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31 – 1 – 28·29 (Perfall)

Ω

KARL
FREIHERR
VON PERFALL
1824 † 1907
GENERAL
INTENDANT
DES KGL. HOF-
THEATERS

Ω

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Karl Theodor Emanuel Freiherr von Perfall

* 29.1.1824 (München)
† 14.1.1907 (München)
Generalintendant und Komponist

Die Scheinwelt und ihre Schicksale (1893)

Hebt sich da nicht der Schleier der Alltäglichkeit und offenbart uns im verklärten Scheine das Bildniß eines Mannes, der fünfundzwanzig Jahre an der Spitze der Münchener Bühne steht, ohne einmal zu wanken und zu verzagen, der mit seltenem klaren Blick seine Ziele verfolgte und sie echließlich mit Erfolg gekrönt sah! Gewiß wird der Gefühlsausdruck der Freude und des Stolzes ein allgemeiner sein, gilt es den Jubeltag unseres General-Intendanten, Karl Freiherrn von Perfall, zu feiern. Gewiß wird Niemand, auch wenn er sonst der obersten Leitung unserer kgl. Theater weniger sympathisch gegenüberstehen sollte, an diesem Tage das Auge angesichts der hervorragenden Thaten und Errungenschaften unseres Intendanten verschließen! Alle, die dem Theater und der Musik nahe stehen, werden die hohen Verdienste des Jubilars um die Hebung unserer Bühne zu schätzen wissen und werden sich an der seltenen Ehre, die ein derartiges Dienstjubiläum mit sich bringt, von ganzer Seele erfreuen!

Ende des Jahres 1867 wurde Intendanzrath Wilhelm Schmitt pensionirt. König Ludwig, der sofort nach seiner Thronbesteigung die Unmöglichkeit einsah, das Institut fernerhin der Willkür und unfähigen Händen zu überlassen, hatte in Baron von Perfall, den er bereits in Folge seiner hervorragenden musikalischen Kenntnisse 1864 zum Hofmusik-Intendanten ernannte, die richtige Persönlichkeit erkannt, die befähigt war, das Kgl. Hoftheater neuen gewaltigen Aufgaben entgegenzuführen. Der Monarch sandte den Hofrath Düflipp zu Perfall und ließ ihm die Leitung der kgl. Theater anbieten. Nur widerstrebend folgte der Baron dem königlichen Rufe und wurde am 25. November 1867 zum »provisorischen«, nächstes Jahr darauf, nach der ersten Rheingoldaufführung zum »wirklichen« Intendanten ernannt. Baron Perfall, am 29. Januar 1824 zu München geboren, fand seine Erziehung im holländischen Institute, widmete sich zunächst dem Studium der Rechtswissenschaft, bestand 1848 mit glänzendem Erfolg die Staatsprüfung, trat auch ein Jahr später in den Staatsdienst, konnte aber seinem von frühester Jugend auf genährten Hange zur Musik nicht länger mehr widerstehen, zog nach Leipzig und studirte bei dem damaligen berühmten Theoretiker Moriz Hauptmann Contrapunkt. Seine Erfolge auf diesem Gebiete deckten sich mit seinen hervorragenden Anlagen. Bereits im Jahre 1850 sehen wir Baron von Perfall als Dirigent der »Münchener Liedertafel«, während er vier Jahre später den Oratorienverein gründete, den er bis zum Jahre 1864 leitete. Um diese Zeit war es auch, wo König Ludwig auf das seltene Talent Perfalls aufmerksam wurde.

Baron von Perfall ist eine ächte Künstlernatur, für das Schöne empfänglich und begeistert. Er vertritt als Musiker in seinen Liedern und Compositionen eine edle, ächt deutsche Richtung, ohne deßhalb als Bühnenleiter in den eigenen Neigungen befangen zu sein. Die Weite des Blickes und das klare Erfassen seiner Zeit bewahrten ihn vor starrer Einseitigkeit. Doch ist Baron von Perfall auch ein Mann der That; er steht nicht nur allen Zweigen der Kunst vor, sondern greift auch persönlich in die einzelnen Sparten derselben ein. Vertraut mit dem ganzen Bühnenapparat, ausgerüstet mit eminenten Kenntnissen, vernimmt er wohl den Rath seiner Regisseure, doch ist er es immer selbst, der wägt und dann bestimmt. So kommt es, daß Alle, welche unter ihm stehen, nicht nur seine Menschenfreundlichkeit preisen, sondern auch seine künstlerische Einsicht schätzen. Die Döppeleigenschaft, die den General-Intendanten auch an die kgl. Musikschule fesselt, und ihm obendrein die ganze Bürde eines Musikschuldirektors noch aufbürdet, hält den Baron von früher Morgenstunde bis in die späte Nacht hinein in Thätigkeit und so sehen wir diese seltene Arbeitskraft, jedem Untergebenen ein Beispiel, Jedem ein Sporn zur Nacheiferung, volle fünfundzwanzig Jahre ohne Unterbrechung unverdrossen ihres verantwortungsvollen Amtes walten. Doch auch dort, wo es gilt, aufstrebenden Talenten die Hand zu bieten, oder was noch häufiger vorkommt, den Untalentirten, den Irrgeleiteten die Gefährlichkeit ihres Strebens vor Augen zu führen, finden wir den Chef mit einem richtigen, scharfen Blick, dessen strenges Urtheil wahre Theilnahme und Liebenswürdigkeit zu mildern weiß. Was Baron von Perfall in den fünfundzwanzig Jahren seiner Wirksamkeit geleistet, wie er die ihm anvertrauten Bühnen zu hoher künstlerischer Bedeutung zu heben gewußt hat, wie er ferners eine segensreiche Thätigkeit entfaltete im Interesse der sozialen Stellung und der materiellen Unterstützung der unter seiner Aegide wirkenden Künstler und Beamten, und wie er endlich der gesammten deutschen Theaterwelt gedient hat durch das, was er als zweiter Präsident des deutschen Bühnenvereines geleistet, das wird seinem Namen dauernd einen Ehrenplatz sichern, nicht nur in der Geschichte der kgl. bayerischen Hoftheater, sondern in der Geschichte des deutschen Theaters überhaupt. Doch auch nach rein menschlicher Seite hin bekundete Baron von Perfall aufopfernde Hilfsbereitschaft für alle Bestrebungen, sobald sie der Linderung menschlichen Elends galten und deren sind seit seiner fünfundzwanzigjährigen Amtsthätigkeit Viele zu verzeichnen. In welcher Weise sich aber Baron von Perfall um die Hebung unserer Bühne so verdienstlich machte, finden wir in den kommenden Blättern; hieher dürfte aber noch gehören, daß seine überzeugende Liebenswürdigkeit im persönlichen verkehr, seine wahre Herzensgüte, seine edle Denkungsart und seine Charakterstärke so manchen Gegner zum treuesten Freund umgewandelt hat. Und könnte es einen schöneren Erfolg noch geben, als diesen, hat unser Menschenthum noch größere Ehren zu spenden als diese, gipfelt nicht hierin Alles, was wir Priesterthum einer höheren Welt, was wir eine edle Seele nennen?

