Inhalt | Register | |



16 – 10 – 6 (Bernhard · Hacker · Hörhager)

Ω

Hier ruht in Gott:
unser unvergeßlicher Gatte u. Vater,
Herr Franz Bernhard
k. Lehrer von Geroldshausen
geb. 31. Jänner 1840 zu See¿
gest. 4. Juni 1902 zu München.

Hier ruhet
der hochwürdige Herr
Franz Xaver Hacker,
Franz v. Seeburg,
kgl. geistl. Rat, Inspektor am Central-
Blinden-Institut,
geb. zu Nymphenburg 20. Jan. 1836,
gest. zu München 28. Jan. 1894.

R. I. P.

Sockel

Ferner dessen Mutter Frau
Magdalena Hacker,
geb. zu Nymphenburg 8. Sept. 1810, gest. zu München 18. Sept. 1838
dessen Tante Frl.
Kath. Hörhager,
k. Institutsleiterin,
geb. zu Nymphenburg 3. Okt. 1801, gest. zu München 10. März 1855
dessen Großmutter Frau
Margaretha Hörhager,
k. Hofschreinerswitwe,
geb. zu Bellheim 12. Mai 1766, gest. zu München 23. Jan. 1855.

Ω

|||

Franz Xaver Hacker

Franz von Seeburg (ps)
* 20.1.1836 (Nymphenburg/München)
† 28.1.1894 (München)
Lehrers-Sohn / Priester und Schriftsteller

Deutscher Hausschatz in Wort und Bild (1894)

Franz Xaver Hacker †.

Vom Herausgeber.

Am 28. Januar 1894 verschied in München der Stiftsceremoniar und Ehrenkanonikus von St. Cajetan, der Kgl. geistl. Rat Franz Xaver Hacker, Inspektor des kgl. Zentral-Blinden-Instituts. Tausende haben den Dahingeschiedenen innig verehrt und geliebt, Tausende, soweit die deutsche Zunge klingt, haben sich an seinen zahlreichen Romanen und Novellen erquickt – aber nur wenige wußten, daß unter dem allbekannten Schriftstellernamen Franz von Seeburg sich der eben Verstorbene verbarg. Seine Bescheidenheit verbot ihm, mit seinem wahren Namen hervorzutreten, als er schon ein berühmter Mann war und viele sich gefreut haben würden, Näheres über ihren Lieblingserzähler zu erfahren.

Franz Xaver Hacker wurde am 20. Januar 1836 zu Nymphenburg als der Sohn eines Lehrers geboren. Er besuchte das Wilhelmsgymnasium zu München und studierte sodann Philosophie, Theologie und Jurisprudenz. Nachdem er zum Priester geweiht war, fand er zuerst in der Seelsorge Verwendung, welche ihm reiche Gelegenheit bot, Einblicke in das Leben der Armen und Elenden zu thun, die seiner Schriftstellerei zu gute kam. Eine schwere Erkrankung zwang ihn aber schon bald, drei Jahre nur der Pflege seiner erschütterten Gesundheit zu widmen. Volle Genesung fand er in einer Stellung am Chiemsee, von wo aus seine Berufung als Hofstiftsvikar nach München veranlaßt wurde. Er wurde sodann Religionslehrer und Prediger am Wilhelmsgymnasium und endlich, 1886, Inspektor des kgl. Zentral-Blinden-Instituts in München. Was er als solcher geleistet, wird unvergeßlich bleiben. Er hat die von König Ludwig I. gestiftete Anstalt zu einer Höhe gehoben, daß sie im In- und Auslande als Muster der Blindenerziehung anerkannt ist. Hacker war dabei auch unermüdlich bestrebt, seinen Pflegebefohlenen den Wohlthätigkeitssinn der Bevölkerung zu erschließen. Seinen Bemühungen gelang es, eine lange als Bedürfnis erachtete Versorgungsanstalt für frühere weibliche Zöglinge des Institutes zu begründen, welche in der Maria-Ludwig-Ferdinand-Anstalt in Neuhausen untergebracht ist. Das letzte Schriftstück, das er auf dem Sterbebette unterzeichnete, betrifft eine hochherzige Spende für die Blinden. Nachdem er denselben bereits aus seinem Vermögen einen Betrag von 10000 Mark zugewendet hatte, vermachte er, wie damals schon versprochen, der Anstalt noch den hauptsächlichsten Rest seiner Hinterlassenschaft mit 30 000 Mark bar.

