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32 – 1 – 21 (Seydel)

Ω

hier ruht
der k. b. o. Professor der Rechte
Geheimrath
DR. MAX VON SEYDEL.
geb. zu Germersheim
den 7. Sept. 1846
gest. zu München
den 23. April 1901.
JOHANNA VON SEYDEL
GEB. ZOELLER
geb. zu Frankenthal
den 7. Febr. 1865
gest. zu München
den 29. Aug. 1917.

Ω

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Dr. jur. Max von Seydel

Max Schlierbach (ps)
* 7.9.1846 (Germersheim/Rheinland Pfalz)
† 23.4.1901 (München)
Dichter und Jurist

Rosenheimer Anzeiger (26.4.1901)

Professor Max v. Seydel †.

Fy. München, 25. April.

Seine k. Hoheit der Prinz-Regent hat an die Wittwe des Universitätsprofessors Dr. von Seydel nachstehendes Handschreiben gerichtet:

Frau Geheimrath von Seydel!

Das Hinscheiden Ihres Gatten, des ordentlichen Universitätsprofessors, Geheimen Raths Dr. Max von Seydel, erfüllt Mich mit tiefem Schmerze. Ich hatte Mich der Hoffnung hingegeben, daß es dem hervorragenden Lehrer und Gelehrten beschieden sein werde, wieder auf der Lehrkanzel zu erscheinen, auf der er seit vielen Jahren so segensreich wirkte. Mit seinem Heimgange verlor die Universität München eine ihrer glänzendsten Zierden, die deutsche Wissenschaft einen ihrer ersten Vertreter, das bayerische Land einen seiner besten Söhne, und ist einem wissenschaftlichen Schaffen ein Ziel gesetzt, von dem noch die schönsten Früchte zu erwarten gewesen wären. Unter dem Eindrucke dieses schweren Verlustes stehend, kann Ich Mir nicht versagen, Ihnen, Geehrte Frau, Meine aufrichtige Theilnahme und Mein herzliches Beileid, sowie die Versicherung zum Ausdrucke zu bringen, daß Ich dem hochverdienten Gelehrten stets ein dankbares Andenken bewahren werde.

Mit huldvollen Gesinnungen
Ihr wohlgeneigter
gez. Luitpold.

Heute Morgen ließ der Prinz-Regent der Wittwe des Geheimraths v. Seydel einen prachtvollen Kranz übersenden.

Rosenheimer Anzeiger No. 95. Tagblatt für Stadt und Land. Freitag, den 26. April 1901.

Münchner Neueste Nachrichten (30.4.1901)

Nachruf
an meinen lieben Freund und Schüler
Max von Seydel.

Auch Du dahin! — Die Edelsten, sie sterben
Und wen'ge seh' ich ebenbürt'ger Erben.

Breslau, 28. April 1901. Felix Dahn.

Münchner Neueste Nachrichten No. 201. Dienstag, den 30. April 1901.

Münchner Neueste Nachrichten (1.5.1901)

Max von Seydel †.
Von Dr. Ritter von Renauld, Oberst a. D.

Ob man mir einst den müden Leib begräbt,
Schon heute fühl ich's froh: ich hab' gelebt.

Mit diesen Versen schließt der Verblichene sein Gedicht »Segen«, eines von jenen herrlichen, seiner Hanna gewidmeten Kindern der Muse.

Ja, Du hast gelebt! Und welch' ein Leben!

Unendlich klein und unscheinbar dünk' ich mich dagegen. Und ich soll's wagen, Dir ein Schwanenlied zu singen? Vermessenes Beginnen! Und dennoch, liebevoll hat man mir's anvertraut.

So sei's, ich folg' dem Ruf', so gut ich kann, ein Schelm gibt mehr, als er vermag. Nur ein's erfleh' ich. Erlasset mir, dem Helden in's Reich der Wissenschaft zu folgen, das übersteigt die Kraft, die mich beseelt.