Die Scheinwelt und ihre Schicksale. Eine 127jährige Historie der Münchener kgl. Theater im populärer Form und als Jubiläums-Ausgabe. Zu Ehren des fünf und zwanzigjährigen Dienst-Jubiläums Seiner Excellenz des Herrn General-Intendanten Freiherrn von Perfall von Max Leythäuser. München; 1893.

Münchner Neueste Nachrichten (16.1.1907)

Karl von Perfall †.

München, 15. Januar.

Ein reiches, vornehm fundiertes Künstlerleben war es, das nun abgeschlossen ist: über vierzig Jahre, 1864–1907, hat der Verstorbene als Intendant der kgl. Hofmusik das Szepter der Herrschaft inmitten der Münchner Musikwelt mit fester Hand gehalten und während einer großen Periode kraftvoll geführt; und wenige Tage, nachdem es dem allmählich doch mehr und mehr greis und müde Gewordenen entsunken war, ist er nun auch selber dahingegangen. Perfall war eine prononcierte Individualität, eine innerlich kräftige Künstlernatur, die mit dem ihr eigenen Wesen aber trefflich den Hofmann zu vereinigen verstand. Klug, zielbewußt, geschmeidig und zäh im Wollen und Erringen, dabei durchwegs von rückhaltloser Treue und Hingebung an seinen Souverän erfüllt, hat er selbst in den schwierigsten Tagen und Situationen seiner Amtsführung stets überlegene Besonnenheit und scharfe Urteilsfähigkeit an den Tag gelegt. So ist es ihm gelungen, sich auch als Bühnenleiter trotz mancher besonderer und außergewöhnlicher Schwierigkeiten, die ihn in dieser Position wiederholt zu bedrohen schienen, dauernd zu behaupten und seine Tätigkeit als Hoftheater-Intendant, die auf großer Sachkenntnis und ausgesprochenem praktischem Sinne beruhte, zur Stabilisierung und damit wie zur Blüte so auch zu voller Entfaltung zu bringen. So ist er ein machtvoller Faktor in unserem Musikleben geworden.

Es war eine interessante Zeit, zu der unser damals im besten Mannesalter des Anfangs der Vierziger stehender Hofmusik-Intendant an die Spitze unseres Bühnenlebens gestellt wurde: die Zeit, da durch den Willen Ludwigs II. München die Führung in der Wagnerfrage zugewiesen war, über die damals die Leidenschaften tief erregt, ja wild entfesselt waren, und von deren »zahllosen Nöten, Kämpfen und Streiten« man sich heute, da Wagner längst als allgemein gefeierter, unbestrittener Meister dästeht, kaum mehr recht eine Vorstellung machen kann. Da bedurfte es eines klaren Kopfes und festen Sinnes an der Spitze des Kunstinstituts. Beides hat Perfall in jenen stürmischen Tagen reichlich bewiesen. Obwohl das eigene musikalische Empfinden ihn mehr dem konservativen als dem fortschrittlichen Elemente zugesellte, wußte er doch im dienstlichen Interesse stets dem Neuen eine gewiße, wenn auch unwillkürlich etwas zögernde Empfänglichkeit entgegenzubringen. Ueber die umfassende Betätigung Perfalls in dieser seiner wichtigsten Eigenschaft als Intendant der k. Theater (1867–93) gibt den besten und gründlichsten Aufschluß sein eigenes Buch: »Ein Beitrag zur Geschichte der kgl. Theater«, das 1894 bei Piloty & Löhle in München erschienen ist und hiemit aufs nachdrücklichste in Erinnerung gebracht sei, da es tatsächlich über manche Einzelheiten (z. B. die Separatvorstellungen für Ludwig II.) als Quellenmaterial gelten kann.

Was an der Zeit der Perfallschen Bühnenleitung besonders günstig hervortrat, war die Schaffung und Erhaltung eines vorzüglichen Ensembles der Oper wie des Schauspiels. Freilich lagen damals die allgemeinen Verhältnisse dem Streben nach solch geordneten und sicheren Zuständen günstiger als heute. Die gegenseitige Konkurrenz der ersten Bühnen war noch nicht so stark entwickelt, die Verkehrsmittel für auswärtiges Gastieren noch nicht so verlockend; größer dagegen Anhänglichkeit und Sinn für nicht nur kontraktliche sondern auch ideale Verpflichtungen gegen die heimische Bühne, die Stätte, an der man groß geworden, die höhere Ausbildung durch gemeinsames Zusammenwirken mit befreundeten berühmten Kollegen erlangt hatte. Gerade diesem letzteren Punkte wußte Perfall durch sein gewissermaßen patriarchalisches System besondere Kraft zu verleihen. Und so kam es, daß seine Künstler ihm treu blieben. Sie wußten, daß sie hier nicht etwa bloß in einem dienstlichen Verhältnis zum Kunstinstitut standen, sondern daß sie gleichsam dessen künstlerischer Familie angehörten, daß sie an ihm ein dauerndes, gesichertes Heim hatten, aus dem sie durch keine feindliche Macht vertrieben werden konnten. Nach dieser Richtung hin besaß Perfall unzweifelhaft ein aufbauendes Talent, war er ein Organisator — nicht für Unternehmungen großen und größten Stils, aber in dem traulichen, bestimmten Rahmen, den er sich seiner Kunsterkenntnis gemäß zurechtgelegt und geformt hatte. Und unsere Bühne fuhr für jene Zeit sehr gut dabei: München besaß ein vorzügliches, stabiles Ensemble, um das es viel beneidet war und dessen künstlerische Gesamtheit sich getrost an die gewaltigsten Aufgaben der Bühnenkunst heranwagen durfte und sie meist mit glänzendem künstlerischem Erfolge bewältigte.

Auf dem Gebiete der Oper hatten wir zwar verhältnismäßig nicht gerade viele, dafür aber sehr »gute« Novitäten. Ein Blick in das vorhin erwähnte Perfallsche Buch gibt darüber reichlich bestätigenden Aufschluß. Wobei allerdings nicht übersehen werden darf, daß die damalige Zeit auch eine unvergleichlich hochbedeutende Produktionsperiode umschloß. Darin mag zum Teil »Glück« gesehen werden; aber die andere Seite der Medaille heißt eben trotzdem doch auch Geschick bei der Auswahl des Uebrigen. Das Entscheidende blieb freilich der unvergleichliche Umstand, den Perfall seiner künstlerischen Ueberzeugung nach mitunter als einen feindseligen zu betrachten geneigt war, daß nämlich damals gerade die letzten Wagnerschen Werke (die Meistersinger und der ganze Ring) als neue Erscheinungen in die Welt traten, dem Wunsche des Königs Ludwig II. gemäß in München zur Uraufführung oder (wie bei Siegfried und Götterdämmerung) wenigstens zur Erstaufführung nach Bayreuth gelangten und, wie sie unsere einheimische Bühne beherrschten, so auch von hier aus ihren späteren beispiellosen Siegeslauf durch die weite Welt antraten.

