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33 – 1 – 33·34 (Kniewitz · Richter)

Ω

Hier schlummern in Frieden:
Heinrich Richter, k. Professor
Ehrenmitglied d. k. Hofbühne
Ritter d. St. Michaels Ord. II. Cl. a. O.
Inh. d. gold. Ludw. Med. f. K. u. W. u. d. hzgl.
S. Meininger’schen Verd. Kreuzes f. K.
geb. 18. Okt. 1820 gest. 22. Mai 1896.
Minna Richter geb. Meyer,
geb. zu Leipzig den 21. August 1825,
gest. zu München den 17. März 1878,
deren Kinder:
Elise, geb. 19. April 1849, gest. 3. Novbr. 1850.
Ferdinand, geb. 7. April 1854, gest. 26. Jan. 1857.
Claire Marie verehelichte Kniewitz
Fabrikbesitzers-Gattin von Blaubeuren
geb. 11. Aug. 1855, gest. 23. Jan. 1883 hier,
Therese Richter, geborene Weiss,
K. Regierungsrats-Gattin,
geb. 6. Jan. 1863, gest. 29. Juli 1908.
Ludwig Richter, kgl. Regierungsrath
Ritter hoher Orden,
geb. 7. März 1851, gest. 27. Dez. 1916.

RUHESTAETTE DER FAMILIE RICHTER
DER REST IST SCHWEIGEN

Sockel-Tafel

Jean Kniewitz
Fabrikbesitzer
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Lina Richter
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Heinrich Richter

* 18.10.1820 (Berlin)
† 22.5.1896 (München)
Regisseur und Schauspieler

Die Deutsche Schaubühne (1861)

Hr. Richter ist ein ebenso gewandter, als durch und durch gebildeter Schauspieler. Das Schablonenartige, wonach sonst so oft die jugendlichen Liebhaber sich in stereotypen Manieren zu bewegen pflegen, in dem süßen Wahn, mit einer schönen Gestalt sei der Amoroso schon fertig, ist ihm total fremd. Seine Gestalten sind von Fleisch und Blut und zwar »Fleisch von unserm Fleisch und Bein von unserm Bein«, keine verblaßten Theaterschemen, die statt von der Sonne, vom Lampenlicht erwärmt sind. Hr. Richter fühlt und durchlebt, was er wiederzugeben hat und darum weckt er auch wirklich Gefühle wach in dem Zuschauer. Würde Hr. Richter sich durch eine weniger anstrengende Beschäftigung etwas mehr Zeit und Muße gönnen, könnte er vielleicht einige seiner stets trefflich angelegten Rollen noch etwas feiner in's Detail ausarbeiten, um durchweg Meistergebilde zu schaffen, wie wir sie in seinem Ferdinand (»Kabale und Liebe«), Landry (»Grille«), Prosper von Block (»Der letzte Brief«) u. A. m. bewundern. Die Noblesse in seiner ganzen Erscheinung befähigt ihn auch vorzugsweise zu sogenannten Repräsentationsrollen (z. B. dem Fürsten in »Dorf und Stadt«, dem Prinzen Wolfgang im »Verwunschenen Prinzen«), denn er rettet sie vor dem »schlimmsten aller Flüche« für den Schauspieler, vor dem der Lächerlichkeit. Daß Hr. Richter für einzelne Liebhaberrollen etwas jünger sein dürfte, läßt uns sein vortreffliches Spiel ganz vergessen.

Die Deutsche Schaubühne. Organ für Theater und Literatur. Redigirt von Dr. Teodor Mehl. Hamburg; 1861.

Die Scheinwelt und ihre Schicksale (1893)

