Ω
Hier ruhen:
Frau Cäzilia Schmid,
Aktuars-Gattin,
geb. d. 21. Febr. 1816, gest. d. 18. Febr. 1890.
Ihr folgte
unser lieber Vater
Herr
Josef Leonhard Schmid
pens. Vereins-Aktuar und Gründer
des J. Schmidschen Marionettentheaters
Inhaber des Verdienstkreuzes v. hl. Michael
und der Luitpold-Verdienst-Medaille,
geb. zu Amberg 29. Jan. 1822.
gest. zu München 31. Dez. 1912
Familien-Grab
Josef, geb. d. 24. März 1851, gest. d. 4. Juli 1851.
Maria, geb. d. 16. August 1848, gest. d. 19. März 1853.
Franziska, geb. d. 6. Dez. 1854, gest. d. 10. Febr. 1855.
Rosa, geb. d. 4. Oktbr. 1852, gest. d. 2. August 1857.
Zwei Portraits-Medaillons
Warum bist gute Mutter Du gegangen
Von uns, die wir so treu an Dir gehangen.
Was ließest Du verwaist uns hier zurück
O möchtest Du herab aus jenen Höhen
Auf unsre Trauer, unsre Thränen sehen
Umschließt doch dieses Grab all unser Glück.
Ω
Schmid, Cäzilia; 21.2.1816 – 18.2.1890; Aktuars-Gattin
Schmid, Franziska; 6.12.1854 – 10.2.1855 (München); Aktuars-Tochter
Schmid, Josef; 24.3.1851 – 4.7.1851
Schmid, Josef Leonhard / Papa Schmid (ps); 29.1.1822 (Amberg/Oberpfalz) – 31.12.1912 (München); Gründer des Marionettentheaters an der Blumenstraße
Schmid, Maria; 16.8.1848 – 19.3.1853
Schmid, Rosa; 4.10.1852 – 2.8.1857 (München); Aktuars-Tochter
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Papa Schmid (ps)
* 29.1.1822 (Amberg/Oberpfalz)
† 31.12.1912 (München)
Gründer des Marionettentheaters an der Blumenstraße
München, 24. Nov. Wir verkünden somit den guten Münchnern, Groß und Klein, Alt und Jung, daß ihnen Gelegenheit geboten wird, bisweilen ein Stündchen fröhlich um wohlfeilen Preis zuzubringen. Nämlich: Nächsten Sonntag Nachm. 4 Uhr wird ein neues großes Marionetten-Theater (Lokal: Prannersstraße Nr. 11) eröffnet und zwar kein gewöhnliches oder von ordinärer Facon. Ueber 50 der herrlichsten Dekorationen von einem wirklichen Künstler gemalt, mehr als 80 kostbare Figuren, ein Repertoire ausgezeichneter Stücke zur Erbauung und Belustigung, wozu, ganz namhafte Schriftsteller Beiträge geliefert und stets liefern werden! Ein überaus begabter Casperl wird sich bei aller Lustbarkeit stets in den Schranken des Anstandes zu halten wissen. Auch in kulturhistorischer und literärgeschichtlicher Hinsicht wird das Marionettentheater von Interesse sein, weil wir von den alten, originellen Puppen spielen (wie z. B. den ächten Doktor Faust u. a. m.) zu sehen bekommen werden, versteht sich: mit Hinweglassung dessen, was man sich dermalen nicht mehr vorzuführen erlauben dürfte. Also kommt und urtheilt selbst! Der Zettel wird das Nähere bekannt geben.
Münchener Anzeiger Nr. 327. Beilage zu den neuesten Nachrichten. Donnerstag, den 25. November 1858.
Zur Eröffnung der Marionetten-Theaters in der Prannersgasse strömte heute eine solche Menge, jung und alt, herbei, daß Hunderte aus Mangel an Platz abgewiesen werden mußten. Leider befand sich unter diesen auch Ihr Correspondent, so daß derselbe außer Stand ist, Ihnen über diese neue Unternehmung etwas näheres mitttheilen zu können, als daß nach dem Vorstehenden das Marionetten-Theater sicher etwas sehr »zeitgemäßes« sein muß. Doch darüber ein andermal mehr.