Vor allem war Perfall darauf bedacht, neben diesen Werken, die ihm, wie er oft äußerte, »auf alles Uebrige einen Schatten warfen«, das klassische Repertoire zu pflegen, was damals freilich nicht immer gerade eine stilistisch besonders prägnante Gestaltung in sich schloß. Daß er nebenher auch seine eigenen Versuche auf dem Gebiete der Oper dem Publikum vorführte, ist mit Rücksicht auf das große Interesse, das seiner Persönlichkeit schon um seiner Stellung willen von weitesten Kreisen stets entgegengebracht wurde, leicht verständlich, geschah übrigens auch nie etwa mit allzu großer Beharrlichkeit. In der Verwaltung und Oberleitung des Schauspiels erzielte er ebenfalls häufig glänzende Resultate. Die Veranstaltung von Gesamtgastspielen, die Schaffung der Shakespeare-Bühne und anderes trugen den Namen des Münchner Schauspiels auch in die Welt hinaus.

So wird Perfalls Wirken für die Geschichte des Münchner Theaterlebens unvergessen bleiben und darin stets einen ehrenvollen Platz einnehmen. Was er als Chef der Theater wie der Instrumentalkapelle an humanitären Einrichtungen für seine Schutzbefohlenen schuf, welch reiche Ehrungen, Titel und Würden ihm in seiner hervorragenden Stellung bei Hofe zuteil wurden, wie er auch Jahrzehnte lang an der Spitze der neubegründeten Musikschule stand, die noch unter ihm zur Akademie der Tonkunst mit den für die Lehrerschaft damit verbundenen Vorteilen erhoben wurde — all das sind Dinge, die dazu beitrugen, seine Lebensstellung zu einer außergewöhnlichen zu machen.

Das wird vollauf bestätigt durch einen Blick auf den glücklichen Lebensgang des einfachen Edelmannes, der sich in jungen Jahren vom juristischen Studium und Staatsdienst weg zur Musik gewandt hatte und sich aus einfachen Verhältnissen heraus über die Etappen eines Dirigenten der Münchner Liedertafel und des von ihm bald darauf begründeten Oratorienvereins bis zur gesellschaftlich höchsten Stellung im Musikleben Bayerns emporschwang.

Seine Gestalt steht vor uns als die eines ritterlichen Schirmers übernommener Kunstverhältnisse, der für ihre Weiterentwicklung, wie er sie nach seinem Sinne erkannte, stets das Beste wollte und mit Erfolg erstrebte. So war er gewissermaßen sogar ein Mann des Fortschrittes, zwar nicht des stürmischen, großzügigen, sondern des bedingten und bedächtigen. Groß blieb seine Abneigung gegen die neueste Wendung in der Musik. Er bezeichnete Rich. Strauß schlechtweg als »musikalischen Anarchisten, zu dessen Beförderung in eine königliche Uniform (als Hofkapellmeister) er als Intendant niemals die Hand bieten werde«. Mit dem Geist, der durch den künstlerischen »Revolutionär Wagner« in die Hallen der musikalisch-dramatischen Kunst eingezogen war, hat er sich, wenn auch nie völlig ausgesöhnt, so doch redlich abzufinden bestrebt — schon aus Hochachtung für den königlichen Willen. Und dann sprachen auch sonst die Tatsachen da doch gar zu gewaltig.

Erst vor kurzem, gelegentlich des 80. Geburtstages (29. Januar 1904) des nun Verewigten, ist von mir an dieser Stelle eine ausführliche Schilderunq, ein Bild seiner vielseitigen Tätigkeit (vergl. »M. N. N.« 1904 Nr. 45) gegeben worden, das, wenn auch in knapper Form, so doch hauptsächlich den Lebensgang und das künstlerische Programm Perfalls veranschaulichte. Zu ihm mögen die heutigen Ausführungen als Ergänzungen gelten und dazu beitragen, das Andenken an den Entschlafenen auch für die jetzige neue Generation zu beleben. Denn von dem großen Wirkungskreise als Chef des Theaters ist Perfall ja schon Anfang Januar 1893 zurückgetreten und deshalb manchem Neueren nicht mehr bekannt geworden.

Die bis zum heutigen 1. Januar fortführte Stellung als Chef der Hofmusik brachte ihn mit den weiteren Kreisen und dem öffentlichen Interesse verhältnismäßig wenig in Berührung. Während der Zeit seines unmittelbaren Nachfolgers in der Bühnenleitung betrat er selten mehr das Theater, nur etwa bei pietätvollen Wiedervornahmen seiner letzten Oper: Junker Heinz, die er zu diesem Behufe sogar einer teilweisen Umarbeitung (als »Jung Heinrich«) unterzogen hat, oder bei anderen besonderen Anlässen, z. B. Mozart-Aufführungen im Residenztheater und Gastspielen berühmter Leute. Es blieb ihm immer schmerzlich, daß er, wie er meinte, seinen Posten hatte vor der Zeit verlassen müssen. Dadurch trat während der letzten 14 Jahre eine seiner Art eigentlich fremde Bitterkeit in sein Wesen. Doch auch diese wußte er allmählich zu überwinden.

Und nun, da der Hochbetagte, fast 83jährige auch die letzte seiner zahlreichen früheren Tätigkeiten beschlossen und bei dem ihm so lieb gewordenen, altgewohnten, seit 43 Jahren, innegehabten Bureau der Hofmusik-Intendanz in der kgl. Residenz zum letzten Male die Türe hinter sich geschlossen hatte, da legte er so bald darauf, am Schlusse eines langen, tätigen und reichgesegneten Lebens anqelangt, nun das endlich doch müde gewordene Haupt zur ewigen Ruhe nieder. Eine zahlreiche Familie, darunter drei Söhne, und die weite, große Gemeinde der Münchner Kunstwelt und der Gesellschaft stehen trauernd an der sterblichen Hülle eines ihrer Ersten.

Oskar Merz.

