Inhalt | Register | |



23 – 1 – 20 (Max)

Ω

HIER RUHT
GABRIEL VON MAX
Kgl. PROFESSOR, EHRENDOKTOR DER UNIVERS. JENA
RITTER DES MAXIMILIANS u. a. HOHER ORDEN
Geb. 23. AUG. 1840 zu PRAG † 24. NOV. 1915 MÜNCHEN.

Liegestein

¿
CORNEILLE MAX
KUNSTMALER
1875 – 1924

Ω

|||

Corneille Max

* 12.5.1875 (München)
† 12.2.1924 (München)
Landschaftsmaler, Portraitmaler und Radierer

Münchner Neueste Nachrichten (24.2.1924)

Gestern um 12 Uhr mittag entschlief sanft nach schwerem Leiden mein lieber Mann

Corneille Max
Kunstmaler.

München (Mozartstr. 18), 23. Februar 1924.

Stora Max
und die tieftrauernden Hinterbliebenen.

Beerdigung: Montag, den 25. Februar, vorm. 11 Uhr im Südlichen Friedhof.

Gottesdienst: Dienstag, den 26. Febr., vorm. 9¼ Uhr in der St. Paulskirche.

Münchner Neueste Nachrichten Nr. 54. Sonntag, den 24. Februar 1924.

Generalanzeiger (26.2.1924)

Bestattungen

Kunstmaler Corneille Max wurde im Südfriedhof zu Grabe getragen unter Beteiligung von Berufsgenossen und anderen Leidtragenden. Professor Doerner widmete im Namen der Münchner Künstler-Genossenschaft dem lieben Weggenossen einen herzlichen Nachruf und legte einen Kranz nieder; ein weiterer Kranz war von der »Gruppe«. Die Pfarrgeistlichkeit von St. Paul nahm die Einsegnung vor.

Generalanzeiger der Münchner Neueste Nachrichten Nr. 56. Dienstag, den 26. Februar 1924.

Münchner Neueste Nachrichten (27.2.1924)

Danksagung.

Für die Beweise inniger Teilnahme und die herrlichen Blumenspenden beim Heimgange meines lieben Mannes

Corneille Max
Kunstmaler

sei hiemit mein herzlichster Dank ausgesprochen.

Stora Max
und die tieftrauernden Hinterbliebenen.

Münchner Neueste Nachrichten Nr. 57. Mittwoch, den 27. Februar 1924.

Münchner Neueste Nachrichten (24.4.1924)

Der Maler Corneille Max, der, wie gemeldet, vor kurzem einem qualvollen Leiden erlegen ist, war der älteste Sohn von Gabriel Max, dessen Ruhm einst tatsächlich ganz Europa erfüllte und dessen künstlerischer Rang wohl auch erst wieder zu voller Geltung kommen wird. Corneille, geboren am 10. Mai 1875, war dieses Meisters ältester Sohn. Durch die bekannten Sonderinteressen und die Sammlungen des Vaters angeregt, wollte er erst Naturwissenschaften studieren, schließlich aber gelangte er doch, Sproß einer alten böhmischen Künstlerfamilie, zu dem Entschlusse, sich ganz der Kunst zuzuwenden. Schon im Vaterhause war er früh zum Zeichnen nach der Natur angehalten worden. Er besuchte etliche Semester die Münchener Kunstakademie — unter Professor Hackl — ging dann in die bekannte Privatschule von Azbé über und arbeitete außerdem noch in der Werkstatt seines Vaters, wo er den ersten Unterricht im Malen erhielt. Nachdem er sein Einjährigenjahr abgedient, begab sich C. Max auf mehrere Jahre nach Italien und zwar in Begleitung seiner Frau, einer Tochter unseres unvergeßlichen Lorenz Gedon. Nach seiner Rückkehr begann eine Zeit erneuten Lernens; er malte zunächst mit Vorliebe Landschaften und sein erstes, auch gleich verkauftes Bild war ein »Osterreigen« mit landschaftlichem Hintergrund. Immer mehr aber wurde nun das Bildnis, insbesondere das Kinderbildnis, sein Fach, und als Kinderporträtist ist Corneille Max denn auch am weitesten bekannt geworden. Er faßt seine Kinderporträte eigentümlich zwanglos und liebenswürdig auf und stellte seine Modelle gerne in eine anziehende Landschaft. So hat er eine stattliche Anzahl von derlei Porträten geschaffen, die ihm viele Freunde warben. Neben der Malerei, für die er sich eine intime Technik mit Vermeidung lauter, indiskreter Farben zurechtgelegt, pflegt C. Max im letzten Jahrzehnt besonders für die gleichen Zwecke der Bildnismalerei die farbige Radierung. Mit ihr erreicht er ganz ähnliche Wirkungen und schuf in dieser Technik eine ganze Reihe großer, eindrucksvoller Blätter.

Münchner Neueste Nachrichten Nr. 109. Donnerstag, den 24. April 1924.

|||

Cornelius Gabriel Ritter von Max

* 23.8.1840 (Prag)
† 24.11.1915 (München)
Akademieprofessor und Historienmaler

Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte (1883)

Gabriel Max.

Von Adolf Kohut.

»Der Genius hat seine eigene Bahn; bewegte er sich im Kreise des täglichen Lebens, so wäre er eben nicht der Genius, sondern etwas Alltägliches. Seine Bahn ist nicht notwendig eine phantastisch irrende, obwohl es oft so scheinen mag, da sie in weiten Kreisen geht. Der Genius ist gut und groß, und in seiner Güte und Größe sucht er die ewigen Gesetze der Ordnung, sucht er das Leben harmonisch zu gestalten.« Dieser Ausspruch Lewes', des berühmten Biographen Göthes, findet seine trefflichste Anwendung auf einen Genius, dem diese Skizze gewidmet ist, auf Gabriel Max. Die kleinen Geister, welche an alles Große und Gewaltige ihren winzigen Maßstab anzulegen pflegen, machten ihm vom Beginn seiner glanzvollen künstlerischen Laufbahn bis auf den heutigen Tag den Vorwurf, daß er nicht auf den staubigen Heerstraßen der Historien- und Genremaler der Durchschnittsbegabung einherwandle, sondern sich Pfade gewählt habe, welche durchaus abseits vom Wege seien; daß er mit Vorliebe durch Dickicht und Gestrüpp sich eine Bahn zu ebnen suche und es nicht verschmähe, seltene Blumen und Pflanzen zu pflücken, trotzdem sie einen betäubenden Duft verbreiten und das Leben vergiften. Diese Anklagen fanden jedoch nur kurze Zeit ein Echo bei dem deutschen Volke. Je mächtiger Gabriel Max seine künstlerischen Schwingen entfaltete und je zahlreicher die Gemälde wurden, welche er auf den Markt brachte, desto mehr wuchs die Sympathie des Publikums für den eigenartigen und originellen Meister; und wenn die Stimmen der kritischen Rhadamanthusse gar zu laut wurden, konnte sich der Meister mit dem Ausruf Lessings trösten:

Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? – Nein!
Wir wollen weniger erhoben
Und fleißiger gelesen sein.

Und in der That wurde er »fleißig gelesen«, d. h. seine Bilder wurden emsig gekauft, während die Schöpfungen vieler von der Kritik belobten gebildeten Mittelmäßigkeiten zuweilen von Ausstellung zu Ausstellung wanderten, ohne Käufer zu finden. Aber von Jahr zu Jahr wird die Zahl der grundsätzlichen Tadler von Gabriel Max geringer, und in den weitesten Kreisen selbst der berufsmäßigen Beurteiler bricht sich immer mehr die Überzeugung Bahn, daß auch hier des Volkes Stimme Gottes Stimme sei und daß die allgemeine Beachtung, ja die außerordentliche Sensation, welche jedes neue Werk des Künstlers hervorrufe, als eine durchaus berechtigte und naturgemäße bezeichnet werden müsse.