Landshuter Zeitung Nr. 279. Dienstag, den 7. Dezember 1858.
Das Münchner Marionettentheater – eine zeitgemäße Unternehmung.
München, 8. Dezbr. Gelegentlich der Eröffnung des Marionettentheaters haben wir diese Art kindlicher Unterhaltung eine zeitgemäße genannt, was wohl draußen in den kleinen Städten und auf dem Lande als Ironie aufgefaßt werden ist. Und doch ist es uns vollkommen Ernst damit!
Die Kinder in einer großen Stadt haben heutzutage eigentlich keine Jugend mehr. Sie werden gemeinlich unter Aufsicht von Hofmeistern und Gouvernanten gehalten, denen – letztere sind meist Französinen – die eigene Kindheit selbst längst verloren gegangen ist. Der junge »Herr« und das junge »Fräulein« vom dritten Jahre an dürfen beileibe keinen Luftsprung mehr machen oder nach Kinderart sich tüchtig austollen! Fi donc! heißt es da gleich, mon cher, oder ma chère, c’est tout à fait à l’ordinaire ce que vous faitez! Aber sein gerade halten, die Füße ordentlich setzen, nicht links und nicht rechts schauen, die kostbaren Kleidchen nicht beschmutzen, die »Fräuleins« tragen natürlich bereits einen verhältnißmäßigen Reifrock, das ist die erste und höchste Aufgabe, die sich das Kind einprägen muß.
Wohl kaum ist diese Erziehungsweise drastischer dargestellt worden, als auf einem kleinen Gemälde, das hier im Kunstverein ausgestellt war, wo ein eifriger Hofmeister Mühe hat, das Gelüsten seiner beiden jungen Zöglinge zu bemeistern, sich unter die seitwärts vom Wege im kühlen Schatten erlustigende Dorfjugend zu mischen und da nach Herzenslust Purzelbäume zu machen! Die Lust, sich körperlich zu ermüden steckt in der Jugend und auch die besten jungen »Herren« schlagen über die Stränge, wenn sie sich unbeachtet fühlen, nur – arten sie dann aus, denn sie verfallen gewöhnlich ins Extrem.
Sind nun die armen Dingerchen erst sechs Jahre alt geworden, so kommt die gelehrte Dressur bei den Knaben, die Institutsdressur bei den Mädchen, und da wird in den meisten noch der letzte Rest kindlicher Natürlichkeit hinausdressirt!
Diese Kinder großer Städte haben keine Jugend, ihre Jugendfreuden verhalten sich zu denen anderer Kinder wie künstliche Blumen zu natürlichen. Was wissen sie denn von dem seligen Herumstreifen in Flur und Wald, was vom Baumklettern, vom Beerensuchen u. s. w. u. s. w.? Nichts, rein gar nichts! Die Heiterkeit naht sich ihnen stets nur im bordirten Kleide, sie salvirt ängstlich alle Dehors, und ehe sie recht da gewesen, ist sie auch schon wieder fort!
Für diese Jugend ist ein wohlgeleitetes Marionettentheater mit seinen köstlichen Späßen ein wahrer Segen! Da athmen sie andere Luft und die steifen Körper recken sich aus und durch die jugendliche Seele weht ein seltener Frühlingshauch, eine ganz andere Luft, wie sie in die Salons und Instituts-Lehrzimmer nie eindringen kann und auch nie eindringen mag. Die armen Kleinen können und dürfen hier doch einmal recht von Herzen lachen, was sonst gewöhnlich auch für sie ein verboten Ding und sehr à l’ordinaire ist! Der Humor, welcher in dem Puppenspiele herrscht, theilt sich dann auch der dressirten Kinderseele mit und hindert so deren ganz einseitiges Auswachsen.