* * *

Das Kunstleben Münchens hat eine seiner markantesten Persönlichkeiten verloren: Generalintendant Karl Freiherr v. Perfall ist nach kurzem Krankenlager sanft entschlafen. Der alte freundliche Herr mit dem breiten weißen Vollbart und dem großen schwarzen Zwicker war schon seit einigen Jahren, seit dem Sturze auf der Treppe, körperlich etwas gebrechlich; seine Füße konnten nur schwer und langsam das Gewicht des Körpers tragen. Auf seinen treuen Diener gestützt, konnte man ihn noch im vorigen Monat von seiner Wohnung an der Maximilianstraße zur Residenz wandern sehen, um in unermüdlichem Pflichteifer die Geschäfte der Hofmusik-Intendanz zu erledigen, von denen er erst am 1. Januar d. J. enthoben wurde. Sein Gehen war freilich nur noch ein Schleifen; aber sein Geist zeigte noch die gleiche Regsamkeit und Frische wie früher. Am 27. Dezember 1906 verließ er zum letzten Male seine Wohnung. Trotz der großen Kälte wollte er einem Festmahle im Hotel Vier Jahreszeiten beiwohnen, das die Mitglieder der Hofmusik anläßlich seines Rücktrittes vom Amte veranstaltet hatten. Der liebenswürdige, fürsorgliche Chef wurde mit großem Jubel von seinen Hofmusikern empfangen, er dankte in einer kurzen Ansprache für die ihm erwiesene Ehrung und verfügte sich bald wieder nach Hause — er fühlte sich schon damals nicht ganz wohl. Am Sonntag, 30. Dezember, überreichte ihm dann in seiner Wohnung eine Deputation der Hofmusiker ein Ehrengeschenk, einen prächtigen silbernen Kranz, als Ausdruck der Verehrung und Dankbarkeit. Perfall nahm das Geschenk mit tiefer Rührung entgegen. Von diesem Tage an trat die Influenza-Erkrankung, die schon seit einigen Tagen seinen Gesundheitszustand beeinträchtigt hatte, in stärkerem Maße in die Erscheinung; die Lunge war bald angegriffen, und auch das Herz verlangsamte mehr und mehr seine Schläge. Nur mit künstlichen Mitteln konnte er noch einige Zeit am Leben erhalten werden; heute Nacht 11½ Uhr trat der Tod ein.

Im Laufe des Vormittags wurden zahlreiche prächtige Kranzspenden von Mitgliedern des k. Hauses im Trauerhause abgegeben, darunter auch ein mächtiger Kranz Sr.k. Hoheit des Prinz-Regenten. Prinz Leopold fand sich persönlich m der Wohnung des Verstorbenen ein, um der Witwe und den Hinterbliebenen sein Beileid auszusprechen. Um halb 12 Uhr erfolgte die Aussegnung der Leiche im Trauerhause durch die Geistlichkeit der St. Anna-Kirche und darauf mit großem Kondukt die Ueberführung der Leiche nach dem südlichen (alten) Friedhofe.

Münchner Neueste Nachrichten No. 25. Mittwoch, den 16. Januar 1907.

Münchner Neueste Nachrichten (16.1.1907)

Lokales.
München, 15. Januar.

Generalintendant a. D. Freiherr v. Perfall †. Im Trauerhause sind bereits heute Kranzspenden und Kondolenzen in Gestalt von Schreiben und Telegrammen von hier und von auswärts in überaus großer Zahl eingegangen. Es sandten u. a. Kränze die Herzogin von Modena, Prinz und Prinzessin Ludwig, die Prinzen Rupprecht, Karl, Leopold, Alfons, Ludwig Ferdinand, Herzog und Herzogin Karl Theodor, ferner gemeinsam die sämtlichen Generaladjutantcn sowie die obersten Hofchargen, die Gesandten, die Kreise der Hofgesellschaft und die Privatgesellschaft »Daburger«, in der der Verstorbene etwa dreißig Jahre verkehrte. Unter den eingegangenen Kondolenzen befindet sich ein Telegramm des Kaisers, das Nachmittags ½6 Uhr von Potsdam abging und lautet: »Se. Majestät der Kaiser und König lassen Ew. Exzellenz Allerhöchst ihr aufrichtiges Beileid aussprechen. Se. Majestät betrauern den Heimgang des Verewigten aufrichtig und haben den Gesandten Grafen Pourtalès mit Allerhöchst ihrer Vertretung bei der Beisetzung zu beauftragen geruht. Gez. v. Plessen, Generaladjutant.« Im Auftrag des Kaisers von Oesterreich traf aus Wien von heute Nachmittag datiert folgendes Telegramm ein: »Se. k. u. k. apostolische Majestät vernahmen mit aufrichtigstem Bedauern das Ableben Sr. Exzellenz des Herrn Generalintendanten Freiherrn v. Perfall, Ew. Hochwohlgeboren nun von Gott abberufenen Vaters, und geruhten, Herrn Baron Allerhöchst ihre innigste Teilnahme an dem Schmerz ob dieses Verlustes mit der Versicherung auszudrücken, daß Allerhöchstdieselben dem von Sr. Majestät sehr geschätzten Verblichenen stets eine ehrende Erinnerung bewahren wollen. Im allerhöchsten Auftrage: General der Kavallerie Graf Paar.« Unter den übrigen Telegrammen sind solche von dem bayerischen Gesandten in Berlin Grafen Lerchenfeld und vom Intendanten Hülsen, datiert von Frankfurt, welch' letzterer »tief erschüttert von dem Heimgange seines unvergeßlichen Gönners und Freundes« seine innigste Teilnahme den Hinterbliebenen ausdrückt. Von den Hofmarschallämtern sämtlicher Prinzen gingen Beileidsschreiben ein.

Münchner Neueste Nachrichten No. 26. Mittwoch, den 16. Januar 1907.

Rosenheimer Anzeiger (17.1.1907)

Karl von Perfall †.

Der ehemalige Generalintendant des Münchener Hoftheaters, Karl Freiherr von Perfall, ist gestorben. Er wurde 1824 in München geboren. Perfall widmete sich zuerst dem Staatsdienst, den er jedoch bald aufgab. Er ging zu seiner musikalischen Ausbildung an das Leipziger Konservatorium und widmete sich ganz der Komposition. Die erste Oper, die er schrieb, war »Sakuntala«, die zweite das »Konterfei«. 1854 gründete Perfall den Münchener Oratorienverein. 1864 wurde er königlicher Hofmusikintendant. Am 1. Januar 1872 erfolgte seine Ernennung zum Generalintendanten. Er verfasste dann noch die Opern »Raimondin«, »Melusine« (1881), »Junker Heinz« (1886). Außerdem schrieb er Festmusiken, die Märchen »Dornröschen«, »Undine« und »Rübezahl« sowie Chöre für Frauenstimmen.

1906 wurde Perfall in den Ruhestand versetzt. Der Prinz-Regent von Bayern verlieh ihm die Insignien des Hausritterordens von Heiligen Hubertus.