Gabriel Max ist eben ein Genius, der »seine eigene Bahn hat«; den Russen Wereschagin etwa ausgenommen, der aber zumeist die Schattenseiten des Krieges auf die Leinwand gezaubert, hat es noch nie einen Helden der Palette gegeben, welcher die Tragik, aber auch die Poesie des Leidens, die Abgründe, aber auch die Süßigkeiten des Schmerzes, die Schrecken, aber auch die Geheimnisse des Todes mit solch ergreifenden, ich möchte fast sagen, fascinierenden Farben gemalt hätte wie Max. Was Arthur Schopenhauer in der Metaphysik, ist Gabriel Max in der Malerei; wie jener vertieft auch dieser sich in die Verneinung des Lebens; wie jener hebt auch dieser den Schleier der Maja, und wir erblicken schaudernd die finsteren Gestalten, die auf Erden auf Schritt und Tritt uns entgegengrinsen; und wie jener neigt auch dieser zum Mysticismus hin: das Geheimnisvolle, Unerforschliche und Traumhafte übt auf seinen Geist eine Wirkung aus, welche der scharfe, nur mit den gegebenen Thatsachen und Erscheinungen rechnende Logiker kaum begreifen kann. Ist's daher zu verwundern, daß in unserer Zeit, wo der Pessimismus eine solch gewaltige Rolle spielt, wo die socialen Gegensätze immer schärfer sich zuspitzen und die erleuchtetsten Politiker und Denker ihre ganze Erfindungsgabe erschöpfen, um die gähnende Kluft zwischen arm und reich einigermaßen zu überbrücken, ein Maler die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich lenken mußte, welcher den Weltschmerz in Farben austönen läßt und den Jammer des Daseins in kunstvollen Gebilden uns veranschaulicht? Als echter Sohn des neunzehnten Jahrhunderts und als Verehrer und Geistesverwandter Heinrich Heines ist aber Max nicht nur Pessimist, sondern auch Satiriker, denn wie der »ungezogene Liebling der Grazien« ist auch er bestrebt, dem Weltschmerz eine Dosis Ironie beizumischen, und diese pikante Zugabe mußte ein Zeitalter reizen, welches die Tragik des Lebens durch Selbstironie zu mildern trachtet und das über die Wirkung mächtiger Leidenschaften und tiefer Gefühle sich durch einen Scherz oder leichten Spott hinwegzuhelfen sucht.

Alles in allem genommen, erscheint Gabriel Max am Firmament der deutschen Kunst als ein Gestirn, welches in eigenem und nicht erborgtem Glanze leuchtet, und als inkommensurable Größe, welche mit keiner anderen verglichen werden kann. Eine solche Erscheinung ist sehr schwer im Bilde festzuhalten, aber der Versuch muß doch gemacht werden, – heißt es doch auch hier: et in magnis voluisse sat est!