Es hat uns immer in die tiefste Seele weh gethan, bei der Aufführung von Possen und Balletten Kinder im Hoftheater zu sehen! Um wieviel besser ist ihr Platz im Marionettentheater! Da hören und sehen sie doch nichts wirklich Unanständiges und verwöhnen nicht frühzeitig Aug und Ohr. Attitüden kommen da schon gar nicht vor und um die Erklärung von Zweideutigkeiten, und weshalb die Leute darüber lachen, haben sie hier nicht nöthig, die verehrlichen Eltern fragen zu müssen, denn in unserm Marionettentheater kommen zwar Späße, aber keine Zweideutigkeiten vor.
Der große Zudrang zu dem neuen, und wie man uns versichert, allerliebst ausgestatteten Theaterchen beweist, daß der Zweck seiner Gründung vom Publikum verstanden und gewürdigt wird. Für die Jugend kann es nur gut wirken, und darum und aus den angeführten Gründen haben wir es eine zeitgemäße Unternehmung genannt.
Landshuter Zeitung Nr. 282. Samstag, den 11. Dezember 1858.
München. Das Münchener Marionettentheater bringt am künftigen Sonntag »Prinz Rosenroth« zur Aufführung. Es ist dieses das erste Stück, welches der verlebte geniale Jugendschriftsteller Graf Pocci für Schmids Marionettentheater geschrieben hat und womit dasselbe im Jahre 1858 eröffnet worden ist. Die hiezu nöthigen Dekorationen wurden damals von dem als Künstler bekannten General Heideck gemalt. Das Interesse für Pocci’s originelle Dichtungen, sowie für dieses niedliche Theater war so groß, daß das oben erwähnte Stück in Privatvorstellungen Sr. Majestät dem König Ludwig I. und den Prinzen des K. Hauses, sowie der Aristokratie vorgeführt werden mußte.
Augsburger Abendzeitung Nr. 325. Donnerstag, den 23. November 1876.
Ein Jubiläum. An jedem Sonntag Nachmittag eilen Schaaren von Kindern, aber auch zahlreiche Erwachsene einem einfachen Gebäude am Maffei-Anger zu, drinnen nehmen sie in einem bescheidenen Raume Platz, der sich durch eine Bühne als Theatersaal kennzeichnet. Weist er auch nichts von modernem Prunke, ja von irgendwelchm Schmucke auf, so birgt er doch ein wahres Kleinod: J. Schmids Marionettentheater hat hier sein Heim aufgeschlagen. Morgen feiert es sein 40jähriges Jubiläum. Einer solch eigenartigen und einzigartigen Schöpfung, wie diese Bühne sie darstellt, muß an solchem Tage wohl gedacht werden.
Uralt ist das Puppenspiel. Bei allen Kulturvölkern findet es sich auch heute noch vor, aber die Derbheit drückt ihm seinen Stempel auf. Einem großen Kinderfreunde, einem echten Dichter und Münchener, dem unvergeßlichen Grafen Pocci, war es vorbehalten, dem Puppenspiel die poetische Weihe zu geben. In sechs Bänden hat er seine »Dramatischen Spiele« für Kinder herausgegeben und wieder in sechs Bänden speziell für das Münchener Marionettentheater, das heute noch das alleinige Aufführungsrecht besitzt, sein »Lustiges Komodienbüchlein«.
Der eigentliche Schöpfer unsres Jubeltheaters war aber der bayerische Generalmajor v. Heydeck, der 1861 in München gestorben ist. In Spanien und in Griechenland hat er das Schwert, in seinen Mußestunden den Pinsel des Malers geführt. Für sich und seine Freunde schuf er ein reizendes Marionettentheater. Im Jahre 1858 wurde dasselbe durch Vermittlung des Grafen Pocci an Hrn. Joseph Schmid verkauft, der seitdem das Theater unter unsäglichen Mühen erhalten und verbessert hat und seitdem die Hauptrolle, den Kasperl, mit Hingebung und mit rauschendem Erfolg spricht. Vor 2 Jahren, als »Papa Schmid« seinen 75. Geburtstag feierte, hat es sich gezeigt, wie sehr er sich die Dankbarkeit der Münchener erworben hat.