Aber die Bedeutung Hacker's für die weiteren Kreise der katholischen Bevölkerung des In- und Auslandes knüpft sich an den gefeierten Namen Franz von Seeburg. Wie er überhaupt dazu gelangte, sich der großen Zunft der Schriftsteller anzuschließen, das ist interessant und belehrend für alle, die mit dem Geiste und der Feder in der Hand arbeiten und zeigt so recht, wie es manchmal vom Zufall – der natürlich streng genommen Fügung ist – abhängt, ob ein hervorragendes Talent zur Entfaltung gelangt oder nicht. Einer der jetzigen Chefs der Firma Friedrich Pustet hatte vor Jahren von München aus eine Reise zu machen. Er trat bei dem ihm befreundeten Buchhändler Zipperer in München ein und suchte bei ihm etwas Reiselektüre. Der Kuriosität wegen gab ihm Zipperer ein auf schlechtem Papier schlecht gedrucktes Büchlein mit, welches einen auf Kosten des Verfassers hergestellten Separatabdruck, der als Feuilleton in einer Tiroler Zeitung veröffentlichten Erzählung Franz von Seeburg's – wer kannte damals einen Erzähler dieses Namens! – Das Marienkind enthielt. Herr Zipperer wußte damals selbst nicht den wirklichen Namen des Verfassers, aber er klagte, niemand bekümmere sich um die Erzählung, die er selbst zufällig gelesen und die ihm so gut gefallen habe. Sie verdiene ein besseres Los, als Vergessenheit unter den Menschen, unter denen es vielleicht recht viel Gutes stiften könne. Herr Pustet las das Büchlein, und die Folge war, daß er sofort nach einer Rückkehr dem Namen des Verfassers nachforschte und diesen seinem damals in München lebenden Vater Friedrich Pustet sen. mitteilte. Dieser wurde durch die Lesung desselben Buckes ebenfalls höchst eingenommen für den Verfasser und reiste bald darauf nach dem Chiemsee, um ihn kennen zu lernen und ihn zu weiteren Schöpfungen zu ermuntern. Das Zusammentreffen der beiden Männer hat Franz von Seeburg selbst im Vorwort zu seinem prächtigen Buche über Joseph Haydn, das er dem Andenken seines Freundes Friedrich Pustet sen. gewidmet hat, sehr anziehend geschildert. Vater Pustet gelang es, den begabten Mann, der angesichts seines ersten Mißerfolgs keine Neigung hatte, den dornenvollen Weg noch einmal zu beschreiten, für die Schriftstellerei zu gewinnen und der katholischen Litteratur einen Erzähler zu schenken, auf den wir stolz sein können.

Von jenem Zeitpunkt an begann Seeburg's rege Thätigkeit auf litterarischem Gebiete. Neben einer großen Anzahl kraftvoller, im Regensburger Marienkalender erschienenen Volkserzählungen, schrieb er die größeren Romane: Das Marienkind 1869 (5. Auflage 1890), Durch Nacht zum Licht 1872 (3. Auflage 1893), Die Nachtigall 1876 (2. Auflage 1884), Die Fugger und ihre Zeit 1879 (3. Auflage 1892), Joseph Haydn 1882, Die Hexenrichter von Würzburg (3. Auflage 1894), sowie den blütenreichen Text zum Ägyptischen Joseph 1878, der als eines der schönsten Bilderbücher, die wir haben, in vielen Auflagen in deutscher, englischer, französischer, italienischer und spanischer Sprache große Verbreitung fand.

Gewiß war es nicht allein jener unwiderstehliche Schaffensdrang, welcher dichterisch veranlagte Geister zur Schriftstellerei treibt, und der unserm Erzähler die Feder in die Hand drückte; ich nehme vielmehr, der Tendenz seines ganzen Wirkens entsprechend, an, daß er in erster Linie bei all seinen Werken einen ethischen Zweck verfolgt. Er will dem Volke packende Bilder vorführen aus Vergangenheit und Gegenwart, will es abschrecken und warnen durch die Vorführung menschlicher Verworfenheit, sündhafter Leidenschaften und deren furchtbaren Folgen für Leib und Seele, will es bessern und für die Tugend begeistern durch die ergreifende Schilderung schöner christlicher Zustände und trefflicher Menschen. Ersteres zu erreichen, schildert er das Leben, wie es ist, ohne alle Schönfärberei, aber auch ohne ins Platte zu verfallen. Seeburg legt einen ganz besonderen Wert darauf, seine Leser wissen zu lassen, daß er nur Thatsachen mitteile, und weist im »Marienkind« (S. 10) ausdrücklich darauf hin. In der That ist rücksicktlich einiger Charaktere und Scenen in seinen Romanen eine solche Versicherung nicht überflüssig; denn ohne sie würde der Leser das Mitgeteilte kaum für wahr halten. Daraus ergeben sich Auswüchse, aber sie können den guten Eindruck des Ganzen doch nicht vernichten. Wo Seeburg innerhalb der Grenzen des erlaubten Realismus bleibt, da sind wir ihm auch dankbar für seine strenge Wahrheilsliebe; denn er führt uns in seinen kulturhistorischen Romanen umfangreiche Gemälde aus vergangenen Zeiten vor, welche von liebevollem Versenken in den Geist verflossener Jahrhunderte Zeugnis geben. Welch ein Stück trockener Arbeit sitzt in dem lebensvollen Bildercyklus »Die Fugger und ihre Zeit«! Das ist farbenprächtige Mosaikarbeit, über deren Betrachtung wir vergessen, welch unsägliche Mühe ihre feinsinnige Zusammensetzung dem Künstler gekostet. Doch, das war ein Aufwand von Arbeit, der den Verfasser reich belohnte; denn sie bot der freudenreichen Momente eine große Fülle. Aber mit welcher Unlust mochte er Archive und Aktenbündel für das Zeitgemälde »Durch Nacht zum Licht« durchstöbern, wo jeder Fund ihm einen neuen Beleg für die Größe menschlicher Schlechtigkeit brachte, ihm Blätter aus der Geschichte seines Vaterlandes aufdeckle, die ihn mit tiefem Unwillen erfüllen mußten! Denn in all seinen Romanen, nur »Haydn« ausgenommen, bildet Bayern den Schauplatz, wenigstens zum größten Teile.

