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JOSEPHINE VON HAGN
gest. 8. August 1881
CHARLOTTE VON OVEN
geborne von Hagn,
gest. 22. April 1891
R. I. P.
Ω
Hagn, Josefine von; – 8.8.1881 (München)
Oven, Charlotte von (gs) / Hagn, von (gb); 9.11.1809 (München) – 23.4.1891 (München); Schauspielerin
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von Hagn (gb)
* 9.11.1809 (München)
† 23.4.1891 (München)
Schauspielerin
Fräulein Charlotte von Hagn.
Königl. Preußische Hofschauspielerin.
(Biographische Skizze von Emil Linden.)
Charlotte von Hagn betrat den 29. August 1828, da sich noch nicht ihr drittes Lustrum zurückgelegt hatte, in München, ihrem Geburtsorte, zum ersten Male die Bühne als Afanasia in Kotzebue’s Schauspiel »Graf Benkowsky.« Ihre Eltern lebten in Rothenburg a. der Amper, wo sie von ihrem dritten bis zum zehnten Jahre erzogen wurde und dann mit ihnen nach München zurück kam. Ihr Talent für die Bühne machte sich auf eigene Art bemerkbar. Herr W., ein reicher Kaufmann in München und großer Kunstfreund, hatte seinen Kindern ein Theater in seinem Hause erbauen lassen, auf welchem kleine, passende Stücke aufgeführt wurden. Man wollte Körner’s Lustspiel »die Gouvernante« geben, allein keine der jungen Künstlerinnen war geneigt, die Rolle der alten Gouvernante zu übernehmen, und so würde das ganze Repertoir gestört worden sein, wenn nicht die elfjährige Charlotte Hagn sich erboten hätte, diese Rolle zu spielen. Da man wußte, daß sie, dem Willen ihres Vaters zufolge, noch nie ein Theater gesehen hatte, so konnte man sich freilich nicht viel Gutes versprechen, und teilte sich leise bange Besorgnis mit; allein kaum hatte sie eine Scene gespielt, als sie durch ihre Natürlichkeit, ihre Laune, durch manch gute Einfälle eigener Erfindung einen unerhörten Enthusiasmus erregte, und mit Beifallsbezeigungen überhäuft wurde.
Als einst die Hofschauspielerin Mad. Lange, welche bereits ihr Jubiläum gefeiert und sich von der Bühne zurückgezogen hatte, einer dieser Vorstellungen beiwohnte, wurde auch sie von den herrlichen Anlagen Charlottens so mächtig ergriffen, daß sie weder Bitten noch Vorstellungen unversucht ließ, die Eltern zu bewegen, die talentvolle Tochter der Bühne zu widmen, was ihr endlich, nicht ohne grpße Schwierigkeiten, gelang.
Madame Lange übernahm nun die Ausbildung der den Muden Geweihten; sie führte sie öfter in das Hoftheater, und setzte mit mütterlicher Liebe durch vier Jahre ihren Unterricht fort. Endlich glaubte sie, daß der Augenblick gekommen sei, ihren Zögling eine öffentliche Probe ihres Talents ablegen zu lassen; die Rolle der Afanasia wurde gewählt, und Charlotte betrat an dem erwähnten 29. August zum ersten Male die Bretter, welche die Welt bedeuten; da aber bei der Probe sowohl ihre Jugend, als eine, früher nicht bemerkte Schüchternheit, den Erfolg doch zweifelhaft machten, so mußte Mlle. Stubenrauch, welche im Besitze dieser Rolle war, sich am Abende bereit halten, im ungünstigsten Falle die Anfängerin zu vertreten. Ihre Angst war auch wirklich so groß, daß sie, als der Vorhang aufgerollt war, die Bühne verlassen und das Weite suchen wollte, ihren Entschluß auch zuverlässig ausgeführt haben würde, wenn nicht der würdige Künstler Eßlair sie durch wohl gewählte Worte ermuthigt und zum Stehen gebracht hätte. Diese Schüchternheit schwand indeß mit den ersten Scenen, und rauschender, von Moment zu Moment sich steigernder Beifall begleitete sie bis zum Schlusse. Ihre zweite Rolle war Josephine in »Armuth und Edelsinn«, ihre dritte Elisa Valberg, ihre vierte Klärchen in Göthe’s »Egmont«, nach welcher sie mit einem kleinen Gehalte an der Hofbühne angestellt wurde.