München. 15. Jan. (von Perfall †.) Die Beerdigung des heute nacht verstorbenen Generalintendanten Freiherrn v. Perfall findet am Donnerstag nachmittag 4 Uhr auf dem südlichen Friedhofe statt. In der heutigen Magistratssitzung widmete Bürgermeister Dr. v. Borscht dem Verstorbenen einen warmen Nachruf, in welchem er die Verdienste des Heimgegangenen um die Förderung des künstlerischen Rufes der Stadt München gedachte. Der Magistratsrat beschloß einstimmig, eine hervorragende Straße Perfall-Straße zu nennen, sich an der Beerdigung durch Deputationen der städtischen Kollegien zu beteiligen und an der Bahre einen Kranz niederzulegen.

Rosenheimer Anzeiger No. 14. Donnerstag, den 17. Januar 1907.

Münchner Neueste Nachrichten (17.1.1907)

Lokales.
München, 16. Januar.

Generalintendant Freiherr v. Perfall †. Se. k. Hoheit der Prinz-Regent ließ heute Vormittag einen prachtvollen Kranz an der Bahre des Verstorbenen niederlegen. Ueberaus groß ist die Zahl sonstiger Kranzspenden und der gestern und heute bei den Hinterbliebenen eingelaufenen Trauerkundgebungen, darunter von fast sämtlichen Hoftheatern, der Deutschen Bühnengenossenschaft, von zahlreichen Fürstlichkeiten u. s. w.

Generalintendant v. Possart sandte von Bern aus ein herzliches Beileidstelegramm.

Se. k. Hoh. der Prinz-Regent hat aus Berchtesgaden folgendes Handschreiben an die Witwe des Generalintendanten Frhrn. v. Perfall gerichtet:

»Meine liebe Frau Baronin v. Perfall! Als Ich erst vor wenigen Wochen dem Gesuche Ihres Gatten um Versetzung in den Ruhestand willfuhr, geschah dies mit dem aufrichtigen Wunsche, es möge dem verdienten Manne nach so vielen Jahren unermüdlichen Schaffens und hingebungsvoller Pflichterfüllung ein langer, glücklicher Lebensabend im Kreise seiner Familie beschieden sein. Die Vorsehung hat es anders gefügt. Heute schon betraure Ich mit Ihnen das Hinscheiden Ihres von Mir so hochgeschätzten Gemahls, dem seine treue Anhänglichkeit an Mich und das ganze königliche Haus und sein ersprießliches Wirken auf dem Gebiete theatralischer und musikalischer Kunst Meine stete dankbare Anerkennung gesichert haben. Von Herzen nehme Ich innigen Anteil an dem herben Schmerze, der Ihnen, liebe Frau Baronin, und allen Angehörigen der Familie auferlegt ist; möge die Gnade des Himmels Sie stärken, die schwere Prüfung zu ertragen, und möge die Versicherung, daß Ich dem Verblichenen ein ehrendes Gedenken bewahren werde, Ihnen einigen Trost gewähren in den Stunden bitterer Heimsuchung. Mit huldvollsten Gesinnungen verbleibe Ich Ihr wohlgeneigter
Luitpold, Prinz von Bayern.«

Generalintendant Freiherr v. Perfall war zweimal verheiratet; erstmals mit Fräulein Julie v. Reichert, die im Jahre 1874 verstorben ist, und zum zweiten Male mit einer Freiin v. Bethmann. Aus der ersten Ehe entstammen zwei Söhne — Generalmajor z.D. Freiherr Ludwig v. Perfall, der frühere Kommandeur der 1. Feld-Artillerie-Brigade, und Oberst Freiherr Emanuel v. Perfall, Hofmarschall des Prinzen Leopold — und zwei Töchter, Frau Professor Hierl-Deronco und eine Tochter, welche unverheiratet ist; die zweite Ehe war gesegnet mit einer Tochter, welche unverheiratet ist, und einem Sohne, Leutnant Freiherr Alexander v. Perfall des 8. Infanterie-Regiments. Eine Schwester des verstorbenen Generalintendanten lebt als Witwe im hohen Alter von 79 Jahren in München. Die Schriftsteller Karl und Anton Freiherren v. Perfall sind Neffen des Verstorbenen.

Von den Mitgliedern des Hoftheaters, welche beim Amtsantritte v. Perfalls am 25. November 1867 der Hofbuhne bereits angehörten, leben noch Frau Hofschauspielerin Marie Dahn-Hausmann, Frau Kammersängerin Vogl, Hofschauspielerin Fräulein Klara Weiß, Generalintendant v. Possart und die Hofschauspieler Rohde, Häusser und Tomschütz.

Münchner Neueste Nachrichten No. 27. Donnerstag, den 17. Januar 1907.

Allgemeine Zeitung (18.1.1907)

Feuilleton

Karl Freiherr von Perfall †.

Heute haben wir ihn begraben, unsern alten Intendanten. Begraben mit all den Ehren, die seinem Stande und Rang, aber noch mehr seiner Bekanntheit und Beliebtheit entsprachen. Nun mag es an der Zeit sein, sich dankbar ins Gedächtnis zurückzurufen, was er uns gewesen und was er für die Münchener Kunst seiner Tage bedeutete. Ins Gedächtnis zurückrufen — denn unsere schnellebige Zeit, für die Vorgänge des abgelaufenen Jahres oft schon in nebelhafte Ferne rücken, ist wenig dazu aufgelegt, sich zu erinnern, was vor zehn und mehr Jahren geschehen, und stünde sie hundertmal selbst auf dem Boden, den jene Zeiten erst geschaffen.

Nun sind es aber schon dreizehn Jahre her, daß Karl v. Perfall die Leitung der kgl. Theater niedergelegt hat und sich auf dem der Oeffentlichkeit minder ausgesetzten Posten des Generalintendanten der kgl. Hofmusik und des Ehrenpräsidenten der Akademie der Tonkunst zurückgezogen hatte. Der schöne Greis mit dem weißen Barte und jener zarten, rosigen Gesichtsfarbe, die man so häufig bei den Senioren des alten englischen Landadels findet — ein Zeichen kernigster Gesundheit — ließ sich noch bis vor wenig Wochen durch seinen treuen Diener in sein Bureau in der kgl. Residenz geleiten, ja er ließ sich über die zwei Treppen des Odeonsaales tragen, um den Konzerten der Musikalischen Akademie beizuwohnen, denn sein Geist war frisch und aufnahmsfähig für alles Gute und Schöne geblieben. Aber die Beine versagten ihren Dienst schon seit dem bösen Sturze, den er auf der Treppe seines Hauses getan. Konnte man sich den lieben, alten Herrn inaktiv, pensioniert, nicht für Musikinteressen tätig, denken? Nein, er konnte es selbst nicht. Vierzehn Tage, nachdem er selbst den Regenten gebeten, ihn von den letzten Funktionen zu entheben, legte er sich hin, um zu sterben.