In »Die Fugger und ihre Zeit« führt er uns in das mittelalterliche Augsburg und öffnet uns einen kulturhistorischen Bildercyklus, wie ihn umfassender und farbenprächtiger auch Franz Trautmann nicht hervorgebracht. Hier möchte man fast sagen, Seeburg erweise sich als ein poetischer Janssen. Beide mußten vielfach aus denselben Quellen schöpfen; dem einen entstand ein bedeutsames Geschichtswerk, dem anderen eine fesselnde Dichtung.

Ein Jahrhundert weiter führen uns »Die Hexenrichter von Würzburg«. Der Titel besagt alles. Was der Dichter uns vorführt, sind erschütternde Scenen menschlichen Unverstandes und menschlicher Bosheit, das Licht der Vernunft scheint erloschen, alle Bande der Freundschaft und des Blutes werden gelöst durch die unselige Sucht, überall des Teufels Pferdefuß zu entdecken, und Rechtlosigkeit herrscht allenthalben. Doch über dies entsetzliche Chaos erhebt sich leuchtend die imponierende Gestalt des edlen Jesuitenpaters Spee.

Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts spielt »Durch Nacht zum Licht«. Der Roman bietet gleichsam ein düsteres Seitenstück zu den »Fuggern«, alles erscheint schwarz in schwarz gemalt, weil auch die Zeit, in welcher er spielt, der Lichtblicke nur wenige aufzuweisen hat. Es ist die Zeit der Aufklärung, der Illuminaten und Klosterstürmer. Das alte München steigt vor uns auf, wie in den »Fuggern« das alte Augsburg; das Hofleben entfaltet sich vor uns; das Treiben der geheimen Gesellschaften und ihre Mitwirkung bei der Inscenierung des schändlichen Klosterraubes zeigt sich im hellsten, entsetzlichen Lichte.

In »Joseph Haydn« führt der Dichter uns nach Österreich. Wenn in den bis jetzt genannten Romanen vorwiegend soziale, politische und religiöse Zustände geschildert sind, so behandelt »Haydn« die Stellung der schönen Künste, namentlich die Musik und ihre Vertreter im Österreich des 18. Jahrhunderts.

Ebenfalls im Beginn des 19. Jahrhunderts spielt der Roman »Das Marienkind«, in welchem die wechselvollen Schicksale einer Gouvernante geschildert werden. Vielleicht war es die Absicht des Verfassers, den Darstellungen der Romanschriftsteller, welche das Gouvernantentum mit einem lügenhaften romantischen Schimmer umwoben haben, ein der Wahrheit entsprechendes Bild entgegenzusehen. Dadurch gewann er genügenden Raum, das Leben und die Gesinnungen in den höheren Gesellschaftskreisen zur Anschauung zu bringen, ihre falschen Erziehungsansichten und deren furchtbare Folgen zu brandmarken, ihr dem Glauben und der Sitte entfremdetes Dasein gebührend zu geißeln und es in seiner ganzen Häßlichkeit zu kennzeichnen.

Mehr lokaler Natur endlich ist die Dorfgeschichte: »Die Nachtigall«, welche in den bayerischen Alpen spielt und das Lieben und Hassen der derben Gebirgsbewohner zum Gegenstände hat.

In diesen Romanen erweist sich Seeburg als ein Charaktermaler ersten Ranges. Er hat eine Welt von anziehenden Gestalten geschaffen und, was eben so hoch zu schätzen ist, jeder ihr scharf abgegrenztes, individuelles Gepräge gegeben, vorab den Hauptpersonen seiner Romane, denen die Aufgabe gestellt ist, anzukämpfen gegen Aberglauben, Niedrigkeit und Gemeinheit, und dem guten Prinzip zum Siege zu verhelfen. Auch die Nebenfiguren weiß Seeburg so anschaulich zu zeichnen, daß sie voll ausgerundet vor unseren Äugen stehen. Allerdings ist in seinen Erstlingswerken die Darstellung der Charaktere weniger gelungen; in »Marienkind« sind nur einige Figuren gut zu nennen; in »Durch Nacht zum Licht« finden wir schon eine größere Anzahl, wie Werner, Guttenheim und Konrad; in den »Fuggern«, in »Haydn« und in den »Hexenrichtern« sind alle von hoher Vollendung. Derselbe Unterschied macht sich in der Darstellung bemerkbar. In den ersten Romanen hat sie nur wenig von dichterischer Schönheit, hin und wieder ist sie sogar etwas hart; in den letzten aber erhebt sie sich zu lyrischem Schwunge und zeigt die den Lesern so sehr anmutende Übereinstimmung zwischen Inhalt und Form. Vorzüglich ist in dieser Beziehung »Die Hexenrichter von Würzburg«, in welchem eine schöne – vielleicht manchmal etwas überschwengliche – Darstellung sich dem erhebenden Inhalt anpaßt. Die Krone gebührt jedoch, wie in jeder Hinsicht, dem Hauptwerke Seeburg's, dem Zeitgemälde: »Die Fugger«.