Schon im folgenden Jahre erhielt sie einen Ruf nach Wien, wo sie auf dem Hofburgtheater zehn Gastrollen mit dem glänzendsten Erfolge gab. Im Jahre 1831 ging sie nach Dresden, um da eine Gastrolle zu geben; der ungetheilte, stürmische Beifall des Publikums aber veranlaße die General-Intendantur, ihr noch zwölf zu bewilligen. Von Dresden kam sie nach Berlin, wo sie an sieben Abenden mit gleichem Stücke, wie in Wien und Dresden, auftrat, und endlich mit der Ober-Direktion der K. Hofbühne einen Kontrakt abschloß, welcher jedoch in München nicht ratificirt wurde. Bei ihrer Rückkehr dahin fand sie die berühmte Schröder, und auch diese Meisterin ließ es sich angelegen sein, der jungen Künstlerin manchen nützlichen Wink zu ertheilen. Im Jahre 1832 erhielt sie einen zweiten Ruf zu Gastrollen nach Wien, und zu gleicher Zeit sehr vortheilhafte Anträge zu einem Engagement. Sie spielte zwölf Male in Wien, mußte die Rolle der Donna Diana drei Male wiederholen, und ging von da nach der Hauptstadt Ungarns, wo sie dreißig Male bei stets überfülltem Hause auftrat.
Im Jahre 1832 kam sie zum zweiten Male nach Berlin, gab fünfundzwanzig Gastrollen und wurde, in Folge früher gepflogener Unterhandlungen, an der K. Hofbühne angestellt.
Von Berlin aus machte sie ihre erste Kunstreise nach St. Petersburg, wo sie achtzehn Male spielte, von dem Publikum mit Beifall überhäuft und von dem Kaiser und der Kaiserin auf das huldreichste ausgezeichnet und beschenkt wurde. Kleinere Ausflüge machte sie in verschiedenen Zeiträumen nach Riga, Danzig, Königsberg, Magdeburg, Breslau, Prag. Das alte Sprichwort: »man soll nicht wieder dahin gehn, wo man einmal gut aufgenommen worden ist«, bewährte sich bei Fräulein Charlotte von Hagn durchaus nicht, denn im verflossenen Jahre erhielt sie eine dritte Einladung nach Wien, um sechs Gastrollen zu geben, spielte aber, den allgemeinen Wünschen zu entsprechen, statt sechs, neunzehn Male.
Wenn Fräulein Hagn als Künstlerin unterrichtet ist, so dürften auch wenige Töchter, wenige Schwestern leben, die sich durch eine so zärtliche Liebe zu ihren Müttern, durch eine so warme Anhänglichkeit an ihre Schwester, auszeichnen, als sie. Daß sie die Kunst mit ganzer Seele liebt, bedarf keiner Versicherung, denn ohne diese Liebe bringt man der Kunst nicht so bedeutende Opfer, als sie wirklich gebracht hat.
Emil Linden: Biographisches Taschenbuch deutscher Bühnen-Künstler und Künstlerinnen; L. v. Alvensleben (Hrsg.); Zweiter Jahrgang; Fischer & Fuchs; Leipzig 1837.
43.
König Ludwig von Bayern und Charlotte von Hagn.
Als Charlotte von Hagn München verließ, schwur König Ludwig von Bayern: »Nie soll sie diese Bretter wieder betreten.« Nach Jahren ist ihm dieser Schwur aber leid geworden, und er wünscht nichts sehnlicher, als die geniale Künstlerin wieder einmal bewundern zu können. Wie aber den Schwur umgehen? Man höre: er läßt im Münchener Hoftheater die Bühne mit neuen Brettern belegen, dann sind es doch nicht »diese Bretter,« sondern andere. Auf diesen andern Brettern hat Charlotte von Hagn vor Kurzem gastirt.
Der Komiker in der Tasche. 100 neue und piquante Theater-Anekdoten. 2tes Heft. 1845.
Charlotte von Hagn.