Ich will den Menschen zu erfassen suchen, wie ich ihn kannte, als Lehrer und als Freund. Mein Leitstern sei dabei die Wahrheit ganz allein, getreu dem Ideal, das ihn durchglühte!

Seydels Lebensgang zerfällt zunächst in zwei große Abschnitte, nämlich die Zeit bis zur Berufung als Professor der Rechte an die hiesige Universität, und sein Wirken von da bis zum Lebensende.

Geboren am 7. September 1846 zu Germersheim als der Sohn des damaligen Majors und Festungsbaudirektors — späteren Generalmajors und Kommandanten der Festung Germersheim — Wilhelm Seydel. Nach Ablegung der erforderlichen Studien in Würzburg und München absolvirte er 1867 die Universität Würzburg, woselbst er sich auch die Doktorwürde erwarb, und bestand 1871 den juristischen Staatskonkurs glänzend mit Note I, worauf er in das Kultusministerium als Hilfsarbeiter berufen wurde. Dortselbst rückte er 1874 zum Bezirksamtsassessor vor. Als an der Kriegsakademie das Staatsrecht in das Programm der Vorlesungen einbezogen wurde, fungirte er als dessen erster Lehrer mit bestem Erfolge. (Ein Theil seiner Schüler ist heute noch in den höchsten militärischen Stellungen.) 1878 zum Regierungsassessor bei der Regierung von Oberbayern befördert, erregte er durch ein scharfsinniges Gutachten zum Wuchergesetz die Aufmerksamdkcit des damaligen Ministers v. Pfeufer, der ihn 1879 in das Ministerium des Innern als Vorstand des statistischen Bureaus berief. Dortselbst rückte er 1881 zum Regierungsrath vor. Im gleichen Jahre erhielt er — 34 Jahre alt — die durch den Tod des Professors Dr. v. Pözl erledigte Professur für Staatsrecht an der Universität München.

Während dieser ganzen Zeit hatte Seydel bereits eine umfassende literarische Thätigkeit entfaltet. Seine erste größere Schrift, »Der Bundesstaatsbegriff«, erschien 1872 in der Zeitschrift für Staatswissenschaften.

Diese Abhandlung hat gewissermaßen die Frage über die rechtliche Natur des Deutschen Reiches wissenschaftlich aufgerollt. Sie wurde seitdem vielfach, und theilweise sehr leidenschaftlich behandelt. Eine allseitig acceptirte Lösung ist meines Wissens zur Zeit noch nicht gefunden. Zum Glück — so bemerkte Seydel des Oefteren — hat die Sache für den Bestand des Reiches keinen entscheidenden praktischen Werth, und ist schließlich auf einen Streit um Worte reduzirt worden.

1873 gab er die erste Auflage seines Kommentars zur Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich, dann die »Grundzüge der allgemeinen Staatslehre« heraus; die zweiten Auflagen folgten 1897.

Ihnen schloß sich an eine Reihe von Abhandlungen in den Annalen des Deutschen Reiches, sowie im Jahrbuch von v. Holtzendorff (jetzt Schmoller) über Gewerbepolizeirecht, Freizügigkeit, über den Reichstag, Bundesrath u. s. w.

1881 trat er in die Redaktion der Annalen des Deutschen Reiches ein. Sehr charakteristisch ist das Vorwort Seydels zum Jahrgang 1881 der Annalen, auf das ich ausdrücklich verweisen möchte. Mit der Berufung zur Universität beginnt der zweite große Lebensabschnitt.