Hier hat er versucht, den naiven Chronikenstil der vergangenen Jahrhunderte nachzuahmen und sich in deren Anschauungsweise zu versetzen. Das ist ihm vollständig gelungen, und damit hat er ein Doppeltes erreicht: sein Roman gewann auf diese Weise jene hohe Objektivität, welche die alten Chroniken auszeichnet, wo der ehrliche Schreiber nur insofern mit der Nachwelt in Beziehung tritt, als er am Schlusse die Bitte ausspricht, für seine arme Seele zu beten. Dann aber gab er seiner Dichtung durch seine Darstellungsweise auch einen eigentümlichen Reiz, dem sich kein Leser wird entziehen können. So erzählt nur ein Mann, dem das Leben in seinen Höhen und Tiefen offen liegt, der sich aber ein wahrhaft kindliches Gemüt bewahrt hat. Und er weiß alle Saiten unseres Gemütes anzuschlagen: hier jubeln wir mit der glücklichen Liebe, dort trauern wir mit der verlorenen; hier zerreißt unser Herz der Anblick tiefsten menschlichen Elends, dort erhebt uns Seelengröße und Charakterstärke.

Trauernd stehen wir, daß uns der Tod ein solches Talent entriß zu einer Zeit, wo die katholische Litteratur an Überfluß guter Erzähler wahrlich nicht zu leiden hat.

Deutscher Hausschatz in Wort und Bild No. 23. 1894.

Stimmen aus Maria-Laach (1895)

Empfehlenswerthe Schriften.

1. Das Marienskind. Von Franz von Seeburg. Für die reife Jugend. 7. Aufl. 12°. (XVI u. 546 S.) Regensburg, Pustet, 1895. Preis M. 3.30; eleg. geb. M. 4.70.

2. Joseph Haydn. Ein Lebensbild von Franz von Seeburg. 2. Aufl. 12°. (VIII u. 440 S.) Ebd. 1895. Preis M 2.80; eleg. geb. M. 4.

3. Die Nachtigall. Eine Dorfgeschichte aus dem bayerischen Hochlande von Franz von Seeburg. 3., unveränderte Auflage. 12°. (VI u. 326 S.) Ebd. 1895. Preis M. 2; eleg. geb. M. 3.20.

4. Die Hexenrichter von Würzburg. Historische Novelle von Franz von Seeburg. 3. Aufl. 12°. (IV u. 298 S.) Ebd. 1895. Preis M. 1.80; eleg. geb. M. 2.80.

1. Die 7. Auflage dieser Erstlingserzählung des im vorigen Jahre verstorbenen Verfassers ist mit dessen Bildniß geschmückt und von einem kurzen Gedenkblatt des Verewigten aus der Feder H. Keiters begleitet. Franz Xaver Hacker, viel bekannter unter seinem Schriftstellernamen Franz von Seeburg, wurde am 20. Januar 1836 zu Nymphenburg bei München als der Sohn eines armen, aber frommen und wackern Schullehrers geboren. In seiner Studienzeit hatte er mit Noth und Elend zu kämpfen, zeichnete sich aber durch glänzenden Erfolg seiner Studien aus und erreichte das Ziel seiner Wünsche, die heilige Priesterweihe. Mit grossem, vielleicht übergroßem Eifer weihte er sich nun der Seelsorge, wurde aber bald, wohl infolge zu angestrengter Arbeit und früherer Entbehrungen, von einem schweren, langwierigen Siechthum befallen, das ihn drei Jahre ans Krankenbett fesselte. Endlich siegte seine an sich kräftige Natur. Damit er völlig genese, wurde ihm ein leichter Seelsorgsposten an dem schönen und gesunden Chiemsee übertragen. Da erwachte in ihm zugleich mit der wiederkehrenden Kraft der Beruf des katholischen Volksschriftstellers, der von wenigen in Deutschland so edel aufgefaßt und begeistert durchgeführt wurde wie von Hacker. Die erste Frucht, das Marienkind, das er am Chiemsee schrieb, hatte trotz ihrer Vortrefflichkeit freilich einen harten Kampf zu bestehen, bis sie auch nur einen Verleger fand. Zuerst erschien die schöne Erzählung in einem kleinen Blättchen, natürlich ohne dem Verfasser auch nur einen Pfennig Honorar einzubringen, und als sie zum erstenmal in Buchform erschien, mußte er selbst – nicht zur Ehre unseres katholischen Buchhandels! – die Kosten tragen. Erst als er später mit Fr. Pustet bekannt wurde, eröffnete sich seinem Talente der geeignete Wirkungskreis. Hacker wurde nach seiner vollen Genesung als Hofstitlsvicar nach München berufen, wirkte daselbst als Religionslehrer am Wilhelmsgymnasium und seit 1886 als Inspector des Central-Blindeninstituts, und wurde Ehrencanonicus von St. Cajetan in München. Allgemein betrauert starb der fromme Priester, der unter unsern katholischen Volksschriftstellern immer einen hervorragenden Platz einnehmen wird, am 28. Januar 1894.

