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NA – 105 (Reitzenstein)

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FRANZISKA
FREIFRAU VON REITZENSTEIN
SCHRIFTSTELLERIN 1834 – 1896

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Franziska Freifrau von Reitzenstein (vh)

von Nyß (gb)
Franz von Nemmersdorf (ps)
* 19.9.1834 (Schloß Härtenstein/Schwaben)
† 4.6.1896 (München)
Schriftstellerin

Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog (1897)

Reizenstein, Franziska von (Franz von Nemmersdorf) wurde am 19. Septbr. 1834 (u. a. 1837) auf Schloss Härdenstein in Schwaben als die Tochter des Augsburger Oberappellationsgerichtsrats von Nyss geboren, erhielt eine äusserst sorgfältige Erziehung und durch diese Geschmack an ernsten Studien, welche sonst dem weiblichen Unterricht fern liegen, namentlich an Geschichte, Philosophie, klassischen Sprachen und Anthropologie im weitesten Sinne.

Auch körperlich mit allen Reizen der Schönheit ausgestattet, verheiratete sie sich, kaum an den Grenzen der Kindheit angelangt, mit dem königl. bayrischen Rittmeister bei den Kürassieren, Freiherrn von Reizenstein, den sie aber schon nach vierjähriger Ehe durch den Tod verlor. Seitdem lebte sie der Gesellschaft, der Litteratur (Gutzkow weihte sie in die ersten Kunstgriffe der Schriftstellerei ein) und ihren Reisen, die sie nach Italien, Frankreich und Russland führten, und auf denen sie als eine scharfe Beobachterin Welt und Menschen studierte.

Mit besonderer Vorliebe weilte sie in der Lagunenstadt Venedig, die denn auch den Hintergrund vieler ihrer Romane bildet. Ihr erster entstand nach einem Winteraufenthalt in Rom und Neapel; er führte den Titel »Unter den Ruinen« (IV, 1861). Dann folgten »Moderne Gesellschaft« (IV, 1863), »La Stella« (1863), »Doge und Papst« (II, 1865), »Allein in der Welt« (III, 1868), »Unter den Waffen« (III, 1869), »Ritter unserer Zeit« (III, 1873), »Ein Gentleman« (IV, 1874), »Ein Ehestandsdrama in Venedig« (IV, 1876), »Die Masken des Glücks« (1876), »Gebt Raum!« (III, 1880), »Das Rätsel des Lebens« (II, 1894) und zwei Studien aus dem Leben »Der Kampf der Geschlechter« (1891) und »Aus gärender Zeit« (1895).

Die Verfasserin hat in ihrem Denken und Fühlen einen männlich-energischen Zug; sie vertritt eine freie weltmännische Auffassung mit vornehmem, aristokratischem Anstrich und giebt in einem gesunden Realismus das Spiel der menschlichen Leidenschaften wieder. Als Kuriosum mag noch erwähnt werden, dass sich Freifrau von R., nachdem ihr eine Wiener Lotterie dass »grosse Loos« zugeworfen, 1882 in München, ihrem ständigen Domizil, ein Haus kaufte, das sie nach dem Vorbilde der englischen Gräfin Mary de la Torre zu einem grossartigen Katzenasyl einrichtete, wofür ihr die dankbare Nachbarschaft den vulgären Beinamen »Katzenbaronin« votierte. Sie starb in München am 4. Juni 1896.

Persönliche Mitteilungen. Berliner Tageblatt vom 8. Juni 1896. Franz Bornmüller: Schriftsteller-Lexikon der Gegenwart. Leipz. 1882. S. 522.

Franz Brümmer.

Franz Brümmer: Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. Berlin, 1897.

Allgemeine Deutsche Biographie (1907)

Reitzenstein: Franziska Freifrau von R., als Schriftstellerin unter dem Namen Franz von Nemmersdorf thätig; geboren am 19. September 1834 auf Schloß Härtenstein in Schwaben, als die Tochter des Augsburger Oberappellationsgerichtsrathes v. Nyß, erhielt eine äußerst sorgfältige Erziehung und durch dieselbe Geschmack an ernsten Studien, namentlich Geschichte, Philosophie und Anthropologie im weitesten Sinne. Verheirathet 1849 mit dem kgl. bair. Rittmeister Freiherrn v. Reitzenstein, und seit 1853 Wittwe, lebte sie der Gesellschaft und, durch Gutzkow der Litteratur zugeführt, auf Reisen in Italien, besonders in Rom und Venedig, wo sie die Lagunenstadt gründlich studirte. Hier fand sie auch den Stoff zu ihrem Roman »La Stella«, welcher zuerst in der damaligen »Neuen Münchener Zeitung« und dann als eigenes Buch (München 1863) erschien, eine äußerst farbig sehr geschickt und mit glühender Leidenschaft durchgeführte Erzählung.

