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ADOLF CHRISTEN
K.B. HOFSCHAUSPIELER
geb. zu Berlin 7. August 1811
gest. zu München 13. Juli 1883.
CLARA CHRISTEN-ZIEGLER
EHRENMITGLIED d. K.B. HOFBÜHNE
GRÜNDERIN DES THEATERMUSEUMS
geb. zu München 27. April 1844
gest. zu München 19. Dezember 1909.
»Verwelkt der Lorbeer und das Saitenspiel verklungen!«
»Es war auf Erden ihre Heimath nicht.«
»Sie ist zurückgekehret zu den Ihren.«
(Grillparzer: »Sappho.«)
ELISABETH CHRISTEN
* 7.10.1853 – † 11.9.1928
Treu
bis in den
Tod.
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Christen-Ziegler, Klara (vw) / Ziegler (gb); 27.4.1844 (München) – 19.12.1909 (München); Schauspielerin
Christen, Adolf; 7.8.1811 (Berlin) – 13.7.1883 (München); Schauspieler
Christen, Elisabeth; 7.10.1853 – 11.9.1928
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Ziegler (gb)
* 27.4.1844 (München)
† 19.12.1909 (München)
Schauspielerin
Theater.
Clara Ziegler in Prag.
Entschieden ist die Auffassung der Medea wie sie Fanny Janauschek und vermuthlich die große Sophre Schröder bot, die einzig richtige. Und es ist gewiß, daß Clara Ziegler bald dieselbe Richtung verfolgen wird. Wie sie jetzt die Medea darstellt, macht sie einen wohlthuenderen, aber keinen so großartigen Eindruck als ihre Vorgängerinnen. Die Stelle im zweiten Akte: »ich weiß ein Lied« betonte sie z. B. sehr schön und brachte das dritte Mal, wo sie diese Stelle sagte, die treffliche Nüance an, daß sie den Namen Jason's zornig rief, um ihn aus seinen Träumereien mit Kreusa zu erwecken, und dann tonlos hinzufügte: »Ich weiß ein Lied«. Wer sich aber der Medea der Janauschek erinnert, kennt die erschütternde Wirkung dieser Stelle aus ihrem Munde. Vollendet sprach sie zu Jason die vorwurfsvollen Worte: »Gib Medeen mir zurück«.
Ihre wahrhaft geniale Begabung ließ sich an der Medea am Meisten erkennen. Der Zug zum Großartigen, das vollkommen stylgemäße Spiel, die durchaus originelle Auffassung traten hier besonders hervor, Eigenschaften, in denen sie gegenwärtig nicht erreicht wird, auch von der hier von mancher Seite überschätzten Ulrich nicht. Eine außerordentliche Leistung war ihre Deborah. Zwei Momente bietet diese Gestalt, die auseinander liegen, denen beiden aber Clara Ziegler ganz gerecht wurde. Ihre hingebende Liebe, wie ihr glühender Haß waren beide trefflich ausgedrückt. Es war nichts Aeußerliches nichts Gemachtes, um etwa die Vorzüge der Stimme glänzen zu lassen; das war tiefes, echtes Gefühl, hinreißende Leidenschaft. Welche von den Darstellerinnen der Gegenwart vermag auch nur annähernd die Fluchscene so ergreifend zu spielen? Diese Jüdin der Ziegler unterscheidet sich wesentlich von der Judith. Deborah hat nur Ein Gefühl, das sie ganz beherrscht; nicht so Judith. Das kühne Mädchen von Bethulien hat zunächst die Rettung ihres Volkes vor Augen; bald aber mischt sich die Bewunderung für Holofernes ein. Wenn sie ihn morden soll, muß sie ihn hassen; statt dessen bewundert sie ihn und ist selbst von Liebe nicht allzuweit entfernt. Als Grundlage beider Gestalten nahm die Künstlerin die fromme religiöse Empfindung. Weiterhin wird diese bei Deborah von ihrem subjectiven Gefühle überwältigt und von der Jüdin bleibt nur die größere Leidenschaftlichkeit übrig. Judith blieb bei der Ziegler immer die begeisterte Tochter ihres Volkes, und die Juden konnten in der That auf eine solche Stammverwandte in jedem Sinne stolz sein. So kann die Judith, wie sie vor Holofernes tritt, nicht schöner und charakteristischer gedacht werden, als in der Erscheinung der Ziegler; ihre Attitude nach der Ermordung des Holofernes erinnerte lebhaft an das Bild von Vernet. Wie herrlich wußte sie in den interessanten Scenen mit dem Todfeinde ihrer Nation die zwei Contraste zu vereinigen, nämlich die verführerische Außenseite und den innerlichen Haß, und besonders treffend zeichnete sie diesen Widerspruch in dem Momente, als er ihr den ersten Kuß abfordert. Man kann in jeder Beziehung die Judith der Ziegler eine einheitliche in sich abgeschlossene, in den meisten Zügen großartige Leistung nennen. Gerade weil die Judith Hebbel's in jenen Scenen, wo ihr Charakter sich am tiefsten offenbart, voll Berechnung handelt und immer wieder durch ihr Gefühl in dieser Berechnung gestört wird, liegt sie der Begabung der Ziegler so nahe; denn ihr Spiel ist ein wohlberechnetes, und wo der Ausdruck der lebendigsten Leidenschaft in ihr Spiel paßt, da wirkt sie unwiderstehlich, hinreißend. Wie sehr bei den Leistungen der Ziegler trotz ihrer Jugend die Berechnung einen gewaltigen Faktor bildet, war deutlich an ihrer Gräfin Orsina zu bemerken. Das leidenschaftliche Wesen, welches andere Darstellerinnen in dieser Rolle vorzüglich betonen trat bei ihr zurück und machte sich nur gegen den Schluß der meisterhaften Scene in der Vision geltend. Aus diesem Grunde, weil sie das allerdings allen Lessing'schen Gestalten eigene reflectirende Moment nachdrücklich hervorhob, erschien die Wirkung nicht so groß, als die Leistung sonst verdient hätte. Freilich war vom Publikum nicht zu verlangen, daß es ohne Weiteres nach der heiteren Atmosphäre des Scribe'schen »Frauenkampf« die richtige Empfänglichkeit für die Gewitterluft der »Emilia Galotti« mitbringen solle.
Im Gegensatze zu den düsteren Gebilden einer Medea, Deborah, Judith und Orsina zeigte sich Clara Ziegler als Iphigenie. Wenn die Heroine an die Darstellung der Iphigenie geht, dann entfernt sie alles Verworrene, Nebelhafte, Unbestimmte, dann wählt sie alle Klarheit und Reinheit, deren sie fähig ist, um diese klassische, erhabene, jungfräuliche Gestalt in einfacher Wahrheit würdig zu repräsentiren. Jede Lüge sticht von dieser schneeig reinen Frau scharf ab. Es ist, als ob die Darstellerinnen sich in ein Festgewand gehüllt haben, wenn sie als Iphigenie »heraus in eure Schatten, ewig rege Wipfel« treten. Und dies Festgewand schmückte in glänzend lichter Farbe die Iphigenie der Clara Ziegler. Wer ihre Medea und Deborah gesehen, hätte ihr keine richtige Reproduktion der Iphigenie zugetraut, hätte sich aber entschieden getäuscht. Die volle Ruhe, das stille Gleichmaß, das milde, gelassene Wesen waren hier ihre beständigen Attribute, ihre Freude, wie ihr Schmerz, ihr Wehmuth, wie ihr Dankgefühl waren gedämpft. Gleichwohl wirkte diese maßvolle Darstellung ebenso wie die gewaltige Leidenschaft der Medea. Am ergreifendsten trug sie das Parzenlied vor; sie sprach es, wie in Erinnerung verloren, leise, mit verschleierter Stimme, mit milder Wehmuth; nach den halb hingehauchten Worten: »denkt Kinder und Enkel und schüttelt das Haupt« konnten die Hörer den lebhaftesten Beifall nicht zurückhalten. Zu bemerken ist, daß die Ziegler in den ersten Akten matter war und speziell die Erzählung von den Gräueln der Atriden nicht lebhaft und frisch genug sprach. Derselbe Vorwurf trifft die Monologe, sowie die Apostrophen an die Götter. Es ist für sie ein Leichtes, größere Energie zu entwickeln, und Goethe hat die Iphigenie in so zarten Umrissen gehalten, daß die Darstellerin sie schon schärfer ziehen kann, ohne der Einheit des Charakters zu schaden. Ganz gelungen spielte sie die große Scene mit Orest.
Die fünf genannten Leistungen haben Clara Ziegler in Prag dauernd in der Erinnerung befestigt, sie gilt von nun an hier als die erste Künstlerin ihres Fachs in Deutschland. Ohne den Propheten spielen zu wollen, kann man doch schon behaupten, daß sie, wenn sie unbeirrt von dem fahrenden Virtuosenthum, nur die Kunst und nicht die Menge im Auge, stetig vorwärtsschreitet, die Größe der Schröder erreichen kann.
Die vier übrigen Leistungen hatten viele glückliche Momente, verriethen nicht minder eine großartige Begabung, erregten Beifall in Fülle, hätten vielleicht eine andere Künstlerin sehr beliebt gemacht: für Clara Ziegler waren sie Beiwerk. Die Königin Elisabeth in Laube's »Essex« und Schiller's »Jungfrau von Orleans« gehören nicht zu den größten Aufgaben der Kunst; Talent ist zu ihnen erforderlich, besondere Tiefe der Charakteristik beanspruchen sie nicht. Gerade diese aber ist das Hauptgebiet der Ziegler. Der beste Beweis, daß sie nicht, wie man ihr vorwirft, ausschließlich ihr Organ glänzen läßt, ist, daß sie als Johanna von weit weniger begabten Künstlerinnen übertroffen wird. Die schwärmerische Begeisterung, das beinahe fanatische religiöse Gefühl sagen ihr nicht zu. Nur da, wo ein wirklicher Conflict entsteht, dringt sie tiefer in den Geist der Aufgabe. Den Kampf zwischen ihrer Mission und der profanen Liebe zu Lionel drückte sie in schärfster Weise aus und stand in dem Vortrag des Monologs vor der Kirche auf der Höhe der Kunst. Laube's Elisabeth steht an historischer Treue, wie an dramatischer Bedeutung höher, als die Schiller's, tritt aber gegen Essex selbst zurück; nur in wenigen Scenen gewinnt sie größere Wichtigkeit, in jener, wo sie als Königin die Würde der Krone wahrt. Hier soll sich Clara Ziegler ausgezeichnet haben, wie verläßliche Berichte melden. Immerhin werden derartige Rollen erst später von der Künstlerin ihrer ganzen Bedeutung nach vollendet dargestellt werden.
Von den Lustspielrollen, Gräfin Autreval im »Frauenkampf« und Donna Diana konnte ich nur die erstere sehen, aber es genügte, um die Gewißheit zu erlangen, daß das Lustspiel zwar nicht das eigentliche Gebiet der Ziegler bilde, daß sie aber dort entschieden besseres leiste, als beispielsweise die Janauschek und die Ulrich; die Erstere spielte so gezwungen als möglich, die Letzten behandelt den Dialog spielend leicht, aber dabei monoton. Clara Ziegler spielt reizend, immer sympathisch und natürlich, geräth nie in Monotonie und hat Momente im Mienenspiel und in der Betonung, wo sie entzückend wirkt. Als Gräfin gab sie den Monolog vor dem Spiegel im 1. Akte so anmuthig, daß die einzige Nuance, wie sie, um sich von ihrer noch vorhandenen Schönheit zu überzeugen, furchtsam in den Spiegel schaut, um dann mit liebenswürdiger Selbstgefälligkeit aufzublicken, lebhaften Beifall erregte. Vorzüglich und höchst pikant war sie in der Scene mit dem Präfekten. Ein Theater, das eine solche Künstlerin sein nennt, kann sich glücklich schätzen.
Dr. Frank: Walhalla Nr. 66. Sonntags-Ausgabe des »Bayerischen Landboten«. München, den 2. Oktober 1869.
Clara Ziegler.
Ob die Wiener, als sie im vorigen Jahre bei dem Gastspiel des Fräulein Clara Ziegler sich vor lauter Enthusiasmus über die klassischen Gebilde der eminenten Künstlerin schier toll und närrisch geberdeten, als die Billets zu diesen Gastvorstellungen zu wahnsinnigen Preisen an der Börse gehandelt wurden, wohl eine Ahnung davon gehabt haben, daß die große Tragödin vor nicht gar zu langer Zeit noch Offenbach gesungen, getanzt und gespielt hat? Ich glaube schwerlich. Und doch ist es mir, als wenn es gestern Abend gewesen wäre, wie ich Fräulein Ziegler zum erstenmal gesehen und zwar als öffentliche Meinung im Offenbach'schen »Orpheus.« Damals – es war im Jahre 1865 – war freilich unser Actientheater, das jetzt längst in Concurs gefallen, in diesen Tagen unter den Hammer des Auctionators kommen wird, noch in schönster Blüte, es waren freundliche, helle, heitere Tage, die damals über den Gärtnerplatz aufgingen.
Minna Wagner, die kecke, blonde, liebenswürdige Soubrette, hatte auch die viel kühleren Münchener im Sturm erobert und ihr Name auf dem Zettel brachte allemal ein volles Haus. Sie gab die Eurydice und ihr Auftreten in der damals in München noch neuen Rolle war es, was mich in das von meiner Wohnung sehr entfernte Theater gelockt hatte. Ueberdies hatte man von dem »Orpheus« so viel erzählt, jede einzelne Decoration war schon im Publicum bekannt, noch ehe sie ein Mensch gesehen, man sprach von ganz neuen Maschinen, von der Herrlichkeit des Olymps, von dem großen Bacchanal, von dem Götter-Cancan und was weiß ich, von was noch für Ueberraschungen; was Wunder, daß das Theater bis in's Paradies hinauf überfüllt war.
Die Ouvertüre in ihrer frischen kecken Originalität, mit den packenden Melodien sprach schon ungeheuer an, der Vorhang rollte auf und die prachtvolle griechische Landschaft, von Jank's Meisterhänden gemalt, zeigte sich unter allgemein bewundernden Ah's und Oh's.
Da trat aus dem Hintergruünde des reizenden Getreidefeldes eine sehr stattliche Figur, die Geißel in der einen Hand, die andere leicht und graziös den Zipfel der weiten weißen Toga haltend, auf dem prachtvollen schwarzen Haar wiegte sich keck die alt-griechische Mütze, das – pardon meine schöne Leserinnen – etwas sehr kurze Röckchen zeigte einen stolzen ebenmäßigen Gliederbau, dem ich in der Erinnerung nur den der herrlichen Amazone im Vatikan an die Seite zu setzen wüßte. Bei den ersten Lauten der etwas tiefen, fast männlich-starken Stimme schwieg Alles und Fräulein Clara Ziegler – sie war die öffentliche Meinung – sprach ihren das Stück einleitenden Prolog in einer Weise, welche die tüchtige Künstlerin zeigt.
Der Abend ging vorüber, wie alle andern, das Publicum lobte und applaudirte, wie selten zuvor, Minna Wagner, die kleine liebenswürdige Fee (jetzt der Liebling des Carltheaters in Wien), verschwendete alle Schätze ihres drolligen Humors, Carl Weiß, der treffliche Komiker (jetzt an der Coburger Hofbühne) war ergötzlicher als je in der Rolle des Jupiter – alles das, alle die Decorations- und Sceneriewunder gingen ziemlich spurlos an mir vorüber, mich interessirte in erster Linie nur das seltsame Mädchen, das die öffentliche Meinung spielte und das so gar nicht an seinem richtigen Platze zu sein schien, das so prächtig aussah, so schön sprach und so entsetzlich sang.
Ja, es muß heraus, hätte Fräulein Ziegler die Carrière einer Offenbach-Sängerin verfolgt, sie würde schwerlich Lorbeeren eingeerntet haben, denn so kräftig und voll ihre Stimme beim Sprechen auch klingt, so schwach und tonlos ist sie beim Singen, und es macht einen gar traurig-possirlichen Eindruck, aus so gewaltigem Körper so ein dünnes Stimmchen zu hören. Trotz alledem hatte mich die Künstlerin unendlich gefesselt und ich versäumte keine Vorstellung, in der sie zu thun hatte. Die Direction stellte sie vielfach in kleinen Lustspielen und Conversationsstücken heraus, in denen sie allerdings nichts verdarb, aber doch noch immer nicht an ihrem richtigen Platze war. Der Rahmen war zu klein für das gewaltige Bild, es war immer, als habe man einen Pegasus vor einer Droschke gespannt, und man fürchtete jeden Augenblick, daß das göttliche Roß jetzt, jetzt seine Flügel ausspannen und das elende Gefährt hinter sich lassen werde.
Da kam ein neues Stück, eines von jenen Preisstücken, deren das Actientheater bei seiner ausgeschriebenen Concurrenz circa 200 eingesendet bekommen hatte, und von denen das Preisgericht circa 10 aufführen ließ. Das Schauspiel hieß »In Ketten« und war von jenem Vacano verfaßt, der als eine der fragwürdigsten, abenteuerlichsten Erscheinungen in unserer Tagesliteratur herumspukt, bald Bücher liefert, die das Verbrennen nicht werth sind, bald wieder einzelne Novellen schreibt, die zu den Besten gehören, was unsere Tagesliteratur aufzuweisen hat.
Ich war von vornherein auf das Stück gespannt, weil der Autor desselben es in vollendeter Weise verstanden hatte, über sich die abenteuerlichsten Gerüchte zu verbreiten. Die Einen sagten, er sei ein verkommener Schauspieler, der als Statist am Burgtheater und später, als er selbst diesen Ehrenposten nicht mehr ausfüllen konnte, in der nämlichen Eigenschaft an ein kleines österreichisches Provinztheater – ich glaube in Brünn – gekommen sei. Andere behaupteten wieder, dieser Vacano sei eigentlich gar kein Schauspieler, sondern ein Kunstreiter und wieder doch kein Kunstreiter, sondern eine Kunstreiterin, die unter dem Namen Miß Ella in Europa und Amerika die wunderlichsten Abenteuer gehabt und viele Triumphe gefeiert habe. Wieder Andere erzählten noch viel Schlimmeres und wollten den Schriftsteller in eine Menschenrasse setzen, über die uns Assessor Ulrichs in Würzburg die seltsamsten Aufschlüsse gegeben; ich selbst erinnere mich, eine von dem Verfasser unterzeichnete Novelle gelesen zu haben, in welcher er oder sie schildert, wie er oder sie in Venedig in einen österreichischen Husaren-Officier sterblich verliebt gewesen ist. In der Geschichte liefen die Geschlechter so seltsam durcheinander, daß mir zuletzt ganz wirbelig zu Muthe war und ich das Buch schließlich an die Wand warf.