Am 5. Dezember 1858 nun wurde das Theater im Haus des Schlossermeisters Kölbl in der Prannerstraße eröffnet. Graf Pocci hatte einen Prolog und ein Zauberspiel besonders gedichtet: »Prinz Rosenroth und Prinzessin Edelweiß«. Der Erfolg blieb nicht aus. Der große Förderer wahrer Kunst, in welchem Gewände sie auch auftrat, König Ludwig I., verschmähte es nicht, das Theater zu besuchen. Dieses mußte im Lauf der Jahre, nachdem es auch kurze Zeit im kgl. Odeon gehaust, eine häufige Wanderung antreten, bis es 1885 am Maffeianger seine dauernde Stätte fand.
So bescheiden auch der Zuschauerraum ist, so prächtig wirkt der Anblick der Bühne, wenn sich der Vorhang hebt. Verfügt doch die Regie über 300 brillante Dekorationen und mehr als 1000 reizend kostümirte Figuren, wahre Kunstwerke. Das ist nicht zu viel, wenn man weiß, daß das Repertoire mehr als 200 Stücke enthält. Bald vergißt man, daß man Puppen vor sich hat, von solcher Meisterhand werden sie geleitet, von solch tüchtigen schauspielerischen Kräften, die alle seit langen Jahren aus Lust und Liebe zur Sache thätig sind, werden die Rollen gesprochen.
Wir müssen es uns leider versagen, alle Namen hier aufzuführen, so verdient es auch wäre. Nur von den Dichtern und Künstlern, die am schönen Werke in selbstlosester Weise mitgeholfen, seien einige genannt. Der Universitätsprofessor Dr. Harleß, Franz v. Kobell, Hofmedikus Koch, Frhr. v. Gumppenberg haben Märchen und Schwänke für das Theater geschrieben, Otto v. Prätorius, Georg Krempelsetzer, Heinrich Schönchen haben die Musik zu den Zauberspielen komponirt, Bildhauer Kolp und Professor Knabel Hunderte von Figuren geschaffen. Keine Geringeren als Habenschaden und Simon Ouaglio lieferten die Dekorationen. Die Genannten weilen alle nicht mehr unter den Lebenden. Aber neue Gönner sind dem Theater erstanden, selbst in der Schweiz, im hohen Norden, in Holland. In München z. B. hat Papa Schmids Sohn, Karl Maria Schmid, zu manchem Zauberstück die hübsche Musik geschrieben und Prof. Karl Dietl und Hoftheatermaler Mettenleitner sind stets dazu bereit, ihre künstlerische Kraft zur Verfügung zu stellen.
So ist es möglich geworden und geblieben, in dem J. Schmid’schen Marionettentheater ein Unikum zu erhalten und einen nirgends sonst vorhandenen Quell voll herzerfreuender Frische. Das gereicht den Schöpfern und Gönnern, dem Leiter und der Münchener Bevölkerung zur gleichen Ehre. Möge diese »Spezialität« Münchens auch in der Zukunft erhalten bleiben! Sie ist weit weniger bekannt als andere, aber sie ist nicht die schlechteste. Denn sie gewährt einen Blick in Münchener Eigenart, in die Volksseele und Gemüthstiefe, die manchen Spötter verstummen lassen wird.
Allgemeine Zeitung Nr. 336. München; Sonntag, den 4. Dezember 1898.
Das Marionettentheater in München
Zwischen dem alten, vielumstrittenen Sendlingerthor und der mächtigen Schrannenhalle in München liegt ein dicht mit Bäumen und Strauchwerk bepflanzter Anlagenplatz, der mit seinem künstlichen kleinen Teich und dem daraus abfließenden Bächlein eine ziemlich bescheidene Rolle unter den grünenden Oasen der Stadt einnimmt; er ist deshalb auch zumeist von Kindern und deren Hüterinnen beschlagnahmt. Eines schönen Tages kam nun eine hohe Magistratskommission des Weges und besichtigte besagte Anlagen in recht verdächtiger Weise. Nach einigen Monden begann eine Schar von Arbeitern ihre Thätigkeit; ein Teil der Bäume und des Gesträuches wurde entfernt, und allmählich wuchsen an deren Stellen massive Mauern aus dem Boden heraus, die sich gar bald zu dem eigenartigen Bau gestalteten, der sich heute als das Münchener Marionettentheater präsentiert.