Gabriel Cornelius Max stammt aus einer berühmten Künstlerfamilie. Er wurde am 23. August 1840 als Sohn des Bildhauers Joseph Max und der Bildhauerstochter Anna Max, geb. Schumann, in Prag geboren. Beide Großväter des Künstlers waren Bildhauer, und bis ins sechzehnte Jahrhundert läßt sich's nachweisen, daß in der Familie Max die edle Kunst des Praxiteles eine fleißige und würdige Vertretung gefunden. Merkwürdigerweise bestimmte ihn sein Vater nicht zum Bildhauer, sondern zum Maler; denn Joseph Max hatte eine große Vorliebe für die Malerei und malte und zeichnete selbst in den Mußestunden, namentlich aber seit seiner im Jahre 1841 unternommenen italienischen Reise, wo er in Rom die klassischen Meisterwerke italienischer Maler nicht genug bewundern konnte. Daß unser Gabriel bereits als Kind für die Malerei von ihm bestimmt war, beweist schon sein Name. Der zärtliche Vater war der Meinung, daß sein Söhnchen als dritter im Bunde mit den Erzengeln der Malerei: Raphael und Michael (Angelo), nur Gabriel heißen könne. Den ersten Unterricht in seiner Kunst genoß er beim Vater und lebte bis zum fünfzehnten Jahre im glücklichen Daheim bei den geliebten Eltern und drei Geschwistern. Zu jener Zeit gab es im Reiche der Stephanskrone ebensowenig wie in der Stadt des heiligen Nepomuk Staatsschulzwang oder einjährigen Unfreiwilligendienst, der Unterricht der Jugend wurde ausschließlich von den Eltern bestimmt. Ein Schullehrer kam regelmäßig morgens von sieben bis acht Uhr ins Haus und unterwies die Jugend in den nötigen Elementarkenntnissen; das Studium in den fremden Sprachen, im Lateinischen, Französischen, Englischen u. s. w., fiel nicht gerade auf fruchtbaren Boden, dafür aber schwärmte der junge Gabriel in Gemeinschaft mit fünfzehn bis zwanzig Schülern und Gehilfen des Vaters für das Zeichnen, Malen, Modellieren und die Freuden der Natur. Seine freie Zeit benutzte Gabriel dazu, um sich im Garten herumzutummeln und unter Bäumen zu träumen. An schönen Abenden ging der Jüngling mit seinen Eltern den Hradschin hinauf in das einsame und poetische Alsternbergsche Palais, in welchem der Freund seines Vaters, der Maler G. Kratzmann, Inspektor der daselbst in langen Saalreihen aufgestellten städtischen Gemäldegalerie war. In diesem alten Gebäude auf der Höhe des Hirschgrabens, in den Räumen der Galerie, vor deren Fenstern die Wipfel hoher Bäume, auf welche Jahrhunderte herabblicken, rauschten, wo man bei Amselgesang in Grabesruhe mit alten Meistern verkehren konnte, hielt sich Gabriel tagelang, sich selbst überlassen, malend und zeichnend, auf. Nahe der Stelle, wo Tycho de Brahe und Johann Kepler die ewigen Geheimnisse des Himmels erforschten, umgeben von Bildern auf Gängen, Zimmern, Speichern und Gartensälen, oder, wenn Gesellschaft war, draußen im Mondschein duftender Gartenbäume, lernte er schon frühzeitig die Mysterien der Natur belauschen, und die Schauer der Einsamkeit wie die Melancholie des Daseins erfüllten seine Seele mit unverlöschlichen Eindrücken. »Die mondbeglänzte Zaubernacht, die den Sinn gefangen nimmt«, regte den jugendlichen Romantiker gar gewaltig an, und wenn er das Palais verließ und sich nach Hause begab, konnte er sich an all den mondhellen historischen Bauten, an denen die alte Hauptstadt Böhmens so reich ist, nicht satt genug sehen; und wenn der Vater ihn auf dem Heimwege begleitete, wurde die Gelegenheit benutzt, um Gabriel auf diesem praktischen Wege allerlei Lokalgeschichtskenntnisse beizubringen. Wie absonderlich es auch erscheinen mag, eine Sommernacht in dem damaligen Prag war wie eine Mondnacht in Rom, und als Gabriel Max sich später nach Rom begab, wollte es ihm fast scheinen, als ob er keine fremde Metropole, sondern seine geliebte Vaterstadt vor sich habe! Seine ernste und düstere Stimmung, erzeugt in einsamen Nächten und in geheimnisvollen Gemäldesälen, steigerte sich noch und wurde verbittert, je mehr der Sohn in die Leiden eingeweiht wurde, welche der Vater auszustehen hatte. Obzwar Joseph Max ein vorzüglicher und namentlich im Dekorationsfach tüchtiger Künstler war, dessen Studentendenkmal aus dem dreißigjährigen Kriege, sowie fünfundzwanzig allegorische und historische Figuren am Denkmal des Kaisers Franz, ferner das Radetzkydenkmal und die vier Fürstenbilder am neuen Rathause in Prag ihm in der Geschichte der Bildhauerkunst einen ehrenvollen Namen sichern, so war er doch vielfachen Chicanen in seinem Berufe ausgesetzt. Die verlotterten österreichischen Zustände jener Zeit bereiteten ihm manch herben Kummer, denn da die meisten Bestellungen durch Behörden gingen, an deren Spitzen sich selbstsüchtige Wohldiener zu behaupten verstanden, und Joseph Max in seiner schlichten und offenen Natur jeder Intrigue und Speichelleckerei abhold war, mußte er Tag und Nacht mit diesen Elementen hart ringen im Kampfe um das Dasein. Aufs tiefste erschüttert wurde der vierzehnjährige Jüngling durch den am 18. Juni 1854 erfolgten Tod seines von ihm schwärmerisch geliebten Vaters, wobei das Mysterium gleichfalls eine Rolle spielte. Tags vorher nämlich, am 17. Juni, saß Gabriel gegen neun Uhr abends mit seinen Eltern und Geschwistern bei Tisch, als plötzlich dreimal ein schußartiger Knall die Luft erschütterte und alles in Bestürzung versetzte. Damals wütete die Cholera heftig, und Joseph Max war seit wenigen Stunden unwohl. Tags darauf um dieselbe Stunde holte Gabriel den Priester zum Vater, damit jener diesem die letzte Ölung reiche; um zehn Uhr verließ der Hausarzt und Freund der Familie weinend das Maxsche Haus und um zwölf Uhr hatte der Kranke ausgerungen, – die Fenster standen offen, draußen rauschte die Moldau und die Wasserfälle des Kaiser-Franz-Monuments, einer Schöpfung von Joseph Max, murmelten das alte Klagelied vom Tod und vom Scheiden. Da der Vater bis zu seinem Tode der ausschließliche Lehrer seines Sohnes war, kann man sich denken, welch tiefen Einfluß er auf den geistigen Entwickelungsgang Gabriels auszuüben vermochte. Joseph Max war eine strenge Natur, aber er liebte den Humor und war stets eifrig beflissen, das Gemüt seines Kindes mit den Idealen des Schönen und Guten zu befruchten. Neben der Malerei lehrte er Gabriel antike Geschichte und Geographie und las mit ihm die klassischen Werke der alten wie der deutschen Litteratur. Namentlich bevorzugte er den praktischen Anschauungsunterricht, wie dies das folgende wohlverbürgte Beispiel bekunden mag. Um dem kleinen Gabriel die malerische Anatomie recht eindringlich ad oculos zu demonstrieren, wurde dieser oft am ganzen Körper, speciell an Armen und Füßen, mit Tinte bezeichnet. Alle Muskeln wurden schwarz bemalt und mit Namen versehen, und bei jeder Bewegung war es dem jungen Schüler selbst überlassen, zu erforschen, wo die betreffende Muskel hingekommen. Das Studium der Anatomie bildete seitdem eine der Lieblingsbeschäftigungen von Gabriel Max. Alle seine Schöpfungen legen davon beredtes Zeugnis ab, daß er die tiefste Kenntnis des menschlichen Körpers besitzt. Hierin schwebt ihm als leuchtendes Vorbild stets Michel Angelo vor, der bekanntlich zwanzig Jahre hindurch im Kloster S. Spirito mit eisernem Fleiß dem Studium der Anatomie oblag, welcher Wissenschaft er vor allem jene große Meisterschaft in der Zeichnung verdankt, die noch späte Jahrhunderte an dem unvergleichlichen Altmeister italienischer Kunst bewundern werden. Mit dem Tode des Vaters und Lehrers waren nun die verhältnismäßig »schönen Tage von Aranjuez« vorüber. Nahrungssorgen blieben nicht aus, denn der Sensenmann kam zu unerwartet; aber die arme Mutter wollte doch nichts verabsäumen, um ihren Kindern eine gediegene Erziehung zu teil werden zu lassen. Der Onkel Gabriels, der Bildhauer Emanuel Max in Prag (geb. 1810 zu Bürgstein in Böhmen), berühmt durch zahlreiche Werke von ausdrucksvoller Haltung und geschickter Gewandung, wurde nun der Vormund, und Gabriel trat als Schüler in die Prager Malerakademie ein. Dort sollte er sich besonders mit dem Zeichnen der Antiken beschäftigen, aber dies sagte ihm nicht zu, und der bisher so fleißige Jüngling verlor fast alle Lust zur Kunst und wollte heimlich – reisender Naturforscher werden. Diese Flegeljahre des Genies kosteten der Mutter manche Thräne; denn statt die Schule zu besuchen, unternahm Gabriel Geh- und Schwimmübungen aller Art, er machte geologische Exkursionen in die Umgegend Prags, legte die wunderlichsten Sammlungen an, und was dergleichen Jugendstreiche mehr sind. Doch verschmähte er den Unterricht nicht ganz, vielmehr versenkte er sich oft tagelang in die Lektüre der Bridgewaterbücher seines Vaters, benutzte fleißig die Leihbibliotheken und das städtische Museum, und wenn der Geist der Schwermut seine finsteren Fittiche über ihn breitete, wenn trübe Stunden in seiner Schaffungskraft ihn lähmten, suchte er Zuflucht am Grabe des Vaters und erholte sich in der friedlichen Ruhe des Kirchhofs. Das erste Bild, welches er schuf, brachte er trotz alledem auf der Prager Akademie fertig: »Richard Löwenherz tritt an die Leiche seines Vaters und sie blutet.« Die ritterlichen Thaten des kühnen Feldherrn und Regenten gaben vielfachen Stoff zu Gesängen, Erzählungen und Sagen, und die alte grausige Sage von dem Helden und Löwen, welche Gabriel Max im Bilde auffrischt, verrät schon frühzeitig die Hinneigung des noch in Gärung begriffenen jungen Mannes zum Furchtbaren und Mystischen. Trotz des Unfertigen und Mangelhaften fand das Bild doch vielfache Beachtung, so daß der Kunstverein in Prag sich entschloß, dasselbe für 90 fl. ö. W. anzukaufen. Ungeachtet des geringen Preises war Gabriel namenlos glücklich, vielleicht glücklicher wie jetzt, wo er für seine Bilder – eine seiner letzten Schöpfungen: »Es ist vollbracht!« hat ihm 70000 Mark eingebracht – solch enorme Summen erhält! Denn endlich konnte nun des siebzehnjährigen Jünglings Sehnen in Erfüllung gehen: er hatte »Geld«, und sofort schüttelte er den Staub der Prager Malerakademie von seinen Füßen, indem er eine abenteuerliche Reiese über Dresden, Berlin und Hamburg an die Nordseeküste unternahm, um das Meer kennen zu lernen; wäre die Mutter nicht gewesen, für die sein Herz stets warm schlug, er wäre übers Meer gegangen und hätte wohl für immer die Heimat verlassen.

