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Hier ruht in Gott
Frau Anna Waagen
¿
¿ Waagen
¿ Hofrath
¿ Februar 18¿
¿ November 1878
¿ Tochter
¿ Freifrau von Trausch¿
¿
Ihre Excellenz
Marie von Waagen
geb. Freiin von Großsche¿
geb. 17. Sept. 1848, gest. ¿. Mai 19¿
die beste Gattin u. Mutter
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Waagen, Anna (vh)
Waagen, Karl; 1800 (Hamburg) – 26.11.1873 (München); Historienmaler, Landschaftsmaler und Lithograph
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Schechner (gb)
* 1806 (München)
† 29.4.1860 (München)
Sängerin
Abschied von Dem. Schechner.
München, den 29. Mai. Gestern trat Dem. Schechner als Gräfin Almaviva in Figaros Hochzeit zum letzten Male vor ihrer Abreise nach Berlin vor dem gedrängt vollen Hause auf. Die hochgefeierte Künstlerin wurde mit anhaltendem Jubel begrüßt, während ihr Kränze zuflogen. Im Verlaufe der Darstellung stieg der Beifall des Publikums fortwährend, und besonders in der Arie im zweiten Akte, welche Dem. Schechner mit ausserordentlicher Bravour sang, bis zur Begeisterung, die am Schlusse der Oper in einen Beifallssturm überging, womit die Entzückten die Entzückende hervorriefen, und wieder mit Kränzen empfingen. Dem. Schechner schien so tief gerührt, daß ihr Dank keine Worte fand. Der Vorhang fiel, doch der schönere Theil der Huldigung folgte erst jetzt. Der Herr General-Major Freiherr von Zoller, an dessen Namen sich ruhmwürdige Erinnerungen reihen, ein feinsinniger Freund der schönen Künste, überreichte der Dem. Schechner an der Spitze ihrer auserlesenen Verehrer, einen Lorbeerkranz mit einer dem festlichen Augenblick, entsprechenden Anrede, nebst einem weißen Atlasbande, worauf die Namen dieser Herren gedruckt waren, innerhalb der rückseitigen Pforte deS Hoftheaters. Dann stieg der edle Freiherr mit Dem. Schechner und deren Mutter in den Wagen; schon hier wurde die große Künstlerin von einer zahlreichen Volksmenge mit einem Lebehoch empfangen. Am St. Sebastiansplatze vor dem Hause der Dem. Schechner befand sich die Mi litärmusik des Leibregimentes, im Kreise helleuchtender Fackeln, in der Mitte von dichten Massen Schaulustiger, die noch einmal die Gefeierte zu sehen wünschten, die nun bei ihrer Ankunft mit rauschendem, wiederholten Jubelrufe begrüßt wurde; das Gleiche geschah, als Dem. Schechner bald darauf am Fenster mit dankender Verneigung erschien, von Einigen ihrer vorzüglichsten Verehrer umgeben, unter denen man auch einen bewährten Kunstrichter und zugleich Dichter bemerkte, mit dessen auf dieses Fest gedichteten Sonette wir gerne unser Blatt schmücken würden, wenn er es damit beehren wollte. Die Musiker führten Stücke aus Dem. Schechner's Glanzrollen mit der diesem Musikchore eigenthümlichen Präcision und Kunstfertigkeit aus. Mit einem dreimaligen Lebehoch, das unter dem sternenhellen Himmel auf alle Mitwirkenden einen tiefen unvergeßlichen Eindruck machte, endete dieses schöne Fest, wodurch nicht blos die herrliche Künstlerin ihres Ruhmes würdig gefeiert, sondern auch, in so ferne eine solche Götterstimme zunächst ein freies Geschenk des Himmels ist, den unsterblichen Göttern eine Dankeshymne gebracht wurde. Möge die Hochgepriesene, mit den Lorbeeren des Auslandes wiederholt geschmückt, bald wieder mit dem süssen Klange ihrer zauberischen Töne uns entzücken! J. v. B.
Münchener Conversations-Blatt Nro. 16. München; Samstag, den 30. Mai 1829.
Berlin, 3. August.
Die preußische Staatszeitung enthält Folgendes:
Madame Schechner-Waagen beschloß gestern den Cyklus ihrer Gastdarstellungen mit der großartigen Rolle der Iphigenia in Glucks Oper dieses Namens.