Die bescheidene Äußerlichkeit des Gebäudes, das eine halbvergessene Stilart aufweist, hat natürlich dem Volkswitz verschiedentlich Anlaß gegeben, sich an der magistratischen Schöpfung zu erproben; als aber der ganze Bau, ein derbes Mauerviereck mit hohem Ziegeldach, vollendet dastand, zeigten sich die Leute schon zufriedener, und als der Giebelschmuck des Säulenportals, der die Figur des lustigen Helden Kasperl an der Hand einer Altmünchnerin und geleitet von einer allegorischen Frauengestalt zeigte, farbenprächtig auf die Passanten herabblickte, da war man zufrieden, und heute freut sich jedermann über den kleinen Musentempel, den der städtische Architekt, Bauamtmann Fischer, mit so richtigem Verständnis hergestellt hat. Das hübsche Giebelbild ist von Hans Beatus Wieland flott gezeichnet und gemalt.
Die innere Ausstattung des Theaterchens ist durchweg den praktischen Anforderungen entsprechend, im großen ganzen aber ziemlich einfach gehalten. Die Bühnenöffnung ist mit einer dekorativen Wandmalerei umgeben, die nach innen zu zwei kleine Porträtmedaillons, darstellend die seitherigen Direktoren der Bühne – von Heydeck und J. Schmid – zeigt. Im Zuschauerraum, dessen Sitzplätze sich in starker Steigung amphitheatralisch erheben, sind als einziger Wandschmuck sechs Medaillons mit in Sepiamanier ausgeführten Bildern aus der deutschen Märchenwelt zu ersehen. Münchener Künstler haben der Sache zuliebe freiwillig die diesbezügliche Arbeit übernommen, und zwar A. Balmer Dornröschen und Rotkäppchen, Otto Tragy den Gestiefelten Kater und die Sieben Raben, Adelbert Niemeyer Hansl und Gretl und Schneewittchen.
Ueber dem Bühneneingang ist ein beinahe lebensgroßes Porträt des berühmten Marionettentheaterdichters und Kinderfreundes Franz Grafen von Pocci, gemalt von seiner in München weilenden Tochter, angebracht. Elektrische Beleuchtung und zweckmäßige Beheizung fehlen in dem für etwa dreihundert Personen berechneten Raume natürlich nicht.
Von den Geheimnissen des Bühnenraumes soll nicht mehr verraten werden, als daß auch hier Vorsorge getroffen wurde, den sprechenden Künstlern Luft, Licht und Platz in ausreichender Weise zu bieten. Die Darsteller müssen sich freilich eine andre Behandlung gefallen lassen. Kein Theater der Welt kann sich rühmen, eine so große Anzahl ständigen Personals zur Verfügung zu haben. Es sind über tausend vortrefflich, teilweise künstlerisch geschnitzte und mit peinlichster Sorgfalt kostümierte Figuren vorhanden, die über dem Bühnenraum, in Säckchen verpackt und numeriert, gebrauchsbereit aufgehängt sind und zwar ohne Unterschied ihrer Stellung und ihres Charakters. König und Handwerksbursche, Engel und Teufel, Kasperl und sein Weib müssen sich da vertragen, bis die Direktion ihnen gestattet, in ihren Wirkungskreis einzutreten. Es existiert bereits eine Menge von »Theaterstücken«, die für die Zwecke dieses Bühne teils neu geschaffen, teils entsprechend bearbeitet wurden.
Der Ursprung des Marionetten- und Puppenspiels reicht bekanntlich bis in die fernsten Zeiten zurück, und sowohl die Franzosen als auch die Italiener haben seit mehr als einem Jahrhundert dasselbe in größerem Maßstabe betrieben. In München wurde das erste derartige Marionettentheater durch den damaligen Generalmajor von Heydeck Ende der vierziger Jahre eingeführt, der alles hierzu Gehörige eigenhändig angefertigt hatte. Im Jahre 1858 wurde dasselbe von dem derzeitigen Leiter Joseph Schmid übernommen.