Dem sei nun, wie ihm wolle. Das Stück stand auf dem Zettel, der Name des Autors darunter, und das Stück war nicht schlecht. Eine Jugendarbeit zwar, unfertig, hin und wieder roh und sich überstürzend, aber voll Sturm und Drang, voll Feuer und Leidenschaft und reich an neuen interessanten und spannenden Scenen. Der Inhalt des Stückes ist bald erzählt: Eine ehemalige Lorette wird durch eine seltsame Verkettung von Umständen die Frau eines russischen Großen und trifft beim Eintritt in das Schloß ihres Gatten in dem Verlobten ihrer angeheiratheten Tochter den Mann ihrer einzigen wahren Liebe, dessen Untreue sie auf die Bahn des Lasters getrieben hat. Die daraus entstehenden Conflicte, welche durch das Hineinragen der polnischen Revolution und die Contraste zwischen Russenthum und Polenthum natürlich noch zugespitzt werden, mag man sich selber denken, mir sind dieselben nur der Rahmen zu dem gewaltigen Bilde, das Fräulein Ziegler aus dieser Gräfin machte. Jetzt erst sah ich sie zum erstenmal an ihrem richtigen Platze und an diesem so hoch interessanten Abend ging mir die ganze Bedeutung, welche das seltene Mädchen für das deutsche Drama haben sollte, vorahnend auf. Zwar war auch ihre Leistung keine fertige, sie war wie das Stück voll Sturm und Drang, voll Glut und Leidenschaft, hin und wieder nicht ausgearbeitet, an wichtigen Momenten vorübergehend und sich mit aller Energie auf weniger Bedeutendes stürzend – aber durch und durch originell und selbst da, wo sie irrte, getragen und gehoben von unverkennbarem Talent, von einer so zwingenden Genialität, daß Niemand im weiten Zuschauerraum sich des gewaltigen Eindruckes erwehren mochte. Wo das Vacano'sche Stück auch sonst noch gegeben sein mag, es kann nirgends eine glänzendere Vertretung in der Hauptrolle gefunden haben, und von dem Tage an wendete sich eben das Geschick der Künstlerin in glänzender Weise. Nach einander brachte sie jetzt, soweit es das beschränkte Repertoir des Actientheaters, das bekanntlich keine klassischen Dramen geben darf, zuließ, die bedeutendsten Rollen, von denen uns noch die Donna Diana, Deborah, die Marguerite in der »Cameliendame« und die Pietra in lebhafter Erinnerung stehen.
In unsern Aufzeichnungen blätternd, fällt uns ein vergilbtes Blatt in die Hand, es ist das Morgenblatt der »Baierischen Zeitung« vom 18. August 1866, in welchem folgende Zeilen stehen: »Mosenthals: »Pietra,« am vergangenen Mittwoch im Actientheater zum erstenmal gegeben, brachte dem Publicum einen sehr genußreichen Abend und dem Institut ein volles Haus. Ueber das Drama selbst ist in diesen Blättern schon eingehend gesprochen worden, es bedarf daher nur der Erwähnung, daß dieser Abend sich für die höchst talentvolle Darstellerin der Titelrolle zu einem wahren Triumph gestaltete.
Wir glauben, Fräulein Ziegler eine glänzendeZukunft prophezeien zu dürfen, und können nicht umhin, die Verwaltung unseres königl. Hof- und Nationaltheaters auf das Dringendste darauf aufmerksam zu machen, daß sie lange wird suchen dürfen, das in der Ferne zu finden, was Fräulein Ziegler in nächster Nähe ihr bieten würde.«
Es galt nämlich damals, für die aus dem Verband des Hoftheaters ausscheidende Frau Straßmann-Damböck einen Ersatz zu finden, und die Intendanz machte alle möglichen Versuche, ließ berühmte und unberühmte Heldinnen in schwerer Anzahl kommen, aber keine gefiel, und das Fach der ersten Heldinnen blieb verwaist, bis zwei Jahre später Fräulein Ziegler, die man trotz unseren mehrfachen schriftlichen und mündlichen Aufforderungen damals zu berufen nicht beliebt hatte, weil sie auf dem Actientheater thätig war, endlich doch eintrat und damit dem Schauspiele unseres königlichen Institutes einen so bedeutenden Aufschwung gab. 1866 hätte man die damals noch wenig gekannte Schauspielerin freilich billiger haben können, als 1868 die gefeierte Künstlerin; man hätte sie nicht erst nach Leipzig ziehen zu lassen brauchen, und sich erst von der Leipziger Kritik, von der Bewunderung und dem lauten Enthusiasmus des Publicums von Hamburg, Wien, Berlin und anderer großer Städte für die Bedeutung des heimischen Talentes Brief und Siegel geben zu lassen brauchen. Aber schließlich haben wir sie ja doch, und die Geld- und Zeitdifferenz ist lediglich der Künstlerin zu Gute gekommen, und die Intendanzen haben ja immer so viel Geld!
Das heimische Talent ist aber still und friedlich in einem Münchner Bürgerhause groß geworden, groß eigentlich nur in körperlicher Beziehung, denn getreu dem alten Worte: »kein Prophet im Vaterlande« hat auch bei Fräulein Ziegler erst die Fremde ihr den Ruhm gegeben, den die Heimat ihr so eigensinnig und hartherzig verweigerte. Diese körperliche Größe, welche die Journale gar nicht genug preisen können, und welche in der That der Künstlerin bei den großen Aufgaben der Tragödie, wie Medea, Brunhilde, Jungfrau, Judith in seltener Weise zu statten kommt, und ihrer Erscheinung in Wahrheit etwas Königliches, über die Menge Herausragendes giebt, und sie so recht eigentlich zur Lösung dieser höchsten Aufgaben der Kunst prädestinirt erscheinen läßt, war gleichwohl zuerst für sie ein schier unüberwindliches Hinderniß. Die kleinen Bühnen, welche sich natürlich wenig mit clastischen Dramen befassen, konnten die stattliche Figur, die um eines Hauptes Länge die anderen Mitglieder überragte, kaum verwenden, und selbst auf den bedeutendsten Theatern führte diese von einer gütigen Gottheit der Künstlerin verliehene prachtvolle Figur die unangenehmsten und doch wieder drolligsten Situationen herbei. In der That dürfte es wenige große Theater in Deutschland geben, an denen Helden und Liebhaber wirken, die Fräulein Ziegler gewachsen sind und zwar in physischer und psychischer Beziehung. In München fällt dies nicht auf, da auch Herr Rüthling, der Held des Schauspiels, sich einer ansehnlichen Statur erfreut, es soll aber an einem der ersten Institute in Deutschland (man sagt in Wien) vorgekommen sein, daß, als von einem Engagement der großen Schauspielerin gesprochen wurde, der erste Held auf die Intendanz gelaufen sei und diese mit Thränen im Auge angefleht habe, von diesem Engagement abzusehen, da er, der doch hauptsächlich mit ihr zu spielen haben werde, ihr kaum bis an die Schulter reiche und jedes Mal ausgelacht werden müsse, wenn er neben ihr heraustrete. Diese ansehnliche Leibesgröße scheint aber in der Familie Ziegler erblich zu sein, denn Fräulein Ziegler hat noch eine, oder sogar mehrere Schwestern, welche ihr nicht nur an stattlicher Größe gleichkommen, sondern sogar im Aeußern so zum Verwechseln ähnlich sind, daß man im Actientheater, ich weiß nicht gleich in welchem Stücke, wo eine derartige Ähnlichkeit zweier verschiedenen Personen erforderlich ist, eines schönen Abends zwei Schwestern Ziegler zugleich auf den Brettern sah, und kein Mensch unterscheiden konnte, welche von Beiden eigentlich die Schauspielerin war. Die Künstlerin selbst erzählte mir nach ihrer Zurückkunft von Wien lachend, daß sie, wenn sie mit ihrer Doppelgängerin, mit ihrer Schwester, in Wien spazieren gegangen sei, ihre beiderseitige Erscheinung mehrmals ein solches Aufsehen erregt habe, daß sie sich hätten in einen Fiaker flüchten müssen.
Clara Ziegler hatte aber noch schlimmere Hindernisse zu überwinden als die, welche ihre stattliche Figur ihr in den Weg legte. Zuerst hatte sie ihre ganze Familie gegen sich, die vom Theater nichts wissen wollte. Man muß eben die Münchener Verhältnisse am Ende noch der fünfziger und am Anfang der sechziger Jahre kennen, um zu begreifen, mit welchem Widerwillen ein gut situirtes, solides Bürgerhaus auf das Theater und Alles, was damit zusammenhängt, blickte. Man ging wohl auch hin und wieder in ein schönes Stück in's Volkstheater in der Au, oder in das der Müllerstraße, ja, man verstieg sich wohl gar zum Besuche einer Oper im Hoftheater, und man amusirte sich herrlich dabei, aber von den Leuten, denen man das Amusement eigentlich verdankte, wollte man nichts wissen, und der eigentliche Bürgerstand hielt sich von alle dem, was an die Komödie erinnerte, sehr fern, denn gerade das Gewerbe mochte als Miethsherr oder als Arbeiter für die Schauspieler und Schauspielerinnen wohl manche unangenehme Erfahrung gemacht haben und sogar heute noch verschmäht es die gute Gesellschaft, wenn man in München überhaupt von einer solchen sprechen kann, selbst die hervorragendsten Mitglieder des Hoftheaters in ihre Kreise zu ziehen, und das Theater selbst lebt ziemlich exclusiv unter sich.
Clara Ziegler durfte also von ihrem Entschluß, sich dem Theater widmen zu wollen, im Kreise ihrer Familie nichts verlauten lassen und bildete sich auf längeren Spaziergängen in Begleitung ihrer Schwester, – welche längere Spaziergänge, die als Gesundheit fördernd tagtäglich gemacht wurden, in der That aber nicht in's Freie, sondern in die Wohnung des Schauspielers Christen gingen – zur Künstlerin aus.
Was diese Christenlehre, wie sie ein hier gangbares bon mot tauft, für Resultate gehabt hat, weiß die ganze Welt, aber nur Wenige außerhalb München kennen den trefflichen Künstler, unstreitig den bedeutendsten der Münchner Hofbühne, dem es doch vorzugsweise zu danken ist, daß Clara Ziegler das geworden, was sie zur Zeit ist. Christen, obwohl einer der tüchtigsten Künstler, die wir je auf den Brettern gesehen, ist seltsamerweise doch wieder einer der bescheidensten Menschen, was um so mehr hervorzuheben ist, als Bescheidenheit und wirkliche Bedeutendheit gerade im Schauspielerstande so wenig vereint vorkommen. Christen hat wenig außerhalb Münchens gespielt, sonst wäre sein Name jedenfalls einer der glänzendsten der deutschen Bühne. Was er speciell dem Münchener Hoftheater ist, das wissen alle Besucher desselben recht wohl; wir verfolgen die Leistungen des genialen Künstlers jetzt auf eine Reihe von fast zwanzig Jahren zurück und danken ihm so manchen wahren Genuß mit diesen wenigen Worten herzlicher und aufrichtigster Anerkennung. Daß ein hochbegabtes Mädchen, wie Clara Ziegler, mit den eminentesten natürlichen Vorzügen ausgestattet, gerade in diese Schule kam, die in erster Linie zu den wenigen zählt, in denen noch die gute, alte, echte Kunst der Menschendarstellung gelehrt wird, ist ein Glück für die Künstlerin, das sie gar nicht hoch genug anschlagen darf. Gerade ihrem ganzen Sein und Wesen lag die Gefahr nahe, in hohles Pathos, in leere Declamation zu verfallen; der glückliche Realismus, die unverwüstliche Objectivität, die Christen's wesentliche Vorzüge sind, haben es allein vermocht, diese Gefahr für die talentirte Schülerin sehr wesentlich zu vermindern, hoffentlich ganz zu beseitigen. Mir ist es oft ein rührendes Schauspiel gewesen, zu sehen, mit welch' ängstlicher Sorge der Lehrer die Schülerin überwachte. So manchmal habe ich im Actientheater weniger auf die Bühne, als auf den kleinen Herrn gesehen, der sich im dunkelsten Winkel des Stehparketts an die Wand lehnte und von seiner Schülerin kein Auge abwendete; was dort oben auf den Brettern von Fräulein Ziegler gut gemacht oder gefehlt wurde, zeichnete sich unfehlbar unten im lebendigen Mienenspiel ihres Lehrers ab.
Clara Ziegler hat verhältnißmäßig sehr früh die hohe Stufe erreicht, auf der sie jetzt steht, aber nicht ohne die härtesten Kämpfe.
Die Geschichte der blutigen Operationen, deren sich das willensstarke Mädchen fast mit Freudigkeit zweimal unterzog, als ein Halsübel ihre ganze Carriere in Frage zu stellen drohte, ist hier in München überall bekannt, ebenso daß sie, als in Folge dieser Operationen eine seitliche Neigung des Kopfes permanent zu werden drohte, sich eigenthümliche Halskrausen machte, die sie jedesmal, wenn der Kopf sich in die seitliche Richtung neigte, empfindlich stachen, wodurch sie auch das Uebel überwand. Weniger bekannt sind die harten Enttäuschungen, die ihr das Bühnenleben in eben so reichlichem Maße brachte, wie jeder andern Künstlerin. Was mußte es dem für die höchsten Ziele ihrer Kunst begeisterten Mädchen für Ueberwindung gekostet haben, sich in Offenbach'schen Burlesken, in dummen Lustspielen, die eher Possen waren, herauszustellen! Dennoch hatte sie, als sie am Actientheater hier engagirt ward, schon das Schlimmste überwunden, hatte man sie in Breslau doch sogar von der Probe zurückgewiesen, angeblich als gänzlich untauglich – ein Herr von Bequignolles hat sich durch diese in rigorosester Form bewirkte Zurückweisung auf eigenthümliche Weise unsterblich gemacht – war sie doch auf einem österreichischen Theater in eine Komödiantenwirthschaft bösester Sorte gerathen.
Das Alles ist jetzt überwunden und selbst die Erinnerung daran soll die jetzt im freudigsten, lebendigsten Schaffen begriffene Künstlerin nicht mehr stören auf ihren sonnigen, glücklichen Wegen. Wenn Clara Ziegler jetzt Kraft und Geschick findet, die letzte, gefährlichste Klippe wahrer Künstlerschaft, das Virtuosenthum zu vermeiden, dann werden die Annalen deutscher Schauspielkunst bald einen Namen verzeichnen, dem an herrlichem Glanz sowohl, wie an innerem Werth Wenige gleichkommen dürften.
Karl August Dempwolff: Vor und hinter den Coulissen. Skizzen und Erinnerungen. Fünfter Band. Wien, Pest, Leipzig 1870.
Theater, Kunst und Literatur.
Das Ereigniß der Woche bildete natürlich die Concordiavorstellung im Carltheater; »Medea« mit Frl. Clara Ziegler! Warum sollten da die Preise nicht um ein Erkleckliches hinaufgeschraubt werden? Und blieb etwa auch nur ein Plätzchen unbesetzt? Und konnte vielleicht das P. T. Publicum die gleichfalls P. T. Nasen rümpfen darob? Medea mit Frl. Clara Ziegler! Und was für ein Publicum, und in welchen Toiletten es so da saß; ein ganzer Jahrgang des »Bazar« reichte nicht aus, um ihn zur illustrirten Wiedergabe all' der Roben, Tuniquen, Spitzen u. s. w. zu benützen. Zuschauerraum und Orchester und Bühne glänzten am Festabende im Festgewande. Daß Frl. Ziegler Beifall, Blumen erntete, wer will wohl daran auch nur leise zweifeln? Der Pensionsfond der »Concordia« ist aber um eine stattliche Anzahl Tausender schwerer geworden. Ein natürliches Dankgefühl bewog denn auch Vorstand und Ausschuß der »Concordia« zu einer Ovation für Frl. Ziegler. Nach beendeter Vorstellung fanden sich nämlich dieselben in der Garderobe des Fräulein Clara Ziegler ein, um dieser Künstlerin den Dank für ihre Mitwirkung in dieser Vorstellung auszusprechen und ihr ein kleine Erinnerung an diesen Abend zu überreichen. Dieses Souvenir bestand in einem silbernen Schreibzeug, dessen Deckel eine Muse bildet, welche in der einen Hand eine goldene Feder (das Abzeichen der »Concordia«) hält, während sich die andere Hand auf einen Schild stützt, in welchem nachstehende Widmung eingravirt ist: »Der gefeierten Künstlerin Clara Ziegler zur Erinnerung an den Wiener Journalisten- und Schriftstellerverein »Concordia«, 15. Jänner 1873«. Der Vorstand der »Concordia« überreichte der Tragödin diese Ehrengabe mit dem Wunsche, daß sie alle ferneren Verträge mit der »Concordia« mit dieser goldenen Feder unterzeichnen möge, und indem Fräulein Ziegler diese Widmung annahm, gab sie wiederholt ihrer Freude Ausdruck, daß es ihr gegönnt war, in dieser Vorstellung mitzuwirken. Als Clara Ziegler das Theater verließ, hatte sich vor dem Ausgange in der Cirkusgasse eine zahlreiche Menschenmenge versammelt, welche die Künstlerin noch einmal begrüßen wollte. Als Medea mit Blumen und Kränzen überladen erschien, erscholl hundertstimmiges Hochrufen und fast hätte es des Einschreitens der Sicherheitswache bedurft, um die enthusiastischen Verehrer zurückzuhalten.
Die Glocke Nr. 3. Wien; Samstag, den 18. Januar 1873.
Clara Ziegler.
Biographische Skizze von Emma Laddey.
Mit dem Bilde der Künstlerin nach einer Photographie von E. Bieber in Hamburg.
Unter den Häusern und Villen jener hübschen Straße am Englischen Garten in München, die man nich mit Unrecht die Königinstraße nennt, da sie, zumal im Frühjahr, eine Königin unter den Straßen der schönen Isarstadt ist, ragt seit ein paar Jahren ein schloßartitges Gebäude hervor, das, obgleich nicht sehr groß, durch seinen kühnen Kuppelbau die Blicke aller Vorübergehenden auf sich zieht.
