Ω
Auf Wiedersehn!
Dem Andenken
meiner
theuren unvergesslichen
Tochter
Johanna Meyer,
k.b. Hofschauspielerin,
geb. d. 21. Septbr. 1845
gest. d. 22. Mai 1874.
Friede Deiner Asche!
Babenstuber
Ω
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* 21.9.1845 (Hannover)
† 22.5.1874 (München)
Beamtens-Tochter / Schauspielerin
Johanna Meyer,
Mitglied des Königl. Hoftheaters in München.
Am 22. Mai 1874 starb zu München nach kaum achttägigem Krankenlager in der Blüthe ihres Lebens Johanna Meyer, seit 11 Jahren Mitglied des Königl. Bayr. Hofschauspiels und seit den letzten 6 Jahren der erklärte Liebling des Münchener Publikums. – Es ist kein gewöhnlicher Nekrolog, den wir verzeichnen, wenn wir das eigenartige Emporkeimen dieses seltenen Talentes von der ersten Stufe seiner Entwickelung an verfolgen. Am 21. Sept. 1845 zugleich mit dem letzten Sprößling des Welf'schen Königshauses zu Hannover geboren, wurde Johanna Meyer schon in den ersten Jahren dem elterlichen Hause entfremdet. Ihr Vater, ein kleiner Beamter des Salm'schen Fürstenhauses, übergab Bauersleuten im Braunschweigischen das Kind zur leiblichen Fortentwickelung. Von einer geistigen Erziehung konnte bei den bekannten, in damaliger Zeit noch höchst mangelhaften Schulverhältnissen braunschweigischer Dorfgemeinden gar nicht die Rede sein. So gedieh das junge Mädchen körperlich, verwahrloste geistig, und als sie in ihrem 15. Lebensjahre sich in Braunschweig dem tüchtigen Schauspieler und Regisseur Schultes als Aspirantin für die Bühne verstellte, bedurfte es der ganzen vorurtheilsfreien Anschauung dieses bewährten Fachmannes, um in der völlig bildungslosen, auch der geringsten Vorkenntnisse baaren Novize jene instinktive Begabung zu erkennen, welche zwei Jahre später sich so mächtig und überzeugend entfalten sollte. Die praktische Lehrmethode des Herrn Schultes, welcher schnell auf das Ziel losgehend, sich sagte: »Hier muß unter allen Umständen zuerst für den Lebensunterhalt gesorgt und dann bei gesicherter Existenzfrage die mangelnde Bildung nachgeholt werden, hier gilt es, das instinktive Talent zu fördern«, trug seine Früchte. Schon nach einjährigem Studium konnte Schultes es wagen, seine Schülerin dem Direktor Woltersdorff in Königsberg zu empfehlen, nachdem er das junge Mädchen zuvor an der Braunschweigischen Hofbühne den ersten theatralischen Versuch hatte machen lassen. Der Wurf gelang vollständig. Das bedeutsame Theaterwort: »Ein Quentchen Talent ist mehr werth, als ein Centner Bildung«, sollte gerade hier sich in hervorragender Weise bethätigen. Es ist Wahrheit, wenn wir sagen, daß Johanna Meyer in Königsberg kaum nothdürftig die Rolle im Druck lesen konnte, mit der sie Abends das Publikum zu allgemeinem Beifall hinriß. Aber der eisernen, zumeist dem weiblichen Geschlechts innewohnenden Energie und Zähigkeit gelang es in kurzer Zeit, die feste Basis zu ihrer geistigen Entwickelung zu legen.