[...]

Stimmen aus Maria-Laach. Katholische Blätter. Achtundvierzigster Band. Freiburg im Breisgau; 1895.

Das Marienkind (1895)

Franz von Seeburg
Ein Gedenkblatt.

Zum siebenten Male wandert die Erzählung »Das Marienkind« in die Welt hinaus, um die Herzen zu erfreuen und die Stunden der Muße in einer Geist und Gemüt bildenden Weise auszufüllen – aber dem Schöpfer dieser so allgemein beliebten Erzählung war es nicht vergönnt, ihr erneutes Erscheinen zu erleben; am 28. Januar 1894 wurde er in jenes Land hinüber gerufen, wo ihm der Lohn für sein reiches und selbstloses Wirken zugemessen ward. Und jetzt erst, nach seinem Tode, ist es gestattet, vor aller Welt das Dunkel zu lichten, mit welchem der bescheidene Mann seinen wahren Namen umhüllte; er hat niemals daran gedacht, für seine schriftstellerischen Leistungen jene Lorbeeren einzuernten, welche manchem Dichter für die Erhöhung seiner Schaffensfreudigkeit unerläßlich sind. Er war und blieb für die große Masse seiner Leser Franz von Seeburg, der Erzähler mit dem poetischen Namen, welcher aller Herzen im Fluge gewann.

Franz Xaver Hacker war sein bürgerlicher Name, und er wirkte als Direktor der Zentral-Blindenanstalt in München. Obgleich sein verantwortungsvolles Amt ihn vollauf in Anspruch nahm und er sich mit einer wahren Begeisterung seinem hohen Berufe als Vater der armen Blinden widmete, so zwang er sich doch noch die Zeit ab, um dem katholischen deutschen Volke jene Reihe von Erzählungen zu schenken, welche in allen Kreisen so gern gelesen werden und einen Hausschatz in des Wortes bester Bedeutung bilden. Das Interesse für seine Schöpfungen steigerte sich von Jahr zu Jahr, und der Name Franz von Seeburg ward von hoch und niedrig mit Achtung und Liebe genannt. Aber am meisten doch wohl vom Volk, denn an das Volk hat der edle Verstorbene sich in erster Linie gewandt und ihm stets ein so warmfühlendes Herz bewiesen, wie nur ein Sohn des Volkes es besitzt.

Franz Xaver Hacker wurde am 20. Januar 1836 zu Nymphenburg bei München geboren. Sein Vater war Volksschullehrer, der, wie es zu jener Zeit fast überall der Fall war, in ärmlichen Verhältnissen lebte. Aber er war ein wackerer Mann, der unter schweren Entbehrungen es möglich machte, seinen talentvollen Sohn, wie dieser es lebhaft wünschte, studieren zu lassen. Hacker besuchte nach seiner Entlassung aus der Volksschule das Wilhelmsgymnasium zu München, wo er im Jahre 1855 mit glänzendem Erfolg das Abiturientenexamen bestand. Aber welch ein Leben voll Mühe und Entbehrungen lag nun bereits hinter ihm, wo er erst neunzehn Jahre zählte! Wie so mancher arme Student mußte er auf Vergnügungen und Erholungen verzichten und lediglich seinen Studien obliegen, und das nicht allein – auch seinen jugendlich-gesunden Magen mußte er in starke Disziplin nehmen, um seinen Lieblingswunsch, studieren zu dürfen, erfüllt zu sehen. Aber er ertrug alles freudig, um nur das Ziel seiner Sehnsucht, Priester zu werden, zu erreichen. Mit großem Eifer studierte er Theologie, aber sein Wissensdrang und der Wunsch, etwas Rechtes zu werden, waren so groß, daß er in angestrengtem Fleiße auch in die Tiefen der übrigen Wissenschaften, namentlich der Philosophie und der Rechtswissenschaft, hinabstieg und sich so eine gründliche allgemeine Bildung aneignete. Ohne diese umfassende Bildung wäre Hacker nicht der Schöpfer eines so ausgezeichneten historischen Bilderryklus wie »Die Fugger und ihre Zeit« geworden; sie gibt die Grundlage für das dichterische Schaffen ab und verbindet sich mit dem schöpferischen Geiste zu einer innigen Harmonie.

Nachdem Hacker zum Priester geweiht war, fand er, nach allgemeinem Brauch, zunächst in der Seelsorge Verwendung, wodurch er, wie in seiner Jugendzeit, reichlich Gelegenheit hatte, das Volksleben in seinen Licht- und Schattenseiten kennen zu lernen. Dadurch gewann Hacker für seine spätere literarische Thätigkeit einen Vorteil über andere Volksschriftsteller, der nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Nur wer das Volk kennt, kann es richtig schildern; aber mit der scharfen Beobachtung des Lebens und Treibens der unteren Stände muß sich auch die Liebe verbinden, sonst wird die Auffassung vieler Vorkommnisse im Volksleben eine falsche. Diese Liebe besaß Hacker; sie war ihm angeboren, weil er ein Sohn des Volkes war, sie wurde veredelt, als die priesterliche Würde ihm die Verpflichtung anferlegte, zu den Armen und Elenden hinabzusteigen.