Wir trauern um ihn, denn mit Karl Frhrn. v. Perfall ist die ehrwürdigste, erfahrenste und die liebenswerteste musikalische Autorität der Stadt und des Landes von uns geschieden. Seine Liebenswürdigkeit unterwarf sich alle Herzen; sie wurde gewissermatzen sein Verhängnis, denn er konnte von jeher schwer Nein sagen. Und doch, was für herrliche Tage haben wir unter seinem milden Theaterszepter erlebt! An anderer Stelle haben wir mit der Todesnachricht unseren Lesern die Daten aus Perfalls Künstlerleben mitgeteilt. Von Zahlen sei hier nicht mehr die Rede, aber allen, welche die letzten fünfundzwanzig Jahre in München erlebt und genossen, bleibt unvergänglich in Herz und Sinn gegraben eine unvergeßbare Glanzzeit der kgl. Hofbühne. Wohl war sie auch das Resultat einer glücklichen Komplikation günstiger Umstände, aber nicht minder auch das Verdienst des Intendanten, in dem sich der gutmütige und wohlwollende Mensch, der einsichtige Künstler und der vollendete Kavalier im seltenen Grade gegenseitig ergänzten und stützten. Karl v. Perfall war nichts weniger als ein adeliger Kunstdilettant, für den ihn nur absichtliche Verkennung und Mißwollen hätten ansehen können. Er war ein gründlicher, tüchtiger und geschmackvoller Musiker von ganz regelmäßiger ernster Schulung, und nur die Liebe zur Musik hat ihn von dem juristischen Schablonenwege abbringen können, für den er durch ein glänzendes Examen mehr als vorbereitet schien. Als Tonkünstler hat Perfall keine triviale Note geschrieben. Nie hat er seine Macht zugunsten seiner Sachen mißbraucht: seine Opern erschienen selten, als er an der Spitze des Theaters stand, sie erschienen gar nicht mehr, als er keine Hand rühren wollte, zu ihren Gunsten eine Pression auszuüben. Es sind Sachen darunter, die nicht vergessen werden sollten.

Aus der alten guten Hauptmannschen Schule war er hervorgegangen und somit war er kein Wagnerianer. Und doch ist Wagner an seiner Bühne so groß geworden, wie er heute dasteht. Unter ihm ist der Ruf der Münchener Oper als der damals ersten Wagner-Bühne entstanden und gewachsen. Aber er sorgte auch für das nötige Gleichgewicht im Repertoire: alles Neue, was gut war, war neben dem guten Alten willkommen. Perfall ließ andere arbeiten und folgte ihnen da, wo er nicht mitgehen konnte oder wollte, klug abwartend und beobachtend, und er arbeitete selbst. Wir hatten ein festes, ineinander eingespieltes Ensemble, in dem jeder einzelne ein ganzer Künstler war. Es gab damals noch keine Winterurlaube, kein Amerika, selten ein Gastspiel, und man brauchte keine Agenten. Die Zeit ist anders geworden, ebenso die Künstler und nicht zuletzt das Publikum.

Obwohl durch und durch Musiker, hatte Perfall Sinn und Verständnis auch für das Schauspiel. Musterspiele und Preisausschreiben sollten das deutsche Drama fördern. Mit und durch ihn und seinen getreuen Regisseur Savits kam die Shakespeare-Bühne zustande, die, heute noch mehr als damals umstritten, vielleicht erst in ferner Zeit und an anderem Orte ihren Ewigkeitskern entfalten wird. Man ging damals noch ebensogern ins Schauspiel wie in die Oper, die ihre ältere Schwester noch nicht an die Wand gedrückt hatte, und jede Premiere im Residenztheater war ein Fest vornehmster Kritik. Ja die Kritik! Sie hatte auch an Perfall manches auszusetzen, und auch an dieser Stelle hat es daran nicht gefehlt. Aber es war, ich möchte sagen, ein Genuß, Perfall und sein Werk zu kritisieren. In den Schauspiel- und Opernproben, zu denen Perfall damals die maßgebende Kritik lud, lernte man ihn und seine Leute, vor allem aber das Werk, das man vor sich hatte, verstehen. Man lernte und wurde unwillkürlich milder, weil man eben die Schwierigkeiten besser verstand. Darum ist uns ja eben das französische Theater so unendlich überlegen, weil dort die Fühlung zwischen dem schaffenden Theaterdichter und der Kritik auf der einen, und dem Theater auf der anderen Seite eine ungleich engere ist.

Am 19. Dezember 1892 hatte Baron und Baronin Perfall im Hotel Continental zur Feier des 25jährigen Jubiläums des Intendanten über hundert Gästen der Theater- und sonstigen Gesellschaft ein Souper gegeben. Wenige Tage darauf mußte er sein Amt seinem Schauspieldirektor Possart überlassen. Es war ein schwerer Tag, den Perfall aber wie ein echter Grandseigneur überstand. Er ging nicht klein aus dieser Lebenskrise hervor, er blieb aufrecht und hat später zum Lohne noch manche Genugtuung erlebt. Eine Zeitlang blieb noch die Akademie der Tonkunst, die unter ihm als einfache kgl. Musikschule größer und bedeutender gewesen als später unter dem stolzeren Titel, sein Sorgenkind. Als Generalintendant der kgl. Hofmusik stand er noch an der Spitze des Hoforchesters und der Hofkapelle, aber es war eine halbe Sache, und es ist gut, daß die beiden Kompetenzen der Hofbühne und des Hoforchesters wieder unter einer Hand vereinigt sind. In einem durch seine Gewissenhaftigkeit und die dokumentarischen Belege sehr wertvollen Buche »Ein Beitrag zur Geschichte der königlichen Theater in München (25. November 1867 bis 25. November 1892)«, dem nur leider ein Register zu seiner vollen Brauchbarkeit abgeht, hat der Jubilar die Summe seiner reichen Tätigkeit gezogen. Es bildet eine bleibende Ergänzung zur Grandaurschen Chronik unserer Hofbühne.

Die letzten Ehren wurden auf den prächtigen aufrechten Greis zu seinem 80. Geburtstag im Januar 1904 und bei seiner Pensionierung gehäuft. Den 83. Geburtstag sollte er nicht mehr erleben. An der Spitze der damals ihm Huldigenden stand sein Nachfolger, Intendant v. Possart, der den früheren Chef, durch den er manche Förderung erfahren, in einer längeren Rede feierte. Die Rede klang in Versen aus, in denen Thalia und Euterpe dem Jubilar huldigen. Nimmt auch ein Dichter bei solchen Gelegenheiten den Mund immer etwas voll, die Schlußstrophen dürfte er auch heute im bitteren Ernst als wehmütigen Scheidegruß aufs frische Grab legen:

Denn beiden Künsten hat er reich gegeben,
Vieltausend Herzen hochbeglückt gemacht,
Drum krönend heut' sein tatenfrohes Leben
Sei neidlos ihm der Musen Dank gebracht.