Um jene Zeit heiratete seine ältere Schwester Marie den Schriftsteller und Maler Rudolf Müller, einen vielseitig gebildeten Mann und kinderreichen Witwer. Seine Kirchenbilder zeichnen sich durch geschickte Komposition, sorgfältige Modellierung und tiefes Gefühl aus. Seiner Anregung dankt es Gabriel Max, daß er nach Wien an die dortige Kunstakademie kam. Die Akademie stand damals unter der bewährten Leitung des Historienmalers Karl v. Blaas; aber auch dort war es dem Jüngling nicht recht geheuer. Statt die Akademie zu besuchen, zog er es vor, in den Museen und Galerien, sowie auf belebten Plätzen vor der Stadt fortwährend Bewegungen zu skizzieren, welche Sekundenaufnahmen übrigens noch jetzt die Lieblingsbeschäftigung des Meisters bilden. Für seine kulturhistorischen und sonstigen mannigfachen Privatstudien bot ihm die große akademische Bibliothek sehr wertvolles Material. Er sammelte dort unglaublich viel Stoffe in Zeichnung und Abschrift für seinen kommenden Beruf. Inzwischen wurde der bereits erwähnte, ihm und seiner Familie befreundete Galerieinspektor Kratzmann in derselben Stellung von Prag nach Wien an die fürstl. Esterhazy-Galerie versetzt. Noch einmal standen ihm die Thüren dieser Familie ebensowohl wie diejenigen der Galerie – deren Bildersäle u. a. Kupferstich- und Handzeichnungsmappen der schönsten Art enthielten – offen. Sein künstlerischer Gesichtskreis erweiterte sich außerordentlich und befruchtete ihn mit einer Fülle von Ideen, Plänen und Aufschlüssen. In dieser Gemäldegalerie traf er oft mit dem berühmten Historienmaler Ritter Joseph v. Führich zusammen, damals Professor der geschichtlichen Komposition an der Wiener Akademie. Führich zeigte für Max ein sehr lebhaftes Interesse, und dieser verehrte ihn als Mensch wie als Künstler aufs höchste und studierte von Kindheit an seine großartigen Arbeiten. In dieser Periode entstanden jene zehn farbigen Zeichnungen: »Phantasiebilder zu Tonstücken«, welche mit einem Schlage die Augen aller Kunstverständigen auf ihn lenkten und die gewissermaßen einen Eckstein im Leben des Künstlers bildeten. War auch der pekuniäre Erfolg ein recht kläglicher – der Autor verkaufte dieselben an einen Photographenhändler für 20 fl. ö. W. und drei Abdrücke –, so war doch der moralische Erfolg ein durchschlagender. Der junge Mann, von dem man bisher nur wenig sprach, war plötzlich in aller Munde, und die Tuschzeichnungen, welche die Grundideen der Werke Beethovens, Mendelssohns und anderer Komponisten verkörperten und durch geistreiche Erfindung hervorragten, fanden allgemeinen Beifall. Am meisten wurden die Zeichnungen zu Beethovens Sonaten gerühmt, von denen ein »Zwiegespräch zwischen Largo und Allegro« die Perle bildet. Die Bethovensche Muse hat der für die Musik schwärmende Deutsch-Böhme augenscheinlich in der Sphinx, dem Weibe mit dem Löwenleib, verkörpert: »Derweilen des Mundes Kuß mich beglückt, zerfleischen die Tatzen mich gräßlich.« Der geheimnisvolle, tragische, gewaltige Beethoven hatte für Max begreiflicherweise etwas ungemein Anheimelndes und Anziehendes.

Der grüblerische und verschlossene junge Künstler fühlte sich in den drei Jahren seines Wiener Aufenthaltes (von 1858 bis 1861) in der »Stadt der Phäaken« gar nicht wohl; das leichtlebige und genußsüchtige Wien, die Metropole des österreichischen Optimismus, war dem schwermütigen und denkenden Maler ein Greuel, und seine Professoren, welche diese innerliche und skeptische Natur nicht verstanden, trugen dadurch, daß sie ihm sogar ein kleines Stipendium entzogen und ihn der Notdurft des Lebens erbarmungslos Preisgaben, wesentlich dazu bei, seine Lebenslust zu trüben und den Becher seiner Jugendfreuden vollends mit Wermutstropfen zu füllen. Bezeichnend für den jungen Max sind einige Episoden, welche vor einigen Jahren Joseph Lewinsky, ein Mitschüler desselben, in dem »Deutschen Montagsblatt« über die damaligen Studien Gabriels erzählte. Von kleiner Gestalt, mit feingeschnittenen, etwas zusammengekniffenen Gesichtszügen, war er eine ziemlich verschlossene und scheinbar kalte Natur, die jedoch auftaute, wenn ein bedeutender Gegenstand der Kunst, der Wissenschaft oder des gesellschaftlichen Lebens ihn anregte und fesselte. Der sonst einsilbige, ruhige und bloß beobachtende Geist konnte dann, besonders in heiterem Kreise, einer der Lebhaftesten, Geistreichsten und Witzigsten ein; sein Witz hatte allerdings eine starke Beimischung von Sarkasmus. Was besonders in seinem Wesen sich ausprägte, war ein gewisser Hang zum Absonderlichen, Bizarren, der sich in allerlei naturwissenschaftlichen und philosophischen Spekulationen und Liebhabereien gefiel. Die Erforschung toter Vögel beschäftigte ihn ebenso wie die Erforschung des Ursprungs aller Dinge. Es war etwas Faustisches und etwas Mephistophelisches zugleich in seiner Natur. In abgetragenen Kleidern, das Skizzenbuch in der Tasche, liebte er es, die verrufensten Lokale aufzusuchen und hier den »Leichtfertigen« oder gar den Spitzbuben zu spielen, um dabei »Studien« zu machen. Dergleichen das kriminelle Gebiet berührende Exkursionen hatten allerdings ihre bedenklichen Seiten, mitunter aber auch ihre ergötzlichen. So wurde einst polizeilicherseits ein Verbrechernest aufgehoben und zur Wache befördert, und als die saubere Gesellschaft dem Polizeibeamten vorgeführt wurde, befand sich auch Gabriel Max in deren Mitte. »So jung und schon auf dem Wege des Lasters,« redete der »Großinquisitor« den gefährlichen »Verbrecher« an. Dieser reichte statt aller Entgegnung dem Beamten das »Verbrecheralbum« hin, aus welchem die wohlgetroffenen Konterfeis der miteingebrachten Genossen »auf dem Wege des Lasters« sich jenem in effigie präsentierten. Der Mann des Gesetzes erriet, lächelte befriedigt und entließ den abenteuerlichen Maler, verfehlte aber nicht, ihm zuvor den wohlgemeinten Rat zu geben, für seine Studien in Zukunft sich doch ja minder gefährliche »Modelle« auszusuchen, da das von ihm beliebte Inkognito nicht immer gleich günstige Resultate aufzuweisen haben dürfte. Wie wenig geneigt indessen der junge Maler sich zeigte, der warnenden Stimme Gehör zu geben, sollte man bald erfahren. Eines Tages erschien Gabriel etwas entstellt in seinem Äußeren. Seine malerische Passion wäre ihm fast sehr übel bekommen. Nach seiner Gewohnheit in zerlumpter Kleidung eine der berüchtigtsten Spitzbubenversammlungen besuchend und im künstlerischen Genusse der köstlichen Zuchthäuslertypen schwelgend, war er leider in unangenehmer Weise in seinem Studium unterbrochen worden, denn nicht für einen Spitzbuben, sondern für einen »Spitzel« hatte man ihn angesehen. Seine Versicherungen, er sei einer der gefährlichsten Einbrecher, halfen ihm nichts; man hielt ihn für einen geheimen Polizisten, und nur mit Mühe gelang es ihm, den ärgsten Mißhandlungen zu entgehen. Die künstlerische Ausbeute dieses Abends, die auserlesensten Galgenphysiognomien enthaltend, sowie ein braun und blau geschlagenes Gesicht bildeten allerdings die bestätigenden llustrationen seines kleinen Kriminalromans. Mit diesen etwas ungewöhnlichen Mitteln zu großem künstlerischen Zweck waren die Quellengebiete seiner Studien indessen nicht erschöpft. Durch einen befreundeten Mediziner wußte er sich auch ins »Allgemeine Krankenhaus« Zutritt zu verschaffen; und hier waren es die letzten Augenblicke der Sterbenden, im Seciersaal die anatomische Zergliederung der Toten, welche er zu Objekten der eingehendsten und eifrigsten Studien machte. Und es dürfte wohl die Frage erlaubt sein, ob diese Lazarettscenen der düsteren Phantasie des Meisters nicht die ersten Anregungen zu jenen berühmten Werken gegeben, in welchen er mit besonderer Vorliebe den Tod in allen einen Erscheinungen zur Darstellung bringt?