Heinrich Richter trat, wie wir bereits wissen, unter Intendanten Baron von Frays am 1. August 1849 sein hiesiges Engagement an, nachdem er vorher in Posen, Rostock, Bremen, Wiener Burgtheater und Leipzig gewirkt hatte. Seine Ausbildung genoß Richter durch Eduard Devrient. Mit unserem Jahre begann eine äußerst glückliche Thätigkeit Richters als Regisseur, der unsere Bühne manches Herrliche und Hervorragende verdankte. Seine spätere Berufung 1878 zum Professor an der kgl. Musikschule ist auf diese seine großen Verdienste zurückzuführen. Richter wurde am 18. Oktober 1820 zu Berlin, als Sohn eines Beamten im Finanzministerium geboren; seine Familie stammte jedoch aus Ansbach und war mit dem Bayreuther Dichter Friedrich Richter (Jean Paul) verwandt. Auf Empfehlung der berühmten Crelinger erhielt der junge Künstler bereits 1839 sein erstes Engagement am Stadttheater in Posen und feierte zehn Jahre später als Gast seiner Vaterstadt an 17 Abenden derartige Triumphe, daß er auf Allerhöchste Weisung im neuen Palais vor König Friedrich Wilhelm IV. spielen mußte.

Herr von Hülsen machte wiederholte Versuche unseren Richter nach Berlin zu entführen, allein die glänzendsten Anerbietungen, schlugen an seiner Liebe zu München, wo er eine so ehrenvolle Stellung und ein so glückliches Heim gefunden hatte, fehl. Jm Jahre 1890 hatte der Künstler die seltene Genugthuung am 13. Januar das fünfzigjährige Jubiläum seiner Bühnenthätigkeit feiern zu können. Von diesen fünfzig Jahren hat er vierzig ausschließlich dem Münchener Hoftheater gewidmet, zu dessen fleißigsten und angesehensten Künstlern, der Kunstveteran heute noch zählt.

Die Scheinwelt und ihre Schicksale. Eine 127jährige Historie der Münchener kgl. Theater im populärer Form und als Jubiläums-Ausgabe. Zu Ehren des fünf und zwanzigjährigen Dienst-Jubiläums Seiner Excellenz des Herrn General-Intendanten Freiherrn von Perfall von Max Leythäuser. München; 1893.

Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog (1897)

Richter, Heinrich. Am 22. Mai 1896 starb Heinrich Richter, Königl. Professor, Hofschauspieler und Regisseur am Königl. Hoftheater zu München. Ein treffendes, die Vornehmheit seiner Kunst voll bezeichnendes Wort sagte einmal von ihm, dass der Titel Hofschauspieler für ihn eigens hätte erfunden werden müssen, wenn er nicht schon bestanden hätte. Der Weg, der Heinrich R. zur Sonnenhöhe des Daseins führte, geht ununterbrochen aufwärts. Schwere Irrungen und Wirrungen, ohne welche das Genie gerade auf dem Gebiete der darstellenden Kunst sich nur selten Bahn bricht, sind diesem grossen und umfassenden Talent erspart geblieben. Wie seine Kunst harmonisch war, so war es auch sein Leben.