Und segenspendend, wie sie stets erschienen,
Ergreifen sie den Lorbeer frisch belaubt,
drücken treuvereint mit holden Mienen,
Den Kranz des Ruhmes auf des Meisters Haupt.

Alfred Frhr. v. Mensi.

*

Ueber Perfall und Ludwig II. finden wir im Berliner Tageblatt eine Anekdote, die an sich ziemlich unwahrscheinlich klingt, aber dann wenigstens den Vorzug hat, gut erfunden zu sein. In die Jahre der Hauptwirksamkeit des verstorbenen Münchener Generalintendanten fiel bekanntlich auch die Wagner-Epoche Münchens. Frhr. v. Perfall brachte trotz seiner ganz anders gearteten musikalischen Richtung nicht nur die Hauptwerke Wagners auf die Hofbühne, sondern leitete auch die Sondervorstellungen, die der König so liebte, so zum Beispiel die des ungekürzten »Don Carlos«. Als aber der König den Wunsch zu erkennen gab, daß sein Generalintendant ihm den »Parsifal« in einer Sondervorstellung vorspielen lasse, soll folgendes kleine Intermezzo stattgefunden haben: Perfall wollte an diese Vorstellung aus allerhand sachlichen Gründen nicht gleich heran. Der König, der sonst keinen Widerspruch vertragen konnte, war gerade in bester Laune und verstand es, seinen Intendanten durch einen etymologischen Scherz, der ihm gerade einfiel, sofort umzustimmen. »Sie wissen, lieber Perfall,« sagte er, »daß der reine Tor in dem Weihespiel Wagners manchmal auch Persifal geschrieben wird — nun betrachten Sie einmal Ihren Namen! Wenn ich »Sie« dazu nehme, wird aus einem »Perfall« sofort ein »Persifal« — wollen Sie sich nun noch länger sträuben?« Lachend versetzte der Intendant, daß er sich selbstverständlich seiner Schicksalsbestimmung füge!

Allgemeine Zeitung Nr. 29. München; Freitag, den 18. Januar 1907.

Münchner Neueste Nachrichten (18.1.1907)

Lokales.
München, 17. Januar.

Die Beerdigung des General-Intendanten Freiherrn v. Perfall †.

Die hohe Verehrung und Wertschätzung, die der Verstorbene genoß, kam bei der heute Nachmittag im südlichen Friedhofe erfolgten Beerdigung in geradezu überwältigender Weise zum Ausdrucke. Schon eine halbe Stunde vor der festgesetzten Zeit hatte sich die Aussegnungshalle zum Teil gefüllt, und schließlich war die Aussegnungshalle, das ganze Rondell vor dieser und ein großer Teil der sich anschließenden Arkaden dicht bestanden von Leidtragenden. Als Vertreter Sr. k. Hoheit des Prinz-Regenten war Obersthofmeister Graf zu Castell, als Vertreter des Deutschen Kaisers der Militärattache der preußischen Gesandtschaft Hauptmann Freiherr v. Salmuth erschienen. Prinz Leopold hatte sich persönlich eingefunden. Sämtliche Prinzen des k. Hauses hatten ihre persönlichen Adjutanten entsendet, Erzherzog Joseph August von Oesterreich den Grafen Batthyany. Anwesend waren auch der sächsische Gesandte Freiherr v. Friesen, der badische Gesandte Freiherr v. Bodman und der Gesandte von Oesterreich-Ungarn Dr. Vilcs v. Lászlófalva. Ferner waren zugegen die obersten Hofchargen in Uniform: Obersthofmarschall Graf Seinsheim, Oberststallmeister Graf Wokffskeel, Oberstzeremonienmeister Graf Moy Und General-Intendant Freiherr v. Speidel; die Minister Graf Feilitzsch, von Miltner und v. Pfaff, als Vertreter des Ministeriums des k. Hauses und des Aeußern Staatsrat v. Bever, in Vertretung des Kultusministeriums Staatsrat Dr. v. Bumm, die Reichsräte Freiherr v. Soden-Fraunhofen, Freiherr v. Gumppenberg, v. Thelemann u. a., viele Mitglieder des hohen Adels, darunter der Familien v. Oettingen-Spielberg, Oettingen-Wallerstein und Schönborn, der Generalkapitän der Hartschiere General Graf Verri della Bosia, der Chef des Generalstabs Generalleutnant v. Endres, die Generale v. Schuh, Graf Tauffkirchen, Freiherr v. Speidel u. a., der Intendant des Stuttgarter Hoftheaters Freiherr v. Putlitz, der frühere General-Intendant von Weimar Freiherr v. Bronsart-Schellendorf; Generalmusikdirektor Mottl, die Hofkapellmeister Fischer, Rüber und Professor Becht mit dem gesamten Hoforchester, das Opernpersonal, die meisten Hofschauspieler, die Beamten der Hofmusik- und Hoftheater-Intendanz, der Polizeidirektor Freiherr von der Heydte, eine Deputation der städtischen Kollegien mit den beiden Bürgermeistern Dr. v. Borscht und Dr. v. Brunner und dem 1. Vorstande des Kollegiums der Gemeindebevollmächtigten Schwarz, die Professoren der Akademie der Tonkunst, Mitglieder aller hiesigen Theater, Offiziere aller Waffengattungen in großer Zahl, darunter Deputationen der Offizierskorps des 8. Infanterie-m 1. Schweren-Reieter- und 1. und 7. Feldartillerie-Regiments, zahlreiche Künstler mit Abordnungen der Münchner Künstlergenossenschaft, der Sezession, der »Allotria« und der Geselligen Vereinigung Münchner Künstler, der Akademische Gesangverein, Deputationen des Münchner Journalisten- und Schriftsteller-Vereins, der Bürgersängerzunft München und einer großen Menge anderer Vereine u. s. w.

Der Trauerakt wurde in feierlicher Weise eingeleitet durch den Grabgesang »Ruhe sanft in Frieden!«, vorgetragen vom Hoftheater-Singchor. Hierauf bewegte sich der außerordentlich lange Trauerzug nach dem Campo santo zum Grabe. An der Spitze schritten Mitglieder des technischen Personales des Hoftheaters mit Flambeaus; ihnen reihte sich eine stattliche Kolonne von Kranzträgern an. Vor dem Sarge, den Mitglieder des Sterbevereins des Hoftheaters trugen und Hoflakaien mit Flambeaus begleiteten, schritt ein Diener voraus, der die vielen hohen Orden des Verstorbenen auf einem schwarzen Samtkissen trug. Hinter dem Sarge schritten als nächste Leidtragende die drei Söhne des Verstorbenen, Generalmajor z. D. Ludwig Freiherr v. Perfall, Oberst Emanuel Freiherr v. Perfall und Leutnant Alexander Freiherr v. Perfall, der Schwiegersohn Kunstmaler Professor Hierl-Deronco, die Neffen, unter diesen Generalmajor Freiherr v. Keßling, und die übrigen Verwandten. Ihnen folgten die Vertreter des Prinz-Regenten und des Deutschen Kaisers, Prinz Leopold, die Abgesandten der Prinzen des k. Hauses und die kolossale Menge der anderen Trauergäste.