In der kurzen Zeit von einem halben Jahre fertigte er seine Skripten und eröffnete bereits im Herbst 1881 seine Vorlesungen. Und trotzdem war es ihm zugleich möglich, sein epochemachendes Werk des großen bayerischen Staatsrechtes zu beginnen. Der erste Band erschien 1884, der letzte (6.) im Jahre 1893. In neun Jahren gelangte das gewaltige Werk zum Abschluß. Im Jahre 1896 erfolgte bereits die zweite Auflage. Sein gewaltiges Schaffen wurde durch Verleihung des Verdienstordens der bayerischen Krone allerhöchst anerkannt, nachdem schon früher der Verdienstorden vom hl. Michael vierter Klasse seine Brust geziert hatte. An sonstigen äußeren Ehren sind im Laufe der Zeit zu nennen die Verleihung des Titels eines kgl. Geheimrathes im Jahre 1898, dann in jüngster Zeit die Verleihung des fürstlich Lippe'schen Hausordens, endlich die Promovirung zum Doktor der Rechte honoris causa seitens der Universität Czernowitz. Neben seinen großen Werken förderte die unerschöpfliche Arbeitskraft des Verstorbenen eine Reihe kleinerer Arbeiten in der »Allgemeinen Zeitung« über das Budgetrecht u. s.w., dann in den Blättern für administrative Praxis und in der kritischen Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, dann besondere Rechtsgutachten u. s. w., zu Tage. Hervorzuheben ist seine Broschüre von 1886, »Das Recht der Regentschaft in Bayern«. Nicht zu vergessen sind »Das Staatsrecht des Königreichs Bayern« (sogenannter kleiner Seydel), in zwei Auflagen, dann die Grundrisse zu Vorlesungen über das bayerische Verfassungs- und Verwaltungsrecht und über deutsches Reichsstaatsrecht.

Und dennoch blseb ihm die Muße für eine umfassende und fruchtbare Thätigkeit auf schöngeistigem Gebiet. Seine zahlreichen herrlichen Gedichte, die 1872 und 1880 in erster, 1900 in zweiter, vermehrter Auflage in zwei Bänden erschienen, sind auch in diesem Blatt zu wiederholten Malen nach ihrem poetischen Werth und rein menschlichen Gehalt eingehend gewürdigt worden.

Wir wünschen von Herzen — so schließt Dahn seine Abhanolung —, daß diese schönen, edlen, gedankenreichen Lieder hell durch alles Land klingen mögen!

Eine, auch von philologischer Seite anerkannte, Meisterleistung ist seine 1881 veröffentlichte Uebersetzung des Lucretius, desjenigen antiken Dichters, der ihm wegen seines unbestechlichen Triebes nach Erforschung der Wahrheit besonders wahlverwandt und sympathisch war.

Endlich erfreute sich Seydel als Mitarbeiter der »Jugend« und der »Münchner Neuesten Nachrichten« eines hohen Rufes.

Zu alledem fand er noch Zeit für die Pflege der schönen Künste. Namentlich liebte er die Musik — er selbst war gediegener Klavierspieler —, Theater und Konzerte, bis ihn die Verschlimmerung eines chronischen, der Jugendzeit entstammenden Ohrenleidens zum Verzicht auf diese Genüsse zwang. Er war einer von Jenen, welche die Bedeutung Richard Wagners bald erkannten. Auch für Malerei und Architektur hatte er ein feines Verständniß.

Ein großer Freund der Bergwelt, überraschte er durch seine Leistungen im Bergbesteigen. Nicht minder groß war seine Reiselust, namentlich nach Italien. Dorthin zog es ihn immer wieder, lieferte es doch so reichen Stoff seiner Dichtermuse. Ueberallhin begleiteten ihn die alten Klassiker, aus denen er bis an sein Lebensende schöpfte.

Das größte Ereigniß in seinen persönlichen Verhältnissen ist die Vermählung mit seiner edlen Hanna — Tochter des Medizinalrathes und Direktors der Kreiskrankenanstalt Zoeller zu Frankenthal in der Pfalz — im Jahre 1883. Die Knüpfung des zarten Ehebundes bildete einen der schönsten Abschnitte in Seydels Leben. Zeugniß davon geben die reizenden poetischen Ergüsse an Hanna, sie athmen des reinsten Glückes.