Mit wahrhaft apostolischem Eifer widmete der junge Priester sich seinem neuen Berufe, bis eine schwere Krankheit, zu welcher vielleicht Überanstrengung die Hauptursache wurde, seiner Thätigkeit ein Ziel setzte. Fast drei Jahre lang lag er auf dem Krankenlager, aber endlich siegte seine gesunde Konstitution. Freilich hatte er immer noch große Schonung nötig, und deshalb sandte ihn die geistliche Behörde an den Chiemsee, wo seine Gesundheit sich rasch kräftigte. Hier, in einer wundervollen Umgebung, im Angesicht der majestätischen Bergesriesen, erwachte in Hacker die Neigung, die Gedanken und Empfindungen, welche seine Seele bewegten, die Bilder, welche seine Phantasie beschäftigten, niederzuschreiben und sie einem größeren Kreise zugänglich zu machen. So wurde er Schriftsteller, und die vorliegende Erzählung, das Marienkind, war die erste, welche er in die Welt hinaussandte unter dem klangvollen Verfassernamen Franz von Seeburg.

Aber dies erste Kind seiner Muse war ein Schmerzenskind; es hatte wenig Glück auf seiner Reise in die Welt und verursachte dem Dichter manchen Kummer. Die Erzählung erschien in einem kleinen, wenig verbreiteten Blatte Tirols und brachte dem Verfasser nicht einen Pfennig Honorar ein, ja, als er die Erzählung auch als Buch erscheinen lassen wollte, mußte er obendrein noch die Kosten bezahlen. Solche Erfahrungen waren ganz dazu angethan, dem angehenden Schriftsteller die weitere literarische Thätigkeit zu verleiden, aber eine glückliche Fügung rettete ihn für die katholische Literatur. Der Begründer der Firma Pustet wurde bei einem Aufenthalt in München, wo er sich mit Reiselektüre versorgte, auf das Buch aufmerksam und erkundigte sich nach dem Verfasser, dessen Persönlichkeit ihm nunmehr hohes Interesse einflößte. Bald darauf machte er ihm am Chiemsee einen Besuch, und das Resultat dieser Zusammenkunft war, daß die beiden Manner Freunde wurden, und daß Franz von Seeburg sich auch ferner mit Freuden dem schriftstellerischen Berufe widmete. Dem Marienkind ließ er folgen: Durch Nacht zum Licht, 1872, 3. Auflage 1893; Die Nachtigall, 1876, 3. Auflage 1895; Die Fugger und ihre Zeit, 1879, 3. Auflage 1892; Joseph Haydn, 1882, 2. Auflage 1895; Die Hexenrichter von Würzburg, 3. Auflage 1894, sowie den blütenreichen Text zum ägyptischen Joseph, der als eines der schönsten Bilderbücher, die wir haben, in vielen Auflagen in deutscher, englischer, französischer, italienischer und spanischer Sprache große Verbreitung fand. Daran reihten sich die Erzählungen im Regensburger Marienkalender, welche zu den besten Volkserzählungen gerechnet werden müssen, und die demnächst in Buchform erscheinen.

Am Chiemsee wirkte Hacker einige Jahre, bis seine Versetzung nach München als Hofstiftsvikar bewirkt wurde. Bald darauf erfolgte seine Ernennung zum Religionslehrer und Prediger am Wilhelmsgymnasium, und 1886 wurde er zum Inspektor des Zentral-Blinden-Institutes ernannt. Andere Ehren blieben dem rastlos thätigen und verdienten Manne nicht aus, indem ihm auch der Titel eines Kgl. Geistl. Rats und eines Ehrenkanonikus von St. Kajetan in München verliehen wurde – aber er blieb immer derselbe bescheidene, liebenswürdige Charakter, als welchen Tausende, die ihn persönlich kannten, ihn verehrten.

Franz Xaver Hacker oder, wie wir ihn nennen wollen, Franz von Seeburg wandte sich der Schriftstellerei zu nicht allein, um einem unwiderstehlichen inneren Drange zu genügen, sondern um Werke der Erzählungskunst zu schaffen, die durch sittlichen Ernst und echt christliche Weltauffassung geeignet waren, geist- und herzbildend auf den Leser einzuwirken. Er wollte der Sturmflut von leichtfertigen Romanen und Novellen, die alljährlich Deutschland überschwemmt und oft genug auch in katholische Kreise dringt, eine gesunde Lektüre entgegensetzen. Er wollte dem Volke, wie an anderer Stelle gesagt worden ist, packende Bilder vorführen aus Vergangenheit und Gegenwart, wollte es abschrecken und warnen durch die Vorführung menschlicher Verworfenheit und sündhafter Leidenschaften und deren furchtbaren Folgen für Leib und Seele, wollte es bessern und für die Tugend begeistern durch die ergreifende Schilderung schöner christlicher Zustände und trefflicher Menschen. Und dabei war sein Hauptbestreben darauf gerichtet, das Leben so zu schildern, wie es ist, und nicht, wie die Phantasie der Dichter es so gern auszumalen liebt; er wollte der gefährlichen Verwirrung, welche durch die Lektüre überspannter Romane und Novellen in der urteilslosen Jugend und im Volk hervorgerufen werden kann, einen festen Damm entgegensetzen und so die Leser vor herben Enttäuschungen bewahren. Er liebte es deshalb, in seinen Erzählungen genau den Thatsachen zu folgen, wie sie ihm bekannt geworden waren, und legte Wert darauf, den Leser wissen zu lassen, daß er nur nach Thatsachen berichte.