Aus einem Vorgärtchen führt eine Treppe zu der vergoldeten Eintrittsthüre empor, die mit den Gittern vor den Fenstern und der Gallerie rings um den Sims des Hauses harmonirt. Meistens zwar sind Thür und Fenster mit schweren Holzjalousien verhängt, und das weiße Haus liegt mit seinen fest geschlossenen Einfahrten zu den beiden Seiten wie ausgestorben da, oder auch wie verzaubert, denn dann und wann öffnen sich doch einmal die schweren Rouleaux, und durch die leuchtenden Spiegelscheiben trifft das Auge des Vorübergehenden auf grüne, üppige Schlinggewächse und vielfarbige Blumen. Wen die Neugierde dazu treibt, recht scharf und prüfend in das große Vestibül des kleinen Schlosses zu schauen, der erblickt auch wohl die herrliche Gestalt des Perseus mit dem Medusenhaupte nach Benvennto Cellini.
In diesem trauten Heim wohnt Clara Ziegler, die deutsche Rachel, der es mit Flügelschnelle gelang, sich einen Weltruf zu erringen.
Hier ruht sie aus, wenn sie, reich mit Ehre und goldener Ernte beladen, von ihren Gastspielreisen, die acht Monate des Jahres währen und sie in alle Städte Deutschlands, nach Oesterreich, Rußland und Holland führen, heimkehrt; hier studirt sie jene mächtigen Gebilde, mit denen sie alle Kunstverständige begeistert.
Es gilt hier, kein empfehlendes Wort dem modernen Virtuosenthum zu gönnen, das ja dem Wesen der echten Kunst entfremdet, indem es kein harmonisches Zusammenspiel aufkommen läßt und die Macht Einer Individualität an Stelle der ganzen, gerechten Wiedergabe eines Dichterwerkes setzt. Es gilt hier nur von der eminenten Begabung, den colossalen Mitteln einer Künstlerin zu sprechen, die sowohl durch Organ wie Persönlichkeit auf einen so bestimmten Kreis heroischer Charaktere hingewiesen ist, daß sie in einem festen Engagement kaum die Beschäftigung finden kann, die ihrem Talente gebührt.
Wer hat Clara Ziegler auf ihren vielen Gastspieltouren nicht gesehen? Wen nahm der Zauber dieser mächtigen Gestalt mit den markigen und doch schön geschnittenen Zügen nicht ein? Wer hat sich nicht von dem vollen, tönenden und so modulationsfähigen Organ der Künstlerin hinreißen lassen, sei es, daß dieses in den Rachetönen Medea's, den herrlichen Versen Iphigenia's oder in den Liebesseufzern Adrienne's ausbrach?
Man liebt es, das Privatleben solcher Lieblinge des Glücks mit wunderbaren Erzählungen aufzuputzen, und es gehört fast zu einer großen Künstlerin, daß ihr Leben sich aus jener zerlumpten Romantik entwickelt, die uns die Rachel als kleine Straßensängerin und die gigantische Ristori zuerst in einer Taverne auftretend zeigt. So ist denn auch in mancher biographischen Skizze über Clara Ziegler zu lesen, daß sie ein Kind der Armuth, mit acht Geschwistern und für diese zu sorgen genöthigt sei.
Allerdings erfreuten sich Clara's Eltern eines solchen Kindersegens, aber sie waren im Stande, denselben eine gute Erziehng zu geben, denn seit Ludwig I. von Baiern dem von Berlin nach München übersiedelten Vater Clara's die erste Portière zum Färben anvertraute, wuchs dessen Ruf als erster Seidenfärber der baierischen Residenz so, daß der Meister sich mit der Zeit drei Häuser in der Stadt München und ein kleines Landgut bei Lindau kaufen konnte.
Vater Ziegler lebte gerne mit seinen Kindern, las mit ihnen die Schillerschen Dramen, hielt darauf, daß sie fleißig in der Schule waren und trieb die kleine Schaar draußen auf dem Lande zu jenen Leibesübungen an, die den Körper stärken. Clara insbesondere zeichnete sich als Meisterin im Schwimmen aus, wie sie denn auch im Schießen und Klettern große Gewandtheit besaß. Vom vierzehnten Jahre ab mußte sie im Geschäfte thätige Hand leisten und bewies dabei einen so practischen Blick, daß sie nach des Vaters baldigem Tode eine ziemliche Last auf ihre jungen Schultern gehäuft sah. Noch nicht siebzehn Jahre alt, sollte Clara sich mit einem Verwandten, dem Besitzer einer Färberei in Berlin, der in ihr eine tüchtige Geschäftsfrau zu erhalten glaubte, vermälen, und erst an der Schwelle zu so wichtigem Entschlusse ward sie sich über ihre Kunstbestimmung klar.
Als ernstes, fleißiges Kind hatte Clara sich bei etlichen Theater-Aufführungen, die an Feiertagen in dem großen Saale der Seidentrocknerei vorgenommen wurden, nur durch Pflichttreue, keineswegs durch Talent ausgezeichnet, und Niemandem fiel es ein, in dem großen, ungelenken Mädchen eine besondere Begabung zu vermuthen.
Erst als Clara als erwachsenes Mädchen öfters den abonnirten Logenplatz im Theater benutzen durfte, ging ihr die erste Ahnung ihres Kunstberufes auf; mit magischer Gewalt fesselte sie besonders das Drama und die Tragödie, und freudig wurde der Tausch mit den Geschwistern, die lieber Opern und Ballet sahen, eingegangen.
»Welches Glück muß es gewähren, dort unten auf der Bühne die Phantasie-Gebilde unserer Dichter zu verwirklichen und so eine Mittlerin zwischen Volk und Dichter zu sein!« sagte sich Clara. Und dieser Gedanke, der zum glühenden Wunsche ward, erhob sich immer wieder und wieder in ihrer Seele, bis er zum festen Entschlüsse ward.
Zu gleicher Zeit ging sie zu einem guten Freunde ihres Vaters, dem trefflichen Charakterdarsteller Adolf Christen, weihte diesen in ihre Absicht, Künstlerin zu werden, ein und bat ihn ihr Talent auszubilden.
»Mein liebes Kind,« sagte Christen, die sehr große Gestalt des jungen Mädchens mit ungläubigem Lächeln überfliegend, »Ihre Persönlichkeit wird Ihnen stets ein Hinderniß sein, denn Ihre Größe paßt nur für die mächtigen Partien der tragischen Heldin; es bleibt Ihnen nur die Alternative, beim Theater Nichts oder etwas sehr Großes zu werden!«
»So will ich denn etwas »Großes« werden,« rief Clara begeistert, »an Muth, Fleiß und Ausdauer soll es mir nicht fehlen. O, werden Sie mein Lehrer, und Sie sollen es nicht bereuen!«
Christen vermochte den dringenden Bitten des jungen Mädchens nicht zu widerstehen; er ließ sich bewegen und begann, nachdem ihm Clara zu seiner Zufriedenheit als Probe einen Theil von Schillers Glocke vorgesprochen hatte, den Unterricht. Ueber die Stunden mußte einstweilen der Schleier des Geheimnisses gedeckt werden; aber schon nach einem Vierteljahre war Christen selbst von dem eminenten Talente seiner Schülerin überzeugt, und nun übernahm er es, die Verwandten Clara's nicht nur von dem Geschehenen zu unterrichten, sondern sie auch für den Plan zu gewinnen. Es gelang, wenn auch nach hartem Kampfe, denn der bürgerliche Sinn der Mutter hatte ein anderes Ideal für der Tochter Zukunft im Auge. Nun konnten die Spaziergänge mit dem kleinsten Schwesterchen, welche bisher als Deckmantel für die regelmäßigen Stunden hatten dienen müssen, aufhören; offen und frei betrat Clara das Haus ihres Lehrers, der nun mit verdoppeltem Eifer sich der Ausbildung dieses seltenen Talentes widmete. Da aber Jeder, welcher der Kunst dienen will von ganzem Herzen und mit ganzem Gemüthe, vor allen Dingen frei sein muß, so theilte Clara ihrem Verlobten nunmehr die veränderte Sachlage mit und erbat und erhielt auch ihre Wort zurück.
Es folgten nun Monate des ernstesten, unablässigen Studiums, und Christen zweifelte bald nicht mehr, daß seine Schülerin einen ersten Versuch wagen könne. Unter seinen Augen betrat Clara Ziegler, – es war im Januar 1861, – zum ersten Male die Bretter, und zwar als Adrienne Lecouvreur und als Jungfrau von Orleans, unter dem Pseudonym eines Fräulein Herzfeldt, um allen Eventualitäten vorzubeugen. Natürlich geschah es auch nicht in München, wo man das junge Mädchen kannte und ein etwaiger Mißerfolg alle weiteren Schritte auf der Künstlerlaufbahn ein- für allemal abgeschnitten haben würde, sondern man reiste zu diesem Zwecke nach Bamberg. Der Erfolg aber war zweifellos, und noch im August desselben Jahres durfte Clara Ziegler eine Prüfung vor dem Intendanten des Münchener Hoftheaters ablegen, an welchem damals Frau Marie Dambök-Straßmann das Fach der Heroinen inne hatte. Clara gefiel auch hier so, daß man ihr das Versprechen gab, sie im Auge behalten zu wollen, und daß ihr ein Engagement sicher sei, sobald sie sich an einem kleinen Theater die nöthige Routine erworben habe.
Die Folge ihres ersten glücklichen Debüts war ein Engagement durch den Director Engelken an das Stadttheater in Ulm, wo sie mit einer Monatsgage von vierzig Gulden, die der Director aber schon nach dem ersten Monat freiwillig auf fünfzig Gulden erhöhte, ihren Lebensunterhalt und ihre Garderobe bestreiten mußte, da sie auf jede Unterstützung von Seiten ihrer Angehörigen Verzicht geleistet hatte. Das Engagement in Ulm benutzte Clara Ziegler, um sich vor Allem die nöthige Bühnen-Routine zu erwerben; sie spielte unweigerlich jede Rolle, die ihr überwiesen wurde, mochte dieselbe nun jugendlich oder alt, ernst oder komisch, dankbar oder undankbar sein. In fast völliger Einsamkeit, gänzlich zurückgezogen von der Welt, lebte sie in Ulm nur ihrer Kunst; und als ihr Engagement daselbst zu Ende ging, hatte sie einen tüchtigen Schritt vorwärts gethan und in den verschiedenartigsten Rollen, wie das Gretchen, Pariser Taugenichts, Vicomte von Letorières, Maria Stuart, kleine Meisterwerke geschaffen.
Zwei Engagements, in die die Künstlerin nach ihrem Weggange von Ulm trat, sind zwar an und für sich ohne jede Bedeutung gewesen, aber wegen der bitteren Erfahrungen, welche die Künstlerin dabei machte, bemerkenswerth. Nach Breslau hatte sie (1863) einen Antrag erhalten und angenommen. Dort aber widerfuhr ihr der größte Schmerz, der ihr in ihrer ganzen künstlerischen Laufbahn begegnet ist: Sie wurde gleich von der ersten Probe der Jungfrau von Orleans als gänzlich unfähig und unbrauchbar für die dramatische Kunst nach Hause geschickt. Im höchsten Grade niedergedrückt, begab sie sich von Breslau nach Berlin zu Verwandten, um zu versuchen, dort ein Engagement zu erhalten. Auch daraus wurde nichts; – nun ging sie nach Linz, aber die Verhältnisse behagten ihr dort so wenig, daß sie gleich nach der ersten Vorstellung trotz eines beispiellosen Erfolges, den sie errungen, ihren sofortigen Abschied erzwang.
Enttäuscht kehrte das hoffnungberaubte junge Mädchen nach München zurück, belastet von den schweren Vorwürfen ihrer Familie wegen des eingeschlagenen Lebensweges und fast verzweifelnd an ihrem Berufe zur Künstlerin. Da war es wieder Director Engelken, der sie aufs Neue nach Ulm holte. »Glücklich also am Ausgangspunkte wieder angelangt!« Der Gedanke war von niederschlagender Bitterkeit, aber die Liebe zur Kunst überwand Alles. Die Aussichten besserten sich bald, da Director Engelken sich um die Direction des neuerstandenen Actien-Volkstheaters in München bewarb, dieselbe auch zugesichert erhielt und nun auch Clara Ziegler für die neue Bühne contractlich fesselte.
Im Frühjahr 1865 kehrte sie von Ulm nach München zurück, um an dem neuen Theater als erste tragische Heldin und Liebhaberin einzutreten. Und das Sprichwort »der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande« bewahrheitete sich an ihr nicht, denn sie erwarb sich die Gunst des Publicums auch in den französischen Sensationsdramen, selbst in bairischen Dialektrollen, in hohem Grade. Doch trübten sich ihre Hoffnungen bald wieder durch eine Krankheit, die ihrer ganzen Carriere für immer ein Ziel zu setzen drohte. Es bildete sich nämlich bei ihr eine Halsgeschwulst, die nur durch eine schmerzhafte und lebensgefährliche Operation beseitigt werden konnte. Nachdem diese glücklich überstanden war, bekam sie selbst bei nur mäßigen Anstrengungen ihres Organs bedeutende Mandelanschwellungen, die ihr schließlich das Sprechen ganz unmöglich machten. Kurz entschlossen, unterwarf sie sich einer nochmaligen Operation bei Professor Nußbaum, die so glückte, daß sie fortan unbeschränkte Herrin ihres Organs blieb.
Auf die Dauer aber konnten ihr die Erfolge an dem Münchener Volkstheater kein Genüge geben, und mit Freuden nahm sie daher einen Antrag zu einem Gastspiele auf Engagement an, der ihr vom Director des Leipziger Stadttheaters von Witte gemacht wurde. Das Gastspiel, welches im Sommer 1867 stattfand, war von glänzendem Erfolge, und im Herbst desselben Jahres trat die Künstlerin mit einem auf ein Jahr abgeschlossenen Contract in den Verband des Leipziger Theaters. Hier erhielt sie nun Gelegenheit zur glücklichsten und allseitigsten Entfaltung ihrer reichen Mittel; hier schuf sie jene mächtigen Gebilde, die wir in ihrer Elisabeth in Essex, in Medea, Gräfin Terzky, Gräfin Orsina, Iphigenia bewundern, und blitzesschnell verbreitete sich ihr Ruhm durch die Welt, so daß von allen größeren Hofbühnen ihr die glänzendsten Anträge gemacht wurden. Fast gleichzeitig erhielt sie solche vom Münchener Hoftheater, wo sie im December 1867 wiederholt unter ganz ungewöhnlichem Zudrange und Enthusiasmus des Publicums gastirt hatte, vom Königl. Schauspielhause in Berlin und von der Wiener Hofburg. Für Clara Ziegler gab es kein langes Besinnen. Halb schon in Berlin gefesselt, wußte sie die hier eingegangenen Verpflichtungen wieder zu lösen und kehrte in die Heimath zurück.
Hier hat sie nun allerdings Triumphe über Triumphe feiert und die vollste Gunst ihres kunstsinnigen wie ihrer Mitbürger in höchstem Maße sich erworben; aber durch Intriguen mannigfacher Art hat sie sich doch schon im Jahre 1874 veranlaßt gesehen, den lebenslänglichen Contract, den ihr der König mit den günstigsten Pensions-Bedingungen bewilligt hatte, wieder zu lösen und in Zukunft ihre Kunst auf Gastspielreisen zu bethätigen. Nur noch in jenen Vorstellungen wirkt sie in München mit, die vor dem Könige Ludwig allein stattfinden, ihn als einzigen Zuschauer haben; dann aber wird sie auch jedesmal königlich belohnt mit kostbarem Schmuck und anderen werthvollen Geschenken, unter denen ein Schreibtisch aus dem Besitze der Pompadour besonders erwähnenswerth ist.
Clara Ziegler hat durch ihre Kunst nicht nur zahlreiche Lorbeeren, sondern auch reiche goldene Ernte gewonnen, aber sie vermag es trotzdem nicht, sich schon jetzt von ihrem Berufe zurückzuziehen, dessen Ausübung allein sie glücklich gemacht. In diesem Frühjahr war sie auf persönliche Einladung des deutschen Kaisers nach Berlin gekommen, um in einer Reihe von Vorstellungen bei jedesmal vollständig ausverkauftem Hause vor Sr. Majestät zu gastiren.
Ob Clara Ziegler einmal von ihrem Piedestale herabsteigen und in dem schlichten Berufe einer Hausfrau aufgehen wird? Wer kann es sagen? Unmöglich erscheint es dem, der die Künstlerin in einfachster Weise im Hause umherhantiren und sie mit geschickter Hand die Nadel führen sieht, nicht; denn vor jener falschen Genialität, die sich entweiht glaubt, ween sie sich mit einfachen practischen Dingen beschäftigt, hat eine schlichte, bürgerliche Erziehung Clara Ziegler bewahrt.
Wie recht wir mit der Vermuthung hatten, die unsere letzten Worte aussprechen, hat sich unterdessen bewahrheitet: Clara Ziegler hat sich mit ihrem Lehrer, dem sie stets eine glühende Dankbarkeit gezollt, vor Kurzem verlobt, und am 11. August hat in aller Stille die Trauung der Künstlerin mit Adolf Christen, Königl. Bairischem Hofschauspieler, auf dem Münchener Standesamte stattgefunden.
Clara Ziegler hat sich durch diese Wahl selbst geehrt, denn nächst ihrem Talente hat sie Christen allein ihre glänzende Carriere zu verdanken. Zwischen ihm und ihrer Kunst war daher ihr Herz von je mit seltener Treue getheilt; möge ihr nunmehriger Gatte seine Macht aber nicht dazu anwenden, die berühmte Tragödin ihrer Kunst und damit ihres Talentes zu entziehen!
Illustrirte Frauen-Zeitung Nr. 36. Ausgabe der »Modenwelt« mit Unterhaltungsblatt. Berlin, den 18. September 1876.
VI.
Schauspieler und Dichter.
Clara Ziegler.
1870. 1871.