Doch nicht zu lange war ihm die Freude seines irdischen Paradieses beschieden; im Hintergrund lauerte das tückische Verhängniß.

Im Jahre 1893 zeigten sich die Vorboten des künftigen Leidens in starker Unpäßlichkeit beim Universitätsexamen. Am 19. April 1894 erfolgte der erste Schlaganfall, den die Aerzte auf sein chronisches Ohrenleiden zurückführten. Nach relativ guter Erholung wechselte sein Zustand in den nächsten Jahren zwischen Wohlbefinden und Unbehagen. Eine allgemeine Verschlimmerung des Leidens 1897 führte zu einer Ohrenoperation in Wien, die glücklich verlief und die den Verblichenen Anfang 1898 seiner Lehrthätigkeit im vollsten Maße zurückgab.

Doch schon Anfang März 1899 traf Seydel der zweite Schlaganfall, begleitet von Lähmungserscheinungen in den unteren Extremitäten und Störungen der Nierenfunktion. Die ärztliche Diagnose stellte ein schweres Herzleiden mit beginnender Verkalkung der Arterien fest. Von da ab ging das Verhängniß seinen unerbittlichen Gang. Ende Oktober 1900 war es das letzte Mal, daß er gehend sein Heim verlassen konnte. Dann wurde das Gehen immer schwieriger, die Lähmung intensiver, bis endlich nur mehr der Rollstuhl das Verbringen an die frische Luft ermöglichte, während im Uebrigen mehr und mehr das Bett die dauernde Ruhestätte bildete. Am 23. April 1901 machte plötzlich ein starker Bluterguß in's Gehirn, durch hochgradige Arterienverkalkung veranlaßt, den schweren Leiden ein — immerhin unvermutetes — Ende!

Der Sektionsbefund ergab eine großartige Herzerweiterung — das Herz war 800 Gramm, also fast dreimal so schwer, als es normal sein sollte —, sowie chronische Nierenentzündung mit Nierenschwund.

Ich selbst bin Seydel in seinen Vorlesungen über bayerisches Staatsrecht Anfang 1898 näher getreten. Im kommenden Sommersemester hörte ich bei ihm die Vorlesung über deutsches Reichsstaatsrecht.

Die vorangegangene schwere Operation u. s. w. war naturgemäß nicht ohne Einfluß auf Seydels Lehrtätigkeit geblieben.

Daß sie ihn anstrengte, war unverkennbar. Aber nichtsdestoweniger zeigten die Vorlesungen den durchdringenden klaren Verstand. Wenn er sich ganz wohl zu fühlen schien, begleitete seine Ausführungen ein feiner Witz, eine gründliche Argumentirung zur Widerlegung seiner wissenschaftlichen Gegner, die aber nie in persönliche, verletzende Bemerkungen ausklang. Hohen Genuß bereiteten mir die Spaziergänge mit ihm im Englischen Garten. Sie waren freilich erschwert durch die steigende Gehörabnahme. Indeß, wir verstanden uns doch voll und ganz. Der feinsinnige und vom großen Weltgetriebe allmälig sich abwendende Gelehrte empfand doch wieder das Bedürfniß zur Geselligkeit. So erschlossen sich unsere Herzen gegenseitig und ich verdanke mit Anderen Seydel viele geistige Anregung in schwerer Zeit.

Der eigenartige Zauber, der von großen Männern auf den wissensdurstigen Schüler überströmt, verfehlte auch bei mir seinen mächtigen Eindruck nicht. So fühlte ich mich immer wieder zu ihm hingezogen und er vergalt es mir durch eine edle, treue Freundschaft. Und als er im Laufe der Zeit immer mehr nach mir verlangte, da zudem, wie er oft bemerkte, er mich so gut verstände, da war es mir eine wonnige Empfindung, ihm für kurze Zeit den Trübsinn aus den treuen Augen zu verscheuchen. Man hat es oft getadelt, daß Seydel in den letzten Zeiten in seinen schriftstellerischen Aeußerungen allzu scharf geworden sei. Gewiß ist dies bis zu einem gewissen Grade richtig, doch wer seine Leiden kannte, weiß, daß viel davon auf diese zurückzuführen ist. Denn an sich war Seydel persönlich durchaus nicht aggressiv, namentlich wenn er den Gegner als Gentleman erkannte. Er legte überhaupt das größte Gewicht darauf, den Menschen zuerst vom Standpunkt des Gentleman zu beurtheilen.