Charlotte von Hagn, während der dreißiger Jahre neben Frau Crelinger die Hauptzierde des Berliner Theaters und trotz vieljähriger Zurückgezogenheit von der Bühne noch immer in dankbarer Erinnerung des Berliner Publicums lebend, wurde 1814 in München geboren. Ihr Talent für die Bühne machte sich, ehe noch daran gedacht wurde, sie für das Theater zu erziehen, auf eine eigene Art bemerkbar. Ein reicher Kaufmann und Kunstfreund in München hatte seinen Kindern ein Theater in seinem Hause erbauen lassen, auf welchem allerhand kleine Stücke aufgeführt wurden. Man wollte Körner's Lustspiel: »Die Gouvernante« geben, allein keine der jungen Künstlerinnen war geneigt, die Rolle der alten Gouvernante zu übernehmen, und so würde das ganze Repertoir gestört worden sein, wenn nicht die elfjährige Charlotte von Hagn sich erboten hätte, diese Rolle zu spielen. Da man wußte, daß sie, dem Willen ihres Vaters zufolge, noch nie ein Theater gesehen hatte, so konnte man sich freilich nicht viel Gutes versprechen, und theilte sich leise bange Besorgnisse mit; allein kaum hatte sie eine Scene gespielt, als sie durch ihre Natürlichkeit, ihre Laune, durch manche gute Einfälle eigener Erfindung einen unerhörten Enthusiasmus erregte und mit Beifallsbezeigungen überhäuft wurde. Hieraus entwickelten sich binnen kurzem ihre Beziehungen zur Münchener Bühne. Als einst die Hofschauspielerin Madame Lang, geborne Boudet, welche bereits ihr Jubiläum gefeiert und sich von der Bühne zurückgezogen hatte, einer dieser Vorstellungen beiwohnte, wurde auch diese von den herrlichen Anlagen Charlottens so mächtig ergriffen, daß sie weder Bitten noch Vorstellungen unversucht ließ, die Eltern zu bewegen, ihre talentvolle Tochter der Bühne zu widmen, was ihr endlich, nicht ohne große Schwierigkeiten, gelang. Madame Lang übernahm nun die Ausbildung Charlottens; sie führte sie öfters in das Hoftheater, und setzte mit mütterlicher Liebe vier Jahre hindurch ihren Unterricht fort. Endlich glaubte sie, daß der Augenblick gekommen sei, ihre Schülerin eine öffentliche Probe ihres Talents ablegen zu lassen; die Rolle der Afanasja in Kotzebue's »Graf Benjowsky« wurde gewählt, und Charlotte betrat am 29. August 1828 zum ersten Mal die Bühne. Da aber bei der Probe sowohl ihre Jugend, wie eine früher nicht bemerkte Schüchternheit den Erfolg doch zweifelhaft machten, so mußte Mademoiselle Stubenrauch, welche im Besitze dieser Rolle war, sich am Abende bereit halten, im ungünstigen Falle die Anfängerin zu vertreten. Ihre Angst war auch wirklich so groß, daß sie, als der Vorhang aufgerollt war, die Bühne verlassen und das Weite suchen wollte, ihren Entschluß auch zuverlässig ausgeführt haben würde, wenn nicht der berühmte Altmeister Eßlair sie durch herzliche Worte ermuthigt und zum Stehen gebracht hätte. Diese Schüchternheit schwand indeß mit den ersten Scenen, und rauschender, von Moment zu Moment sich steigernder Beifall begleitete sie bis zum Schlusse. Ihre zweite Rolle war Josephine in »Armuth und Edelsinn«, ihre dritte Elise Valberg, ihre vierte Klärchen in Goethe's »Egmont«, nach welcher sie mit einem kleinen Gehalte an der Hofbühne angestellt wurde.