So innig, stark und nothwendig ist der Zusammenhang zwischen der dramatischen Dichtung und der Schauspielkunst, daß wir unwillkürlich, vor allem in Zeiten, wo Geschmack, Sinn und Theilnahme für die bildenden und erziehenden Elemente der Schaubühne im Sinken begriffen sind und andere Dinge, Verhältnisse und Entwickelungen den Platz derselben eingenommen haben, von dem Hervortreten jedes größeren schauspielerischen Talents eine Erneuerung der tragischen Dichtung, eine Wiederbelebung jener Schöpfungen, die wir unter dem Namen der klassischen zusammenfassen, hoffen. Denn wie die großen typischen und idealen Gestalten der christlichen Malerei immer mehr im Lauf der Jahrhunderte zu bloßen Schemen verblaßt sind, so werden auch auf der Bühne in beständiger Wiederkehr die Figuren Shakspeare's und Schiller's, Lessing's und Goethe's, die einst von bedeutenden Darstellern volles Leben, Farbe und Bewegung empfingen, immer leerer, starrer, farbloser. Unseren Nachbarn ist es nicht anders gegangen; den Franzosen war ihre klassische Tragödie im Ausgang der dreißiger Jahre zu einem kahlen Baum ohne Blätter und Blüthen geworden; die theatralischen Erfolge der jungen romantischen Schule auf den zweiten Theatern der Hauptstadt hingen auch damit zusammen, daß ihnen das Theatre francais kein schauspielerisches Talent entgegenstellen konnte, das Corneille und Racine in Wahrheit verkörpert hätte. Allbekannt ist der Umschwung, den hier Rachel Felix herbeiführte. Die Blüthe des deutschen Theaters ist an die Namen Eckhof, Schröder, Charlotte Ackermann, an Fleck und Iffland und jene Weimarische Schule geknüpft, die Goethe und Schiller gebildet. In Berlin haben dann drei Talente voll Originalität und Kunst, Ludwig Devrient, Seydelmann und Auguste Crelinger, den Ruhm deutscher Schauspielkunst aufrecht erhalten und der Seele unseres Publikums gewisse bestimmende Eindrücke hinterlassen, welche im Großen und Ganzen uns allen noch als Gesetz und Maß des Schönen und Erreichbaren in der Darstellung des Tragischen dienen. Vielleicht beweist nichts mehr den unaufhaltsamen Niedergang des Theaters und die langsame Auflösung der Schauspielkunst, als der Umstand, daß Marie Seebach und Bogumil Dawison, die hervorragendsten Erscheinungen der letzten Jahre, sich nicht auf der Kunsthöhe, die sie erstiegen, länger als ein Jahrzehnt halten konnten, daß sie von den Umständen und ihrem eigenen Dämon fortgetrieben, jeden festen und dauernden Verband fliehend, immer mehr den Zusammenhang zwischen Dichtung und Darstellung lockernd, ohne weitere Entwickelung und Ausbildung tief und tiefer in Manier und Künstelei verfielen.
Seitdem trauert beinahe ganz verlassen die deutsche tragische Bühne: Joseph Lewinsky wirkt fast ausschließlich nur in Wien und findet dort, wie mir scheinen will, nicht die geistige Förderung, die sein Talent verdiente und die es für die gesammte deutsche Schauspielkunst fruchtbar machen könnte. Ueberall sind wir auf die Ueberlebenden, die Reste einer glücklicheren Vergangenheit angewiesen; der Mangel jedes kräftigen Nachwuchses im Fach naiver und tragischer Liebhaberinnen, jugendlicher Helden und Charakterspieler wird auch den oberflächlich Urtheilenden und leicht Befriedigten in unerfreulichster Weise sichtbar. Heute könnte Göthe's Euphrosyne nicht mehr sagen: »Selbst dem großen Talent drängt sich ein größeres nach«; im Gegentheil, von dem Gedränge der Talente ist keine Spur zu entdecken. In dieser Stimmung – mit welch' entgegenkommenden Theilnahme mußte darum von allen Freunden und Liebhabern der Schauspielkunst die Kunde aufgenommen werden, daß in Clara Ziegler eine Nachfolgerin der Sophie Schröder, der Auguste Crelinger und Julie Rettich erstanden sei! Wie im Fluge hat sich der Ruf der Künstlerin verbreitet, wie eine Lawine ist er gewachsen. Clara Ziegler ist die Tochter eines Färbereibesitzers in München; der Trieb des Herzens im Verein mit dem Drang der äußeren Verhältnisse führte sie in das Reich der Schauspielkunst; Adolph Christen, ein begabter Schauspieler des Münchener Theaters, wurde ihr Lehrer, nach harten und peinlichen Anfängen, nach manchem körperlichen und seelischen Leid leuchtete ihr der erste Glücksstern, als sie unter dem Director Engelken das Aktien-Volkstheater in München betrat. Auf verschiedenen Bühnen, in Wien und Leipzig, Hamburg und Breslau, hat sie einen Kranz zum anderen sich erworben: uns ist erst jetzt die Gelegenheit geworden, dies Talent zu sehen und zu prüfen.
Zu prüfen – denn solchem Ruhm gegenüber hat die Kritik die Pflicht, ihren höchsten Maßstab anzulegen – einen Maßstab, der freilich nicht für die vielen kleinen Talentchen paßt, denen sie nur zu oft begegnet. Der Riesenkönig von Brobdingnag hat ein anderes Maß als der Kaiser von Lilliput. Clara Ziegler ist in Erscheinung, Haltung und Gang eine Heroine, eine virago Virgil's. Tancredens Clorinde in Tasso's Gedicht, die Amazonenkönigin auf Rubens' Bilde: das ist der Typus, der ideale Ausdruck Clara Ziegler's. Diese Leiblichkeit weist sie in ein fest bestimmtes Rollenfach, das sie nur unter besonders günstigen Umständen überschreiten kann. Medea's Leidenschaft, Elektrens Willenskraft, die Hoheit Antigone's, Donna Isabella, Margaretha von Parma, Elisabeth von England, leicht wird die Phantasie diese Gestalten harmonisch mit der Erscheinung der Künstlerin vereinigen. In der Darstellung der Isabella, die sie uns am Sonnabend den 21. Mai 1870 gab, deckte zunächst die Erscheinung unsere Vorstellung von der Fürstin Messina's. Die Figuren des dramatischen Dichters sind in der Verkörperung durch den Schauspieler wandelbar und in einem beständigen Fluß: nicht nur, was Jeder zugiebt, durch die Individualität des Künstlers bedingt, sondern auch durch Stimmung und Anschauung der jeweiligen Zeit. Wir sehen nicht mehr den Hamlet, den Shakspeare sah, nicht einmal mehr den Garrick's; die Phädra der Rachel war eine ganz andere, als die der Champmelé zu Racine's Zeiten. Aber in diesen Gestalten ruht ein Bleibendes, so zu sagen ihre Substanz – und wie eigenartig sich nun auch die Darstellung der einzelnen Talente zeigt, diese Substanz sollen sie alle zur Erscheinung bringen. Schiller's Isabella ist kein schwieriger, kein problematischer Charakter: eine stolze Fürstin von matronenhafter Haltung, in schrecklicher Zeit an Schreckliches gewöhnt, mit einem starken, an die Niobe der Mythe erinnernden Zug: so, wenn sie sich als glücklichste Mutter hochfahrend preist; wenn sie die Orakel verspottet und der Gottheit trotzt. Ist es nun Clara Ziegler gelungen, dies zu verkörpern? Im hohen tragischen Stil: nein; in einer viel beschränkteren Form: ja. Die Künstlerin greift die Gestalt naturalistisch auf: eine fürstliche Frau, die weniger ihr Geschick tiefinnerlich empfindet, als äußerlich schwungvoll in schwungvollen Versen ausdrückt. Mit einem wunderbaren, wandlungsreichen Organ begabt, wendet die Künstlerin ihre ganze Kraft und Aufmerksamkeit der Ausbildung dieses Mittels zu, sie scheint in einem Strom von Melodieen zu schwimmen und, ihrer Kunst zum Schaden, sich daran zu berauschen. Die Lieder der Sirenen bethörten doch nur die Sterblichen, die sie vernahmen, hier bethört sich die Sirene zuerst. Wohl ist es Musik, die wir hören, wechselnde und immer melodische, aber in dieser Musik, die auch äußerlich zuweilen in bedenklicher Weise zum Gesange wird, geht der Gedanke verloren. Zwei Beispiele: am Schluß des zweiten Aktes kommt Isabella in einer Selbstbetrachtung auf ihr Geschick zurück.
Wann endlich wird der alte Fluch sich lösen,
Der über diesem Hause lastend ruht?
Mit meiner Hoffnung spielt ein tückisch Wesen,
Und nimmer stillt sich seines Neides Wuth.
So nahe glaubt' ich mich dem sichern Hafen,
So fest vertraut' ich auf des Glückes Pfand,
Und alle Stürme glaubt' ich eingeschlafen,
Und freudig winkend sah ich schon das Land
Im Abendglanz der Sonne sich erhellen;
Da kommt ein Sturm, aus heitrer Luft gesandt,
Und reißt mich wieder in den Kampf der Wellen.
Man mag darüber streiten, ob in dieser Rede mehr der elegische oder der hochpathetische Ton anzuklingen habe – ich würde mich für den ersten entscheiden – aber das ist doch klar, daß diese Verse nicht Veranlassung geben, den Abendgtanz der Sonne, den Sturm und den Kampf der Wellen in Tonmalerei zu schildern. Als Isabella die feindlichen Brüder nicht versöhnen kann, bricht sie aus:
Leib gegen Leib, wie das thebanische Paar.
Rückt auf einander an, und, muthvoll ringend,
Umfanget euch mit eherner Umarmung.
Leben um Leben tauschend siege jeder,
Den Dolch einbohrend in des andern Brust,
Daß selbst der Tod nicht eure Zwietracht heile,
Die Flamme selbst, des Feuers rothe Säule,
Die sich von euren Scheiterhaufen hebt,
Sich zweigespalten von einander theile,
Ein schauernd Bild, wie ihr gestorben und gelebt.
Was schildert uns die Künstlerin? Den Schmerz der Mutter, den gräßlichen Zweikampf der Brüder? Nein, sie malt wieder des Scheiterhaufens zweigespaltene Flamme aus. Bei dieser Vorliebe für das deklamatorische Element der Rolle muß das tragische zurücktreten. Nirgends bemerkt darum der Zuschauer eine Wandlung, eine Steigerung. Die Isabella der Künstlerin könnte mit dem letzten Akt beginnen und mit dem ersten schließen, es wäre gleichgültig. Dieselbe Musik würde uns umschmeicheln, derselbe Wohlklang fortziehen. Die Entwickelung des Charakters von der Trauer und dem Schmerz, durch Hoffnung und Stolz zur höchsten Tragik, zu dem sich aufbäumenden Titanentrotz, zur Niobidenversteinerung, werden nicht sichtbar: man müßte denn ein Anschwellen des Tons für die Erscheinung hinnehmen wollen. Es kommt hinzu, daß die Künstlerin nichts Matronenhaftes hat, sondern in Gesicht, Gang und Haltung volle Jugendlichkeit bewahrt. Den Bewegungen fehlt es weder an Adel noch an plastischer Schönheit, aber sie kehren zu häufig in denselben Formen wieder und entbehren der Mannigfaltigkeit. Zuweilen stört auch hier die Sucht zu malen: bei der Erzählung ihres Traumes zeichnet die Künstlerin gleichsam mit der Hand den herankommenden Löwen, den herabfliegenden Adler. Giebt es ein deutlicheres Zeichen, daß diese Isabella nicht in der Situation lebt, sondern dieselbe nur vorträgt? Was die Mittel der Darstellung betrifft, ein kräftiges Organ und ein starkes ausdrucksvolles Gesicht, so besitzt Clara Ziegler sie wie wenige; gern gebe ich ihren Bewunderern zu, daß sie hierin ein Phänomen sei. Aber diese Mittel sind nicht vom Gedanken erzogen und gebändigt, sie gehorchen nicht dem künstlerischen Willen, sondern beugen im Gegentheil die Einsicht unter ihr Joch. Dies so wundersam besaitete Organ bringt zu häufig nur den Klang, nicht den Geist der Worte wieder: wenigstens in der Rolle der Isabella. Nach der sprachlichen Seite hin, einige süddeutsche Anklänge und diese und jene falsche Betonung abgerechnet, vortrefflich, ließ die Leistung jedes tiefere Eindringen vermissen.
Besser als die Isabella Schiller's glückte der Künstlerin Grillparzer's »Medea« in dem letzten Stück der Trilogie »Das goldene Vließ«, welche sie am Montag, den 23. Mai 1870, spielte. Hier offenbarte sich ihre ursprüngliche bedeutende schauspielerische Begabung. Trotz der Länge der anstrengenden Rolle verringerte sich weder die Kraft noch verlor der Wohllaut des Organs an Schönheit. Im zweiten Akte, bei der ausbrechenden Eifersucht Medea's, als sie die Leier der Kreusa zerbricht, in dem Gespräch mit Jason über die Ermordung des alten Königs von Jolkos, gab es in dem Spiel der Künstlerin einzelne Momente von ergreifender Gewalt. Hat sich allmählig durch die Steigerung der Rede das Elementarische in der Künstlerin aller Fesseln entledigt, dann entfaltet sie eine Leidenschaft der Bewegung, die, von der ganzen Schwere und Mächtigkeit ihrer Erscheinung unterstützt, auch den Widerstrebenden zum Beifall hinreißt. Und warum widerstrebend? Weil diese Züge, diese Geberden zu eng mit gewissen schauspielerischen Kunststücken verbunden sind. Scheinbar kommen sie blitzartig und wirken blitzartig, sie sind wie der Sprung des Löwen und so leicht wird kein naiver Zuschauer solche Augenblicke hohen Genusses der Künstlerin vergessen. Aber sie sind durchaus nicht frei von jener Effekthascherei, die ihre Wirkung vorher wohl berechnet hat; wie unwillkürlich der Sprung erscheint, als instinctartige, unbewußte Bewegung – nur allzu gut weiß die Künstlerin um seine mächtige Wirkung, um die schöne plastische Stellung ihres Körpers. Daß daneben nun die Uebergänge aus der Weichheit in den Zorn, das Spiel mit dem Mantel und dem Schleier zuweilen grelle Färbung annehmen, möchte ich nicht tadeln; das Klappern, der jähe Wechsel der Stimme von: dumpfen Gemurmel zum wildesten Aufschrei, der ruhigen Haltung zum bacchantischen Rasen haben von jeher zum Hexen- und Zigeunerwesen gehört und Grillparzer's Medea würde ohne diese phantastischen Zuthaten unverständlich bleiben. Für das Ganze aber liegt in dieser virtuosen Ausbildung der Einzelheiten eine schwere Schädigung: es kömmt keine voll und gleichmäßig entwickelte Gestalt zur Erscheinung. Das Unvermittelte herrscht vor. Im ersten Akte erinnert diese Medea in keinem Zuge an die düstere Zauberin, an die kolchische Barbarin, vor dieser Medea mit den beiden Kindern an der Hand hat sich Keiner gefürchtet, sie hat den Drachen nicht in Schlaf gesungen, sie ist nicht einmal ein Charakterkopf. Ein ganz anderes Bild zeigt uns der zweite Akt; er ist der Höhepunkt in der Darstellung der Künstlerin. Unerwartet tritt uns die Barbarin entgegen, in deren Seele neue mildere Sitte und neuer heiterer Glaube mit der ursprünglichen Wildheit und finsterem, blutigem Wahn um die Herrschaft ringen, bis der Dämon die Oberhand gewinnt. Der dritte Akt, in der Dichtung der vorzüglichste, bleibt im Spiel weit hinter dem vorhergehenden zurück, der vierte wird von Clara Ziegler beinahe melodramatisch behandelt, halb spricht, halb singt sie ihre Verse in einer Weise, die von fern an den griechischen Chor erinnert: nur schade, daß diese Art des Vortrags wenig zu dem Charakter der Medea und den leidenschaftlich hastigen Bewegungen der Darstellerin stimmt. Die herbe tragische Ironie, wenn sie Jason: »Du Milder, Guter!« und den König Kreon mit «Gerechter König!« anredet, ist ihr versagt und so empfindet es der Zuschauer nicht lebendig genug, daß gerade in diesen Scenen sich ihr Herz mehr und mehr mit »gährendem Drachengift« erfüllt. Schön Gelungenes stellt sich so unvermittelt neben Verfehltes. Es mangelt der wägende Verstand, das Maß des Schönen, die Erfassung eines Charakters in seinen tiefsten Wurzeln. Nicht daß Jason sich von ihr trennt; daß die Kinder sich ebenfalls von ihrer Härte und Herbheit der sanft lächelnden Kreusa zuwenden, läßt Medea's Herz versteinern. Aber dem Temperament und der Persönlichkeit der Künstlerin schmiegte sich die erste Situation leichter an als die zweite, die Medea Clara Ziegler's kann nur eine verlassene, racheschnaubende Geliebte, aber nie eine auf den Tod verletzte Mutter sein.
»Himmel!« ruft unartig, aber witzig Voltaire einmal in seinem grotesken Heldengedicht La Pucelle aus, »Himmel, wie hasse ich diese stolzen Geschöpfe, Soldaten im Unterrock, mannweibische Ritterinnen« ... aber ich setze lieber die drolligen Verse her:
»Ciel! que je hais ces créatures fières,
soldats en jupes, hummasses chevalières,
du sexe male affectant la valeur,
sans posséder les agréments du notre,
à tous les deux prétendant faire honneur,
et qui ne sont ni de l'un ni de l'autre!«
Ganz anders erschien die Jungfrau von Orleans unserm Schiller. Wenn sie auch muthig und unerschrocken dem Wolfe das Lamm abjagt, so entspringt dieser Muth doch weniger aus ihrer körperlichen Stärke als aus der Begeisterung ihrer Seele. Montgomery nennt sie eine »liebliche Gestalt«, sanft ist ihr Blick; klagend ruft sie selbst in ihrem Monologe aus: »Willst Du Deine Macht verkünden, hohe Himmelskönigin, so wähle nicht die zarte Jungfrau, nicht der Hirtin weiche Seele.« Dem Dichter schwebt ein gottbegeistertes, visionäres Wesen vor, dessen Schwäche gerade der Herr zum Triumphe führt, in dem er sich um so herrlicher offenbart, je zerbrechlicher das Gefäß erscheint. War es nicht ein Hirtenknabe, der den Riesen Goliath tödtete? Schiller war zu dieser Anschauung durch den Drang der eigenen Phantasie, durch die allgemeiner werdende romantische Vorstellung von dem Mädchen von Orleans gekommen. In der Wirklichkeit wird Johanna d'Arc doch etwas mehr Körperlichkeit im Sinne Voltaire's, wie eine streitbare Amazone, und etwas weniger Aetherisches gehabt haben. Uns ist durch die Ueberlieferung scheinbar eine zweigesichtige Johanna erhalten, wir kennen sie nämlich aus zwei ausführlichen, umfangreichen Proceßakten: der erste Proceß vor der Inquisition zu Rouen, nicht vor englischen, sondern der Mehrzahl nach vor französischen Geistlichen, im Januar 1431 geführt, endete mit ihrer Verurtheilung und ihrem Tode auf dem Scheiterhaufen am 20. Mai desselben Jahres; fünfundzwanzig Jahre später, als »kein engländisch Roß mehr aus den Wellen der prächtig strömenden Loire« trank und Karl VII. unangefochten, siegreich auf dem Thron seiner Väter saß, wurde im Namen ihrer Familie und ihrer Freunde der zweite Proceß begonnen, der ihre Unschuld, daß sie keine Zauberin und Teufelsbraut, sondern eine gottbegeisterte Prophetin gewesen sei, beweisen sollte und bewies. Aus diesem Processe ging sie mit jenem Heiligenscheine hervor, der sie nun für immer umspinnt. Fünfundzwanzig Jahre hatten genügt, um die kriegerische, naive und in dieser Ursprünglichkeit und Frische wunderbare Erscheinung Johanna's mit einem Kranze von Legenden zu umflechten, in denen sich alle Züge des Hirtenmädchens gemildert, ihr ganzer Ausdruck idealer und symbolischer geworden war. Zu dieser Johanna paßte es nicht mehr, daß sie dem Ritter Robert von Baudricourt, als er sich ihr gegenüber zu Vaucouleurs einen schlechten Spaß erlaubt, ebenso keck geantwortet hatte: »Ja, wenn ich Alles, was mir Gott enthüllt und aufgetragen hat, vollendet haben werde, dann werde ich drei Söhne haben, von denen der erste Papst, der zweite Kaiser, der dritte König sein wird!« Die echte Johanna hatte ein scharfes Schwert und eine rasche Zunge. »In welcher Sprache redeten denn die Engel mit Dir?« fragte sie höhnisch einer ihrer Richter. »Wahrhaftig, in einem besseren Französisch als Ihr«, entgegnete sie – er redete den häßlichen Dialekt von Limousin. Und wie die Geschichte, so zeigen sie uns auch die ersten Anfänge der Dichtung, die sich mit ihr beschäftigte. In dem »Mysterium der Befreiung von Orleans«, das 1435 zur Feier dieser Begebenheit von den Bürgern der Stadt mit großen Kosten aufgeführt wurde, erscheint Johanna durchaus kriegerisch und keck, bei all' ihrer Prophetengabe und ihren Hallucinationen als ein geborener Feldhauptmann. Das Merkwürdige und Ergreifende ihrer Erscheinung, das Wunderbare ihres Auftretens verliert durch die Hervorhebung dieser realistischen Züge nichts, sie tritt uns dadurch eher menschlich näher. Aus dem untersten Stande, den Ackerbauern des Landes, tauchte sie auf, in ihnen erweckte sie die Vaterlandsliebe, die Religion des Königthums: sie war etwas wie ein Wunder, aber ein durchaus volksthümliches Wunder.