R. war am 18. October 1820 in Berlin als der Sohn eines Finanzministerialbeamten geboren. Die Familie stammte aus Ansbach. Der Urgrossvater R.’s war in Markt Ipsheim, wenige Meilen von Ansbach gebürtig und dort Prediger. Der Vater, der dort die Beamtenlaufbahn eingeschlagen hatte, siedelte nach Berlin über, als Ansbach, seit 1791 preussisch, nach der Schlacht bei Jena wieder bayrisch wurde. Sein Sohn sollte einst Bayern die schönsten Tage seines Lebens verdanken. R.’s Familie war mit Jean Paul Richter verwandt. Nähere Freunde des Bühnenkünstlers wollen in späteren Tagen auch deutliche Spuren seelischer Verwandtschaft mit dem berühmteren Namensgenossen aus Wunsiedel entdeckt haben. Er besuchte das französische Gymnasium zu Berlin. Noch bevor er dieses mit Auszeichnung absolvirte, machte sich in ihm der Drang zum Theater geltend. Heimlich ging der 15jährige Heinrich zu Eduard Devrient, der damals als Sänger und Schauspieler am Königl. Schauspielhaus zu Berlin wirkte, und liess sich prüfen und unterrichten. Abends betrat er schon hie und da – als Statist – die Bühne des Opernhauses. Hinter dem Rücken seiner Eltern besuchte er später die Ernst'sche Theaterschule und trat, kaum 16 Jahre alt, im December 1836 als Till in Raupachs »Schleichhändler« im Privattheater dieser Schule auf. Vom Vater hatte er keine Zustimmung zu erhoffen, wie sich denn seine Angehörigen selbst später zwar mit dem jugendlichen Durchgänger, nicht aber mit dessen Beruf aussöhnten. Im August 1837 war es, als Heinrich sein Vaterhaus heimlich verliess, um mit Director Ernst nach Frankfurt a. O. zu gehen, wo er am 5. d. Mts. als Holm in Müllers »Schuld« und am 9. als Gustav in Angely's »Jugend muss austoben« seine ersten Proben vor einer, ihm fremden Oeffentlichkeit ablegte. Auguste Crelinger lernte den jungen R. in Posen kennen und schätzen. Auf ihre Empfehlung trat er dort am 1. Januar 1839 sein erstes Engagement an und machte am 13. als Eduard in Kotzebue's »Epigrammen« sein Debut. Schon zwei Jahre später kam er von Posen nach Rostock und noch in demselben Jahre als jugendlicher Held und Liebhaber nach Bremen, wo er »mit grossem, unbedingten Erfolge« auftrat und bald der Liebling des Publicums wurde. Im Februar 1843 hatte R. eben mit dem Stadttheater in Leipzig abgeschlossen als er den Antrag erhielt, am Wiener Burgtheatcr »auf Engagement« zu spielen. Natürlich nahm er mit Freuden an. Am 8. Mai 1843 trat er dort als Gast (als v. Wildenberg d. Jüngere in Raupachs »Geschwister«), am 14. Mai als Max Piccolomini in Wallensteins Tod auf. Der Erfolg in dieser Lieblingsrolle Carl Fichtners führte zum Engagement. Director v. Holhein musste aber eine Conventionalstrafe von 100 Louisd'or zahlen, um R.'s Leipziger Verpflichtungen zu lösen. Den Regisseuren an der Burg: Fichtner, Anschütz, Loewe, La Roche und Koberwein kommt ein Hauptverdienst an der Ausbildung des jungen strebsamen Künstlers zu. In der Zeit vom 8. Mai 1843 bis 30. Juni 1844 ist R. 117 mal in der Burg aufgetreten. Der unruhige Drang nach mehr Beschäftigung liess ihn die schöne Stellung, die er sich geschaffen, in die Schanze schlagen. Er kam um seine Entlassung ein, erhielt sie nur widerwillig und trat schon am 9. August desselben Jahres als Don Carlos vor das Leipziger Publicum. Wir haben Anlass zu glauben, dass er diesen Schritt später mehrmals bereut hat. Das Leipziger Theater wurde an diesem Tage nach einer vollständigen Rcstaurirung durch eine Sondervorstellung neu eröffnet. Dreiviertel Jahre später, als an einem Abend die neu eingerichtete Gasbeleuchtung versagte und eine Panik auszubrechen drohte, hatte R., der auf der Scene stand, Gelegenheit, durch eine längere, in völliger Finsterniss gehaltene Rede seine Geistesgegenwart zu beweisen und das Publicum zu beruhigen, bis es das Haus verlassen konnte. In demselben Jahre schied Albert Lortzing von Leipzig. R. war dem liebenswürdigen Meister näher getreten und ausersehen, in der Abschiedsfeier das Festgedicht zu sprechen.