Schon im folgenden Jahre erhielt sie einen Ruf nach Wien, wo sie auf dem Hofburgtheater mit dem glänzendsten Erfolge gastirte. 1831 feierte sie Triumphe in Dresden und Berlin; 1832 trat sie mit gesteigertem Erfolge wieder auf dem Burgtheater auf und ging dann nach Pesth, wo sie das leicht erregbare Publicum zum Enthusiasmus hinriß. Bei ihrer Rückkehr nach München fand sie daselbst die berühmte Schröder (Mutter der Schröder-Devrient) vor, die es sich angelegen sein ließ, der jungen Künstlerin Rath und Lehre zu ertheilen. Ihre Beliebtheit beim Publicum wuchs, nichts desto weniger kamen Dinge vor, die ihr ein Aufgeben ihrer Münchener Stellung wünschenswerth machten. Sie nahm daher ein Engagement bei der Berliner Hofbühne an, der sie von 1833 bis 1846 ununterbrochen angehörte. Sie erwarb sich alsbald den Ruhm der Meisterschaft und wurde bei wiederholtem Gastspiel in Petersburg, Hamburg, Pesth etc. aufs glänzendste gefeiert. Im Trauerspiel, als Julia, Ophelia, Gretchen, Klärchen, Louise (in Kabale und Liebe) etc., erreichte sie nie das Höchste, es war ihr der Ausdruck schlichter Mädchenhaftigkeit, wie der des höchsten tragischen Pathos in gleichem Maße versagt, aber im Lustspiel und Conversationsstück war sie bezaubernd. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die deutsche Bühne nie etwas Aehnliches an neckischer Grazie, an leichter vornehmer »Tournure«, an feinstem, espritvollstem Gesellschaftston besessen hat. Als Donna Diana, als bezähmte Widerspenstige, als Sabine (in der »Einfalt vom Lande«) war sie hinreißend, überhaupt in den Töpfer'schen und Blum'schen Lustspielen jener Epoche, die zum Theil ihr zu Liebe und mit besonderer Rücksicht auf ihr Talent geschrieben wurden. Nicht mit Unrecht wurde sie die deutsche Dejazet genannt. Sie haßte es, sich dem blos Hergebrachten, der Theater-Convenienz zu fügen; sie anerkannte nur die Gesetze der Schönheit und Wahrheit und schuf ihre Rollen aus dem Leben und der eigenen Empfindung heraus. Im Frühjahr 1846 verließ sie, zu großer Betrübniß des Berliner Publikums, die Bühne und vermählte sich mit dem Gutsbesitzer Alexander von Oven. Ihre Ehe war indeß nicht glücklich und wurde schon 1851 wieder getrennt. Charlotte lebte darauf eine Zeitlang in Gotha, wo ihre Schwester, Louise von Hagn, an der Hofbühne engagirt war, zog sich aber einige Jahre später nach München zurück, wo sie in stillem, aber befreundetem Kreise lebt.
Frauen der Zeit. Supplement zu Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart. Leipzig; 1862.
In dem Künstlerkreise, welcher in den dreißiger Jahren der Berliner Hofbühne zur Zierde gereichte, tritt als eine ganz besonders glänzende Erscheinung
Charlotte von Hagn,
hervor.
Sie war (1813 in München geboren) die Tochter eines höheren Beamten, hatte also das Glück, von Jugend auf in guten Verhältnissen zu leben und eine dem Stande ihrer Familie angemessene Erziehung zu erhalten, ein Umstand, der ihr bei ihren Kunstleistungen, besonders bei denen im feinen Conversationsstück und Lustspiel, sehr nützlich wurde. So vieles, was andere Darstellerinnen im Fache der Salondamen sich erst durch scharfe Beobachtung in höheren geselligen Kreisen erwerben, gleichsam anlernen müssen, war ihr anerzogen. Nicht minder war das aber auch bezüglich ihrer hochtragischen Leistungen der Fall, denn sie hatte durch ihre gesellschaftliche Stellung und Erziehung leichter einen weiteren Gesichtskreis gewinnen, mit weniger Mühe zu tieferem Verständniß der Dichterwerke vordringen können.
Die große Begabung Charlottens gab sich ganz unerwartet schon in ihrer Kindheit zu erkennen. Ein Freund ihrer Familie, ein reicher Kaufmann, der eine ganz besondere Vorliebe für die schönen Künste und namentlich für das Theater hegte, hatte in seinem Hause für seine Kinder ein Theater einrichten lassen. Es wurden hier von Kindern für diese passende kleine Stücke aufgeführt. Es sollte einst das Lustspiel »die Gouvernante« von Theodor Körner gegeben werden, doch stieß man dabei auf die große Schwierigkeit, daß keines der eitlen kleinen Mädchen die alte Gouvernante spielen wollte. Da erbot sich Charlotte, die allgemein verschmähte Rolle zu übernehmen.
Ihr Vater hatte sie bis dahin grundsätzlich vom Theater fern gehalten, so daß sie ein solches nie gesehen, also auch kaum einen Begriff von einer Schaubühne oder einer theatralischen Darstellung haben konnte. Man hielt es daher für unmöglich, daß Charlotte selbst nur auf einem solchen Kindertheater zu verwenden sein würde; da man jedoch keine andere Darstellerin für die alte Rolle hatte, so mußte man Charlottens Mitwirkung schon zugeben, allerdings nicht ohne die Furcht, daß sie die ganze Aufführung durch Ungeschick stören würde.