Sichtlich erleichtert, verließ Max Wien auf Nimmerwiedersehen und begab sich wieder zurück nach Prag zu seiner Mutter. Not lehrt beten, und lediglich infolge pekuniärer Bedrängnisse malte er das bizarre Bild: »Judas.« Judas Ischarioth bringt dort die Silberlinge zurück und kommt auf den Gedanken, seinem Leben durch Erhängen ein Ende zu machen. Hierauf schuf er eine »Madonna mit dem Jesusknaben«: die Mutter Gottes sucht mit dem Erlöser in der Höhle des Ölbergs Schutz. Das geistvolle allegorische Bild machte Glück: das Deficit in der Kasse war bald gedeckt, denn der Prager Kunstverein kaufte das Werk für die Summe von 400 fl. ö. W. Wieder ließ es unserem Künstler in seiner Heimat keine Ruhe; im Besitze des wenigen Geldes machte er bereits Anstalten, nach Paris zu reisen, um in der Schule des von ihm hochverehrten Malers Paul Delaroche — ein photographisches Werk sämtlicher Schöpfungen Delaroches hatte einen mächtigen Eindruck auf seine künstlerische Auffassung gemacht — sich weiter auszubilden; aber gegen diesen Plan legten der Vormund und Schwager entschiedenen Protest ein. Als Ziel seines neuen Wirkungskreises wurde ihm München bezeichnet, und mit der Unterstützung eines edlen Onkels, Georg Max, trat er im August 1863 die Reise nach der Hauptstadt Bayerns, dem Sitz der bayerischen Künstlerschule, an. Die Wanderjahre im Leben Gabriels hatten nun ein Ende, die Meisterjahre sollten ihren Anfang nehmen und eine an Erfolgen und Ehren reich gekrönte Periode im Leben des Künstlers einleiten.

Am Anfang gefiel es Max in München wenig, doch bald fesselte ihn, den großen Freund des Schwimmens, er reizende Würmsee, und so söhnte er sich allmählich auch mit der Metropole Bajuvarias aus. Die Zeit der Vorbereitung war vorüber, es begann die Zeit des Schaffens, der rastlosen Arbeit. In dem sogenannten Affenkasten, das heißt der der Akademie gegenüber liegenden Augustinerbrauerei, lernte er einen Landsmann, den Geologen Dr. Schwager, kennen, und dessen Vermittelung hatte er es zu verdanken, daß er in die Schule Pilotys freundlich aufgenommen wurde. Der große Meister nahm sich seines Jüngers in gütiger Weise an, unterstützte ihn mit Rat und That und spornte ihn stets zur emsigen Tätigkeit an. Von den Schülern Pilotys übte am meisten Hans Makart mächtigen Einfluß auf ihn aus, dessen Genie wie eine frische Brise seine stürmische Seele berührte. In diese Periode fällt das Entstehen des Bildes »Die erdrosselte Herzogin Ludmilla«, welches nach Boston verkauft wurde, und das sensationelle Gemälde »Die Märtyrerin am Kreuz«, von dem Photographen Bruckmann in München fälschlicherweise »St. Julia« getauft. Eine christliche Dulderin hängt am Kreuz, bei deren Anblick ein vom wüsten Gelage heimkehrender Jüngling wie gebannt stehen bleibt und die Rosen von seinem Haupte der Sterbenden zu Füßen legt. Seit dem Erscheinen der »Märtyrerin am Kreuz« (1867) war der Ruf des Künstlers begründet. Friedrich Pecht erzählt in seinem liebenswürdigen Buche »Deutsche Künstler des neunzehnten Jahrhunderts« über die Wirkung dieses Bildes: »Es war eines Sonntags, als das ganze gebildete München in nicht geringe Aufregung geriet, alle Damen mit nassen Augen aus dem Kunstverein kamen und, »wo ein Bär den andern sah«, denselben mit der Frage empfing: »Haben Sie die Märtyrerin schon gesehen?« Die Menge drängte sich derart vor der armen gekreuzigten St. Julia, daß die meisten sie gar nicht ordentlich zu Gesicht bekamen und nur um so gerührter weggingen. Sie fand gleich in den ersten Tagen ihres Auftauchens einen spekulativen Liebhaber, der ganz Deutschland mit ihr unter Wasser setzte, es nicht Sadowa, sondern auch Luxemburg, welches damals an der Tagesordnung war, vergessen ließ und dann auf der Ausstellung in Paris die halbe civilisierte Welt wie die ganze Halbwelt mit ihr fascinierte.« Gabriel Max kam nun in Mode. Er machte das Gespräch in den künstlerischen und litterarischen Salons aus, und es bildeten sich Parteien für und gegen den Künstler. Das epochenmachende Bild zeigte auf einmal die ganze Eigenart des Künstlers: die Meisterschaft der koloristischen Stimmung und der Komposition, die geistvolle und originelle Erfindungsgabe, das tiefe, echt deutsche Gemüt und die bewunderungswürdige Zeichnung des leidenden, sterbenden Weibes. Diese Vorzüge hat Max in der Folgezeit bei jedem seiner Bilder in mehr der weniger folgerichtiger Weise entwickelt, und es ist nichts natürlicher, als daß das Publikum überall von dieser Offenbarung eines eigentümlichen schöpferischen Genius aufs tiefste ergriffen wurde. Die Gegner der Maxschen Dichtung warfen dem Meister vor, daß er sein Sujet zu sentimental behandelt habe und auf die Thränendrüsen der zartbesaiteten, nervösen Damen spekuliere. Ich kann diese Auffassung nicht teilen. Die himmlische Ruhe und Verklärung, die sich im Antlitz des zarten und herrlichen Wesens ausprägt, welches für seinen Glauben stirbt und beseligt den Kreuzestod erleidet um Jesu willen, ist echt künstlerisch und legt Zeugnis ab von den hohen Idealen, welche die Brust des Malers erfüllten. Die geisterhafte Farblosigkeit des Bildes ist noch keineswegs Effekthascherei, sondern durchaus geboten, um das entsetzliche Schicksal der entzückend schönen Dulderin und die Zerknirschung des lebenslustigen, vom Strahle der christlichen Liebe getroffenen römischen Jünglings zu veranschaulichen. Einen ähnlichen Gegenstand behandelte der Künstler einige Jahre später (1874) mit nicht geringerem Erfolge im »Letzten Gruß«. Schaudernd gewahren wir eine junge Christin im Cirkus, in der Arena zwischen zwei Löwen und einem Tiger, aber ihr Antlitz ist trotz alledem verklärt und leuchtet in himmlischer Glorie, als ein junger Römer ihr eine Rose zuwirft.

In Pilotys Schule malte Max noch »Die Verlassene«, die verzweifelte Margarete an der Stadtmauer vor der Mater dolorosa darstellend (das Bild befindet sich jetzt in Moskau); der Ausdruck der Verzweiflung im Antlitz Margaretes, die Trostlosigkeit des jungen und liebenden Weibes sind von erschütternder Wirkung. Die Hände Gretchens sind krampfhaft gerungen, der Kopf der fast Ohnmächtigen ist zurückgesunken und die kahle schwarze Mauer, sowie die beklemmende dunkle Scenerie – es ist ein Stimmungsbild, so ergreifend und großartig, daß wir in der gesamten Historienmalerei nur sehr wenige Schöpfungen ihm zur Seite stellen könnten. Die Gestalt Gretchens hat Max übrigens noch in anderen Werken verewigt, wie denn überhaupt Göthes »Faust« auf seinen grüblerischen Geist von jeher eine besondere Anziehungskraft ausübte. Wir besitzen von ihm: »Gretchen in der Gartenscene« (1869), »Margarete als Walpurgisnachterscheinung« (1873), »Margarete im Kerker« (1875) und »Faust und Margarete« (1876). Nur das erstere Bild ist ein sonniges und freudiges. Gretchen lehnt sich an Faust und bricht die Sternblume; die heitere Lichtgestalt thut dem Auge des Beschauers wohl, die übrigen Bilder hingegen haben insgesamt etwas Dämonisches und Grauenhaftes. In der Kerkerscene finden wir das früher so blühende Gretchen gebrochen und irrsinnig, in dem Augenblicke, wo sie Faust erkennt und in die Worte ausbricht:

Er ist's, er ist's! Wohin ist alle Qual?
Wohin die Angst des Kerkers und der Ketten?