Schiller wußte von dieser Johanna aus den damals bekannten und ihm zugänglichen Quellen nichts; seiner Natur, der Stimmung der Zeit nach, hätte er sie auch nie von diesem Gesichtspunkte aus anschauen und darstellen können. Aber Clara Ziegler erinnerte mich in ihrer Darstellung der Johanna am Mittwoch, den 25. Mai 1870, auf das Lebhafteste daran. Vom Scheitel zur Sohle eine Heroine, nicht nur äußerlich in dem prächtigen rothen goldgestickten Wappenrock mit dem glänzenden Harnisch und Helm, dem lang nachflatternden schwarzen Haar, sondern auch in ihrer kriegerischen Begeisterung, mit dem »Donnerkeil im Munde«. Alles, was nach dieser Seite hin in theatralischer Weise wirken kann, weiß sie, bei der Ueberfülle ihrer Mittel, oft verschwenderisch anzuwenden, der romantische Eindruck des Ganzen ist dem nicht unähnlich, den Hermann Hendrichs in ähnlichen Rollen hervorbrachte. Mit dem von Schiller Gewollten, mit der so eigentümlich ergreifenden, kindlich tiefsinnigen Gestalt, welche die verstorbene Herzogin Marie von Orleans der Jungfrau in ihrer bekannten Statue gegeben, hat die Darstellung der Künstlerin wenig Gemeinsames. Der Ausdruck des Visionären und Aetherischen ist ihr, trotz des leidenschaftlich bewegten Mienenspiels, versagt. Daß sie die entsprechenden Stellen der Dichtung sanfter flötet, nicht immer, ohne die Gefahr des Singens zu vermeiden, kann diesen Mangel nicht ersetzen: im Gegentheil, sie erweckt dadurch nur den Verdacht des Angelernten. Ist es möglich, daß eine von ihrem Gott ergriffene Seherin, die »prächtigströmende Loire« im wechselnden Tonfall malt? Daß sie im Ernst vor dem burgundischen Herzog ihre Stimme zum Donner anschwellen läßt, um ihm gleichsam sinnlich zu zeigen, daß sie einen »Donnerkeil im Munde« führt? Die Strophen des Abschiedsmonologs im Vorspiel werden mit aller rhetorischen Kunst, die ihr zu Gebote steht, ausgestattet, mit den buntesten Schnörkeleien und Arabesken geziert und überladen, so daß am Ende das entscheidende Wort, die Beglaubigung der Offenbarung:
»Ein Zeichen hat der Himmel mir verheißen,
Er sendet mir den Helm, er kommt von ihm« –
gar nicht zur Geltung kommen konnte; diese Strophen indessen sind in einem gewissen Dämmer, mit heiliger Scheu zu sprechen, Gott redet ja aus den Zweigen des Feenbaums; ein Gemisch von Verzückung, Mystik und Schauer liegt in diesen Versen; der helle Klang der Schlachtdrommeten ist die Befreiung aus diesem Traumleben. Ueberall ein Vorwiegen des Rhetorischen und Theatralischen: von den Elementen, welche die Jungfrau in den beiden ersten Akten erfüllen und beseelen, kommt nur der kriegerische Heldenmuth zum Durchbruch; die schwärmerische Hingabe an den angestammten König, die Verklärung fehlen. Erst, als bei dem Anblick Lionel's ein neues, naturalistisches Motiv, die Liebe, in Johanna ausbricht, wird die Darstellung belebter und ausdrucksvoller. Den Kampf mit dem englischen Ritter, ihr Erschrecken vor ihm, die aufflammende Leidenschaft, das Schuldbewußtsein hat die Künstlerin glücklich geschildert. Der Monolog des vierten Aktes bot ihr dann die glänzendste Gelegenheit, nach so vielen Stürmen auch einmal den elegischen Klang ihres Organs auf und nieder spielen zu lassen. Ihr Organ ist für sie eben die Leier, deren Saiten sie bald als Orpheus rührt, bald als Bacchantin durchstürmt. Im Ganzen: eine durch äußerliche Mittel anziehende Leistung, der die Seele und Tiefe der dichterischen Gestalt fehlen.
Zwischen den Pflichten ihres königliches Amtes, ihrer ein- und angebornen Herrschergewalt und ihrer Liebe und Eifersucht hin- und herschwankend, bietet Laube's Königin Elisabeth in seinem Trauerspiel »Graf Essex«, das am Freitag, den 27. Mai 1870, aufgeführt wurde, einer tragischen Schauspielerin Gelegenheit zu einer ergreifenden, in dem jähen Wechsel der Stimmungen bald rührenden, bald erschütternden Darstellung. Das Farblose und Kalte des Laube'schen Stils kann sich im Spiel der Künstlerin erwärmen und erhellen, das Aeußerliche an Wahrheit und Innerlichkeit gewinnen: mit einem Worte, der schauspielerischen Kunst ist hier nach der Seite des Charakteristischen ein freierer Raum gegönnt, als in der Darstellung der Schiller'schen Isabella oder Johanna, die nicht, ohne Schaden an ihrer Seele zu nehmen, aus ihrer idealen Sphäre herausgerissen werden können. Laube's Realismus verträgt eine derbere Verkörperung. Und in der Maske und im Kostüm war Clara Ziegler während der ersten beiden Akte von geschichtlicher Realität, der Eindruck ihrer Erscheinung malerisch und bedeutsam. Warum sie in den späteren Aufzügen dies Kostüm aufgab und in einem beinahe modern zugeschnittenen weißen Atlaskleide mit einer rothen Sammetjacke darüber erschien, ist mir unerklärlich geblieben. Der erste Eindruck wird dadurch vollkommen verwischt. Um so mehr, da er durch die Darstellung nicht festgehalten und unterstützt wird. Clara Ziegler's Elisabeth hat nur einen Akt: das Register aller Töne wird von ihr gleich im Beginne durchlaufen, und wenn nun auch im Verlauf des Stücks bald diese, bald jene Saite schärfer angeschlagen wird, jetzt mehr die stolze Königin hervortritt, jetzt mehr die tiefgekränkte Liebende sich zeigt: eine dramatische Steigerung ist nicht vorhanden. Der Ausdruck ist derselbe, ob sie Essex mit dem Feldherrnstabe den Hut vom Kopfe schlägt oder sein Todesurtheil unterzeichnet. Auch die Schönheit und Fülle des Organs kommt den holprigen und schwunglosen Versen Laube's gegenüber nicht zur Geltung: wie viel leichter läßt sich in dem melodischen Strom Schiller's und Grillparzer's schwimmen und plätschern! Das Harte, Eckige, Charakteristische, durchaus Prosaische in der Sprache Laube's setzt der Schönrednerei einen fast unübersteiglichen Damm entgegen. Gerade hier galt es nun, eine Fülle individueller Züge aus dem Gegensatz zwischen Königin und Weib zu erfinden, durch die Versenkung in die Natur Elisabeth's, durch das Studium der Geschichte oder meinetwegen auch nur aus der bekannten Dichtung Walter Scott's »Kenilworth« – dieser Roman reicht vollkommen für den Zweck, aus dem leeren Schema einer liebenden alternden Königin zur bestimmten Gestalt Elisabeth's vorzudringen, aus. Entweder, und hier berühren wir das Räthsel, das uns Clara Ziegler aufgiebt, bemüht sie sich nicht nach dieser Seite hin um eine tiefere Erkenntniß, oder sie vermag die gewonnene Erkenntniß nicht sinnlich auszuprägen. Aber dem zweiten Akte ihrer Medea gegenüber erscheint diese letzte Ansicht beinahe wie eine Beleidigung ihres Talents; ich möchte darum zunächst noch die Meinung vertreten, daß die Künstlerin, von ihrem Triumph berauscht, von dem Beifallsgeschrei einer leicht beweglichen Menge getäuscht, bisher den tieferen Quellen ihrer Kunst, die allein immer und ewig in unvergänglicher Frische strömen, nicht mit voller Hingabe nachgetrachtet. Zu viel des Blendenden und Ueberraschenden liegt in ihrer Erscheinung und in ihren Mitteln, um nicht fort und fort ein unter dem Bann des Neuerlichen stehendes Publikum hinzureißen. Clara Ziegler gleicht darin dem bekannten Schauspieler Wilhelm Kunst, Holtei's »letzten Komödianten«, der dieselben Mittel besaß, sich aber damit doch keine Stelle im Pantheon der Kunst gewann. Ohne Vertiefung, ohne Vergeistigung wird auch in der Schauspielkunst nichts Dauerndes geschaffen. Gewiß hat hier der glückliche Einfall, selbst die »Coulissenreißerei« – oft ist die Sache nicht halb so schlimm wie der Name – ihr Recht; was haben nicht Alles in dieser Richtung hin, wie wir aus den Schilderungen der Augenzeugen wissen, die Lecouvreur und die Clairon gesündigt; in welch' grellen Effecten haben sich oft die Rachel, die Ristori, die Seebach gefallen! Aber bei alledem brach immer wieder in ihnen der Gedanke, die tiefste und schärfste Menschenbeobachtung; bei dieser der künstlerische Verstand, bei jener das empfindsame Herz durch alle Schlacken und Trübungen. Der Fleiß, die Arbeit, das Ringen der Seele machten sich dem Kenner auch da noch bemerkbar, wo der stärkste Ton auf die theatralische Wirkung, auf das naturalistische Spiel gelegt war. Clara Ziegler steht noch zu sehr auf der Stufe des Aeußerlichen und des Gemachten; den zweiten Akt der Medea abgerechnet, hat keine ihrer Rollen den Beweis geliefert, daß sie innerlich erlebt, was sie äußerlich vorstellt. An diesem Punkt beginnt die Manier, das Virtuosenthum: und davor möchte man, so weit es noch möglich, dies glänzende Talent bewahren. Nicht ohne Einbuße ist sie durch eine Reihe von Triumphpforten gewandert, möge in unserem Schauspielhause der Wendepunkt ihrer künstlerischen Laufbahn sein. Möge sie hier, gerade durch die Ausstellungen und den Tadel, die in seltener Einstimmigkeit die Berliner Kritik ihr macht, erkennen, daß die edelsten Kränze auch ihrer Kunst nur in der Sphäre des Ideals zu gewinnen sind; nicht aus der überguellenden Fülle ihrer naturalistischen Begabung, »nur aus dem Kelche dieses Geisterreiches« strömen ihr wie uns Wahrheit und Schönheit.
Auch im Jahre 1871 erschien Clara Ziegler wieder auf unserer Bühne, nicht anders, als sie von uns im vergangenen Jahre geschieden war. Sie ist geblieben, was sie war, ein klingendes, seelenloses Instrument. Nur gering erweiterte sie den Kreis ihrer Rollen: ihren früheren hat sie die Maria Stuart Schiller's und Moreto's Donna Diana hinzugefügt. Schiller's Trauerspiel kam am Montag, den 8. Mai, zur Aufführung. Zur Darstellung der Maria Stuart bringt Clara Ziegler zuerst und zuletzt die stattliche Erscheinung und den gewinnenden Klang ihrer Stimme mit. Die vielen lyrischen Stellen der Rolle, der Anfang des dritten Aktes, der Abschied von ihren Frauen – Fräulein Ziegler's prachtvolles Kostüm im letzten Akt ist historisch; Diejenigen, die dem tragischen Schauspiel in Fotheringhay-Schloß beiwohnten, berichten einstimmig, daß Maria Stuart »kostbar und königlich wie zu einem Fest« gekleidet gewesen sei – diese Stellen und selbst der heftige Ausbruch gegen die Königin Elisabeth, in dem ein lyrisches Element vorwiegt, bieten sich leicht und willig dem besonderen Talente der Künstlerin dar und wurden von ihr virtuos und in den Grenzen ihres Wesens vollendet vorgetragen. Im Ganzen war die Tonfarbe dieser Maria für mich zu elegisch. Ich wünschte vornehmlich den ersten Akt freier und königlicher behandelt. Gleich dem Mortimer gegenüber bemüht sich diese Maria zu viel; sie mag einmal ängstlich und spähend umherblicken, aber nicht wiederholt; einmal dem jungen Manne näher treten, aber nicht öfters; sie ist als Fürstin solcher Huldigungen gewohnt, während er ihr von ihrer Schönheit und seiner Leidenschaft vorschwärmt, denkt sie nur an ihre Rettung, den Sturz Elisabeth's und an Leicester. Weiter im Gespräch mit Burleigh ist sie abwehrend, ironisch, kalt, nicht weich und durchaus nicht nach Weiberart heftig.
»Ich höre staunend die Gewalt des Mundes,
Der mir von je so unheilbringend war« –
beginnt sie, der erste Vers ist eine Ironie Maria's, Clara Ziegler macht eine wehmüthige Klage daraus.
»Und was sie ist, das wage sie zu scheinen«
ist weniger in Pathos – mit einer Kunstpause in der Mitte des Verses – als in Bitterkeit getaucht. Maria Stuart, dies erscheint mir das Angemessenere, hört Burleigh sitzend an, sie ist die Königin, er der geringere Mann, erst gegen das Ende der Unterredung – »Ermorden lassen kann sie mich, nicht richten« erhebt sie sich. Dadurch kommt eine größere Ruhe und mehr tragische Hoheit in die Scene. Abgesehen von dem Beispiel der Ristori, die gerade im ersten Akt ihr Schönstes leistete, berufe ich mich auf das Wort des Dichters selbst. Schiller schreibt am 18. Juni 1799 an Goethe, während der Arbeit des ersten Aktes: »Meine Maria wird keine weiche Stimmung erregen, es ist meine Absicht nicht, ich will sie immer als physisches Wesen halten, und das Pathetische muß mehr eine allgemeine tiefe Rührung, als ein persönliches und individuelles Mitgefühl sein. Sie empfindet und erregt keine Zärtlichkeit, ihr Schicksal ist nur heftige Passionen zu erfahren und zu entzünden. Blos die Amme fühlt Zärtlichkeit für sie.« Ist auch Schiller's Absicht von ihm selbst nicht ganz erfüllt worden, so bleibt es doch nicht weniger gewiß, daß fast alle Darstellerinnen der Maria auf das Weiche und Zärtliche den Ton legen und die Heldin unter der Maske der schönen Unglücklichen verschwinden lassen. Am meisten hat mich in der Darstellung der Künstlerin der dritte Akt befriedigt; im fünften ist das Auftreten, der Abschied von den Frauen würdig; der Beichte fehlt jene katholische Verzückung, die man ungern vermißt; vom Grafen Leicester endlich sollte eine Königin stolzer, eine Märtyrerin ruhiger scheiden. Die Verse:
»Kniet zu den Füßen der Elisabeth!
Mög' Euer Lohn nicht Eure Strafe werden« –
sind zugleich der Ausdruck höchster Entsagung und eine warnende Prophezeiung.