Allgemein war man aber erstaunt, als man sah, mit welcher Leichtigkeit und Natürlichkeit, mit welchem Humor das elfjährige Kind die Rolle spielte, wie sie ohne irgend welche Anleitung manche glückliche Nuance gefunden hatte.
Von dieser Zeit an war sie eines der thätigsten Mitglieder dieses Kindertheaters; das große natürliche Talent entwickelte sich schon in diesem kleinen Kreise in so auffallender Weise, daß die pensionirte Hofschauspielerin Lange, als sie einmal einer solchen Vorstellung beiwohnte, von der Leistung Charlottens auf das Höchste überrascht war und Herrn von Hagn dringend anging, dem Genie der Tochter keine Schranken zu setzen und es zu gestatten, daß diese sich ganz dem Künstlerberufe widme.
Es konnte kaum anders sein, als daß ein Mann in Herrn von Hagns Stellung sich ganz entschieden gegen dieses Ansinnen aussprach. Unendlich viele Mühe kostete es, ehe der Vater sich dazu herbeiließ, die Tochter Schauspielerin werden zu lassen – endlich aber konnten die Aeltern dem Andringen der Freunde des Hauses nicht mehr widerstehen, und Frau Lange übernahm nun die künstlerische Erziehung des so reich begabten Kindes.
Vier Jahre lang genoß Charlotte diesen Unterricht, und wenn Frau Lange auch oft selbst erstaunt war über die raschen Fortschritte ihres Zöglings, so wollte sie das noch sehr junge Mädchen doch nicht eher zur praktischen Ausübung der Kunst zulassen, bis dasselbe es zu einem solchen Grade von Fertigkeit gebracht haben würde, daß nicht der geringste Zweifel an der Berechtigung eines öffentlichen Debüts mehr aufkommen könnte.
Fünfzehn Jahre alt (1828) betrat Charlotte von Hagn zum ersten Male die Bühne des Münchener Hoftheaters. Sie gab die Afanasia in dem Schauspiel »Graf Benjowsky oder die Verschwörung in Kamtschatka« von Kotzebue. Der Erfolg der jungen Künstlerin war ein so außerordentlicher, daß die Intendanz des Hoftheaters sie bald darauf unter sehr vortheilhaften Bedingungen engagirte.
In München war ihr die schönste Gelegenheit zu weiterer Ausbildung gegeben, da das dortige Hoftheater auch bezüglich des recitirenden Drama's auf bedeutender Höhe stand und sich überdem die hervorragendsten Künstler dieser Bühne, namentlich Eßlair, Vespermann und Urban, entzückt von diesem großartigen und anmuthigen Talent, der jungen Darstellerin liebevoll annahmen und sie auf jede Weise zu fördern suchten.
Nicht geringen Einfluß auf die fernere künstlerische Entwicklung Charlottens gewann auch die große Sophie Schröder, mit welcher die junge Künstlerin bei Gelegenheit eines Gastspiels in Wien bekannt wurde.
Bis zum Jahre 1833 blieb Charlotte von Hagn bei der Hofbühne ihrer Vaterstadt, dann folgte sie einem Rufe der General-Intendanz des preußischen Hoftheaters.
Hier begründete sie ihren großen Künstlerruf und zahlreiche Gastspiele an fast allen großen und größeren Bühnen Deutschlands verschafften auch dem Publicum anderer Städte die Gelegenheit, diese außerordentliche Erscheinung am deutschen Kunsthorizont kennen zu lernen. Ihre Gastspielreise nach Petersburg glich einem Triumphzug, und reich beladen mit Ehren und Gold kehrte sie von der russischen Hauptstadt zurück.
Bis zum Frühjahr 1846 blieb sie Mitglied der Berliner Hofbühne, dann entsagte sie für immer der Kunst und vermählte sich mit dem Gutsbesitzer von Oven. Leider wurde sie dadurch der künstlerischen Thätigkeit zu früh entrückt.
Charlotte von Oven lebt noch gegenwärtig als Witwe in ihrer Vaterstadt in glänzenden Verhältnissen allgemein geehrt und geachtet.