Einen unermüdlichen Förderer und Protektor hatte die Sache seinerzeit an dem obenerwähnten Grafen Franz von Pocci – gestorben im Jahre 1876 – gewonnen. Dieser, einer der höchsten Kronbeamten des Landes, versorgte die kleine Bühne mit über fünfzig lustigen und gemütvollen Dramen, wie sie kindlicher Anschauung und Auffassung entsprechen; neben ihm findet man aber in der Theaterbibliothek hervorragende Schriftsteller- und Komponistennamen vertreten; bedeutende Künstler haben sich zeitweise an der Gestaltung und Kostümierung der Figuren und an der Ausschmückung der Bühne beteiligt.
Das Theaterunternehmen, solchermaßen trefflich organisiert und ausgestattet, untersteht auch in seiner neuen Gestalt der bewährten Leitung des »Papa Schmid«, der sich dem achtzigsten Lebensjahre nähert, auf eine zweiundvierzigjährige »Direktionsführung« zurückblicken kann und endlich den langgehegten Wunsch nach einem eignen Haus erfüllt sieht.
Am 4. November wurde das Theater für die kleine Welt eröffnet. Es kamen hierbei zur Aufführung ein Festspiel von B. Rauchenegger, »Das Glück ist blind«, Zaubermärchen von Pocci, und »Des Kinderfreundes Huldigung« von E. von Destouches. In dichten Scharen drängt sich jetzt wieder alt und jung durch die Pforte des Hauses. Der laute Jubel der Kleinen zeigt deutlich, welche Fülle von Vergnügen ihnen aus den Bühnenvorgängen erwächst; aber auch die großen »Kinder«, deren Zahl eine nicht geringe ist, verraten durch ihre zufriedenen Mienen, wie sehr es ihrem Gemüte wohlthut, sich nach Kinderart freuen und sich an der Freude der Kinder ergötzen zu können. B. R.
Über Land und Meer. Das Marionettentheater in München. Stuttgart, 1901.
Münchener Marionettentheater. Eine seit langen Jahren berühmte Heimstätte hat das Marionettentheater in München, wo es durch den bayrischen Generalmajor Karl Wilhelm v. Heydeck, einen hervorragenden Maler, begründet worden ist. Zuerst als Liebhaberei geschaffen, wurde es bald ein starkwirkendes Moment im Volks- und Kunstleben von Isar-Athen. Dies geschah, als der Aktuar Josef Schmid das zierliche Miniaturtheater übernahm, das über allerlei technischer Wunder, Requisiten, Fugwerke und Versenkungen verfügte.
Seine Stücke schrieb zuerst der phantasiereiche Dichter und Schriftsteller Franz Graf v. Pocci, ein in vielen Künsten bewanderter trefflicher Mann. Sein erstes Stücklein hieß: Prinz Rosenrot und Prinzessin Lilienweiß; hiermit wurde das Marionettentheater am 5. Dezember 1858 eröffnet, vorher gab es einen gleichfalls von Pocci verfaßten Prolog. König Ludwig I. interessierte sich lebhaft für die wieder einmal neue Kunst und überließ ihr wiederholt einen Saal des Odeon zu den Aufführungen.
Nachdem die Schmidschen Puppenspieler wie eine echte Schauspielergesellschaft in München von Ort zu Ort wandern mußten, erhielten sie seit dem Jahre 1885, (wie uns Arthur Roeßler in der vortrefflichen Theaterzeitschrift »Bühne und Welt« erzählt), endlich ein eigenes Heim, das erste und einzige ständige Puppenspieltheater Deutschlands. Es ist im Biedermeierstil erbaut und sein »Fundus«, wie man in der Theatersprache sagt, ist ein wahrhaftes Archiv von Künstlerreliquien.
Größen der Münchener Universität, wie der Philosoph Prantl, der Theologe Ringseis, der große Mineralog und Dialektdichter Franz v. Kobell u. a. dichteten Zauberstücklein für die kleine Bühne, Musiker wie Lachner und Krempelsetzer lieferten die Musik dazu und erste Künstler schnitzten für Papa Schmid die darstellenden Puppen, wie auch erste Maler den kleinen Theatersaal mit ihren Zeichnungen schmückten.