Im Mai 1847 führte ihn ein ehrenvolles Gastspiel in seine Vaterstadt, nach Berlin zurück, wo er auch zweimal zu einer Vorstellung im »Neuen Palais vor Sr. Majestät« befohlen wurde. Nach Leipzig zurückgekehrt, hatte er die Freude, mit seinem Wiener »Adoptivvater« Anschütz als Gast in »König Heinrich IV. I. Theil« und »König Lear« zusammen zu spielen. Anschütz gab den Falstaff, R. den Prinzen von Wales; im Lear Anschütz die Titelrolle und R. den Edgar. Die Stüme des Jahres 1848 bekam auch das Leipziger Theater zu spüren. Das ganze Personal wurde vom 1. Mai an auf halbe Gage herabgesetzt. Unter dem Vorsitz zweier Comité's beschlossen die Mitglieder »auf Theilung« weiter zu spielen. In diese kritische Zeit fiel das Leipziger Gastspiel Nestroy's. Am 27. Januar des folgenden Jahres wandte sich die Münchener Hoftheater-Intendanz, nicht zum erstenmale, an R. mit einem Gastspiel- und Engagements-Antrag. Um »sicher zu gehen« richtete der viel umworbene Künstler gleichzeitig eine Anfrage ans Burgtheater, die im entgegenkommenden Sinne beantwortet wurde, aber – zu spät. R. hatte bereits mit München abgeschlossen und war dort am 20. März 1849 als Arthur in »Ein Arzt« und Richard in »Richards Wanderleben« aufgetreten. Don Carlos und Mortimer als letzte Gastrolle folgten. Dieses erfolgreiche Gastspiel führte zum Vertragsabschluss und zum Engagement, das R. am 1. August 1849 antrat. Zwei Tage später spielte er unter der Intendanz des Freiherrn von Frays und der Regie Dahns, des Vaters Felix Dahns, zum erstenmal als engagirtes Mitglied wieder den Arthur, am 10. August den Ferdinand in Kabale und Liebe, mit »ganz aussergcwöhnlichem, stürmischen Erfolge«. Vorher hatte er eine Leipziger Schönheit, die Tochter des Grosskaufmanns Heinrich Mayer, als Gattin heimgeführt.

Aus diesen ersten Jahren in München datirt ein Erlebniss, das für R.’s Stellung zur Kritik bestimmend geworden ist. Am 30. December 1850 spielte er zum erstenmale den Romeo. Am nächsten Tage fand er in einer Zeitung über seine Leistung nur bemerkt: »Herr R. hätte als Romeo »romeesker« sein können«. Dieses Wort veranlasste ihn, den Referenten aufzusuchen und sich eine Aufklärung, was er damit meine, auszubitten. Der junge hübsche Mann mit dem Bande des Corpstudenten über der Brust, den er fand, konnte ihm aber absolut nicht verständlich machen, was er mit diesem Ausdruck gemeint, und nach einigen Wechselreden schied R. mit den gereizten Worten: »Dann allerdings müssen Sie die Darstellungen künftighin schon hinnehmen, wie ich sie fühle, wenn Sie mir Ihre eigenen Ausdrücke nicht besser erklären können.« Der junge Referent war – Adolf Wilbrandt. R. hat sich seitdem angeblich »niemals mehr um irgend eine Kritik oder dergleichen gekümmert«, was nicht hinderte, dass sein Sohn und Biograph in seinem Nachlasse die unbedeutendsten »lobenden Zeitungsausschnitte« fand und veröffentlichen konnte. Das Bild des liebenswürdigen Künstlers wird durch diesen, seinem ganzen Stande eigenen Zug kaum beeinträchtigt. Eines schönen Tages, am 1. Februar 1851, trat Herr Dr. Dingelstedt in das Intendanz-Bureau und stellte sich als eben ernannten Chef vor. Der Wechsel kam für alle Mitglieder sehr überraschend, und R. scheint bis zuletzt diesem von allen seinen Chefs die geringsten Sympathien entgegengebracht zu haben. Am 21. Januar 1851 starb Albert Lortzing. R. bemühte sich in München umsonst, der in grösster Dürftigkeit zurückgebliebenen Familie seines Freundes eine unverkürzte Theater-Einnahme zu verschaffen. Alle deutschen Theater kamen damals München in dieser Ehrenpflicht zuvor. Im Juli 1851 hatte R. die Freude, seinen Lehrer Eduard Devrient in München zu sehen und mit ihm zu spielen; im December 1856 hatte er als Joseph in »Deborah« die spätere berüchtigte Dachauer Bankhalterin Adele Spitzeder zur Partnerin.