Die hochgeachtete Familie des kunstsinnigen Baurathes H. in Königsberg nahm sich des jungen Mädchens dauernd hilfreich an. Mitten in der riesigen theatralischen Beschäftigung des Königsberger Repertoires, lernte das 17jährige Mädchen lesen und schreiben und mit Aufopferung mancher Nacht sich so weit in den Elementargegenständen vervollkommnen, daß sie nach zweijähriger Thätigkeit in Königsberg es wagen durfte, ein Engagement an einer Bühne anzunehmen, welche von ihren Mitgliedern auch die durchgeistete Ausarbeitung der darzustellenden Charaktere zu sehen gewohnt und berechtigt war. Johanna Meyer trat im Oktober 1864 in der Rolle der »Anna Lise« zum ersten Mal vor das Münchener Publikum und errang sich trotz der dortigen überreichen und akkreditirten Vertretung ihres Faches einen Erfolg, welcher sie bald ihren Kolleginnen ebenbürtig an die Seite stellen sollte. Zwar erkannte man das bedeutende Talent der jungen Dame nicht sogleich in seinem ganzen Umfange, oder wenn man es auch erkannte, wollte man es nicht so wirken lassen, als dieses Talent schon damals zu wirken berechtig gewesen wäre, doch hatte diese langsam wachsende und sich allmälig zu größeren Rollen ausdehnende Beschäftigung den gerade für Johanna Meyer nicht zu unterschätzenden Vorzug, daß es ihr gelang, in den nun reichlich sicher fließenden Mußestunden ihre autodidaktische Entwickelung zu vollenden und sich an jenen Kunstleistungen zu begeistern und weiter zu bilden, welche damals schon die Münchener Hofbühne zierten. Endlich aber brachte die gebietende Nothwendigkeit den ersehnten Augenblick mit sich, in welchem das zweite große theatralische Losungswort: Man braucht Dich! mit einem Schlage die Bedenken der Regie, die Rücksichten der Intendanz und die Privilegien gewisser Contrakte über den Haufen warf, und nun die jugendlich frische Kraft in unbeschränktem Raume ihre Schwingen entfalten ließ. »Louise« in »Kabale und Liebe«, »Julia«, »Thekla« – und mit dem steigenden Wohlwollen des Publikums, mit der wachsenden Würdigung der Kritik, mit dem daraus resultirenden Vertrauen der Intendanz, war der Weg zur alleinigen und dauernden Vertretung des Faches gebrochen, in welchem Johanna Meyer 6 Jahre hindurch, von Tag zu Tag sich der Vollendung nähernd, die Augen des gesammten deutschen Theaterpublikums auf sich ziehen sollte.
Und was war der Zauber dieses seltenen Talentes, das mit dem Momente, in welchem es die Bühne betrat, Auge und Ohr des Zuhörers sympathisch berührte und das Auditorium ausnahmslos in dem großen Zuge seiner Darstellung mit sich fortriß? Johanna Meyer war von der Natur nicht gerade verschwenderisch ausgestattet. Die Gestalt schlank, aber fast mager, beinahe eckig zu nennen, die Züge frisch, doch mehr interessant als regelmäßig, das Organ mäßig stark und von Natur nicht gerade umfangreich – und doch besaß diese Gestalt Geschmeidigkeit, doch zeigten diese Bewegungen Elasticität und Grazie, doch besaß dieses Gesicht ein Augenpaar, das die Affekte der Seele, sei es Liebe, Haß, Schmerz oder Wehmuth gleich mächtig und überzeugend ausdrückte, doch sprach dieser Ton der Stimme so lebenswarm, so voll und wahr zum Herzen, daß die Gesammtheit des Eindruckes, den die Darstellerin mit jeder ihrer Rollen hinterließ, ein allseitig überzeugender und hinreißender genannt werden mußte. Die Eigenart ihres Talentes verlieh ihrer Darstellungsweise ein sinniges, ja, wir dürfen sagen, wahrhaft deutsches Gepräge. Johanna Meyer vereinte in ihren Rollen eine reine und tiefe Empfindung mit rosiger, keuscher Jungfräulichkeit. Daher das magnetische Band, welches sich schon mit den ersten Sätzen einer »Thekla«, oder »Prinzessin Eleonore«, von Bühne zu Auditorium schlang, daher das sympathische Gefühl, welches bei dem Ton dieser Stimme und dem feuchten, seelenvollen Blick dieses Auges auch die lauschende Menge beseelte, und uns die dankbare Erinnerung hinterließ: hier hat die Bühne durch eine ihrer Auserwählten ihren Endzweck erfüllt, hier hat sie unser Herz erhoben, unsere Seele gerührt, unsere Gesinnungen entflammt und veredelt.