In der weiblichen Stimme liegt zuweilen ein so unnennbarer Zauber, daß sie allein hinreichend ist, Wirkungen auf unser Gemüth hervorzubringen, welche die Kunst zwar steigern, aber nie erschaffen kann. Man nennt eine solche Stimme gewöhnlich eine rührende, obgleich diese Bezeichnung viel zu wenig umfassend ist, indem jener Zauber keineswegs bloß sanfte, sondern auch stärkere, leidenschaftliche Gefühle in uns aufzuregen im Stande ist. Führt nun ein günstiges Geschick solche Stimmen der Kunst zu, und trifft dabei ein empfänglicher Geist und der rechte Lehrer zusammen, so sehen wir jene seltenen Erscheinungen daraus hervorgehen, die wie glänzende Meteore vor unsern Augen vorüber ziehen, und uns um so mehr mit Bewunderung erfüllen müssen, wenn wir bedenken, wie viel heutiges Tages zu einer Sängerin gehört, wenn dieselbe der theatralischen wie der musikalischen Kunst vollständig Genüge leisten soll.
Madame Schechner-Waagen gehört unstreitig zu der Zahl solcher, schon von der Natur begünstigter Sängerinnen; der seelenvolle Klang ihrer Stimme vorzüglich ist es, dem sie den großen Ruf und die Erfolge verdankt, die ihr Erscheinen bisher noch überall begleitet haben. Ein guter Genius hat sie der Deutschen Musik zugeführt, wo sie von ihrer Gabe den edelsten Gebrauch machen und sie in ihrer ganzen Größe erscheinen lassen kann. Ihre Kunstbildung steht auf der Stufe, daß sie in den Meisterwerken unserer deutschen Komponisten unbedenklich jede ihrer Persönlichkeit zusagende Aufgabe übernehmen könnte, und ist daher der Kreis ihrer Rollen nicht so ausgedehnt, als es in dem Interesse der Kunst zu wünschen wäre, so müssen wir dies lediglich in physischen Hindernissen suchen. Schon bei ihrem ersten Auftreten auf der hiesigen königl. Bühne zeigte es sich, daß sie nicht über eine feste Gesundheit gebiete. In mehreren Vorstellungen sah sie sich schon damals durch Unwohlseyn genöthigt, längere Actpausen als gewöhnlich zu machen, auch wurden ihre Gastrollen mehr als einmal durch Krankheit unterbrochen. Man hoffte von der Zukunft Herstellung von ihren Uebeln; leider ist diese Hoffnung nicht in Erfüllung gegangen. An den Tagen dagegen, wo sie ganz über ihre Kräfte gebieten konnte, entsprach sie in hohem Grade jeder Erwartung, welche sich die hiesigen Musikfreunde von ihr gemacht hatten. Und diese Erwartung hat sie auch bei ihrem diesmaligen Hierseyn nicht getäuscht. Ihre seelenvolle Stimme, ganz dem verwandt, was wir im Eingange dieses Berichtes andeuteten, findet unwiderstehlich den nächsten Weg zum Herzen, und gibt jeder Note eine früher nie gekannte Bedeutung. Ihre von aller Trockenheit entfernte einfache Behandlung der Gesangstücke, das richtige Abwägen ihrer Kräfte, – eine Kunst, die sie im erstaunenswürdigen Grade besitzt, – und der Fleiß, den sie auf das, in deutschen Kompositionen so wichtige, deutliche Aussprechen der Worte verwendet, begeistern nicht allein ihr Publikum, sondern auch die Mitsingenden. Was Mad. Schechner-Waagen zugeich als Schauspielerin zu leisten vermag, hat sie uns in den Rollen der Iphigenia und des Fidelio bewiesen, die wir als die gelungensten ihrer Darstellungen betrachten. Außerdem ist die Künstlerin noch in drei Opern: als Emmeline in der »Schweizerfamilie,« als Rezia im »Oberon« und als Gräfin im »Figaro« aufgetreten. Zu bedauern ist, daß Mad. Schechner-Waagen, eben ihrer Kränklichkeit halber, das Repertoir ihrer Rollen nicht hat erweitern können. Von Parthien, wie die der Alceste und der Armide, so wie der sämmtlichen bedeutenderen Sopranrollen in den Mozartschen Opern hätten wir uns einen seltenen Genuß versprechen dürfen. Aber auch in dem für ihr Talent zu engen Rollenkreise, in welchem wir die Künstlerin von der Bühne herab zu bewundern Gelegenheit hatten, steht sie in diesem Augenblicke unübertroffen da, – ein würdiges Vorbild edler Behandlung des Gesanges und der Verherrlichung und Aufrechthaltung wahrer deutscher Kunst.