Bei ihrer hohen geistigen Begabung war ihr auch das Glück geworden, die schönsten äußeren Mittel für ihre Kunst mit zu bringen. Sie war eine wahrhaft schöne Erscheinung von hohem schlanken Wuchs; ihr edles, ausdrucksvolles Gesicht, der Adel ihrer Stellungen und Bewegungen, die natürliche Anmuth, welche ihre ganze äußere Erscheinung übergoß, ein schönes klangvolles Organ – das Alles vervollständigte in seltener Weise diese Künstlerpersönlichkeit, die zu den bedeutendsten in der Geschichte des deutschen Theaters zählt.
Hinreißend, unübertrefflich war Charlotte von Hagn besonders in Genrebildern, in naiven Rollen und in der Darstellung von schalkhaften, pikanten Frauenrollen, besonders wenn bei solchen Aufgaben ihr Gelegenheit geboten ward, ihren großen Fond von Innerlichkeit und Poesie geltend zu machen. Walpurgis in »des Goldschmieds Töchterlein« war eine Leistung, die in diesem Genre wohl kaum ihres Gleichen gefunden hat. Aber auch im Fache der eleganten Salondamen wußte sie durch Geist und Anmuth zu entzücken, wie in der hohen Tragödie durch Würde und ideale Poesie hinzureißen.
Ferdinand Gleich: Aus der Bühnenwelt. Biographische Skizzen und Characterbilder von Ferdinand Gleich. Leipzig, 1866.
Charlotte von Hagn war ein Münchener Kind und entzückte ebenso durch ihre vollendete Schönheit, wie durch ihr graziöses Spiel, indem sie ihre Rollen nicht conventionell, sondern nach eigener wärmster Empfindung aufgriff und nach dem Leben schuf. Charlotte von Hagn war nach den Zeugnissen der Zeitgenossen unstreitig ein großartiges Talent, feurig und erfindungsreich, feinsinnig und anmuthig; auch im Umgange und im Gesellschaftsleben bezaubernd witzig, huldigte sie im phantasievollen Uebermuthe einer ungebundenen Lebensauffassung. Diese einstmals hochgefeierte Künstlerin (geb. 23. März 1809) soll zunächst durch ungünstige Verhältnisse ihrer Familie veranlaßt worden sein, sich der Bühne zu widmen und betrat am 29. August 1826 zum erstenmale die Münchener Hofbühne als »Afanasia.« Ihr Erfolg führte zum Engagement, das aber Charlotte bereits nach sieben Jahren wieder eigenmächtig löste und nach wiederholtem Gastspiele eine Stellung am kgl. Schauspielhause in Berlin vorzog. Im Frühjahre 1846, also kurz nach ihrem letzten hiesigen Gastspiel, vermählte sich die Künstlerin mit dem Gutsbesitzer Alex. von Oven und betrat die Bühne nicht wieder. Die Ehe jedoch war keine glückliche und wurde später wieder getrennt. Charlotte von Hagn, verwittwete (geschiedene) von Oven, ist am 23. April 1891 in München gestorben.
Die Scheinwelt und ihre Schicksale. Eine 127jährige Historie der Münchener kgl. Theater im populärer Form und als Jubiläums-Ausgabe. Zu Ehren des fünf und zwanzigjährigen Dienst-Jubiläums Seiner Excellenz des Herrn General-Intendanten Freiherrn von Perfall von Max Leythäuser. München; 1893.
Hagn Charlotte von, geboren am 23. März 1809 in München. Sie war eine Beamtenstochter und stammte aus einem alten Braunschweigischen Geschlechte, aus dem sich ein Graf Hagn 1532 in der Kirchenreformation ausgezeichnet hat. Sie lebte von Jugend auf in guten Verhältnissen und erhielt eine angemessene Erziehung.
Ihre große Begabung für die Bühne gab sich schon ganz unerwartet in ihrer Kindheit zu erkennen. Es sollte nämlich das Lustspiel »Die Gouvernante« von Körner, von Kindern dargestellt werden, und als sich keines der kleinen eitlen Mädchen entschließen konnte, die »Alte Gouvernante« zu spielen, bot sich H., die bisher vom Theater ferne gehalten worden war und noch nie ein solches gesehen hatte, für diese Rolle an. Und alles war erstaunt, mit welcher Natürlichkeit und mit welchem Humor die elfjährige H. ohne irgend welche Anleitung ihren Part durchführte.
