begründet damit in nachhaltiger Weise einen ehrlichen Namen. Die Anerkennung ließ nicht lange warten, Kunsthändler fanden sich ein; Wiederholungen wurden gewünscht, welche der Maler immer in verbesserter Umarbeitung leistete; sie fanden den Weg nach England und Amerika. Unter den folgenden Bildern sei nur der »Freier« erwähnt (vgl. Illustrirte Welt 1873, S. 517), die Scene »Vor der Schule« (1875), die heitere, in ihrer dramatischen Lebendigkeit, Wärme und Lebenswahrheit an Vautier erinnernde »Ueberraschung« (1876), »Der kleine Citherspieler« (1877), womit V. der erzählenden Vortragsweise Defregger’s am nächsten kam, die »Briefleserin«, »Großmutters Liebling«, das »Bilderbuch« (1881), der »Schwester Räthselschatz« (1882), die »Strickstunde«, der an die unrechte Adresse abgelieferte »Liebesbrief«, das hübsche, strickende »Bärbele« – ein wirklich holdseliges Schwarzwaldmädchen, von Anmuth, Fleiß, Selbstvergessenheit und einem sanften Reiz kindlicher Unschuld umspielt.
V. trug sich noch mit vielen, seine ganze Thätigkeit für lange Jahre vollauf beanspruchenden Entwürfen (Zigeuner, italienische Dudelsackbläser, der erste Gang zur Schule, eine Schaudergeschichten-Erzählerin) als ein früh entwickeltes Lungenleiden schon am 1. März 1884 seiner Thätigkeit ein rasches Ende bereitete. Daß sein prachtvolles Talent noch der Steigerung und weiteren Entwicklung fähig gewesen wäre, zeigt der frische Gang seiner Ideen und Projecte. Schüler hatte er keine. Am nächsten unter seinen Bekannten standen ihm der liebenswürdige, sinnige Rudolf Epp und der heitere Karl Kronberger.
Zu Vollmar’s Eigenthümlichkeiten gehörte, daß er kein Freund sogenannter Skizzenbücher war. Wo er etwas Brauchbares fand, griff er lieber gleich zu Pinsel und Palette. Das meiste hielt er mit seinem photographisch treuen Gedächtniß in der Erinnerung fest. Als ein Beispiel dieser Art reproducirte V. nach einmaligem Beschauen Salmson’s »Arrestation« mit einer Sicherheit, so daß man dieses Farbenproblem für die Originalskizze des Autors halten konnte. Wie ein Componist seine Melodieen für sich hinsummt, so kritzelte V. seine Einfälle mitten im Lärm seiner Familie auf den häuslichen Ahorntisch; was ihn dann brauchbar dünkte, bauste er durch. Zahllose »Ideen« verschwanden unausgenützt unter der Bürste des scheuernden Hausmädchens. Seine besten Schöpfungen wurden durch Photographie, Holzschnitt und Stahlstich verbreitet.
Vgl. Nr. 98 Allgem. Ztg., 7. April 1884. Kunstvereinsbericht für 1884, S. 68. H. Holland, Illustr. Erinnerungen an Münchener Künstler. 1884, 1. Heft.
Hyac. Holland.
Dr. phil. Hyazinth Holland: Allgemeine Deutsche Biographie. Leipzig, 1896.
Vollmar, Ludwig, Maler, geb. 7. Jan. 1842 in Säckingen, † 1. März 1884 in München, Schüler seines Vaters, eines Bildhauers, von P. Foltz und Ramberg an der Münchener Akademie (1862–1870) und von der Karlsruher Akademie. Er besuchte den Schwarzwald, sowie Tirol und malte Genrebilder. V. war in München thätig. Von ihm Märchenerzählerin, Das erste Bilderbuch, Väterliche Ermahnungen, etc. Med. London.
Allgemeines Künstler-Lexikon. Leben und Werke der berühmtesten bildenden Künstler. Frankfurt am Main, 1921.