Sonnabend, den 13. Mai, sahen wir Clara Ziegler zum erstenmal in einer Lustspielrolle als Diana in der gleichnamigen Komödie »Donna Diana«. Das ursprüngliche spanische Stück des Don Augustin Moreto »El desden con el desden« (Trotz wider Trotz) ist in C. A. Dohrn's meisterhafter Übersetzung auch weiteren Kreisen zugänglich geworden; Moreto selbst hat nur einen Komödienstoff Lope's »Die Wunder der Verachtung« in seiner Dichtung feiner, geistvoller, glänzender und tiefer ausgearbeitet. In der deutschen Übertragung von Schreyvogel ist »Donna Diana« seit 1819 eines der beliebtesten unserer Bühnenstücke geworden und unterhält und erfreut immer auf's Neue. Mit Recht wird das Lustspiel zu den Perlen, nicht nur der spanischen, sondern der gesammten dramatischen Literatur gerechnet. Den allgemeinen, ich möchte sagen, den weltliterarischen Charakter, den es in West's Bearbeitung angenommen, besitzt das Original, wie leicht erklärlich ist, nicht. Im Gegentheil, spanisches Ceremoniell und spanischer Humor, die ganze spanische Komödiensitte herrschen hier vor, Polilla-Perin ist ein echter derber Grazioso, dessen Späße sich durchaus nicht durch höchste Feinheit auszeichnen, Diana, eine spanische Theaterprinzessin, die am Schlusse über Hand und Herz ihrer Muhmen stolz und willkürlich verfügt. Es wäre den Darstellern der Komödie nach jeder Seite hin zu empfehlen, der Dohrn'schen Uebersetzung einmal eine Stunde zu widmen, das Original, überreich an den eigentümlichsten und scherzhaftesten Wendungen, könnte ihnen hier und dort treffliche Winke zur Belebung ihres Spiels gewähren. Die Neugier des Publikums war mächtig erregt, Clara Ziegler in einer Lustspielrolle zu sehen. Erscheinung und Organ scheinen sie so ausschließlich in die Sphäre des Heroischen zu verweisen, daß man wohl der Befürchtung Raum geben durfte: ob hier nicht ein Versuch gegen die Natur gewagt würde? Dies ist nun zum Glück nicht der Fall; leichter und fügsamer, als ich es erwartet, schmiegt sich das Talent der neuen Aufgabe an. Clara Ziegler spricht fließend und spielend, ohne allzu schwere Drucker und lästige Betonungen, der Hauch des Lustspiels bleibt gewahrt. Und auch die stattliche Erscheinung widerspricht wenigstens in dieser Rolle nicht unserer Vorstellung; Moliere's Elmire, Lessing's Minna von Barnhelm würden ihr nicht passen, aber Moreto's Diana mit ihrer Schwärmerei für den Staat der Amazonen darf in Haltung und Gestalt schon etwas Heldisches haben. Aber die Künstlerin hat sich, meiner Meinung nach, in der Auffassung der Rolle vergriffen. Sie giebt der Donna Diana das Wesen und Gepräge einer modernen Salondame; nicht die spröde Jungfräulichkeit eines Mädchens, das kokette Spiel einer erfahrenen Frau tritt hervor. Moreto's Diana weiß nichts von der Liebe, will nichts von Ihr wissen und geht in den Kampf gegen Don Cesar unbewußt der Gefahren, die ihr drohen. Clara Ziegler scheint die spanische Prinzeß in dieselbe Linie mit der Gräfin Autreval in Scribe's »Frauenkampf« zu stellen, aber der Unterschied liegt klar. Die Gräfin ist eine vornehme Weltdame im Alter der Balzac'schen Frauen, die mit einem jungen Mädchen um das Herz eines Mannes kämpft. Die spanische Diana dagegen ist nicht älter, als ihre Muhmen; sie hat, im Scherz zu reden, nur einen Span zu viel im Kopfe, sie ist grillenhaft und eigensinnig. Bisher ist die Herbigkeit und Zurückhaltung ihres Wesens, ihre vornehme Kälte gegen die Männer noch niemals ernstlich angefochten worden, gleich bei ihren ersten ablehnenden Worten haben sich die Freier zurückgezogen. Sie will nicht heirathen, weil keiner der Bewerber, so viele ihrer auch gekommen sind, ihr Herz gerührt hat. Diese Laune hat sie zu einer Art philosophischen Systems erhoben, mit dem sie sich zugleich vor ihrem Vater und den Freiern ein gewisses Ansehen geistiger Ueberlegenheit giebt und Ruhe vor allzu ungestümen Huldigungen verschafft. Indem Cesar auf ihre Grille eingeht und sich hinsichtlich der Frauen auf denselben Standpunkt stellt, den sie den Männern gegenüber einnimmt, reizt er ihre Eitelkeit und ihre Gefallsucht, Trotz steht wider Trotz. Unbewußt zunächst empört sich das Weib in ihr gegen den Mann, der nie ein Weib lieben zu können schwört. Mit einem wohlüberlegten Spiel beginnt Donna Diana den Kampf, und die Entwickelung ihres Wesens liegt darin, daß allmählig die Leidenschaft Cesar's auf sie übergeht; daß sie, die Kalte, heftiger und wilder, als er, der immer Liebende, von der Flamme erfaßt wird; daß sie, nicht er, die Würde der Haltung und die Selbstbeherrschung verliert. Diesen so lebenswahren jungfräulichen Charakter setzt Clara Ziegler zu einer koketten Dame mit kleinen »Minauderien« und »Avancen« – hier thun es in der That nur die Fremdwörter – mit tänzelnden Bewegungen und schmachtenden Blicken herab. Dies wunderliche Spiel im Verein mit Moreto's Versen macht zuweilen einen grotesken Eindruck. Dem Ganzen läßt sich die Munterkeit nicht absprechen, aber es ist weder spanisch noch natürlich. Die Vorzüge wie die Mängel Clara Ziegler's kommen in allen ihren Darstellungen immer dieselben, mit einer Art Nothwendigkeit, zum Vorschein. Eine ungewöhnliche Begabung, der jede Zügelung durch den Gedanken fehlt, einzig und allein auf das Komödiantische gerichtet, so in der Declamation wie in der Geberde. Wenn Clara Ziegler hoch aufgerichtet schweigend in prächtigen schweren Gewändern da steht, ist sie eine großartige Statue; wenn sie Schiller'sche Verse spricht, ist sie ein Klavier, von einem Virtuosen gespielt – aber die Statue hat keine Empfindung und das Klavier keinen Geist.
Karl Frenzel: Berliner Dramaturgie. Hannover 1877.
Clara Ziegler, gleich ausgezeichnet durch Gestalt, wie durch prächtiges, sonores Organ, ist 1844 zu München geboren und wurde von unserem unvergeßlichen Christen zu ihrem Berufe vorbereitet. Ihrem ersten Debut, von dem wir in einem früheren Abschnitt berichteten, folgte eine Gasttour nach Bamberg, dann ein Engagement nach Ulm, Münchener Gärtnerplatztheater und Leipzig. Die dankbare Frankenstadt Bamberg ließ es sich nicht nehmen im Jahre 1891, gelegentlich eines Gastspieles der Tragödin, die Erinnerung an ihr erstes Debut auf der Bamberger Bühne glänzend zu feiern. Clara Ziegler verbindet die oben erwähnten Vorzüge mit einer packenden, erschütternden Darstellungsgabe, die freilich wieder durch das Zuviel ihres Pathos in etwas geschwächt wird, die aber immerhin mächtig genug ist, um eine fascinirende Kraft auf das Publikum auszuüben. Der Künstlerin Hauptrollen an hiesiger Bühne waren Medea, Iphigenia, Isabella, Jungfrau, Elisabeth (Essex), Deborah, Brunhilde und Pompadour. Die Tragödin gehörte leider nur sechs Jahre als Mitglied unserer Bühne an und zog es vor nach Ablauf ihres hiesigen Engagements (1874) als Gast die deutschen Bühnen zu besuchen und so ihren Künstlerruhm in alle Lande hinauszutragen. Wie wir bereits wissen, war Clara Ziegler mit dem Schauspieler Christen verheirathet. Die Tragödin wurde in Anbetracht ihrer hohen Verdienste um die Münchener Hofbühne zum Ehrenmitglied derselben ernannt.
Die Scheinwelt und ihre Schicksale. Eine 127jährige Historie der Münchener kgl. Theater im populärer Form und als Jubiläums-Ausgabe. Zu Ehren des fünf und zwanzigjährigen Dienst-Jubiläums Seiner Excellenz des Herrn General-Intendanten Freiherrn von Perfall von Max Leythäuser. München; 1893.
Ziegler Klara, geb. am 27. April 1844 in München als Tochter eines Schönfärbereibesitzers. Nach dem Tode ihres Vaters sollte sie (1860) auf Wunsch der Mutter einem ungeliebten Mann die Hand zum Ehebund reichen, doch Z. wollte von dieser Verbindung nichts wissen, schlug die Hand des hochachtbaren, wohlhabenden Mannes aus und begab sich ohne Wissen ihrer Mutter zu Hofschauspieler Adolf Christen, einem langjährigen, bewährten Freund ihrer Familie, um sich prüfen zu lassen, denn sie fühlte, daß die Schauspielkunst ihr eigentlicher Beruf sei.
Obwohl sie bereits als Kind auf einem kleinen Haustheater einige Male aufgetreten war, war sie doch sonst mir dem Theater nicht in Berührung gekommen. Christen nahm sie als Schülerin auf, unter seiner Leitung studierte sie Rollen und nach einem Vierteljahre hatte er die Überzeugung gewonnen, daß sie das Zeug zu einer tüchtigen Schauspielerin besäße und übernahm es selbst, ihre Angehörigen von ihrem Plan, Schauspielerin zu werden, zu verständigen. Nach einem Vierteljahre weiteren, fleißigen Studiums war sie bereits so weit, um 1862 unter dem Pseudonym Herzfeld am Theater in Bamberg ihren ersten Versuch auf der Bühne als »Adrienne Lecouvreur« wagen zu dürfen.
Schon ein halbes Jahr später erschien sie als »Jungfrau von Orleans« auf den Brettern der Münchner Hofbühne. So aufmunternd der Erfolg auch gewesen war, es kam doch zu keinem Engagement. Sie wandte sich nun nach Breslau; dort wurde sie von der Probe als talentlos weggeschickt. Da fügte es der Zufall, daß sie den Ulmer Theaterdirektor Engelken auf einem Spaziergang traf, und dieser sich veranlaßt sah, die junge, nur für das Theater glühende Schauspielerin zu engagieren.
In Ulm trachtete sie vor allem sich die nötige Bühnenroutine zu erwerben. Sie spielte wirklich jede Rolle, die man ihr zuwies, gleichviel ob sie jugendlich oder alt, dankbar oder undankbar, komisch oder ernst war. Und in der Tat, als das Engagement daselbst zu Ende ging, hatte sie in ihrer Kunst einen tüchtigen Schritt nach vorwärts getan. Hierauf wurde sie nach Linz verpflichtet, wo sie jedoch nur in einer Rolle auftrat, und obgleich sie außerordentlich gefiel, in nervöser Anwandlung die Stadt verließ, um nach München zurückzukehren. Hier wurde sie für das neuerstandene Aktien-Volkstheater, späteres Gärtnerplatztheater, engagiert und gleich in der Eröffnungsvorstellung, im November 1865, erschien sie vor ihren Landleuten als »Isarnixe«.
In diesem Engagement wurden ihr die verschiedensten Aufgaben gestellt, heute spielte sie die »Deborah«, morgen die »Öffentliche Meinung« in »Orpheus in der Unterwelt«, bald die »Griseldis« und »Donna Diana«, das »Nandl« in »Versprechen hinter’m Herd« oder eine andere Dialektrolle in irgend einem Bauernstück. So spielte sie ernste und muntere Fächer durcheinander und fand reichlich Gelegenheit, ihr Talent nach allen Richtungen hin zu entwickeln. Nach zweijähriger Tätigkeit, während welcher sie unter Anleitung Christens sich im klassischen Repertoire tüchtig vorbereitet hatte, fühlte sie sich denn doch in ihrem Wirkungskreise nicht glücklich und mit Freuden acceptierte sie 1867 einen Engagementsantrag nach Leipzig. Sie debütierte als »Brunhilde« in den »Nibelungen«, gefiel ganz außerordentlich und befand sich so endlich auf dem eigentlichen Gebiet ihrer dramatischen Begabung. »Elisabeth« (»Essex«), »Medea«, »Gräfin Terzky«, »Orsina«, »Iphigenie«, mit welch letzterer Rolle sie im Jahre 1868 das neue Stadttheater in Leipzig mit sensationellem Erfolg eröffnete, waren die Früchte ihrer dortigen Wirksamkeit und verbreiteten ihren Ruf in alle Welt.
Zu dieser Zeit sah sie auch Heinrich Laube, er schreibt hierüber in seinem »Norddeutschen Theater«: »Die Rollen, welche ich damals von ihr spielen sah, zeigten mir, daß sie außerordentliche Mittel besäße zur Darstellung von Heroinen. Selbst in wichtigen Konversationsrollen – als »Gräfin« in »Vornehme Ehe« Feuillets – interessierte sie mich und ich war durchdrungen von der Überzeugung, da ist alles vorhanden für eine erste Schauspielerin; eine aufmerksame Leitung braucht nur vor Abwegen zu schützen. Ihre starken äußeren Mittel konnten sie freilich, weil sie wohlfeil Wirkungen erzielen – so fürchtete ich –, leichtlich in diese Abwege verleiten«. Und als er 1869 Direktor des Leipziger Theaters wurde, lud er die Künstlerin zu Gaste. Sie trat auf als »Isabella« in »Braut von Messina« »Medea«, (nach diesem Debut schreibt Laube: »Die großen Mittel waren denn auch hier trefflich am Platz. In dieser Richtung harter Leidenschaft scheint die stärkste Begabung dieser Schauspielerin zu ruhen. »Königin Elisabeth« in »Essex« ist eben deshalb auch eine ihrer besten Rollen«), »Jungfrau von Orleans«, »Iphigenie«, »Frau von der Straße« in »Böse Zungen« und – »Romeo«.
Der Meister nannte wieder ihre Mittel außerordentlich, »sie bedürfen nur sorgfältiger Verwendung um in dem spezifischen Fach energischer Heroinen Vorzügliches zu leisten«, und meinte damals, daß, wenn »es ihr gelingen kann, die geistigeren und wärmeren Teile eines Menschenwesens in sich zu entwickeln« sie eine unserer ersten Schauspielerinnen werden könne. Z. wurde 1868 ans Münchner Hoftheater engagiert, wo sie am 15. Oktober als »Judith« vor ihre Landsleute trat, die ihr einen rauschenden Empfang bereiteten. Ein Jahr darauf erschien sie zu Gast am Hofburgtheater in sechs ihrer glänzendsten Rollen und fand so begeisterte Aufnahme, daß man ihr – ein außerordentlich seltener Fall – sofort lebenslänglichen Kontrakt bieten wollte. Der Münchner Intendanz fiel es jedoch nicht ein, auf Z. zu verzichten, sondern sie erneuerte ihren Vertrag unter den verlockendsten Bedingungen ebenfalls auf Lebenszeit. Dies Zugeständnis war entscheidend und die Künstlerin blieb München erhalten. Und doch wurde sie veranlaßt, durch Kabalen aller Art gezwungen, wenn auch mit schwerem Herzen, 1874 aus dem Verbande der Münchner Hofbühne zu scheiden. Seit dieser Zeit hat Z., mit Ausnahme eines Gastspiel-Engagements am Berliner Theater (1888–1890), sich nicht mehr für längere Zeit einer Bühne verpflichtet, sondern erschien alljährlich nicht nur in den ersten Städten Deutschlands, sondern feierte auch in Rußland, Holland und in der Schweiz die größten Triumphe. In München erfreute sie sich der besonderen Gunst König Ludwigs II. von Bayern, der sie wiederholt zur Mitwirkung in seinen Separatvorstellungen einlud und stets mit Lobesworten überschüttete. Die Künstlerin wurde s. Zt. auch durch die Besuche Kaiser Alexanders II. von Rußland und Kaiser Wilhelms I., die persönlich auf der Bühne erschienen, um sie zu begrüßen, in seltener Weise ausgezeichnet. Z. gebührt auch das Verdienst, durch ihre Darstellung der »Sappho« und »Medea«, eine Rolle, die als ihre vollendetste Leistung gilt, durch welche sie zuerst berühmt wurde und welche sie über 300 mal in 60 verschiedenen Städten spielte (am 21. Januar 1885 führte sie Grillparzers Medea-Trilogie mit sensationellem Erfolg in München ein), Grillparzer in Deutschland populär gemacht zu haben. Ferner wären von ihren hervorragenden Darbietungen besonders zu erwähnen: »Iphigenie«, »Penthesilea« (in eigener Bühnenbearbeitung), »Elisabeth« in »Essex« (die Künstlerin kann das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, als erste die »Elisabeth von England« in historischer Maske gespielt zu haben), »Brunhilde« in »Nibelungen« etc. Rudolf von Gottschall charakterisiert die Künstlerin im Jahre 1892 mit den Worten: »Klara Ziegler ist als die stilvollste Heroine unseres deutschen Theaters zu betrachten. Alles was sie schafft, ist in großen Linien ausgeführt, der majestätische Faltenwurf ihres Spiels erinnert uns stets an das Bild der Melpomene selbst; es ist als ob die Göttin der Tragödie in lebensvoller Gestalt vor uns hinträte«. In den letzten Jahren zeigte sie sich nur noch sehr selten in der Öffentlichkeit, zuletzt im Mai 1900 von Kaiser Wilhelm I. nach Wiesbaden berufen um bei den Festspielen die »Marsa« in der Demetriusbearbeitung darzustellen. Sie erregte allgemeine Aufmerksamkeit. Nicht minder stürmische Anerkennung wurde ihr im selben Jahre bei den Schülerfestspielen in Düsseldorf, wo sie als »Fürstin von Messina« auftrat. Die Kritik schrieb damals: »Wie floß von ihren Lippen der Strom der Rede klar und deutlich, so vielseitig er sich auch in Momenten der höchsten Freude oder der tiefsten Verzweiflung hob oder senkte. Es war ein ungetrübter Genuß, den poetischen Offenbarungen des Dichters in dieser Wiedergabe zu lauschen und die Blicke an der würdevollen Hoheit dieser Frau zu weiden, die in der Festschrift mit gutem Grund als eine Hohepriesterin der Kunst bezeichnet wird.« Die Künstlerin, die sich auch vielfach schriftstellerisch betätigte, ein Teil ihrer Bühnenarbeiten fand beifällige Aufnahme, feierte im Februar 1902 ihr vierzigjähriges Bühnenjubiläum und trat am Jubiläumsabend als »Isabella« in der »Braut von Messina« nach langer Zeit wieder am Hoftheater auf. Z., welche durch außergewöhnliche, reiche und schöne Mittel, den hohen Wuchs, vornehmlich jedoch durch den bestechenden Wohlklang ihres Altorgans blendete, gilt mit Recht als die letzte bedeutende Vertreterin der idealistisch-pathetischen Schule.
Am 11. August 1876 vermählte sie sich mit ihrem ehemaligen Lehrer, dem bekannten Schauspieler Adolf Christen. Sein Tod (1883) gedrückte sie so sehr, daß sie zwei Jahre keine Bühne betrat.
Ludwig Eisenberg’s Grosses Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Leipzig, 1903.
Kunst und Literatur.
Clara Ziegler †
Von
Alfred Frhr. v. Mensi.
In ihrer Münchner Villa an der Königinstraße ist am Sonntag morgen Clara Ziegler einem jahrelangen Herzleiden sanft erlegen. In der Vorhalle dieser Villa steht eine große Büste Schillers, und Schiller durfte in der Tat auch als ihr Hausgott gelten. Gleich nach ihm ist aber Grillparzer zu nennen, denn dessen Medea wurde zu jener Glanzrolle Clara Zieglers, in der sie wohl am öftesten die Bühne betreten, in der sie am häufigsten genannt worden. Die gegenwärtige Generation kann sich vielleicht auch nur mehr ihrer Medea deutlicher erinnern. Mit ihr sollte und wollte sie an ihrem sechzigsten Geburtstag, im April 1904, von der Bühne abtreten. Es kam nicht dazu: die Ärzte erhoben Einspruch. Die unausbleiblichen Aufregungen des Tages würden ihrem kranken Herzen allzusehr zugesetzt haben. Ausgeblieben sind sie doch nicht: denn ganz München, vom Prinzregenten bis zum Inspizienten, gratulierte ihr.