Seit dieser Zeit beherrschte sie nur ein Gedanke, sich dem Theater zu widmen. Der Vater wollte absolut nichts davon wissen, ließ sich endlich jedoch durch die Hofschauspielerin Marianne Lang, geborene Boudet, die von dem großen natürlichen Talente der Kleinen entzückt war, dazu bewegen, daß die Kleine bei Frau Lang dramatischen Unterricht genieße. Vier Jahrelang ging sie zu dieser tüchtigen Künstlerin in die Lehre. So entsprechend vorbereitet, betrat sie am 29. August 1828 als »Afanasia« in »Graf Benjovsky« zum erstenmal die Bühne des Münchener Hoftheaters, und zwar mit so außerordentlichem Erfolg, daß man sofort ihr Engagement beschloß.
Sie hatte auch daselbst die beste Gelegenheit, sich weiter auszubilden, da das bayerische Hoftheater bezüglich des recitierenden Dramas auf bedeutender Höhe stand und Künstler von klangvollsten Namen, darunter auch Eßlair, Vespermann und Sophie Schröder es sich angelegen sein ließen, der jungen Schauspielerin manch nützlichen Rat zu erteilen. Sie wirkte in München bis 1833, in welchem Jahre sie durch unangenehme Verhältnisse am dortigen Hoftheater sich veranlaßt sah, ihre Entlassung zu nehmen und einem verlockenden Rufe an das Hoftheater in Berlin Folge zu leisten. Hier begründete sie eigentlich ihren großen Künstlerruhm, und von dort aus unternahm sie Gastspielreisen, die sie bis nach Petersburg führten und von welchen sie stets mit Ehren und Gold beladen nach Hause zurückkehrte.
Die Berliner wußten ihr großes Talent gar bald zu schätzen und der König versicherte sich ihrer bereits 1840 durch einen lebenslänglichen Vertrag. Von ihren Gastspielen in Deutschland sei namentlich ihres zweimaligen Erscheinens in Wien Erwähnung getan. So erhielt sie 1832 einen Gastspielantrag ans Hofburgtheater, wo sie am 31. Januar als »Jungfrau von Orleans«, am 22. als »Louise« in »Kabale und Liebe« und am 24. Februar als »Julie« in »Romeo und Julie« erschien. Sie gefiel außerordentlich. Besonders als »Louise«, berichtet Costenoble, hätte ihn keine der ihm bekannten »Louisen« so fortgerissen, als die H. Ebensolche Erfolge errang sie 1835 daselbst, und nannte man ihre Darbietungen namentlich in Genrebildern, in naiven Rollen und in der Darstellung von schalkhaften, pikanten Frauenrollen geradezu »hinreißend und unübertrefflich«.
In Berlin nannte man ihre »Walpurgis« in »Goldschmieds Töchterlein« eine Leistung, die in diesem Genre wohl kaum ihresgleichen gefunden hat. So sehr sie jedoch im Fache der eleganten Salondame durch Geist und Anmut zu entzücken wußte, eine Heroine war sie nicht. Dies erwähnt auch Heinrich Anschütz in seinen »Erinnerungen«, indem er sagt: »Für die Tragödie war Charlotte von Hagn nie von Bedeutung, denn es fehlte ihr an Größe der Auffassung, an Tiefe der Empfindung für die Darstellung mächtiger Leidenschaften und Konflikte, und auch an dem erforderlichem Schwunge der Phantasie. Viel bedeutender wirkte sie im Konversationsfache.
Von einer glänzenden Erscheinung voll der anmutigsten Formen unterstützt, legte sie auf diese den Schwerpunkt, und die Darstellung heiterer und ausgelassener Weltkinder, sowie der koketten Salondamen fand an ihr eine außerordentlich glückliche und begabte Repräsentantin. Rollen wie »Mirandolina«, »Hedwig von Gilden« im »Ball von Ellerbrunn«, »Baronin Holmbach« in »Stille Wasser sind tief«, »Landjunkerstochter« in »Ich bleibe ledig«, »Margarethe von Western« in »Erziehungsresultate«, »Olga« in »Isidor und Olga«, »Donna Diana« etc. haben Anspruch auf gerechte Anerkennung, die denn auch sowohl in München wie in Berlin der schönen Frau in vollem Maße von hoch und niedrig, von reich und arm zuteil geworden ist.«
Daß sie in Wien durch ihre Glanzleistungen einen förmlichen Aufruhr in die Gemüter brachte, beweist die Bemerkung Costenobles (1. Dezember 1835): »Die Hagn besitzt die Liebe des ganzen hohen Adels. Selbst Könige und Prinzen sind vernarrt in die Anmutige.« Im März 1846 reichte die Künstlerin dem Gutsbesitzer Alexander von Oven die Hand zum Ehebunde und trat von der Bühne zurück.