R. blieb nun München treu trotz den vielen Bemühungen, ihn für das Berliner Königliche Schauspielhaus zu gewinnen. An Gastspielen und Ehren mancher Art fehlte es ja nicht. Die Könige Max II. und Ludwig I. zeichneten ihn bei jeder Gelegenheit persönlich aus. Am 22. September 1859 wurde R. wirklicher Regisseur, nach Dahns Demission sogar der einzige. Vom 1. Januar 1862 an wurde er künstlerischer Beirath des neuen Intendanten Schmitt. Lange konnte er freilich diese doppelte und dreifache Belastung nicht ertragen. Es musste ein weiterer Regisseur angestellt werden, und am 8. Juni 1864 trat ein junger Schauspieler von Hamburg auf, der R. bald überflügeln und am Ende sein letzter Chef werden sollte – Ernst Possart. Im März 1865 zog sich R. als erster Holk'scher Jäger in Wallensteins Lager eine Luxation seines rechten Knie's zu, die ihn mit Unterbrechungen sieben Monate der Bühne entzog, ihm freilich aber beim ersten Wiederauftreten einen begeisterten Empfang eintrug. Das Jahr 1867 führte ihn zu einem erfolgreichen Gastspiel nach Frankfurt a. M. Die Frankfurter Zeitung von damals vergleicht den bekannten Königslieutenant Friedrich Haase's mit dem R.'s und sagt u. A.: »So weich wie Haase's Thorane, so zerrissenen Gemüths war der Königslieutenant des Herrn Richter nicht, aber von seinen viel besseren Mitteln unterstützt, waren die Stellen, in welcher, das Gefühl vorherrscht, gewiss ergreifender und hinreissender«.

Am 12. Januar 1868 übernahm Carl Frhr. v. Perfall definitiv die Intendanz. Unter ihm und König Ludwig II. hat Heinrich R. seine besten Tage gesehen und seine höchste Reife erlebt. Ludwig II. schätzte ihn besonders hoch und überschüttete ihn mit Beweisen seiner Anerkennung. Orden, Titel, Adel und Geld – Alles wurde ihm angeboten. R. lehnte Alles mit den Worten ab: »Majestät, ich habe nur meine Pflicht gethan!« Unvergessliche Höhepunkte der nächsten Jahre waren ihm der Abend des 17. Juli 1870, als er nach der Mobilisirung der bayerischen Armee in Anwesenheit des preussischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm in Wallensteins Lager, wie immer, den ersten Holk'schen Jäger sprach, und die »Königlichen Separatvorstellungen«, die bis auf den 14. October 1871 zurückgehen und allen Theilnehmern anstrengende Aufgaben, aber auch königlichen Dank einbrachten. R. gehörte zu jenen wenigen, denen der unglückliche König auch menschlich näher trat und auf deren vornehme Gesinnung er baute. Nebst zahlreichen Geschenken, Zuschriften und Bildern wurde R., als einem der ersten, am 10. Januar 1873 die neugeschaffene »goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft« zu Theil. Am 1. August 1874 feierte er das Jubiläum seiner 25jährigen Thätigkeit an der Münchener Hofbühne in aller Stille. Im März 1878 starb nach langen Leiden seine Gattin. Nun nahm R. den ihm schon wiederholt gemachten Antrag einer Lehrerstelle in der dramatischen Abtheilung der Königl. Musikschule an. Es ist nicht R.'s Schuld, dass diese Abtheilung weder damals noch später zu besonderer Bedeutung kam. Wohl hat R. und manche seiner darstellenden Collegen und Colleginnen bis heute für Schauspiel und Oper beachtenswerte Talente erzogen. Die Königl. Musikschule als solche aber, die später den stolzeren Titel einer Königl. Akademie der Tonkunst erhielt, hat – mit Ausnahme ihrer Instrumentalklassen – bis zum heutigen Tage kaum einen Künstler ersten Ranges gezeitigt. Das Loos so mancher Akademien! Den Ruheposten als dramatischer Lehrer behielt R. bis an sein Ende. Nach ihm rückte Richard Stury, der gegenwärtige Heldenspieler der Münchener Hofbühne und wohl bedeutendste Schüler R.’s, an dessen Stelle. Die ihm später angetragere Stelle des Directors der Königl. Schauspiele überliess R. uneigennützig dem jüngeren Collegen Possart.