Ueber dem Grabe erhob sich eine mehrere Meter hohe, etwa 20 Meter breite Wand, gebildet aus Gruppen von Palmen, Lorbeer und anderen Zierpflanzen und behangen mit prachtvollen Kränzen. Aus diesen ragten hervor die Blumenspende Sr. k. Hoheit des Prinz-Regenten, ein Lorbeergewinde mit Rosen und Camelien und Schleifen in den Landesfarben, bedruckt mit Krone und Initial in Gold, die Kränze und Blumenspenden der Mitglieder des k. Hauses, von Fürst und Fürstin Oettingen-Spielberg, Graf Arco, Graf und Gräfin Crenneville, den obersten Hofchargen, Lola v. Lenbach, Klara Ziegler, Mary Levi, Hermine Bland, Hofkapellmeister Fischer, den Gemeindekollegien Münchens, den Offizierkorps des 8. Infanterie-, 1. Schweren-Reiter-, 1. und 7. Feldartillerte-Regiments, der Gesellschaft »Daburger« Aufsichtsrat und Direktion der Bayerischen Handelsbank, von der Heimat Greifenberg, dem Armenballkomitee, dem Verein bildender Künstler München(Sezession), dem Gouvernement Metz, dem St. Cäcilien-Verein. Es können wohl ein halbes Tausend Kränze gewesen sein, die am Aufbau und an dessen Saum niedergelegt waren; alle aufzuzählen gestattet der Raum nicht.

Der kirchliche Offiziator Stadtpfarrer P. Remigius Stadler gab in der Gedächtnisrede, dem Willen des Verstorbenen entsprechend, nur ein gedrängtes Lebensbild mit besonderer Hervorhebung der Pflichttreue. Nach dem rituellen Akte trat der Vertreter des Deutschen Kaisers an das Grab, um im Namen Sr. Majestät stillschweigend einen Kranz niederzulegen, ein riesiges Lorbeergewinde mit Palmen und Maiglöckchen, versehen mit Schleifen, denen die Kaiserkrone mit Initial aufgedruckt war. Hierauf widmeten, zum Teil unter hochehrenden Nachrufen, Kränze: General-Intendant Frhr. v. Speidel namens der Hofmusik- und der Hoftheater-Intendanz, Generalmusikdirektor Mottl im Namen des dankbaren Hoforchesters, Direktor Professor Bußmeyer für die Akademie der Tonkunst, Hofkapellmeister Fischer namens der Musikalischen Akademie und 1. Konzertmeister Ahner für die Gesellige Vereinigung des Hoforchesters, Hoftheater-Intendant Frhr. v. Putlitz im Namen der Stuttgarter Hofbühne sowie des Deutschen Bühnenvereins, dessen Präsident, General-Intendant v. Hülsen, die Absicht, am Beerdigungsakte persönlich teilzunehmen, wegen Krankheit aufgeben mußte. Ferner Professor Weltrich namens der Schiller-Stiftung München, Professor v. Petersen für die Münchner Künstler-Genossenschaft, Professor Gabriel v. Seidl im Namen der Künstlergesellschaft »Allotria«, für die Bürger-Sängerzunft München, der Frhr. v. Perfall als Meistersinger seit Jahren angehörte, der 1. Vorstand Neuner; für den Münchner Journalisten- und Schriftsteller-Verein der Wirkl. Rat Leher, Professor v. Kramer für die gesellige Vereinigung Münchner Künstler, Schauspieler Raabe in Vertretung der Direktion der Vereinigten Theater und für den Wiener Männersesangverein der Vorstand des Münchner Männergesangvereins. Außerdem ließen noch Kränze niederlegen die Musikschule Würzburg, die Internationale Mozart-Gemeinde, der Freundeskreis der Zwanglosen, der Akademische Gesangverein München, das technische Hoftheaterpersonal, die Münchner Liedertafel und der Männergesangverein »Neu-Bavaria«. Die oben angeführten Korporationen zählten den Hingeschiedenen fast ausnahmslos zu ihrem Ehrenmitgliede.

Münchner Neueste Nachrichten No. 30. Freitag, den 18. Januar 1907.

Münchner Neueste Nachrichten (19.1.1907)

Lokales.
München, 18. Januar.

Trauergottesdienst für Generalintendanten Frhrn. v. Perfall. In der St. Annakirche fand heute Vormittag ll Uhr der feierliche Trauergottesdienst für den Generalintendanten Frhrn. v. Perfall statt, dem außer den Hinterbliebenen noch Frau Prinzessin Leopold und zahlreiche Damen und Herren der Hofgesellschaft und sonstige Trauergäste beiwohnten. Im Presbyterium der Kirche war ein von zahlreichen Lichtern und einem prächtigen Pflanzen-Arrangement umgebener Katafalk errichtet, zu dessen Seiten Hoflakaien standen. Während des Trauergottesdienstes trugen die Vokalkapelle und das Hoforchester das Requiem von Ett in c-moll vor, das Hofkapellmeister Becht dirigierte.

Münchner Neueste Nachrichten No. 31. Samstag, den 19. Januar 1907.

Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München (1983)

Perfall Karl Theodor Emanuel, von, Freiherr, 1824 (München) – 1907, Komponist und Generalintendant der bayerischen Hoftheater; aus altfreiherrlichem Hause stammend; studierte P. in seiner Vaterstadt Rechte, dann in Leipzig Musik, wurde Dirigent der Münchner Liedertafel, gründete 1854 hier den Oratorienverein, rückte 1864 zum Intendanten der Hofmusik und 1867 zum Direktor der Königlichen Musikschule (späteren Akademie der Tonkunst) auf; gleichzeitig übernahm er die Intendanz der Hoftheater, seit 1872 Generalintendant und Exzellenz; seine Ämter behielt P. bis 1893 bei und machte so die ganze musikalische Entwicklung in München von R. Wagners Aufstieg an, den er freilich bekämpfte, führend mit; er komponierte Lieder, Märchenspiele, Chöre und Opern (Sakuntala, Das Konterfei, Raimondin = Melusine und Junker Heinz) und lieferte theaterhistorische Schriften (Fünfundzwanzig Jahre Münchner Hoftheater-Geschichte, Ein Beitrag zur Geschichte des kgl. Theaters in München, Die Entwicklung der modernen Theater).

© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.



© Reiner Kaltenegger · Gräber des Alten Südfriedhofs München · 2007-2025


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