Mit dieser Neigung, stets nach der Wirklichkeit zu schildern, verband sich eine Vorliebe für geschichtliche Stoffe, denn die Geschichte ist, ohne Vorurteil betrachtet, die unbestechlichste Richterin über Menschen und Thaten. Und so sind denn die meisten seiner größeren Romane historischer Natur, und Bayern, das Vaterland des Dichters, bildet fast immer den Schauplatz. Die Begebenheiten in all diesen Werken sind so überreich, daß der Leser von Anfang bis zu Ende in steter Spannung erhalten bleibt. In dem Roman: Durch Nacht zum Licht, führt uns der Dichter in das erste Viertel unseres Jahrhunderts, in die Zeit der Aufklärung, der Illuminaten und Klosterstürmer, welchen so viele herrliche Glaubensdenkmale im Königreich Bayern zum Opfer fielen, wo ein Vandalismus, der sich nur mit der Bilderstürmerei des 16. Jahrhunderts vergleichen läßt, seine Orgien feierte. Der Dichter hat, um ein getreues Bild jener traurigen und schmachvollen Periode in der Geschichte seines Vaterlandes zu geben, die umfassendsten und genauesten Studien gemacht. Das alte München steigt in prächtigen Schilderungen vor uns auf; das Hofleben wie das Leben der höheren und mittleren Stände entfaltet sich vor uns. Am besten gelungen ist aber dem Dichter die Darstellung des Treibens der geheimen Gesellschaften, wie ein ingrimmiger Haß gegen den Katholizismus sich bei vielen ihrer Mitglieder mit gemeinster Habsucht verband, und wie sie es hauptsächlich waren, die bei den Klosterräubereien ihre Hand im Spiele hatten.

In »Die Hexenrichter von Würzburg« wählte Seeburg einen ähnlichen Stoff; auch hier zeigte er die Verderbtheit der menschlichen Natur. Die Hexenprozesse, welche einen der dunkelsten Flecken in der Geschichte des deutschen Vaterlandes bilden, finden in Seeburg eine echt dichterische Beleuchtung. Er zeigt uns, wie weit menschlicher Unverstand sich verirren, bis zu welcher Höhe eine geistige Epidemie sich erheben kann, aber auch, wie gern menschliche Bosheit die Verirrungen des Verstandes zu ihrem Vorteil zu benutzen pflegt. Er zeigt, wie durch den unseligen Hexenwahn die Bande der Freundschaft, der Liebe, ja sogar des Blutes gelöst werden und ein Zustand allgemeiner Rechtlosigkeit eintritt. Auf diesem überaus dunklen Hintergrunde erhebt sich die Gestalt Friedrich von Spees, jenes edlen Jesuitenpaters, der mit Aufopferung seines Lebens Licht in die umnachteten Seelen zu bringen suchte.

Welch ein ganz anderes Gemälde entwirft Seeburg dagegen in dem großen Roman: Die Fugger und ihre Zeit! Da befinden wir uns im hellsten erwärmenden Sonnenlicht und atmen freudig auf. Bürgerliche Tüchtigkeit, gepaart mit einer echt christlichen Gesinnung, feiert ihren schönsten Triumph und zeigt dem deutschen Volke wie in einem leuchtenden Spiegel, welch einen goldenen Boden ehedem das Handwerk hatte. Gleichzeitig aber erfahren wir, daß die Fugger auch eine geistige Macht auszuüben verstanden, und daß sie manches Mal eingriffen in das Rad der Weltgeschichte. Gekrönte Häupter verweilten nicht selten an ihrem Kamin, wo sie Trost und Hilfe in ihren mannigfachen Bedrängnissen suchten und auch fanden. Seeburg erweist sich in diesem Roman, wie wir an anderer Stelle bereits ausführten, als ein poetischer Janssen. Mit unsagbarer Mühe hat er für die prächtigen Bilder deutscher Vergangenheit, welche er uns entwirft, das nötige Material aus Chroniken und Archiven zusammengeholt, aber man merkt der wundervollen Mosaik nicht an, wie viele Monate peinlicher Arbeit sie dem Künstler abverlangt hat. Mit der Entwicklung des Fuggerschen Reichtums und der Fuggerschen Machtentfaltung ist eng verknüpft die Gestaltung des bürgerlichen und sozialen Lebens in Augsburg, da der Einfluß der großen Kaufherren sich auf allen Gebieten bemerkbar machte. Und weiter knüpft sich an das Wirken der Fugger das Aufblühen des deutschen Kolonialhandels, an welchem sie so bedeutenden Anteil hatten. Ferner thun wir Einblicke in das Städteleben und die Städteverfassung des Mittelalters, wir bewundern ihre Solidität und staunen über ihre trotzig betonte Selbständigkeit, selbst dem Kaiser gegenüber. Und endlich zieht Seeburg auch die gewaltige religiöse Revolution des sechzehnten Jahrhunderts in den Bereich seiner Darstellung. Er zeigt, wie durch den »Reformator« Augsburg zu einem Feuerherde für die neue Lehre wurde, und wie die stolze Stadt daran zu Grunde ging. Seeburg zeichnet das traurige Ende eines so mächtigen Gemeinwesens mit unbestechlicher Wahrheitsliebe, aber ohne jede Gehässigkeit gegen Andersgläubige. Der Mann mit dem edlen Herzen und reichen Gemüt hätte es nicht fertig gebracht, wissentlich jemand weh zu thun. Nur Bosheit und Treulosigkeit finden in ihm einen unbestechlichen Richter.