Wurde er angegriffen, dann vertheidigte er sich mit aller Schärft der Logik und des Verstandes. Vergessen darf dabei nicht werden, daß die Angriffe durchaus nicht immer rein objektiv geführt wurden. So konnte es leicht kommen, daß auch die Vertheidigung ab und zu den beabsichtigten Rahmen überstieg. Man hat ferner Seydel vorgeworfen, daß er politisch zu sehr Partikularist sei. Wenn man darunter versteht, daß Seydel jedem Bundesstaate im Deutschen Reiche — und sei er noch so klein — seine Rechte voll und ganz gewahrt wissen wollte, so hat man Recht. Im Uebrigen aber war Seydel sowohl der trefflichste Bayer als ein begeisterter Anhänger des föderativen Deutschen Reiches. Besonders mit dem heimgegangenen Reichskanzler Bismarck fühlte er sich in dieser Richtung durchaus eins.

Und nun seine treue Hanna!

Man muß es mit angesehen haben, welche Seelengröße diese hehre Frau in der großen Passionszeit bewiesen hat. Bedrückte doch außer dem schweren Leiden ihres Gatten auch die Krankheit und der erst vor wenigen Monaten erfolgte Tod des geliebten Vaters ihr Herz und Gemüth. Und dennoch, wie wußte sie die heiterste Ruhe vor ihrem Gatten zu zeigen, ihn zu trösten und aufzufrischen, zu heben, zu pflegen und ihm neuen Muth einzuflößen. Wie wunderbar ist doch der Einfluß einer zarten geliebten Frauenhand auf den unbehilflichen, verstimmten Kranken, wenn es z. B. gilt, seine körperliche Lage zu verbessern oder Schmerz von ihm abzuwenden. Wie ungeschickt stellt sich die rauhe ungeschickte Männerhand trotz allen Vortheils der Kraft.

So litt die edle Hanna, so kämpfte sie als Heldin bis zum Ende des Getreuen! Das sei Dir, erhabene Frau, der erste Trost in diesem herbsten Weh. Du hast in treuester Pflichterfüllung Uebermenschliches geduldet und geleistet. Ein weiterer Trost sei Dir das Bewußtsein, daß der große Todte neben Dir durch sein Wirken und Schaffen auch dem Vaterlande, ja Allen angehört. Den Samen, den er gesät, er wird herrliche Früchte tragen in der Nachwelt! So ist er einer der Unsterblichen geworden, ein Loos, das nur Wenigen zutheil wird. Auch Du, edle Frau, die Mutter des gewaltigen Geistesheros, die Du in unsagbarem Schmerze dem verklärten Sohne in's dunkle Grab nachzublicken vom Schicksal bestimmt warst, mögest Dich aufrichten und laben an der Unsterblichkeit Deines Sohnes. Nicht die Länge des Lebens bestimmt das Verdienst, sondern dessen Inhalt! Wie reich ist er hier, wie rein und erhaben!

Und Euch, akademische Jünger, rufe ich zu: Ehret den großen Tobten durch Nachahmung seines Vorbildes. Euch möchte ich für den Lebensweg noch besonders sein Lied vor Augen halten, das seine Lebensauffassung und namentlich seinen edlen, zarten Sinn unvergleichlich zum Ausdruck bringt. Es heißt:

Heiligthümer.

Willst als Gerechter
Durch's Leben Du wandeln.
Dann sei Dir heilig Dreierlei.