In dem Augenblick, wo die technischen Schwierigkeiten nach jahrelangem Studium fast ausnahmslos beseitigt, wo die gereiftere Anschauung den Geist der Rolle in seinem tief-innersten Kern zu erfaßen vermochte, und wo jene äußerliche und doch dem Schauspieler so unentbehrliche Macht, welche wir Bühnenroutine nennen, dem Dienste unserer Künstlerin sich spielend und willig fügte, in dem Augenblick, wo die harmonische Entwickelung dieses bedeutenden Talentes seine Früchte tragen sollte, zwang uns das unerbittliche Schicksal, den mühsam errungenen Lorbeer, den wir der Lebenden dankbar auf's Haupt gedrückt hätten, der entseelten Hülle wehmuthsvoll in die Gruft nachzuwerfen. Johanna Meyer starb! Wenige Jahre noch und die gesammte deutsche Theaterwelt hätte die Blüthen ihres Talentes genossen und ihr jene ruhmvolle Erinnerung bewahrt, welche nun leider München allein mit Stolz, aber auch mit Schmerz sein eigenstes Eigenthum nennen muß.
Die Trauer, welche alle Schichten der Münchener Bevölkerung gleichmäßig durchdrang, hat nicht mit der Bestattung Johanna Meyer's ihr Ende erreicht, sie erneuert sich an der geweihten Stätte ihrer Wirksamkeit mit jedem Abend, der eine Lieblingsrolle der Entschlafenen dem Publikum vor das Auge führt. – – So hat sich Johanna Meyer durch ihre Kunst ein unvergängliches Denkmal gesetzt: »besser als von Stein und Erz.«
E. P-t.
Deutscher Bühnen-Almanach. Berlin, 1876.
Meyer Johanna, geboren am 21. September 1845 in Hannover, Tochter eines kleinen Beamten des Salmschen Fürstenhauses. Sie wuchs bei braunschweigschen Bauersleuten auf, und ohne eine besondere geistige Erziehung genossen zu haben, entschloß sie sich schon in ihrem 15. Lebensjahre, Schauspielerin zu werden. Sie stellte sich dem braunschweigschen Hofschauspieler Schultes vor, und schon nach einjährigem Studium wagte sie an der Braunschweiger Hofbühne den ersten theatralischen Versuch. 1862 nahm sie ihr erstes Engagement in Königsberg, wo sie zwei Jahre verblieb und neben ihrer angestrengten schauspielerischen Tätigkeit vervollständigte sie daselbst auch ihre etwas zurückgebliebenen Schulkenntnisse über alles Erwarten. Im Oktober 1864 debütierte die junge Künstlerin als »Anna-Liese« am Münchner Hoftheater. Sie gefiel und wurde engagiert. M. fand nun reiche Beschäftigung vor, bewährte sich zuerst in kleineren, dann in größeren Rollen, und entzückte bald mit ihrer «Louise«, «Julie« «Thekla«, «Prinzessin Leonore« in «Tasso« etc. das Publikum stets mehr und mehr. Nach kaum vierjähriger Tätigkeit war sie bereits der erklärte Liebling der Münchner. Die Eigenart ihres Talentes verlieh ihrer Darstellungsweise ein sinniges, wahrhaft deutsches Gepräge; sie vereinte in ihren Rollen eine reine und tiefe Empfindung mit rosiger, keuscher Jungfräulichkeit, unterstützt durch eine geschmeidige Gestalt, elastische und graziöse Bewegungen, und besaß ferner ein Augenpaar, das alle Affekte der Seele mächtig und überzeugend auszudrücken vermochte. Der Ton ihrer Stimme war so lebenswarm, so voll und wahr zum Herzen sprechend, daß die Gesamtheit des Eindruckes, den die Darstellerin mit jeder Rolle hinterließ, ein allseitig überzeugender, ja hinreißender genannt werden mußte. So und ähnlich lauteten die Nekrologe, die man schrieb, als M. in der Blüte ihres Lebens von der Stätte ihrer Wirksamkeit hinweggerissen wurde und nach elfjähriger hervorragender allgemein anerkannter Tätigkeit am Münchner Hoftheater, am 22. Mai 1874, nach kaum achttägigem Krankenlager, verschied.
Ludwig Eisenberg’s Grosses Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Leipzig, 1903.