Bei ihrem gestrigen letzten Auftreten als Iphigenia war Mad. Schechner-Waagen so trefflich bei Stimme, daß sie die ihr zu Gebote stehenden Mittel noch in ihrer ganzen Fülle entfalten konnte; der Enthusiasmus, den sie erregte, ist schwer zu beschreiben. Schon bei ihrem ersten Erscheinen von dem überfüllten Hause mit stürmischem Beifall empfangen, begleitete sie derselbe durch die ganze Vorstellung, und verwandelte sich am Schluß in jubelnden Hervorruf. Mit herzlichen Worten nahm Mad. Schechner-Waagen von einem Publikum Abschied, dem sie, nach eigenem Geständniß, die erste Anregung und die eigentliche Richtung ihrer künstlerischen Laufbahn dankt, und das, alles Großartige vorzugsweise ehrend, die scheidende Künstlerin auch in der Ferne stets zu seinen Lieblingen zählen wird. Möge sie ihrem kunstsinnigen deutschen Vaterlande noch recht lange erhalten werden und mit stets regem Eifer der Kunst zuwenden, was Natur ihr in so reichem Maße verliehen.
Unterhaltungen für das Theater-Publikum Nro. 16. München, den 10. August 1833.
München, vom 9. November.
Es ist uns von geachteter Hand folgendes zur Mitteilung eingesandt worden:
»Das durch Wiener Blätter verbreitete Gerücht, daß Mad. Schechner-Waagen daselbst Gastrollen geben werde, ist, wie man vernimmt, völlig ungegründet. Leider wird diese geschätzte Künstlerin selbst dem Münchner Publikum für mehrere Wochen durch eine Krankheit entzogen, welche die Aerzte den allzufrühen und großen Anstrengungen nach ihrem letzten Wochenbett beimessen, wodurch die auf dem Repertoir befindlichen Opern, Macbeth und Eurianthe hinausgeschoben werden. Auch die Hoffnung, Mad. Sigl-Vespermann nach längerer Ruhe und Badekur wieder in Thätigkeit beim K. Hoftheater gesetzt zu sehen, geht nicht in Erfüllung, indem ein neuerdings gegebenes ärztliches Gutachten sie selbst für einen beschränktern Theaterdienst für unfähig erklärt haben soll.«
Unterhaltungen für das Theater-Publikum Nro. 16. München, den 9. November 1833.
Nanette Schechner-Waagen, geb. 1808 in München von armen Eltern, trat schon früh als Choristin zur italienischen Oper. Grassini bemerkte bald die vortreffliche Stimme Nanettens und nahm sie in seine Gesangschule auf. Königin Caroline sorgte, als ein günstiger Erfolg sich zeigte, für weitere Unterstützung des sich entwickelnden Talents. Nanette ging dann nach Wien und sang 1827 in Berlin mit großem Beifall die Emmeline. Sie kehrte dann nach München zurück. Eine zweite Kunstreise unternahm sie 1829, wo sie abermals in Berlin sang. Sie heirathete 1832 den Lithographen Waagen. Bald darauf verlor sie durch Krankheit ihre Stimme und trat 1835 ganz aus dem öffentlichen Leben zurück.
Dr. Gustav Klemm: Die Frauen. Culturgeschichtliche Schilderungen des Zustandes und Einflusses der Frauen in den verschiedenen Zonen und Zeitaltern. Dresden, 1858.
[…]
Es war ein wunderschöner Sonntag im Sommer 1822. Das ist zwar lange her, aber das Ereignis ist doch nicht gar so unbedeutend, das es nicht für Freunde des Theaters einiges Interesse haben sollte.