Es ist ein Universalkunstwerk, diese Münchener Marionettenbühne, an der alles Grazie und Eleganz ist, an der alle Effekte der modernen Bühnentechnik mit Fixigkeit von statten gehen, wie denn mehrere von Schmids Mitarbeitern bereits seit über 30 Jahren an dem kleinen Werke thätig sind. Die Puppen sind künstlerische Meisterwerke in der Charakteristik, diese behäbigen Wirte, Bürgermeister mit Zipfelmützen, Dirndln, Handwerksburschen und Soldaten, Könige und Nachtwächter, Geister, Feen und Bürger – über 1200 Figuren enthält Papa Schmids feine Truppe.
Das Repertoire besteht außer den über 50 Stücken des Grafen Pocci, auch aus altüberlieferten Puppenspielen und aus Bearbeitungen moderner Bühnenwerke, »Afrikanerin«, »Freischütz«, »Walküre« – natürlich wirkt in allen der liebe, lustige Kasperle mit, der noch ebenso hungrig und durstig ist, wie sein Ahnherr im Mittelalter.
Spemanns goldenes Buch des Theaters. Berlin & Stuttgart, 1902.
Papa Schmid! Der unvergeßliche, gute Papa Schmid. Für die Alten eine unvergeßliche, reiche Erinnerung, für die Jugend eine fast sagenhafte Persönlichkeit, die heute noch in seinem Werk, dem Marionettentheater an der Blumenstraße, weiterlebt. Frau Klinger, die Tochter dieses feinsinnigen Mannes, verwaltet treu das Erbe. Kürzlich sahen wir uns das »Nußzweiglein« nach den Grimmschen Märchen in der Bearbeitung von Frau Klinger an und können aus voller Überzeugung allen Eltern den Besuch dieses reizvollen Marionettentheaters für ihre Kinder empfehlen. Hier blüht noch ein Lachen und ein Fröhlichsein, das unsere Kinderwelt in seinen besten Tiefen erfaßt. Der Beginn ist Mittwoch auf 4 Uhr, Samstag auf 3 Uhr festgesetzt.
Illustrierter Sonntag Nr. 2. München, den 12. Januar 1930.
Schmid Josef Leonhard, genannt »Papa Schmid«, 1821 (Amberg/Oberpfalz) – 1912, Vereinsaktuar und Begründer des Münchner Marionettentheaters; als 16jähriger Buchbinderlehrling war Sch. Ende 1837 nach München gekommen, wo er schließlich Aktuar des Unterstützungsvereins für das Amts- und Kanzleipersonal wurde; 1858 machte er dem bekannten Jugendschriftsteller Graf Franz von Pocci den Vorschlag, »ein Marionettentheater für Kinder zu errichten und auf demselben (im Gegensatz zu den damals beliebten rohen Hanswurstiaden) nur solche Stücke zur Aufführung zu bringen, die dieselben nicht bloß unterhalten, sondern auch Sittlichkeit und Religiosität mehr und mehr in den Kinderherzen erwecken und erstarken machen sollten«; von Graf Pocci stammen 53 Stücke, für die das Münchner Marionettentheater das Alleinaufführungsrecht besitzt; nachdem Sch. auch das Miniaturtheater des Generals von Heideck erworben hatte, fand am 5. März 1858 die Erstvorstellung mit »Prinz Rosenrot und Prinzessin Lilienweiß« von Pocci statt; trotz großer Erfolge hatte er einen schweren Existenzkampf um sein Theater, das vielfach wandern mußte, zu bestehen, bis im Herbst 1900 das heutige Marionettentheater an der Blumenstraße eröffnet wurde; 55 Jahre hat Sch. der Jugend und den Erwachsenen als humorvoller Darsteller des lustigen Kasperls gedient, er wurde von den Kindern als »Papa Schmid« verehrt, und sein Grab wird heute noch von den Kindern gern besucht.
© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.