Ein Bild ihrer Persönlichkeit und ihrer Empfindungen gibt Gustav zu Putlitz in seinen »Theatererinnerungen«, er schreibt: »Charlotte von Hagn kann man mit Recht die glänzendste Erscheinung im deutschen Lustspiel nennen, unerreicht in dem Genre, das sie selbst schuf, ja unerreichbar, weil das Genre eine Spezialität war. Über das Genre ließe sich streiten, über Charlotte von Hagns Meisterschaft in demselben nicht. Die geistsprühenden, von blendender Schönheit der ausdrucksvollen Züge und der ebenmäßigsten Gestalt unterstützten Darstellungen, fesselten durch eine ununterbrochene Kette immer neu überraschender Pointen. Selbst das Gewagteste erschien im Maße der Anmut. Charlotte von Hagn trat ab, noch ehe meine schriftstellerischen Versuche sich an das Licht der Lampen wagten, sie hat also niemals eine Rolle von mir spielen, ich nie eine für sie schreiben können. Nichtsdestoweniger konnte ihre Darstellungsweise, die ich in der höchsten Blüte durch mehrere Jahre kennen lernte, nicht ohne Einfluß bleiben. Ich habe nach ihrer Verheiratung eine Saison in Ostende mit ihr verlebt. Alles, was sie sprach, dachte, tat, war voll Esprit, und daß ich ein französisches Wort für die Künstlerin wählen muß, mag zeigen, daß ihre künstlerische Begabung ein gutes Teil französischen Elementes an sich trug. Vielleicht ist sie die einzige deutsche Schauspielerin gewesen, die es vermocht hätte, sich auch in Paris eine glänzende Künstlerlaufbahn zu erringen, um neben einer Mars, sicher neben einer Madeleine Brohan Triumphe zu feiern. Damals von der Bühne zurückgetreten, krankte sie an dem Heimweh nach derselben, aber nicht an dem sentimentalen, an dem das Herz bricht, sondern an dem zürnenden, sich selbst ironisierenden, das gegen die Fesseln grollte, die sie von dem Felde ihrer Triumphe zurückhielten. Ihr Traum, ihre glühendste Sehnsucht war es, zur Bühne zurückzukehren, auf der noch ein großes Feld der Tätigkeit, der Erfolge sie erwartet hätte. Sie hat dieselbe nie wieder betreten, denn als die Hindernisse fortgeräumt waren, die sich damals ihrer Sehnsucht entgegenstellten, machte eine lange, lähmende Krankheit die Erfüllung unmöglich.«
1851 wurde ihr Ehe gelöst, dann nahm sie eine zeitlang auf einem Landgute in Schlesien Aufenthalt, hierauf in Gotha und in den letzte Jahrzehnten in ihrer Vaterstadt, wo sie hochbetagt am 23. April 1891 starb.
Ludwig Eisenberg’s Grosses Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Leipzig, 1903.
Oven Charlotte, von, geb. von Hagn, 1809 (München) – 1891, Schauspielerin; schon als Mädchen zeigte O. bei Kinderaufführungen Begabung für die Bühne; trotz väterlichen Widerstandes erhielt sie bei der Hofschauspielerin Marianne Lang, geb. Boudet, dramatischen Unterricht; von 1826–1833 gehörte sie dem Münchner Hoftheater an; obwohl sie allgemein beliebt war, löste sie eigenmächtig ihr Verhältnis zur Hofbühne; ihren Ruf begründete O. auf der Hofbühne in Berlin; erfolgreich waren auch ihre Gastspiele in Berlin, St. Petersburg (= Leningrad), Hamburg, Leipzig und Budapest; durch ihre seltene Schönheit fand sie überall Beifall; Gustav zu Putzlitz erklärte O. für »die glänzendste Erscheinung des deutschen Lustspiels« und meinte, daß sie »vielleicht die größte deutsche Schauspielerin gewesen sei, die es vermocht hätte, sich auch in Paris eine glänzende Künstlerlaufbahn zu erringen«.
© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.