Der »Freischütz« hatte seine Siegesbahn einige Zeit früher begonnen; Weber selbst hatte ihn eben in Wien dirigirt, bald darauf erschien er auf dem prächtigen Hoftheater zu München, dem »neuen«, wie es damals noch zum Unterschiede von dem alten Residenztheater und dem an dem Isarthor genannt wurde. Der »Freischütz« half allen hektischn Theaterkassen auf; in München erklang »die veilchenblaue Seide« bei Bock und Bier, bei der Wachtparade und bei den Serenaden, die damals noch in der Mode waren. An jenem wunderschönen Sonntage war nun eben der »Freischütz« angekündigt und »Alles ausverkauft«, wie der Jargon der Theaterbeamten lautet. Kein anderes Stück hätte eine solche Macht geübt. Da erhielt am Morgen selbigen Sonntags der Intendant Herr Stich die Schreckensbotschaft, Madame Metzger-Vespermann, die unvergleichliche Agathe, sei plötzlich erkrankt und der »Freischütz« könne nicht aufgeführt werden. Das Geld zurückzahlen und ein leeres Haus haben, zu solchem Gedanken konnte Herr Stich sich nicht erheben. Was war zu thun? – Da trat eine Trösterin zu ihm in der kleinen Gestalt der Sängerin, welche das Aennchen sang. »Herr Intendant«, sprach sie, »ich weiß Rath, ich kenne ein junges Talent, das unter meiner Leitung die Agathe einstudirt hat, und damit fertig ist. Mit einer Klavierprobe leistet sie die Rolle, da sie die ganze Oper aus den vielen Proben genau kennt.«
»Und wer ist denn das Wunder?« rief Stich,
»Die Schechner«, lautete die Antwort.
»Was? die Choristin? Nimmermehr!« schrie der Intendant entrüstet, welcher glaubte, daß man ihn zum Besten haben wolle.
Allein des Aennchen ließ nicht nach zu bitten, zu betheuern, alle Verantwortlichkeit übernehmen zu wollen; auf der anderen Seite stand die Drohung, das bereits eingenommene Geld zurückzuzahlen, wie ein schwarzes Gewitter.
Stich zog die finsteren Brauen zusammen, fuhr mit der Hand über das gelbe Antlitz und sagte endlich gedehnt: »Nun, in Gottes Namen, so wollen wir es denn versuchen – was kann ich dafür?«
Die Klavierprobe wurde eiligst zusammengetrommelt. Die geübten und geschickten Künstler hatten sich um den Dirigenten gruppirt; etwas seitwärts stand ein schlankes, aufgeschossenes Mädchen von achtzehn Jahren, das nicht gerade schön zu nennen war. Der Teint braun; Locken von gleicher Farbe fielen auf eine sanftgewölbte Stirne, das Auge dunkelglühend, und über diesen Augen stark gezogene Brauen, die in der Mitte über der nicht feinen Nase zusammenlaufend dem Ganzen einen nicht lieblichen, aber herrischen nnd tiefernsten, fast tragischen Ausdruck verliehen. Der geöffnete Mund war weit, wie ihn jede große Sängerin hat, und ließ zwei gleiche Zahnreihen von ebenmäßiger Schönheit sehen. Das war Anna Schechner, ein armes Kind, gleich der damals weltberühmten Klara Metzger, deren Lieder zur Harfe den Besuchern des Neudeckergartens in der Au noch in gutem Gedächtnisse geblieben waren. In der Kunst zählen die Ahnen für nichts, und gleichviel aus welchem Winkel das Licht hervorleuchtet, wenn es auch in unserer irdischen Sphäre die lieben Engel nicht begrüßen, wenn es nur zur rechten Zeit entdeckt wird. Der gute Kapellmeister Winter fand jene Klara und nahm sich ihrer an; hier war’s der gute Freund Zufall, dessen sich der liebe Gott manchmal zu seiner Fügung bedient.
Anna’s Stimme war bekannt; denn sie sang im Chor. Dies erregte daher auch weniger Verwunderung, als der Ausdruck, den sie dieser Stimme zu geben wußte, das Spiel der Leidenschaft in ihren Zügen und das Fertige in ihrer Art und Weise. Dabei war eine besonnene Ruhe über Alles verbreitet; keine Spur von ungeordneter Leidenschaft, hinter der sich die Unzulänglichkeit verbirgt; viel eher konnte man über eine gewisse Kälte klagen. Aber der Ton dieser Stimme, die glühende Wärme, die in dieser Stimme lag, der volltönende Klang, der aus der Tiefe der Brust aufströmte, war mehr als Alles was Aktion, theatralischer Kunstgriff, Routine zu der Wirkung hätten beitragen können. Die kalte Ruhe der jugendlichen Sängerin verscheuchte jede Besorgniß bei den Anwesenden; ihre natürliche Befangenheit, die unausbleiblich gewesen sein muß, konnte sich damit wie mit einem Schilde bedecken und trat nicht zum Vorschein. Alle staunten die Seltenheit an und ein Zweifel an dem Erfolge war nicht mehr vorhanden. Der Abend kam, und das Publikum bestätigte diese Voraussicht im vollsten Maße. Die Münchener freueten sich des glücklichen Fundes und die Schechner war bald ihr Liebling geworden. So geht’s mit den Geschicken der Menschen.