Bei den »Musterspielen« des Jahres 1880, die eine sehr widersprechende Beurteilung erfahren haben, gab R. den Sultan Saladin, den Geist von Hamlets Vater, den Odoardo Galotti, den Kammerdiener in Kabale und Liebe, in welchem Drama er überhaupt alle männlichen Rollen mit Ausnahme des Wurm und des Kalb im Laufe der Zeiten gespielt hatte (zuletzt den alten Miller) und den Pastor Seebach in den »Jägern«. Sein 60. Geburtstag wurde in demselben Jahre besonders gefeiert. Er spielte an diesem seinen Ehrenabend den Thoas in der »Iphigenie«. Als im Juni des folgenden Jahres Lewinsky aus Wien kam, um den Franz Moor zu spielen, gab R. zum erstenmale den alten Moor, den er bis zuletzt behielt. Eine Feier, deren sich alle Theilnehmer nur mit Rührung erinnern, war die des 50jährigen Künstlerjubiläums R.'s am 13. Januar 1889: er spielte wieder den Musikus Miller. So frisch der Schauspielerveteran an diesem Abend und noch lange nachher schien, es ging doch langsam zu Ende. Das Gedächtniss begann zu versagen; aber es wurde kaum bemerkt, denn der gewiegte Künstler wusste diese Mahnung des Alters geschickt zu verbergen. Als er aber Ende August 1893 die Rolle des vom Schlag gelähmten und an einem Schlaganfall sterbenden Obersten Schwartze in Sudermann's Heimath spielte, traf ihn nach der Vorstellung selbst ein kleiner Schlaganfall. Er raffte sich für kurze Zeit wohl wieder auf, aber am 11. Juni desselben Jahres betrat er als Advokat Bachelin im Hüttenbesitzer zum letztenmal die Bühne – ahnungslos, dass es das letztemal gewesen. Die Aerzte erhoben von da an Einspruch gegen die Aufregungen eines wirklichen Abschiedsabends, und so wurde Heinrich R. am 1. Januar 1894 nach 45jähriger Dienstzeit am Hoftheater, nach 37jähriger Thätigkeit als Regisseur und nach 55jähriger als darstellender Künstler pensionirt und zum Ehrenmitglied der Königl. Hofbühne mit dem bleibenden Titel eines Königl. Professors ernannt. R. ist aufgetreten an 7455 Abenden in 584 verschiedenen Stücken und 678 verschiedenen Rollen, darunter auch an 22 Opern-Abenden. Er hat an 131 Abenden »gastirt« und ist in 139 »Königlichen Separatvorstellungen« betheiligt gewesen. Diese Separatvorstellungen waren es, die ihn König Ludwig II. nahe brachten. An diesen geheimen Abenden kamen 56 verschiedene Stücke zur Aufführung; der letzte war am 12. Mai 1885 und brachte »Urvasi«. Aber schon im Jahre 1876 hatte R. den Auftrag erhalten, Lope's Drama »El major Alcalde el Rey« aus dem Spanischen für den König zu bearbeiten. R. verschmolz dieses Stück mit noch zwei gleichartigen, und seine Bearbeitung wurde unter dem Titel »Der beste Richter ist der König« am 31. October 1876 zum erstenmale für den König gegeben und am 2. November (mit R. als Nuno) wiederholt. An die Oeffentlichkeit ist das Stück, zu dem der Bearbeiter eine Art Vorwort geschrieben, nicht gelangt. Auch die Molière'schen Lustspiele »Der eingebildete Kranke« und »Die gelehrten Frauen« hat R. für die deutsche Bühne bearbeitet. In jener Zeit ist R. auch zu Richard Wagner in vorübergehende Beziehung getreten, gelegentlich der ersten Aufführung von »Tristan und Isolde«. Er sass nach der Premiire beim Souper an Wagner's Seite, der ihn sehr schätzte. Als R. aber auf dessen dringende Frage, was er vom Tristan halte, seine Laienmeinung offen bekannte: dass ihm Holländer, Tannhäuser und Lohengrin lieber, weil verständlicher seien, rief der Meister entrüstet: »Wenn Sie solche Ansichten entwickeln, kann ich überhaupt nicht mehr mit Ihnen reden!« – und wandte ihm den Rücken für immer. Die erste Audienz, die König Ludwig nach seinem Regierungsantritt ertheilte, galt Heinrich R., den er später einmal plötzlich fragte, wie das Volk eigentlich über ihn denke. R. antwortete gefasst und taktvoll, es liebe den König und habe nur den einen Wunsch, ihn öfter zu sehen.