Und in der epochemachenden »Walpurgisnachterscheinung«, in welcher Faust Gretchen zu erkennen glaubt: »Sie scheint mit geschlossenen Füßen zu gehen«, und wobei er ein rotes Schnürchen um den Hals bemerkt: »nicht breiter als ein Messerrücken«, tritt das Unheimliche in der im langen Sterbekleid einherwandelnden Erscheinung und dem magischen Kolorit des Bildes überhaupt besonders stark hervor.

In der Schule Pilotys übte er sich auch fleißig in Illustrationen. Er lieferte unter anderen Illustrationen zu Uhlands Gedichten (1865), zu Wielands Oberon (1867), zu Lenaus Gedichten (1867), zu Schiller (1867) und zu Göthes Faust (1868). Zu Göthes Faust, welchen Grote in Berlin herausgab, steuerte er achtzig Illustrationen bei. Da jedoch die Zeichnungen Max' der Firma aus Gründen, die unerörtert bleiben mögen, nicht konvenierten, brach alsbald zwischen dem Verleger und Künstler ein Konflikt aus, infolge dessen nur etwa acht Blätter nachträglich vervielfältigt wurden. Später (1874) illustrierte er auch Scheffels Ekkehard und eine Zeichnung: »Hadumoth im Gebet«, welche vielfache Beachtung gefunden hat. Für die bekannte Schillerausgabe der Firma Hallberger in Stuttgart lieferte er die Illustrationen zu Macbeth, – aber wie sehr sich auch die meisten dieser Zeichnungen durch originelle, zuweilen freilich von Bizarrerie nicht ganz freie Auffassung auszeichnen, so kann doch denselben keine besonders hervorragende Stellung in der Illustrationslitteratur eingeräumt werden; er, dessen Stärke in der vollendeten Darstellung einzelner Gestalten liegt, sah wohl selbst ein, daß die Illustration nicht sein eigentliches Element sei. So malte und illustrierte er »mit heißem Bemühn«, ohne aber seine alten Passionen zu opfern; er musizierte nach wie vor leidenschaftlich, machte philosophische und naturwissenschaftliche Studien, trieb allerlei geschichtliche Allotria und unternahm fortwährend Ausflüge in das bayerische Hochgebirge. Auf einer dieser Exkursionen im Herbst 1864 nahte sich dem ernsten und verschlossenen Jüngling der Liebesgott, der fast niemand mit seinem Pfeile verschont: er lernte die Tochter eines Münchener Oberstabsarztes kennen, und dieselbe, Fräulein Emma Kitzing, hatte im Fluge sein Herz gewonnen; allerdings vergingen noch schier zehn Jahre, bis es ihm vergönnt war, die Auserwählte als seine Gattin heimzuführen.

Im Jahre 1869 wurde Gabriel Max mit allen älteren Schülern Pilotys entlassen, – er hatte »ausgelernt« und mußte neueren Jüngern Platz machen. Nur ungern verließ er das Atelier des geliebten Altmeisters, dessen Lehrmethode er so viel verdankte und der ihm über vier Jahre lang ein väterlicher Freund und Gönner war. Nun trat die zwingende Notwendigkeit an ihn heran, nicht nur ein eigenes Atelier aufzuthun, sondern sich auch auf eigene Füße zu stellen. Max, der stets ein zärtlicher Sohn und Bruder war, beeilte sich, seine Mutter und Schwester Lina (jetzt Frau Professor J. Benczur) sowie seinen jüngsten Bruder zu sich zu nehmen. Hier, im Kreise seiner Familie, fühlte er sich außerordentlich glücklich, aber diese Häuslichkeit war freilich auch denkwürdig genug! In einem reizenden, poetischen Gartenhäuschen, in Gesellschaft von Hunden, Papageien, Affen, im Umgang mit einigen guten Freunden verbrachte er drei vergnügte Jahre und unternahm inzwischen wiederholt Reisen nach Paris, Italien, Holland und Belgien, überall Studien und Forschungen machend. Da starb seine Mutter um Pfingsten 1872. Den Schmerz, welchen ihm dieser Verlust verursachte, konnte er lange nicht verwinden; hierzu kam, daß seine Schwester den Professor Benczur heiratete und den Bruder mit nach Prag nahm – der Künstler fühlte ich in der großen Wohnung namenlos einsam und verlassen, und die alten Schatten der Melancholie senkten sich aufs neue auf sein Gemüt; die Dämonen der Qualen und Leiden suchten ihn heim, und in dieser Stimmung schuf er jene Gemälde des Pessimismus, auf welche ich gleich zurückkommen werde. Um nicht ganz menschenscheu zu werden, war es die höchste Zeit, daß er im Mai 1873 seine heißgeliebte Braut Emma Kitzing heimführte. Die Hochzeit wurde auf der Fraueninsel am Chiemsee gefeiert, und wenn es je einen großen Künstler gegeben, der im Schoße der Seinigen sich beglückt gefunden, so ist es Gabriel Max. Seine Gemälde haben ihm nicht nur Ruhm und Auszeichnungen aller Art, sondern auch pekuniäre Erfolge eingebracht, und durch Nacht hat er sich zum Licht siegreich emporgerungen. Im Winter lebt er in München, wo er als Professor der Historienmalerei ruhmreich wirkt und einen großen Schülerkreis um sich versammelt, und im Sommer hält er sich auf seiner hübschen Besitzung in Ammerland am Starnbergersee auf, wo sein gastfreies Haus sich allen Freunden zu jeder Zeit öffnet. Gabriel Max besitzt eine der reichhaltigsten und interessantesten osteologischen, prähistorischen und ethnographischen Sammlungen Deutschlands.

Mein Porträt wäre nicht vollkommen, wenn ich nicht noch einiger charakteristischer Züge der Persönlichkeit Gabriel Max' Erwähnung thäte. Hans Makart, Basil Wereschagin und Ludwig Knaus ausgenommen, wüßte ich keinen Maler der Gegenwart, über den in der Presse soviel geschrieben worden wäre wie über Max. Jedes größere Bild von ihm rief eine Flut von Zeitungsartikeln hervor, welche teils für ihn, teils gegen ihn plaidierten. Wenn er nun auch selbstverständlich für die Stimme der Kritik nicht unempfänglich erscheint, so ist ihm doch nichts so sehr verhaßt wie die Reklamemacherei, wie sie von gewissen Kunsthändlern betrieben wird, und er hat schon wiederholt seine Warnungssignale ertönen lassen, wenn diese Spekulanten es zu arg trieben und, um das Publikum anzulocken, unter seinem Namen allerlei Manipulationen unternahmen.