Damals rivalisirten in München die Italiener mit den Deutschn in Opernsachen. Die Italienische Oper hatte mächtigen Schutz. Die Königin Karoline in Person nahm sich ihrer an; ihr wurde Alles referirt, sie bestimmte das Repertoir. Es war eine Aufmerksamkeit des galanten Königs Max Joseph des Ersten gegen seine Gemahlin. Der »Don Juan« bei den Italienern galt als Mustervorstellung, und zwar im eigentlicheren Sinne, als dies später die Dingelstedt’schen Versuche an der Münchener Hofbühne waren. Die Schiasette, die Buonsignori, Santini, Pellegrini, Rubini, schöne Stimmen, jugendliche Kräfte. Die Deutschen gaben Mozart’s Meisterwerk mit der jungen Sigl als Donna Anna, der Metzger als Zerlina, nun kam die Schechner als Donna Elvira hinzu. Die Italiener waren geschlagen. Nie habe ich die Elvira so vollendet als von der Schechner geben sehen. Alle Vorzüge, die sie besaß, traten in dieser Partie in das hellste Licht. Selbst ihr Mangel konnte als Vorzug gelten. Die Leidenschaftlichkeit, die sie nicht in Aktion kund gab, ließ ahnen, was für einen Kampf die von der Vernunft erheischte Entsagung mit der stets neu erwachenden Sinnlichkeit in dieser Brust zu bestehen hatte, die so innig, so schmerzdurchglüht ihre Klage ausströmte. Es war eine bezaubernde Poesie in dieser Leistung.
Aber nur München erfreute sich dieser Perle wahrhaft Deutscher Gesangskunst. Man hörte draußen nur wenig von ihr. Da kam ein Berliner Gastspiel, und die Generaltrommelschläger der guten Spreestadt thaten auch diesmal, wie bei der Sonntag, Neumann, Wagner und so vielen anderen, ihre Schuldigkeit. Das Verdienst soll ihnen nicht abgesprochen werden. Deutschland wußte bald, daß es eine große Deutsche Sängerin gebe, welche Schechner hieß, und der jetzt schon sehr alte Herr Friedrich von Raumer war damals noch so begeisterungsfähig und überschwänglich, daß er in seinen »Pariser Briefen« bei Gelegenheit der Erwähnung einer vergötterten Pariser Sängerin in die Worte ausbricht: »Was ist das gegen unsere Schechner! Sie komme nach Paris, und sollte ihr kein Theater seine Pforte öffnen, so singe sie an den Straßenecken, um Deutscher Kunst den Sieg zu erringen. Alle Kunstfreunde würden ihr auch hier huldigend zu Füßen sinken!«
Das war stark, aber doch gut gemeint. Die Scheckner reiste jedoch niemals nach Paris , und ihre Herrlichkeit war bald aus. Ihr Klang erlosch wie der einer Nachtigall nach einem kurzen Mai. Man kann auf sie das rührende Wort anwenden: »Rose, eele a vécu, ce que vivent les roses – l’espace d’un été!«
Er war wieder ein heißer Sommer – der vom Jahre 1834, nur zwölf Jahre nach jenem schönen von 1822, wo Anna zum ersten Male ihre künstlerische Macht den Münchenern offenbart hatte. Nur zwölf Jahre! und die Sängerin hatte sich schon nach Meran zurückgezogen, um eine krankhafte Disposition der Kehle durch Südluft und Gaismilch im Keime zu ersticken. Dort sah ich sie wieder. Ich war grausam genug ihr einen leisen Vorwurf darüber zu machen, daß sie sich zu sehr ihren krankhaften Gefühlen überlasse und der Ausübung der Kunst so früh schon entsagen wolle. Sie sah mich mit schmerzlichem Lächeln an. Ich bat sie, mir etwas vorzusingen, sie gab willig nach und setzte sich an das Klavier. Ich war erstaunt; das war dieselbe Stimme; Ton, Klang, Fülle, Alles war unverändert.