R. hat die wohlverdiente Ruhe nicht lange genossen. Am 1. November 1895 führte ein Bluterguss ins Gehirn Gehirnerweichung nach sich und nach kurzem Siechthum – der Körper hätte noch länger Stand gehalten – erlag er am 22. Mai 1896 einer hinzutretenden Lungenentzündung. Aus dem Kreise der Darsteller war er wohl vordem schon geschieden, vollwerthig ersetzt ist er aber bis heute nicht. Er war kein feuriges Genie, das Berge versetzen kann, aber ein gediegener Schauspieler der alten Schule, wie sie immer seltener werden – ein Künstler, der etwas gelernt hatte und immer wieder lernte. Dabei eine vornehme Natur auf und ausser der Bühne. Er wusste die unbedeutendste, die widrigste Aufgabe durch seine edle Diction und seine würdige Erscheinung zu adeln. Er besass die Bescheidenheit der Natur und durfte deshalb stolz alle niedrigen Mittel verschmähen. Was er insbesondere für die letzten Jahrzehnte der Münchener Hofbühe gewesen – in seinen Väterrollen, deren sich die gegenwärtige Generation erinnert – ist so recht erst nach seinem Tode erkannt worden – trotz aller Ehren bei seinen Lebzeiten. Er war das wirklich, was man mit einem bequemen Cliché »eine Stütze des Repertoirs« nennt. So lange sie da ist, denkt man ihrer nicht viel; fällt sie aber eines Tages, so stürzt mit ihr mehr als man je geahnt.

Literatur: Vor und nach Richter's Tode hat sich um die feine Gestalt des liebenswürdigen Schauspielergreises wohl eine ziemliche Zeitungsliteratur gesammelt. Aber in diesen Tagen erst ist (allerdings mit Ausschluss der Oeffentlichkeit und nicht für den Buchhandel) eine sehr umfangreiche Biographie erschienen, der wir in der Hauptsache mit Benutzung unserer eigenen Erinnerungen hier gefolgt sind. Der Titel lautet: »Heinrich Richter. Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Eine biographische Skizze nach eigenhändigen Aufzeichnungen, vorgefundenen Briefen und Dokumenten, sowie mündlichen Ueberliefeningen des Künstlers von Heinrich Richter jr. (Darmstadt, G. Otto's Hof-Buchdruckerei. 1897. 190 S. in gr. 8°).« Die kindliche Pietät des Sohnes hat da wahllos Alles zusammengetragen, was er im Nachlasse gefunden, auch das Unbedeutendste. Ein gutes Bild des Künstlers, Portraits der Königlichen Gönner, Facsimiles ihrer Briefe, aber auch von Contractformularen, Gedichte von und an Richter, Zeitungsausschnitte – Alles ist, mit manch schiefem Urtheil (über Andere), aber sonst stets gewissenhaft und mit sichtlich ehrlicher Ueberzeugung, in sehr bedenklichem Deutsch vom Selbstverleger gesammelt und für die Freunde des Verblichenen bestimmt worden. Nicht so minutiös genau, aber darum nicht minder dankbar wird das Bild Heinrich Richter's im Gedächtniß Aller haften, die Kraft und Nachdruck seiner edlen Kunst an sich erfahren.

Alfred Frhr. Mensi v. Klarbach.

Alfred Freiherr Mensi von Klarbach: Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog. Berlin, 1897.

Grosses Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne (1903)

Richter Heinrich, geboren am 18. Oktober 1820 in Berlin, war der Sohn eines Ministerialbeamten und war mit der Familie des Dichters Jean Paul Richter nahe verwandt. Den ersten dramatischen Unterricht empfing er von Eduard Devrient, und wurde auf Empfehlung der berühmten Auguste Crelinger am Stadttheater in Posen am 13. Januar 1839 zu einem Bühnenversuche zugelassen (»Eduard« in »Epigramm« von Kotzebue). Dort verblieb er bis 1841, kam dann an das Stadttheater in Rostock, hierauf nach Bremen, wo er bis 1843 als jugendlicher Liebhaber beliebt und geschätzt, tätig war.