Heilig der Glaube!
Wo im "Herzen des Menschen
Er die friedliche Wohnstatt fand
Da verscheuch' ihn nicht,
Den Ruhespender,
Und wandle segnend Deine Straße.

Heilig sei Dir das Weib!
Den keuschen Schleier,
Der es verhüllt,
Zerreiß' ihn nicht
Mit frevelnder Gier!
Das flehende Auge
Der Schwachen scheuche
Zurück den Starken.

Heilig sei Dir der Tod!
Wenn auf die bleichen Lippen
Den Kuß des Friedens
Gedrückt ein Genius,
Den soll die sterbliche
Zunge nimmer schmäh'n noch lästern.
Schweigend vorüber
Schreite dem Schweigsamen
Und gedenke der Zeit,
Wo Du ruh'n wirst, friedlich
Wie er und wehrlos!

München, 27. April 1901.

Münchner Neueste Nachrichten No. 203. Mittwoch, den 1. Mai 1901.

Münchner Neueste Nachrichten (4.5.1901)

Lokales.
München, 8. Mai.

Dankschreiben. Im Verwaltungssenate gab Bürgermeister v. Brunner folgende Zuschrift der Wittwe des verstorbenen Geheimraths Max von Seydel bekannt:

»Ew. Hochwohlgeboren hatten die große Güte, mir Ihr Beileid an meinem unersetzlichen Verluste in überaus warmen Worten zum Ausdruck zu bringen und im Namen des Stadtmagistrats München einen herrlichen Kranz an der Bahre meines verewigten Gatten niederzulegen. Ich bitte Ew. Hochwohlgeboren, für Ihre wohlthuende Theilnahme und für das dem theueren Todten bewiesene letzte Geleite meinen innigsten Dank entgegenzunehmen und bin mit dem Ausdruck der ausgezeichnetsten Verehrung Ew. Hochwohlgeboren ganz ergebenste Johanna von Seydel.«

Münchner Neueste Nachrichten No. 208. Samstag, den 4. Mai 1901.

Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München (1983)

Seydel Max, Dr. jur., von, 1846 (Germersheim/Rheinland-Pfalz) – 1901, Jurist, Staatsrechtler und Universitätsprofessor; Sohn eines hohen bayerischen Offiziers, besuchte S. das Gymnasium in München, wo er eine besondere Eignung für alte Sprachen und eine starke Vorliebe für die Antike zeigte; seine juristischen Studien machte er in Würzburg und München (1869 Promotion in Würzburg mit Arbeit über Senatus consultum Macedonianum); seine berufliche Laufbahn verlief folgendermaßen: 1872 Hilfsarbeiter im Staatsministerium für Kirchen- und Schulangelegenheiten, von 1873–1881 Lehrer des Staatsrechts an der Kriegsakademie, daneben Assessor im Ministerium und dann bei der Regierung von Oberbayern und seit 1879 Vorstand des Statistischen Büros, 1880 Regierungsrat; einen Ruf an die Universität Dorpat lehnte S. ab, dafür wurde er 1881 zum Nachfolger von Pözls als Professor des Verfassungs- und Verwaltungsrechts in die Münchner juristische Fakultät berufen; das Verfassungsrecht des deutschen Reichs von 1871 behandelte er unter starker Betonung föderalistischer Gedanken.

Hauptwerke: Kommentar zur Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich, Bayerisches Staatsrecht, 7 Bde., 2. Aufl., 1896, 4 Bde., Das Staatsrecht des Königreichs Bayern, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre; S. war auch dichterisch tätig (unter dem Pseudonym Max Schlierbach), der Gedichte und eine Lukrez-Übersetzung verfaßte; er gilt heute noch als eine Autorität auf dem Gebiet des Bayerischen Staatsrechts.

© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.



© Reiner Kaltenegger · Gräber des Alten Südfriedhofs München · 2007-2025


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