Während politische Fragen unsern Künstler nur wenig interessieren, hat er für religiöse und philosophische Erörterungen von jeher ein überaus lebhaftes Interesse an den Tag gelegt. Obzwar man glauben sollte, daß der Maler der Heiligen, ja des Göttlichen ein strenggläubiger Christ sein müßte, so ist dem doch nicht so. Als Geistesverwandter Arthur Schopenhauers schwärmt auch er für Buddha, den Stifter des Buddhaismus. Ein moderner Fakir, huldigt er dem Grundsatz, daß die Aufgabe des Menschen die Verneinung des Lebens sei, daß nur der selig genannt werden könne, welcher das Ewige habe. Die höchste Tugend ist für ihn die Barmherzigkeit, das Mitleid, mit der sich der Mensch der ringenden und kämpfenden Kreatur zuneigt und den Armen und Elenden, den Leidenden und Geängsteten das Bild des eigenen Friedens und stiller Ruhe und Entsagung entgegenhält. Darum haben Tod und Vernichtung, Krankheit und Verwesung, deren Stadien er so ergreifend und erschütternd zu malen weiß, für ihn ihre Schrecken verloren; denn nur durch die Loslösung vom Irdischen, durch Vernichtung des Begehrens gelangt der Sterbliche zur Ruhe, zur Erkenntnis, zur Erleuchtung, zum Nirwana. – Die Ähnlichkeit mit der Weltanschauung Arthur Schopenhauers geht so weit, daß er sich gleich diesem nicht allein zum Mysticismus hinneigt, sondern sogar – dem Spiritismus huldigt. Ob er gleich dem unsterblichen, aber wunderlichen Frankfurter Denker an Tischklopfen glaubt, weiß ich nicht genau, aber daß er ein Spiritist vom reinsten Wasser ist, steht fest. Durch den Umgang mit dem vor einigen Jahren verstorbenen Prof. Johannes Huber in München wurde er in seiner Verehrung für den Spiritisten Prof. Zöllner in Leipzig bestärkt, und so betreibt Gabriel Max in einen Mußestunden allerlei spiritistische Versuche. Doch wer wird diese Absonderlichkeit nicht begreiflich finden, wenn er erwägt, mit welchen Medien und Geistern Max während seines Lebens bereits verkehrt hat! Die zahlreichen Märtyrerinnen, Kindesmörderinnen, Löwenbräute und Wahnsinnige e tutti quanti konnten auf die lebhafte Phantasie und das tiefe Gemüt ihres Herrn und Meisters nicht ohne Wirkung bleiben. Die er rief, die Geister, wird er eben nicht mehr los. In dieser seiner spiritistischen Neigung wurde er noch wesentlich ermuntert durch die Lektüre des bekannten Wunderbuches von Justinus Kerner: »Die Seherin von Prevorst«, und so können wir uns auch darüber nicht wundern, daß dieser vorzügliche Anatom, der ja die Secierung des toten menschlichen Körpers im Interesse der Wissenschaft und Kunst für geboten erachten mußte, ein Gegner der Vivisektion ist. So beschäftigt er sich gegenwärtig mit einem Bilde: »Der Vivisektor«; auf demselben erblicken wir einen Vivisektor, dem der Genius des Mitleids ein Hündchen wegnimmt und ihm an einer Wage den Ausspruch Kants demonstriert, daß ein gutes Herz mehr wert sei als ein gutes Gehirn.

Zum Schluß erwähne ich noch, daß es dem Künstler an Auszeichnungen aller Art nicht fehlt.

Es würde zu weit führen, wollte ich sämtliche Bilder des Meisters wenn auch nur mit flüchtigen Strichen kizzieren; ich muß mich daher darauf beschränken, die namhaftesten, berühmtesten und originellsten Gemälde, in welchen sich sein Genie und seine Eigenart besonders offenbaren, mit einigen Worten näher zu bezeichnen. Es sind zunächst diejenigen, in welchen die Schattenseiten der Liebe, die gebrochenen Frauenherzen, die vernichteten Hoffnungen und qualvollen Leiden des Weibes in erschütternder Weise veranschaulicht werden. Wie kaum ein Zweiter ersteht er in unglücklichen Frauenseelen zu lesen. Die Nonne z. B., welche hinter den Klostermauern ihre Jugend vertrauert und sich abhärmt, hat er in verschiedenen Bildern uns vorgeführt, so unter anderem in der »Nonne im Klostergarten« und im »Waisenkind«. Im Klostergarten herrscht, trotzdem es Frühling in der Natur ist, trostlose Öde. Auf dem dürftigen Rasen sitzt eine wunderschöne junge Nonne und verfolgt mit vor Weinen geröteten Augen das lustige Gaukeln zweier Schmetterlinge. Wie beneidet sie die Libellen, welche hin und her flattern können, während sie in ihrem moralischen Kerker verkümmern muß! Wenn wir die verwitterte Klostermauer, die schaurige Öde, die dahinwelkende Mädchenknospe und die nsäglich melancholische Stimmung des Ganzen erblicken, schnürt sich unser Herz unwillkürlich krampfhaft zusammen. Auch im »Waisenkind« schildert der Künstler das Schicksal einer Nonne – aber sie ist keine weiße Lilie mehr, sondern eine vor Sorgen und Kummer, Entbehrung und Seelenschmerz ergraute barmherzige Schwester, auf deren Stirn die Worte leuchten: »Du sollst entsagen!« Der Genius des Erbarmens hat bereits ihr Gemüt beruhigt, denn er hat ihr einen Trost gesendet in Gestalt eines kleinen kranken Waisenkindes. Wie liebt sie das unschuldige Wesen, wie hegt und küßt sie es, und nur Gott allein hört den stillen Seufzer ihrer Brust: »O, daß das Kind mein wäre!« – Noch beklagenswerter als diese Opfer des Klosters ist auf dem bereits oben erwähnten Gemälde die blühende Jungfrau, welche als »Märtyrerin im Cirkus« dazu, bestimmt ist, von Löwen und Tigern zerrissen zu werden. Der unnatürliche Tod in seiner fürchterlichen Gestalt tritt uns auch in der »Löwenbraut« – nach dem Chamissoschen Gedicht gemalt – entgegen. Im Hochzeitsanzug, Rosen im Haar, liegt die Braut im Käfig; in ihrem entsetzlichen Todeskampfe hat sie krampfhaft ihre Finger in den Sand gegraben. Neben ihr lagert der König der Wüste; derselbe hat seine Tatzen auf sie gelegt, als wollte er sie nicht fürder loslassen, trotzdem der Bräutigam der armen Zerrissenen bereits mit der Flinte naht, um an dem Löwen die Braut zu rächen. Bei diesem Bilde vermissen wir leider das versöhnende Element, gewissermaßen die poetische Gerechtigkeit; meines Erachtens sollte kein Maler derartige bestialische Scenen überhaupt auf die Leinwand zaubern. – Eine größere Befriedigung gewährt »Julia Capulet.« Der Graf von Paris naht am Morgen des Hochzeitstages mit den Musikanten in fröhlichster Stimmung dem Gemache seiner Braut, aber – o Entsetzen! – sie ist starr, leblos, denn Lorenzo hat ihr den Schlaftrunk eingegeben. In ihren über die Brust geschlagenen Händen hält sie welke Blumen, ein rosiger Strahl der Sonne bricht durch das Fenster und verklärt das bleiche, aber reizende Gesicht. Über dem überwältigend schönen Eindruck des Ganzen vergißt man einige Freiheiten, die der Künstler sich genommen. So ist z. B. das Schlafzimmer Julias im Stil der Renaissance dekoriert. – Eines der rührendsten Bilder ist das »Geblendete Christenmädchen«. Wäre von Max nur dieses eine hochpoetische Werk geschaffen, so hätte er sich schon in den Annalen der Kunst mit unsterblichen Lettern verzeichnet. Das unter dem Namen »Licht!« besser bekannte Gemälde zeigt uns ein blindes Christenmädchen, welches am Eingang der Katakomben den hinabsteigenden Glaubensgenossen brennende Lampen und Palmen verkauft. Mit der ganzen Fülle seiner zauberhaften Farbengebung hat Max die Dulderin ausgestattet. Das noch blutjunge, bildhübsche Mädchen hat ein wahres Madonnengesicht, und das unschuldige, von rabenschwarzem Haar umrahmte Antlitz ist gleichsam verklärt wie von einem Glorienschein; in ihrem Glauben an ein Jenseits und an ein göttliches Wesen erträgt sie ihr Geschick mit Ergebung, und ein himmlischer Friede ist über die edlen Züge der Ärmsten ausgebreitet. Das meisterhaft komponierte Bild ist überaus zart und fein ausgeführt. – Wehmütige Stimmungsbilder aus dem socialen Leben sind ferner die folgenden vier Bilder: »Hin ist hin, verloren ist verloren!« denkt das traurige Mädchen, welches halb »verblüht« früh morgens vom Balle heimkehrend, an ihrem Bette sitzt und darüber nachdenkt, daß sie einsam durchs Leben gehen müsse und daß ein Freier noch immer nicht kommen wolle. Verlassen fühlt sich auch die »Klavierspielerin«. Ihr Geliebter ist längst gestorben, aber der letzte Feldblumenstrauß, den er ihr geschenkt, liegt doch getrocknet vor ihr auf dem Klavier, und immer und immer spielt sie seine Lieblingsweise, eine gar traurige Abschiedsmelodie. In der »Zwangsversteigerung« erblicken wir eine arme Witwe, der der »Exekutor« alles wegnimmt, auch die Bilder und Malerutensilien ihres verstorbenen Mannes, – das Entsetzen, welches sich in den Gesichtern von Mutter und Kind bei diesem Vorgange malt, ist mit erschütternder Tragik geschildert. Die »Kindesmörderin« endlich ist ein Bild, das auf Jedermann einen tiefschmerzlichen Eindruck hervorbringen muß. Die unglückselige, verführte Mutter, welche in ihrer Verlassenheit ihr Kindchen ermordet hat, die kleine Leiche aber noch einmal herzt und küßt, bevor sie dieselbe mit den Briefen und getrockneten Blumen, Andenken an die kurze glückliche Liebeszeit, begräbt, um dann – ihr eigenes Leben zu enden, ist zwar eine Verbrecherin, aber wer wird it ihrem Los nicht das größte Mitleid empfinden?