Diese schöne Eigenschaft christlicher Milde tritt so recht in der reichen Zahl anziehender Charaktere, welche er in seinen Romanen geschaffen, und welche die abstoßenden weit überragen, hervor. Die Hauptpersonen in seinen Erzählungen, welchen er die Aufgabe zuerteilt hat, gegen Aberglauben, Niedrigkeit und Gemeinheit anzukämpfen, sind sämtlich Gestalten, die uns ins Herz hineinwachsen, von denen wir uns selbst nach beendigter Lektüre nur schwer zu trennen vermögen. Abgesehen von den Prachtmenschen, welche der Roman: Die Fugger und ihre Zeit, uns bietet – welch ein schön durchgearbeiteter Charakter ist Haydn, dessen Kampf mit materiellem Elend und menschlicher Niedrigkeit so packend geschildert ist. Wie sehr erhebt uns Pater Spee in seinem aufopferungsvollen Wirken, in seinem begeisterten Kampfe gegen Dummheit, gemeine Gesinnung und Aberglauben! Welch ein idealer Schimmer umgibt das Haupt des Marienkindes, die mit der Sittenlosigkeit und Glaubenslosigkeit ihrer Umgebung zu kämpfen hat! Und wie lieblich erscheint uns die Nachtigall aus den bayrischen Bergen, welche so herbe Erfahrungen durchzumachen hat und Liebeen und Hassen ihrer derben Landsleute kennen lernen muß. Seeburg versteht es als echter Dichter, die Seelen der von ihm geschilderten Personen vor uns offen zu legen, ihre Gedanken und Gefühle so meisterhaft zu schildern, daß wir mitdenken und -fühlen. Alle Saiten des menschlichen Gemüts weiß er mit seiner zauberkräftigen Hand in Schwingungen zu versetzen. Wir jubeln mit der beglückten echt christlichen Liebe und trauern mit dem verratenen Herzen; wir erheben uns an den Bildern echter Seelengröße und seltener Charakterstärke und fühlen tiefstes Mitleid mit dem Anblick tiefsten menschlichen Elends.

Hand in Hand mit der Herausgabe dieser Romane, welche von der Kritik mit fast einhelligem Beifall aufgenommen und vom Publikum gern gelesen wurden, ging die Veröffentlichung einer Anzahl besonders für das Volk bestimmter Erzählungen, welche im Regensburger Marienkalender und dann teilweise auch einzeln erschienen. Hier zeigt sich so recht die gründliche Kenntnis des Volkslebens, der Einblick in die schwierigsten Verhältnisse, welche Seeburg durch scharfe Beobachtung sich erworben hatte. Jeder Erzählung liegt ein tiefer Gedanke zu Grunde, der durch die Begebenheiten in das hellste Licht gesetzt wird. Die Darstellung ist echt volkstümlich und spricht zum Herzen, weil sie aus dem Herzen eines echten Dichters entsprungen ist. Wieviel Segen Franz von Seeburg mit diesen kleinen Erzählungen, die von Millionen gelesen sind, gestiftet hat – wer kann es ermessen!

Der Dichter ist tot, aber seine Werke leben und werden noch lange eine Lieblingslektüre in katholischen Familien bilden. Ein reiches Leben sank mit ihm zu Grabe; er hat unablässig gearbeitet und glaubte doch, nie genug gethan zu haben. Er war einer jener seltenen Menschen, deren Seelenkräfte in inniger Harmonie zusammenklingen, und die deshalb auch wohlthätig wirken, wo sie nur immer erscheinen. Mag er selber jetzt im Grabe ruhen – seine Dichtungen werden diesen selben Einfluß ausüben, wo sie in katholischen Familien Eingang finden.

H. K.

Franz von Seeburg. Ein Gedenkblatt. in: Das Marienkind. Siebente Auflage. 1895.



© Reiner Kaltenegger · Gräber des Alten Südfriedhofs München · 2007-2025


Erstellt mit jutoh digital publishing software (Anthemion Software Ltd.)