Im selben Jahre erhielt er einen Gastspielantrag ans Hofburgtheater. Er gab demselben mit Freuden Folge und erschien daselbst als »Max Piccolomini«, als »Laertes«, »Konrad« in »Müller und sein Kind«, »Masham« etc., gefiel auch, doch hatte er zu sehr unter der Rivalität Carl Fichtners zu leiden, so daß er es bald vorzog, den Wiener Vertrag zu lösen und als erster jugendlicher Held und Liebhaber in den Verband des Leipziger Theaters zu treten. Sogleich in der ersten Vorstellung errang er als »Don Carlos« einen glänzenden Erfolg, der ihm während seiner 15 jährigen Wirksamkeit daselbst treu geblieben war.

August 1849 folgte er einem Rufe an das Hoftheater in München, nachdem er bei seinem daselbst absolvirten Probegastspiel im März desselben Jahres als »Mortimer«, »Don Carlos« und »Müller« in »Die Sündenböcke« einen durchschlagenden Erfolg erzielt hatte. Der Künstler hat dieses Kunstinstitut nicht mehr verlassen und demselben seine besten schauspielerischen Kräfte geweiht.

Zahllos sind die Rollen, die er erst als Liebhaber, dann als Held und später als Heldenvater (»Cajetan«, »Stauffacher«, »Odoardo Galotti«, »Musikus Miller«, »Der alte Moor« etc.) schuf und die seinen Namen für immerwährende Zeiten mit der Geschichte des Münchner Hoftheaters verbunden haben. Am 1. Februar 1858 übernahm er einen Teil der Schauspiel-Regie, die sich von 1861–1869 ausschließlich in seinen Händen befand. 1878 wurde er zum Professor an der Schauspielschule des königlichen Konservatoriums ernannt.

Nachdem der Künstler volle 40 Jahre mit seltener Pflichttreue an diesem Kunstinstitute gewirkt hatte, trat er am 1. Januar 1890 mit dem Titel eines Ehrenmitgliedes ausgezeichnet, in den wohlverdienten Ruhestand und wenige Jahre später, am 22. Mai 1896 schied er aus dem Leben.

Dieser vortreffliche Darsteller hat sich aber nicht nur als Schauspieler, Regisseur und dramatischer Lehrer reiche Verdienste erworben, sondern zeigte sich in seiner dramaturgischen Wirksamkeit auch als Schriftsteller, indem er von den Molièreschen Lustspielen »Der eingebildete Kranke«, »Die gelehrten Frauen«, »Der Arzt wider Willen«, »Der bürgerliche Edelmann« treffliche Bearbeitungen für die moderne Bühne geliefert hat, die auf sämtlichen deutschen Hofbühnen und an den größeren Stadttheatern zu beifälliger Darstellung gelangten. Seine Verdienste wurden vielfach anerkannt, u. a. gehörte er auch zu den Allerersten denen nach Stiftung der bayr. goldenen Medaille für Kunst und Wissenschaft (1872) diese Dekoration verliehen wurde.

Ludwig Eisenberg’s Grosses Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Leipzig, 1903.

Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München (1983)

Richter Heinrich, 1820 (Berlin) – 1896, Hofschauspieler, Regisseur und Professor; maßgebend für Rs. Laufbahn waren Theatereindrücke in seiner Heimatstadt; noch als Gymnasiast ließ er sich vom Schauspieler E. Devrient unterrichten und trat schon 16jährig als Till im »Schleichhändler« auf; lange herumziehend wirkte R. in Posen, Rostock, Wien und Leipzig mit Erfolg; 1849 erscheint er zuerst in München als Arthur in »Ein Arzt« und Richard in »Richards Wanderleben«; wegen dieses Erfolges erhielt er sein Engagement; R. wurde von den bayerischen Königen Ludwig I. und Max II., vor allem aber von Ludwig II. und dessen Generalintendanten K. von Perfall, sehr gefördert; vor dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen sprach er 1870 nach der Mobilmachung seinen Holkschen Jäger in »Wallensteins Lager«; 1878 übernahm R. die Lehrstelle an der dramatischen Abteilung der Musikschule; zum letztenmal trat er 1893 in der Episodenrolle des General von Klebs in Sudermanns »Heimat« auf; R. gehört zu den gefeiertsten Schauspielern Münchens.

© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.



© Reiner Kaltenegger · Gräber des Alten Südfriedhofs München · 2007-2025


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