Der Name Clara Ziegler bedeutete für die ganze Theaterwelt die letzte Heroine großen Stils. So selbstverständlich uns dies heute ist, der Anfang ihrer Künstlerlaufbahn war durchaus nicht durch diese Erkenntnis geebnet. Wohl war sie in München geboren und durch Adolf Christen, ihren späteren Gatten, für die Bühne und als Heroine ausgebildet, ja, sie trat auch schon am Münchener Hoftheater bald genug auf, aber es kam kein Kontrakt zustande. Die junge Schauspielerin, mit der alle Liebhaber ihrer Größe wegen einen harten Stand hatten, mußte erst hinaus in die Provinz, um alles durcheinander zu spielen. Heinrich Laube sah sie in Leipzig und schreibt über sie: »Die Rollen, die ich von ihr spielen sah, zeigten mir, daß sie außerordentliche Mittel besäße zur Darstellung von Heroinen. Selbst in wichtigen Konversationsrollen interessierte sie mich, und ich war durchdrungen von der Überzeugung: da ist alles vorhanden für eine erste Schauspielerin; eine aufmerksame Leitung braucht sie nur vor Abwegen zu schützen. Ihre starken äußeren Mittel könnten sie freilich, weil sie wohlfeil Wirkungen erzielen, leichtlich in diese Abwege verleiten.« Wie richtig der alte Praktiker auch da wieder sah! Er berief sie zu einem längeren Gastspiel nach Leipzig, sah ihre Medea und schrieb darüber: »Die großen Mittel waren denn auch hier trefflich am Platz. In dieser Richtung harter Leidenschaft scheint die stärkste Begabung dieser Schauspielerin zu ruhen. Ihre Kräfte bedürfen nur sorgfältiger Verwendung, um in dem spezifischen Fach energischer Heroinen Vorzügliches zu leisten.«
Über Leipzig kam die Ziegler, im Oktober 1868, endlich an die Hofbühne ihrer Vaterstadt. Hier durfte sie sich unter der Intendanz v. Perfalls und unter dem Protektorate König Ludwigs II. ordentlich ausleben: es war ihre schönste Zeit. Man schwelgte in der Musik ihres großen Organs, das ihr bis zuletzt treu blieb. In einer Festvorstellung zu ihrem 40jährigen Künstlerjubiläum im März 1902 hat man sie zum letztenmal gesehen. Dazwischen und vorher reiste sie und trug ihren Ruhm in alle Lande. Aber sie erlebte die Periode des Realismus und Naturalismus, solange sie noch wirken konnte und wollte, und die Reaktion gegen alles Heroinentum machte ihren Stern erbleichen, nicht untergehen. Sie zog sich zurück und schrieb – Stücke. Nichts Heroisches, sondern gemütliche, kleine Einakter, die gar nicht übel gefielen. Dies war kaum minder ein Kuriosum, als daß sie, in übler Nachwirkung der tollen Experimente der Vestvali Ende der sechziger Jahre und von ihrem Leipziger Direktor gezwungen, dort und in Graz den Romeo spielte. Gegen den Vorwurf, auch den Hamlet gespielt zu haben, hat sich Clara Ziegler aber öffentlich verwahrt.
Von Zeit zu Zeit sah man die große Tragödin als Zuschauerin im Hoftheatsr oder in einer Rezitation ihres gleichaltrigen Kollegen und Kunstgenossen Possart, der mit ihr aus der schon fast verklungenen Zeit stammt, als man von den Schauspielern nicht nur verlangte, daß sie gut spielen, sondern auch daß sie gut sprechen. Voll Interesse an allem Schönen, aber still und zurückgezogen sah die tapfere Frau, von ihrer Stieftochter betreut, dem unausbleiblichen Ende ihres wachsenden Leidens entgegen. In der Ahnengalerie des Hoftheaters hängt ein mäßig gelungenes Bild, das sie uns als Medea zeigt, in der Geschichte der Münchner und der deutschen Bühne wird sie aber als die letzte große Heroine alten Stils weiterleben.
Allgemeine Zeitung Nummer 52. München; Samstag, den 25. Dezember 1909.
An Gastspielen mangelte es nicht. Pauline Ulrich trat an 31 Abenden auf, oft gemeinsam mit ihrem Dresdner Kollegen Franz Jauner; Maximilian Ludwig (indessen russischer Hofschauspieler geworden), der Tenorist Ucko, der jetzt auf den Gipfel des Ruhms gelangte interessante Friedrich Haase lösten einander ab. Aber das Ereignis des Jahres blieb doch das erstmalige Erscheinen von Klara Ziegler als Isabella in der »Braut von Messina«. »Groß – groß in jeder Beziehung,« schrieb ein Rezensent im Rübezahl, »das ist die richtige Signatur für die Heroine des Dramas.«
Die Künstlerin trat einmal als Medea, als Jeanne d'Arc, Orsina, Iphigenie, Donna Diana und als Judith in Hebbel's: »Judith und Holofernes« auf und fand besonders in Lobe einen trefflichen Gegenspieler. Über die Ziegler sind ganze Bände geschrieben worden. Laube sagt von ihr: »Die imposante Erscheinung, das sprechende Auge, das sonore Organ wirken stets; aber es fehlt jede Ausarbeitung der Rolle. Die Rede ist ohne geistige Accente, der Charakter bleibt Schablone, der Drang und Ausdruck des Gefühls äußerlich und ohnmächtig. Nichts kommt aus tieferem Quell.« Das Urteil ist streng und hart, aber Laube vergißt bei der Aufzählung der äußeren Vorzüge die Würde, die Vornehmheit und Schönheit ihrer Bewegungen, die Treffsicherheit ihres Mienenspiels hervorzuheben und vor Allem anzugeben, daß fast alle ihre Darbietungen – die in Lustspielen ausgenommen – stets eine tiefe Wirkung auf die Zuhörerschaft ausübten. Dem mächtigen Eindruck ihrer Medea konnte sich Niemand entziehen und wer andererseits ihre von griechischer Schönheit umflossene Iphigenie je sah und hörte, der wird nicht geneigt sein, Laube's Urteil ohne weiteres zu unterschreiben. Das Breslauer Publikum in seiner Mehrzahl sicher nicht. Denn die Künstlerin (geb. 27. April 1844 zu München) war zwar – nach ihrem eigenen Berichte – 1863 hier in Breslau als »talentlos« durch Schwemer von der Probe weggeschickt worden, – die Breslauer aber jubelten ihr jetzt zu und überschütteten sie mit Beweisen ihrer restlosen Anerkennung. Der Ziegler-Enthusiasmus herrschte viele Jahre hindurch und bis 1887 erschien die Künstlerin häufig, sogar zweimal in einer Saison am Lobetheater, um durch ihre Medea das Grausen oder durch die Iphigenie reine künstlerische Freude zu erwecken. Am 21. Februar 1902 wurde ihr vierzigjähriges Bühnenjubiläum in München festlich begangen. Sie trat als Isabella in der »Braut von Messina« auf und übte auch jetzt noch eine begeisternde Wirkung aus. Friedrich Bodenstedt feierte sie einst in Versen, die als bezeichnend hier stehen mögen:
Ich kannte dich in deinem ersten Ringen,
Du standest früh schon in der Menge Gunst,
Doch volle Huldigung dir darzubringen
Bewegt mich jetzt erst deine reife Kunst.
Es hat das Feuer, das dein Auge sprühte
Als Flamme der Begeist'rung sich bewährt,
Und schöner als in deiner Jugendblüte,
Erscheinst du heut mir durch die Kunst verklärt.
An Breslau denkt Klara Ziegler noch heut gern und dankbar. Sie äußerte vor einigen Jahren dem Verfasser gegenüber: Das Breslauer Publikum sei ihr stets verständnisvoll entgegengekommen und habe sich ihr als besonders treu bewährt.
Ludwig Sittenfeld: Geschichte des Breslauer Theaters von 1841 bis 1900. Breslau, 1909.
Das Clara-Ziegler-Museum.
Das Theater-Museum der Clara-Ziegler-Stiftung in München — so heißt eigentlich das Museum, das nun in der ehemaligen Villa der Tragödin eröffnet worden ist. Heute aber dürfen wir es noch das Clara-Ziegler-Museum nennen, und wer weiß, ob es nicht mit diesem Namen im Munde des Volkes haften wird. Ihrem Andenken sollte eigentlich nur ein Zimmer, der sogenannte gelbe Salon, gewidmet sein; die anderen Räume standen dem künftigen Theater-Museum offen, und im hübschen heimlichen Garten hinter der Villa soll einmal nach dem Willen der Stifterin gar ein neuer Saalbau entstehen für künstlerische Darbietungen höherer Art. Von dieser Stiftung habe ich den Lesern der Allgemeinen Zeitung seinerzeit (in der Nummer vom 29. Januar d. Js.) erzählt. Jetzt aber waren wir zu einem kleinen Eröffnungsakt geladen, dem vielleicht im Herbst ein größerer folgen soll, wenn das eigentliche Theatermuseum größere Bestände als jetzt aufzuweisen haben wird. Das Direktorium der Stiftung für die Deutsche Bühnengenossenschaft, die Eigentümerin, machte die Honneurs. Generalintendant Frhr. v. Speidel hielt eine kurze Ansprache, in der er auch der Stieftochter Clara Zieglers den verdienten Dank aussprach, und Hofschauspieler Schwanneke, der Geschäftsführer der Clara-Ziegler-Stiftung, übernahm die Führung und Erklärung. Mit Wehmut muß Fräulein Christen, die Stieftochter der verblichenen Künstlerin und ihre Pflegerin, die ersten fremden Menschen in das stille Heim ihrer Stiefmutter haben eintreten sehen, mit noch größerer wird sie es wohl im Herbst verlassen, um es ganz seiner neuen Bestimmung zu überlassen. Es wird das erste Theatermuseum sein: und schon jetzt sind recht wertvolle Anläufe dazu vorhanden. Uns, die wir die Künstlerin noch gekannt, sie in ihrer Kraft haben wirken sehen, interessieren mehr als diese aber die zahllosen Andenken, die von ihr sprechen. Wer sie nicht gekannt, erhält nachträglich wenigstens einen Schimmer von ihrer Bedeutung, wenn er hier, praktisch und zugleich geschmackvoll geordnet, die reichen Gaben bewundert, die eine nun zu Ende gehende Generation der Tragödin einst zu Füßen gelegt: vom ersten bescheidenen Lorbeerkranz bis zum letzten silbernen. Die Geschenke der Fürsten, die sinnigen Andenken der Freunde. An den Wänden hängen zahlreiche Bilder, die uns die Gefeierte in allen ihren Rollen zeigen, die Dichter auch der Dramen, in denen sie aufgetreten, die reichen Sammlungen von Dingen, die mit ihrem Beruf zusammenhängen, und die sie selbst in ihrem bewegten Reise- und Kunstleben zusammengetragen. Ehrfürchtig und wehmütig durchwandern wir das schlichte Vestibül mit der lebensgroßen Bronzebüste der Entschlafenen als Brunhild, das Treppenhaus mit der prachtvollen Gruppe Peter Candids »Perseus schlägt das Haupt der Medusa ab«, das frühere Speisezimmer, nun das Beratungszimmer des Direktoriums der Stiftung, das eigentliche Clara-Ziegler-Zimmer, den gelben und den blauen Salon, und finden uns trotz allen Reichtums an Pietät doch am meisten und am rührendsten gefesselt durch das einfache Arbeitszimmer und besonders durch das prunklose Schlaf- und Sterbezimmer. In diesem kleinen, unbequemen Bett ist Clara Ziegler, die auch körperlich so große Künstlerin, gestorben. Es ist alles so gelassen wie es war. Dazugekommen sind nur die vielen Kranzschleifen mit Widmungen. Sie stammen von den letzten, von den Totenkränzen. In einigen Monaten wird dies alles entfernt werden; wir aber freuen uns, es noch gesehen zu haben: es bringt uns die Künstlerin und die Frau näher als alle Pracht der Kostüme und Rüstungen, der Orden und Ehrengeschenke.
Clara Ziegler hat peinlich genaue Bestimmungen für die Führung des Museums und für den Ausbau desselben hinterlassen. Fast tut es uns leid, daß sie den stillen kleinen Garten ihrer Villa nicht so wie er ist belassen, sondern einen Saalbau im Stile Ludwigs XIV. in Aussicht genommen. Bis dahin hat's freilich noch gute Wege; denn an die Ausführung dieses Punktes ihres Testaments kann erst geschritten werden, wenn die nicht zu unterschätzenden Mittel dazu sich angesammelt haben. Aber Clara Ziegler wollte Leben in diese toten Räume bringen: sie sollten der Kunst und den Künstlern nützen. Und wie groß die Begeisterung für diese ihre geliebte Kunst gewesen — davon spricht jeder zollbreit Raum im verlassenen Heim der Clara Ziegler.
Alfred Frhr. v. Mensi.
Allgemeine Zeitung Nummer 27. München; Samstag, den 2. Juli 1910.
Um diese Zeit sollte ein junges Mädchen seine Bühnenlaufbahn in Breslau beginnen, das soeben in der Rolle der »Adrienne Lecouvreur« an dem kleinen Bamberger Stadttheater mit Glück debütiert hatte. Erst 18 Jahre alt, und doch so hoch aufgeschossen, daß sie mit ihrer dünnen Figur fast um Kopfeslänge hinausragte über alle unsere Heldenspieler, erregte sie bei ihrem Erscheinen auf der Probe einiges Kulissengeflüster: »Jungfrau von Orleans? Das junge Ding da?« – »Nun, wenn das Organ so groß ist, wie die Figur?!« Man blickte recht neugierig auf die Szene hinaus, als die Fremde mit ihren schönen, braunen Augen und dem etwas kleingeratenen Näschen in dem sonst ebenmäßigen Gesicht, am Druidenbaum sich aufrichtete.
Ich hatte den Landmann Bertrand zu spielen, dem beim »Einkauf eisernen Gerätes zu Vaucouleurs von einem braunen Bohemeweib« das geheimnisvolle Rüstzeug für die künftige Befreierin Frankreichs aufgenötigt worden war.
Und der Helm blieb mir in Händen.
beendete ich meine Erzählung, das Stichwort für den ersten Einsatz der Johanna d'Arc bringend.
Gebt mir den Helm!
erklang es da mit ehernem Organ hinter unserem Rücken, wir alle blickten staunend um.
Mein ist der Helm und mir gehört er zu!
Kam dieser metallene, markige Ton aus der Brust der fast noch kindlichen Novize? Unwillkürlich traten wir zurück und machten dem Mädchen Platz.
Welch ein Geist ergreift die Dirne?
rezitierte der alte Vater Thibaud in ungekünstelter Betroffenheit, denn ein Strom von Wohllaut, dem zarten Körper kaum zuzutrauen, ergoß sich nun von den Lippen der jungen Schauspielerin. Gewaltige Tonwellen, immer mächtiger anschwellend, ohne jemals in wüstes Geschrei auszuarten, drangen über das Orchester hinaus in den weiten, dunklen Zuschauerraum.
Dies Reich soll fallen? Dieses Land des Ruhms,
Das Gott liebt, wie den Apfel seines Auges,
Die Beute werden eines fremden Volkes?
Es waren wundervolle Töne.
Herr v. Becquignolles, bisher unbefangen in den Regiestuhl zurückgelehnt, ließ überrascht das Buch, aus dem er eifrig den Text verfolgt hatte, fallen. Die Lorgnette glitt von seinen Augen herunter, – er starrte mit offenem Munde dieses rätselhafte Wesen an.
Die Landleute entfernen sich, Johanna bleibt allein auf der Szene und beginnt den weltbekannten Monolog:
Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Triften,
Ihr traulich stillen Täler, lebet wohl!
Eine Arie war es, die das Mädchen da in den ersten Strophen sang, süß und wehmutsvoll zugleich. Die Melodie dieser Kehle berauschte. Doch als der rührende Abschiedsgesang an die Heimat verklungen, als die begeisterte Hirtin sich zu kriegerischem Rufe emporraffte:
Ein Zeichen hat der Himmel mir verheißen,
Er sendet mir den Helm, er kommt von ihm.
Mit Götterkraft berühret mich sein Eisen,
Und mich durchflammt der Mut der Cherubim!
da wimmelte es in den Kulissen des Theaters von staunenden Zuhörern. Mit aufgerissenem Aug' und Mund schauten sie auf die Szene, immer näher und näher rückend, Künstler wie Theaterarbeiter, die Scharen von Kindern, die beim Krönungszug mitwirkten, und die Bühnenmusiker, ihre Instrumente in der Hand; aus allen Ecken hatten sie langsam sich aufgemacht, von diesem wundersamen Organ angelockht, das aus der Brust des schmächtigen Kindes kam; denn gleich schmetternden Fanfaren drang es durch den haushohen Raum. Eine eherne Glocke, stärker und stärker geschlagen, ohne Ende anschwellend, prophezeite hier den Triumph der französischen Waffen:
Den Feldruf hör' ich mächtig zu mir dringen,
Das Schlachtroß steigt, und die Trompeten klingen!
Erhobenen Hauptes wandte die Fremde sich zum Abgang, und ein brausendes Bravo! machte von allen Seiten sich Luft. Mit keuchender Brust, aber ein glückseliges Lächeln auf den Lippen, lehnte das junge Ding an der Kulisse. Ihr reiches dunkelbraunes Haar hatte sich im Feuer der Rede aufgelöst und fiel in langen Flechten über den Nacken. Ich konnte die Augen nicht abwenden von dieser rührenden Gestalt. Auf der Bühne schwirrte noch alles durcheinander. Das Vorspiel war zu Ende, der erste Akt sollte beginnen. Allein kein Mensch gebot Ruhe. Wo war der Regisseur? Ich warf einen Blick auf die Bühne. Herr v. Becquignolles stand noch immer vorn an der Rampe, aber nicht begeistert, wie mir schien. Es kämpften offenbar Zweifel und Zuversicht in seinem Innern. Er war kein Theaterpraktiker wie sein kundiger Schwager. Hatte der vom dunkeln Parkett aus die Szene wohl mit angesehen? Herr v. Becquignolles hielt die Hand vor die Augen und forschte über die blendende Fußbeleuchtung hinweg in den Zuschauerraum. Endlich drehte er sich entschlossen um und rief nach dem Inspizienten. Der weißhaarige Mahr, eine Perle seiner Zunft, eilte herbei. »Lassen Sie den Akt beginnen, – schicken Sie zu Herrn Regisseur Meyer; er soll die Probe überwachen, bis ich wiederkomme!« Er nahm den Weg auf das Bureau; er mußte an dem Gast vorüber, aber er wich ihm aus.