Gleiche Vorzüge hatten ihre kurz vorher bekannt gewordenen Romane »Unter den Ruinen« (Roms) und »Moderne Gesellschaft« (1863). Der zweibändige Roman »Doge und Papst« schildert das 17. Jahrhundert und die Zeit Paul’s V. (Breslau 1865). Rasch folgten die auf gleichem Terrain spielende Novelle »Gozzi’s Rache« (1865 im Abendblatt der Bayer. Zeitung); »Allein in der Welt«; »Ein moderner Werther«; »Späte Sühne« (in den von Julius Grosse und Dr. Franz Grandauer redigirten »Propyläen«, 1869); dann der dreibändige Roman »Unter den Waffen« (Berlin 1869; in zweiter Auflage 1872); »Die Verworfene und Reine«; »Ein dämonisches Weib« (1873); »Ein Gentleman« und »Masken des Glücks« (1875); ein abermals in Venedig spielendes »Ehestandsdrama« (1876); »Gebt Raum« (1889) u. s. w.

Allgemach setzte sie auf das bisher schon vielfach gestreifte physiologisch-philosophische Gebiet über, in Mantegazza’s Fußtapfen tretend, dem sie auch ihr Opus über den »Kampf der Geschlechter« (Leipzig 1891. 93. 94) zueignete. Mit großer Kühnheit behandelte sie die durch ungefähre Gleichstellung der Geschlechter ihr leicht entwirrbar scheinende Frauenfrage. Sie packte ihr Thema mit großem Ernst und vielfach geistreich, freilich nicht durchweg neu, aber doch meist zutreffend und gut beobachtend. Den Schluß machte die schreibselige Frau mit der in hocharistokratischen Kreisen sich bewegenden, theilweise scharf sarkastischen Schilderung »Das Räthsel des Lebens« (1894), welchem sie noch eine Studie »Aus gährender Zeit« (Stuttgart 1895) nachjagte.

Nebenbei bethätigte sie sich bei verschiedenen Journalen und Zeitschriften, lieferte allerlei Tagesartikel für die damals noch in Augsburg befindliche, von Kolb und Altenhöver redigirte »Allgemeine Zeitung«, in die »Münchener Zeitung« und das damit zusammenhängende »Unterhaltungsblatt« (1859. 60), in Keil’s »Gartenlaube«, auch für Wiener Blätter war sie thätig. Ihr Stil spitzte sich später zu einem kurzathmigen Satzbau und fragmentarischen Erzählerton. Zuweilen schaute der Blaustrumpf stark hervor; auch liebte sie in einem polyglotten Salonidiom zu schwelgen, im Nachklang der vormärzlichen hocharistokratischen Gepflogenheit: ein Mischmasch von Fremdwörtern und Citaten aus allen möglichen todten und lebenden Sprachen.

In der Jugend eine vielgepriesene Schönheit, später eine imposante Erscheinung, endlich aber nur noch eine Ruine aus längst vergangenen Tagen, wenn man sie in den Straßen Münchens oder in der kgl. Hof- und Staatsbibliothek sah mit dem archaistischen Lächeln auf dem Gesicht und in ihrer recht phantasievollen Garderobe.

Ihr schriftstellerisches Pseudonym entstammte dem willkürlichen Griff in ein topographisch-statistisches Lexikon. Aber ein anderer Zufall des Glückes warf ihr ein Wiener »großes Loos« in den Schoß. Dafür kaufte sie sich 1882 in München ein schönes Haus, in dem sie die Schar ihrer angeblich sogar testamentarisch sichergestellten Katzen heimisch machte. Die Nachbarschaft erhob sie dafür zur Katzenbaronin. Ueber ihrer Gruft im südlichen Camposanto wurde nach Fr. Thiersch’s Entwurf durch die Firma Zwisler & Baumeister ein stattliches Denkmal mit einer von Bildhauer Maier in Marmor gemeißelten Urnenträgerin errichtet.

Vgl. Heinrich Kurz, Geschichte der neuesten deutschen Literatur, 1873. IV, 673. Franz Bornmüller, Schriftsteller-Lexikon der Gegenwart, 1882, S. 522. Nr. 155 der Allg. Zeitung, 6. Juli 1896. Frz. Brümmer, Lexikon, 4. Aufl. III, 297 und in Bettelheim’s Jahrbuch 1897. I, 256.

Hyac. Holland.

Dr. phil. Hyazinth Holland: Allgemeine Deutsche Biographie. Leipzig, 1907.

Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München (1983)

Reitzenstein Franziska, von, Freifrau, 1843 (Schloß Härtenstein/Schwaben) – 1896, Schriftstellerin (Pseudonym Nemmersdorf Franz); »in ihrer Jugend war sie eine vielgepriesene Schönheit, später eine imposante Erscheinung, endlich aber nur noch eine Ruine aus längst vergangenen Tagen« (H. Holland); R. studierte Geschichte, Philosophie und Anthropologie, machte weite Reisen in Italien, besuchte besonders intensiv Rom und Venedig und verkehrte nur in aristokratischen Kreisen; sie war seinerzeit eine der gefeiertsten und fruchtbarsten Romanschreiberinnen.

Hauptwerke: Unter den Ruinen, Moderne Gesellschaft, La Stella, Doge und Papst, Allein in der Welt, Unter den Waffen, Verworfene und die Reine, Dämonisches Weib, Gentleman, Masken des Glückes, Ehestandsdrama in Venedig, Gebt Raum; in ihrem Roman verbindet R. Sentimentalität und Realismus.

© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.



© Reiner Kaltenegger · Gräber des Alten Südfriedhofs München · 2007-2025


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