Auf dem Gebiete der religiösen Malerei hat Gabriel Max nicht minder Rumreiches geleistet. Das bedeutendste in diesem Genre ist wohl das symbolische Gemälde »Christuskopf auf dem Schweißtuch der heiligen Veronika«. Max hat das Antlitz Christi in natürlicher Größe auf dem Schweißtuch der heiligen Veronika, auf einem zerfallenen Byffus, dargestellt. In der Mitte thront das dorngekrönte Haupt des Erlösers. Das Gemälde ist mild und zart im Ausdruck und im Stile Correggios gehalten; es drückt in vollkommener Harmonie die idealste Verklärung des Schmerzes in einem Menschenantlitz aus; ebenso bringt es in staunenswerter Weise den Sieg der Unsterblichkeit über den Tod zur Darstellung. Strenge Krittler tadelten den Doppelausdruck im Antlitz Jesu; denn während man in der Nähe die Augen des Heilands geschlossen fand, geschah in der Ferne das Wunder, daß die Augen sich zu öffnen und den Beschauer mit mildem, traurigem Blick anzusehen schienen. – Eine höchst interessante Schöpfung ist: »Christus erweckt eine Tote.« Die Erweckung von Jairi Töchterlein haben bekanntlich auch andere Maler zum Gegenstand ihrer Darstellung gewählt, unter anderen Gustav Richter und Eduard v. Gebhardt, aber kein Gemälde wirkte durch seine Schlichtheit, Poesie und seine fein empfundene und bedeutende Komposition so mächtig auf den Beschauer wie das Maxsche. Die Farbe ist kräftig, harmonisch gestimmt und trefflich abgewogen. Als Pendant zum »Christuskopf« schuf Max »Maria Magdalena«, sowie »Judas Ischarioth«. Dieselben behandeln das Sujet der verklärten und verzweifelten Reue. Während der Gesichtsausdruck Magdalenas den durch den Tod Christi in ihr bewirkten Umwandlungs-Prozeß treffend widerspiegelt, bekundet das Antlitz Judas Ischarioths den Ausdruck der Verzweiflung über seinen Verrat. Beide Bilder gehören zu dem technisch Vollendetsten, was Max komponiert hat. – Daß Max als Madonnen- und Heiligenmaler seinesgleichen sucht, versteht sich nach dem Gesagten von selbst, und so sei aus der Menge dieses Genres nur der »Maria Regina« des Künstlers Erwähnung gethan. »Maria Regina« ist eine durchaus moderne Himmelskönigin, ausgezeichnet durch echte Poesie und den zarten Duft malerischer Ausführung. Mit unvergleichlicher Schönheit hat Max das Urbild idealer Weiblichkeit ausgestattet. – Das letzte religiöse Bild des Malers, welches viel Staub aufwirbelte, ist: »Es ist vollbracht!« Das große Tableau stellt den Moment der Passionsgeschichte dar, in dem Jesus am Kreuze die Worte »Es ist vollbracht!« gesprochen hat. (Evang. Joh. XIX, 30.) Das irdische Leiden Jesu erscheint in seiner furchtbarsten Gestalt, aber der Adel in den Zügen des göttlichen Dulders und die höchste Erhabenheit im Tode verleihen dem grauenhaft-schönen Bilde etwas Ideales und Hehres.

Wenn nun auch das Dämonische, Tragische und Mystische die stärkste Seite des Künstlers bilden, so besitzen wir doch mehrere Bilder von ihm, welche Heiterkeit, Glück und Frieden atmen und bezeugen, daß Max auch die Lichtseiten des Lebens mit dem glücklichsten Erfolge darstellen kann, wenn er will. Ich nenne nur das reizende »Frühlingsmärchen«, ein junges, bildschönes Mädchen, das unter blühenden Büschen sitzt und entzückt auf das Schlagen der neben ihm auf einem Zweige sitzenden Nachtigall lauscht. Der volle Zauber eines himmlischen Frühlingstages und die ganze Poesie der ersten Jugendliebe ist über das Bild ausgegossen: alles in demselben verkündet Lust und Freude, Glück und Wonne!

Neben den hier skizzierten glänzenden Eigenschaften des Maxschen Genius treten freilich auch Schwächen und Mängel desselben zu Tage, die nicht verschwiegen werden dürfen: große Kompositionen zu schaffen ist nicht seine Sache, und fast alle seine Bilder zeigen nur zwei Figuren. Nicht ohne Berechtigung ist ferner der Vorwurf, daß der Künstler sich – allerdings nur selten – von den Flügelschlägen seiner kühnen Phantasie ins Unbestimmte forttragen läßt und daß er dem Publikum geheimnisvolle Rätsel, welche eine mehrfache Deutung zulassen, zum Raten aufgiebt – aber diese Schattenseiten treten vor den Lichtseiten der durchaus selbständigen, originellen, poetischen und charaktervollen Künstlerindividualität in den Hintergrund – alles in allem genommen, ist Gabriel Max in ebenso berufener wie hochinteressanter Vertreter der deutschen Kunst in der Gegenwart und ein Genre- und Historienmaler, der unter den größten aller Zeiten genannt zu werden verdient.

Westermanns Illustrierte Deutsche Monatshefte 54. Band. Ein Familienbuch für das gesamte geistige Leben der Gegenwart. Braunschweig, 1883.

Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München (1983)

Max Cornelius Gabriel, von, 1840 (Prag) – 1915, Historienmaler und Akademieprofessor; er studierte in seiner Heimatstadt, in Wien (bei Blaas) und in München (bei K. von Piloty) und war von 1879–1883 Akademieprofessor; ein eigenartiger Bildnis- und Historienmaler, von Mystik und Spiritismus beeinflußt, dabei aber auch die stark sinnlichen Elemente seiner böhmischen Heimat wahrend, gilt M. als der Maler des Totenkults, der Schauer und der Grabesromantik.

Hauptwerke: Schweißtuch der Veronika, Märtyrin am Kreuz, Anatomie, Vivisektor, Das enthauptete Gretchen, Christus ein Kind heilend; er illustrierte auch Ausgaben von Wieland, Schiller, Uhland und Lenau; dunkeläugige und wachsbleiche weibliche Gestalten sind typisch für ihn.

© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.



© Reiner Kaltenegger · Gräber des Alten Südfriedhofs München · 2007-2025


Erstellt mit jutoh digital publishing software (Anthemion Software Ltd.)