Das waren verdächtige Anzeichen, vermutlich fürchtete er, das übermächtige Organ der Debütantin könne Bewegung im Publikum hervorrufen?! Die Breslauer waren Neulingen gegenüber mißtrauisch. »Du sublime au ridicule, il n'y a qu'un pas!« Wenn nur ein halbes Dutzend übermütiger Studenten da unten im Parterre lachte, konnte die Vorstellung gefährdet sein. Und die junge Dame selbst? – Ein Mißerfolg an dieser angesehenen Bühne, und ihre Laufbahn war auf lange Zeit in den Hintergrund gedrängt. Auf der anderen Seite aber lachte dem Breslauer Schauspiel ein glänzender Gewinn, wenn diese Johanna d'Arc siegte. Entflammte sie mit dem ersten Monolog das Herz der Zuhörer, packte diese unvergleichliche, machtvolle Stimme die Menge, so erlebte die Bühne der schlesischen Hauptstadt vielleicht einen Theaterabend, wie er seit Jahren nicht mehr verzeichnet worden war. In großen Handelsplätzen werden die Erfolge der Bühnenkünstler auf der Börse, in Universitätsstädten auf der Hochschule gemacht. Bot am nächsten Tage dieses Organ hier Stoff zur Unterhaltung, so konnte die Vorstellung vor ausverkauftem Hause wiederholt werden, und die Laufbahn der Anfängerin war bei geschickter Auswahl der folgenden Rollen gesichert.
Ich stand ungewiß, wie sich das Geschick des jungen Mädchens entscheiden werde, als Haacke, die Dienstmütze im Nacken, hinter den Kulissen erschien; er blickte suchend um sich. Und Herr v. Becquignolles säumte immer noch, zurückzukommen? Das wollte mir nicht gefallen. Haacke trat auf den Gast zu: »Sie möchten sich mal in das Direktionszimmer bemühen!« – O weh! Das glückselige Lächeln auf dem Gesicht unserer Johanna verflog. Was hatte sie jetzt da oben zu suchen? Und diese Unterbrechung der Probe? Hing sie etwa mit ihrer Leistung zusammen? Sie hatte das aufgelöste Haar schon wieder um den hübschen Ropf geschlungen und folgte mechanisch dem unwirsch dreinschauenden Diener; aber das Blut aus ihren Wangen war gewichen, und die Lippe zitterte, als sie zögernd an mir vorüberschritt., Vermutete sie, daß nichts Gutes hier sich vorbereiten wollte? Was vorhin bedrückend in mir sich geregt, als der Oberregisseur so betroffen den Kopf gehoben und hilfesuchend in das finstere Parkett hinausgeblickt hatte, befestigte sich mehr und mehr zur Gewißheit: Herr v. Becquignolles empfand Angst vor diesem ungewöhnlichen Organ, das aus der zarten Jungfrau Munde gleich eines Mannes eherner Stimme an sein Ohr geschlagen war.
Ich trat auf den Vorplatz, begierig, zu erfahren, wie die Sache sich weiter entwickeln werde. Da schoß Haacke mit brennendem Kopfe an mir vorüber. »Was gibt's, Figaro? warum geht die Probe nicht weiter?« – »Lassen Sie mich in Ruhe! Habe keine Zeit! Ich muß die Heintz holen. Sie soll die Rolle übernehmen!« – Wirklich also! Sie getrauten sich nicht, das Mädchen auftreten zu lassen; sie fürchteten dieses überlaute Organ, das in seiner nie versiegenden Fülle leicht zum Lächeln reizen konnte, sobald die Anfängerin in der Aufregung des Debüts die künstlerische Linie überschritt.
Dieses Bedenken hatte zweifellos Becquignolles dem Direktor eingeflößt, und der Vielbeschäftigte, ohne selber zu prüfen, ließ es geschehen, daß kurzweg der Stab gebrochen ward über ein Wesen von ungewöhnlicher Naturbegabung und jugendfrischer Elastizität.
Hier lernte ich zum ersten Male erkennen, wie bei der Bühne die Willkür eines Gewalthabers leichtfertig und straflos es wagen darf, mit Existenzen zu spielen. Das Theater ist ein Staat im Kleinen; allein diesem Staate fehlt die beschworene Verfassung, die sein Oberhaupt verpflichtet, nach bestimmten Grundsätzen die Fähigkeiten der Untergebenen zu bewerten und danach ihnen den gebührenden Wirkungskreis einzuräumen. Jede Wissenschaft fordert von ihren Jüngern das Durchschreiten manchen Grades, bevor sie die höchste Würde verleiht, jede Kunstakademie legt dem Schüler Prüfungen auf, ehe sie ihm das Zeugnis der Reife erteilt; in jedem bürgerlichen Berufe hat der Lehrling ein gewisses Maß des Könnens darzutun, bis er zum Gesellen aufsteigt, – muß der Geselle sein Probestück machen, damit die Zunft ihn als Meister anerkenne.
Nichts von alledem im Bühnenleben! Die volkstümlichste aller Künste, die mit feurigen Zungen reden soll zum Herzen der Nation, ist vogelfrei. Hier gibt es keine staatlichen Schulen, keine Prüfungsbehörde.
Die Bretter, die die Welt bedeuten, tragen jedweden, der den kühnen Schritt darauf wagen will, gleichviel ob Erziehung und geistige Fähigkeit ihn dazu berechtigen. Dieser Boden, der geweiht ist wie die Kanzel in der Kirche und die Tribüne des Parlamentes, dient willig auch dem Unberufenen zum Tummelplatz, denn die Hüter des Tempels sind, Gott sei's geklagt, nicht immer wahre Priester der Kunst.
Geschäftliches Ermessen, materielle Rücksichten, persönliche Willkür begünstigen – wie oft! – Minderwertiges und stellen roh und unverständig das wahre Talent in den Schatten. Unsere Bühnenherrscher, in der Wahrung ihrer persönlichen Interessen frei und keinem künstlerischen Areopag verantwortlich, handeln nicht allerorten lauter und gerecht.
So geschah es denn auch auf jener Probe zu der »Jungfrau von Orleans«, daß Eilfertigkeit und gereizte Laune des sonst so gewandten Direktors rücksichtslos und ungehindert über Sein oder Nichtsein einer Persönlichkeit hinwegschreiten durften, die zum mindesten der eingehendsten Prüfung würdig gewesen wäre.
Angesichts so bedeutender äußerer Mittel, die wohl geeignet waren, dem verwaisten Fache der Heroinen unserer Bühne einen vielverheißenden Nachwuchs zuzuführen, durften redliche Theaterfachleute nicht mit leichtfertiger Lässigkeit die begabte Anfängerin ohne weiteres fallen lassen. Hielt man den Versuch für den kommenden Tag zu gewagt, – gut! so mußte man die Vorstellung auf kurze Zeit verschieben, sich mit der Novize in drei bis vier weiteren Proben eingehend beschäftigen und versuchen, ob kluger Rat und praktische Unterweisung hier auf glücklichen Boden fielen und ein künstlerisches Eindämmen der überschäumenden Naturkraft zuwege brachten. Erst wenn solche Einwirkung fruchtlos blieb, war man zu dem letzten, harten Schritt berechtigt.
Die junge Dame mußte eine rauhe Abweisung auf dem Direktionszimmer erfahren haben. Mit tränenfeuchtem Auge erschien sie zögernd auf der Schwelle zur Bühne. Sie griff nach der Stirn, als wollte sie den Schleier über das schamdurchglühte Gesicht ziehen. Allein Hut und Schirm lagen noch auf der Bank unter dem Druidenbaum. Aus allen Kulissen richteten sich die neugierigen Blicke auf die Arme, als sie den Leidensgang antrat, um sich ihr Eigetum zu holen. Das Theatervölkchcn ist im Grunde gutherzig und stellt sich gern auf die Seite des Unterdrückten. Aber es gibt allerwegen der verkannten Genies, der »Beckmesser« genug, die sich stets zurückgesetzt fühlen und eines anderen Niederlage mit Schadenfreude belächeln.
So klangen denn neben Ausrufen des Mitleids auch kaltherzige Worte an ihr Ohr, als sie schüchtern die Reihe der Zunftgenossen durchschritt: »Ja, an solche Aufgaben wagt man sich eben nicht ungestraft!« – »Mit dem Schreien allein ist's nicht getan!« – »Erst reifer werden, ehe man sich getraut, hier aufzutreten!« – Die Fremde hörte sie wohl schwirren, diese giftigen Pfeile, allein sie verwundeten sie nicht tiefer. Einen Augenblick stand sie still und schloß die Augen; dann aber richtete sie sich empor. Das Gefühl, ein so bitteres Unrecht durch die Brutalität der Machthaber erleiden zu müssen, stieg läuternd und befreiend auf in der jugendlichen Seele. Sie nahm still ihren Hut und zog den Schleier über das Gesicht. Dann schritt sie, ohne die Umstehenden eines Blickes zu würdigen, ruhig dem Ausgang zu. An der Tür faßte Weilenbeck ihre Hand: »Sie tun mir leid, Fräulein! Trösten Sie sich! Ihr Weg ist damit nicht abgeschlossen!« Sie drückte ihm schweigend die Hand und wandte sich. Ein Gefühl herber Wehmut und bitteren Grolles hatte sich meiner bemächtigt, als ich das arme Kind durch die Spießruten des Mißerfolges schreiten sah. Die innere Stimme sagte mir: Dieses Mädchen wird Euch alle noch überflügeln und der Welt offenbaren, welches Juwel Ihr vorschnell und leichtsinnig aus Euren Händen gleiten ließet! Ich sah der schlanken Gestalt nach, bis sie im Gewühl der Menge verschwand. Ich hoffte, wir würden uns zu gemeinsamer künstlerischer Tat einst wiederfinden. Und meine Ahnung hatte mich nicht getäuscht. Als wir nach Jahren am Hoftheater in München uns freudig die Hand drücken durften, war sie zur Zierde ihrer Kunst herangereift, das damals so schnöd verjagte, hochgewachsene Kind — Klara Ziegler.
Ernst von Possart: Erstrebtes und Erlebtes. Berlin, 1916.
Christen-Ziegler Klara, 1844 (München) – 1909, Hofschauspielerin; sie betrat 18jährig trotz Widerstands ihrer Eltern die Theaterlaufbahn in Ulm, und mit der »Jungfrau von Orleans« begann 1862 in Bamberg ihre Karriere; mit 22 Jahren heiratete Z. ihren Lehrer, den Hofschauspieler Adolf Christen (1811–1883) – ebenfalls hier bestattet; später wirkte sie am neuerstandenen Gärtnertheater in München und an der Leipziger Hofbühne, von 1868 bis 1874 war Z. gefeiertes Mitglied der Münchner Hofbühne; Hauptrollen: Sappho, Iphigenie auf Tauris, Medea, Klytemnästra, Jungfrau von Orleans; wegen eines schweren Leidens mußte sie ihren Vertrag mit der Hofbühne lösen; Z. zeichnete sich aus durch die klingende Pracht ihres Organs, die Macht ihrer Persönlichkeit, ihre wundervolle Sprachtechnik und die Plastik ihrer Bewegungen, sie gehört zu den größten deutschen Tragödinnen, hat aber auch im Lustspiel großen Ruf erlangt; bei ihrem Tod hinterließ sie ihr Haus und Vermögen den deutschen Bühnenkünstlern zur Errichtung eines Theatermuseums; in ihrem Testament schrieb Z.: »Mein Leben war der Kunst geweiht und mit einer bedeutungsvollen Tat will ich es beschließen. Ich habe mit meiner Stiftung den Zweck im Auge, unserer Kunst eine Heimstätte zu gründen, welche unserem Stande zur Ehre gereichen soll.«
© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.
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* 7.8.1811 (Berlin)
† 13.7.1883 (München)
Schauspieler
Hr. Christen ist ein köstlicher, außerordentlich verwendbarer Genre- und Episodenspieler. Ueberall, wo er durch pikante Nüancen wirken, wo er frappante »Mätzchen« anbringen kann, electrisirt er das Publikum. Damit wollen wir aber nicht gesagt haben, daß seine Darstellungen eine Mosaikarbeit von solchen Einzelnheiten sei; im Gegentheil, thut gerade die Totalität seiner Gebilde wohl, und jene Kleinigkeiten tragen nur dazu bei, die Wirkung zu erhöhen. Nur hüte sich Hr. Christen, seiner Laune allzu sehr den Zügel schießen zu lassen, wenn sie ihn zu weit führen will, das Wort des Dichters stets bedenkend:
In der Beschränkung zeiget sich der Meister
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
Hr. Christen ist in allen Gattungen des recitirenden Schauspiels beschäftigt: Tragödie, Schauspiel, Lustspiel, Konversationsstück und Posse; sie alle können ein beredtes Zeugniß ablegen von seinem Fleiß und Talent; wir beschränken uns deshalb auch darauf, nur eine Rolle aus jedem dieser Gebiete als Beispiel hier anzuführen. So spielt er im »Zunftmeister von Nürnberg« den Geisbart, in den »Räubern« den Spiegelberg, in »Minna von Barnhelm« den Wirth, im »Glücklichen Familienvater« den Max Leicht und in »Kurmärker und Picarde« den Landwehrmann Schulze.
Die Deutsche Schaubühne. Organ für Theater und Literatur. Redigirt von Dr. Teodor Mehl. Hamburg; 1861.
Auch Adolf Christen, geb. 1811, hat sich, gleich allen Jüngern Thaliens, aus kleinen, schwierigen Anfängen heraufarbeiten müssen; künstlerische Enttäuschungen und materielle Entbehrungen sind auch ihm jahrelange treue Begleiter gewesen. Sein Engagement an der Münchener Hofbühne verdankte er der warmen Empfehlung des hochverdienten Meisters Friedrich Dahn und seit dieser Zeit gehörte Christen, also volle dreißig Jahre, unserem Hoftheater an. Gehoben von einer auserlesenen Künstlerschaar, unterstützt von einem verständnißreichen Publikum, hat Adolf Christen Gebilde geschaffen, welche unvergeßlich sind. Sein feiner, discreter, niemals die Grenze des Erlaubten überschreitender Humor, seine liebenswürdige, geistvolle Auffassung, seine elegante Erscheinung und das ansprechende Organ, sicherten ihm stets, wenn er die Bretter betrat, herzliche und freudige Anerkennung. Die deutsche Bühne hat kaum in den letzten Decennien einen erfolgreicheren Chargenspieler, einen feineren und vollendeteren Bonvivant besessen. (Die künstlerische Erbschaft hat zum größten Theile unser Häußer übernommen und sich durch hervorragendes Talent und feinen Takt als würdiger Nachfolger erwiesen.)
Schwankende Gesundheit und Sehnsucht nach Ruhe ließen im Jahre 1874 in Christen den Entschluß reifen, sich von der Bühne, auf welcher er große und reiche Triumphe geerntet, zurückzuziehen.
Und er hat dies auch an der Seite seiner liebenden Gemahlin, der berühmten Tragödin Clara Ziegler, welche er 1876 heirathete, gethan. Um beide Gatten, die stets besorgt um ihr gegenseitiges Wohl blieben, war ein Band seltensten ehelichen Glückes geschlungen. Am 13. Juli 1883 wurde Adolf Christen, betrauert von der ganzen Stadt München, zu Grabe getragen.
Die Scheinwelt und ihre Schicksale. Eine 127jährige Historie der Münchener kgl. Theater im populärer Form und als Jubiläums-Ausgabe. Zu Ehren des fünf und zwanzigjährigen Dienst-Jubiläums Seiner Excellenz des Herrn General-Intendanten Freiherrn von Perfall von Max Leythäuser. München; 1893.
Christen Adolf, geboren am 7. August 1811 in Berlin. Er wurde nach Absolvierung der Gewerbeschule für den Kaufmannstand bestimmt. Derselbe behagte ihm jedoch nicht und so versuchte er es mit der Maschinenschlosserei. Aber da wie dort ließ ihn der Theaterteufel nicht los und er begann ein echtes Komödianten-Wanderleben.
Nachdem er so mehrere Jahre die Tragikomik des Meerschweinchenlebens kennen gelernt hatte, (in Wittenberg betrat er 1831 zum erstenmal die Bühne) fand er nach langen Irrfahrten ein Engagement am Theater in Wiesbaden, wo ihn der angesehene Schauspieler Friedrich Jahn auf einem Gastspiele kennen lernte. Durch die Natürlichkeit mit der Ch. seine Rollen darstellte, veranlaßt, verschaffte er ihm am 1. Oktober 1842 ein Probespiel am Münchener Hoftheater. Das Debüt fiel außerordentlich günstig aus und der junge Künstler wurde sofort engagiert.
Mehr als 30 Jahre wirkte er am Münchener Hoftheater, dem er stets in des Wortes vollster Bedeutung eine wahre Zierde gewesen ist. Schwankende Gesundheit und Sehnsucht nach Ruhe ließen ihn endlich im Jahre 1874 den Entschluß fassen, sich von der Bühne gänzlich zurückzuziehen. Die Münchener, die den Künstler seit Jahren verehrt und ihm zahllose Beweise ihrer grenzenlosen Hochschätzung gegeben hatten, sahen ihn mit größter Betrübnis scheiden. Sie konnten seinen diskreten, niemals die Grenze des Erlaubten überschreitenden Humor, seine liebenswürdige und geistvolle Auffassung, seine elegante Erscheinung und das ansprechende Organ lange nicht vergessen und brauchte es geraume Zeit, bis sie sich daran gewöhnten, diesen erfolgreichen Chargenspieler, diesen vollendeten Bouvivant, nicht mehr auf der Bühne zu begegnen. Ch., der den »Wirt« in »Minna von Barnhelm«, »Friedberg« in »Rosenmüller und Finke«, »Argan« im »Eingebildeten Kranken«, »Camouflet« in »Eine Tasse Tee« etc. zu seinen beliebtesten und anerkanntesten Rollen zählte, und der beim Mustergastspiel 1854 in München sich in ersten Rollen rühmlichst hervortat, erlag seinem langwierigen schweren Leiden am 13. Juli 1883. Der Künstler heiratete 1876 die berühmte Tragödin Clara Ziegler.
Ludwig Eisenberg’s Grosses Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Leipzig, 1903.