Ich war im Begriffe meine früheren Aeußerungen wieder aufzunehmen , als sie zu Ende war. Sie war bleich geworden und ein leises Hüsteln hatte sich eingestellt. »Sehen Sie lieber Freund«, sagte sie traurig, »das ist Alles, was ich noch kann. Ich habe es Ihnen mit großer Anstrengung gezeigt. Eine Partie durchzusingen wäre ich nicht mehr im Stande. Jetzt stellt sich schon wieder der fatale Krampf im Halse ein.«
Und so blieb es. Sie kehrte mit ihrem Gatten, dem Preußischen Kommissionsrathe Herrn Waagen nach München zurück. Ich kann mich nicht besinnen, ob sie noch einmal öffentlich sich hören ließ. Sicher ist es, daß ihre Pensionirung bald darauf erfolgte, als sie in einem Alter stand, in welchem Sängerinnen gewöhnlich erst lebenslängliche Kontrakte an Deutschen Hoftheatern abschließen oder auf London und Paris spekuliren. Sie lebte nun in stiller Zurückgezogenheit ihrem Gatten und ihren Kindern, bis sie vor wenigen Wochen nach längerer Kränklichkeit hier in München aus dem Leben schied.
Hier in München! Und als die sterbliche Hülle der großen Künstlerin nach dem Gottesacker gefahren wurde, da kannte sie Niemand mehr. Die neue Generation hatte sie nie gehört, aber auch die Künstler des Hof- und Nationaltheaters hatten kein Gedächtniß mehr für sie. Kein Klagelaut erscholl aus ihrer Mitte an dem frischen Grabe, das sich über dieses merkwürdige und unglückliche Künstlerleben geschlossen hatte. Selbst das Chorpersonal war nicht einmal beordert worden. Und Anna Schechner hatte doch vor achtunddreißig Jahren durch ihre Kunst es bewirkt, daß der Intendant nicht die fette Beute der wilden »Freischütz«-Jagd wieder herausgeben mußte! Ich will jede weitere Ironie unterdrücken. Ich hoffe, daß ihre Stimme, wiedergefunden, jetzt zu höherem Preise als hieniedens erklingen darf.
[…]
Wiener Zeitung No. 44. Abendblatt. Donnerstag, den 24. Mai 1860.
Nanette Schechner-Waagen.
Neben der im Tode ihr vorausgegangenen Henriette Sontag war Nanette Schechner die größte deutsche Sängerin ihrer Zeit, wenn nicht unseres Jahrhunderts. Die Eltern Nanettens, die im Jahre 1806 geboren wurde, lebten als redliche, wenig bemittelte Bürger zu München; sie hatte viele Geschwister, weshalb auf ihre Erziehung nicht diejenige Sorgfalt verwendet werden konnte, welche den edlen Stoff zu seiner reinsten Vollendung geführt hätte. Vielleicht blieb ihr dafür eine desto frischere Naturkraft. Den ersten Unterricht im Gesang und Clavierspiel erhielt sie von einem Schauspieler, Namens Weber. Später trat sie ins Chorpersonal der italienischen Oper ein, wo sich bald eine herrliche Stimme an ihr bemerkbar machte. Den ersten entschiedenen Erfolg feierte sie zufällig. Die berühmte italienische Sängerin Grassini kam nach München und wünschte in Cimarosa's »Horatiern und Curiatiern« aufzutreten. Es fehlte am Theater an einer Solosängerin für die Altpartie des jungen Curiatio; die Choristin Schechner wurde endlich dazu erwählt und von der Grassini, die in ihr keine Nebenbuhlerin fürchtete, genehmigt. Der Neid einiger unbedeutenden Talente, die sich dabei übergangen glaubten, streute gehässige Gerüchte über die Anfängerin aus, sprach von Anmaßung, Kabalen und dergl., während die über ihre geniale Begabung selbst noch unaufgeklärte Künstlerin in Bescheidenheit und Angst zitterte. Die Stimmung wurde heftig gegen sie aufgeregt, wozu noch der Umstand beitrug, daß kurze Zeit zuvor die berühmte Sessi in eben der Partie mit größtem Glanze aufgetreten war. So ward denn der Beschluß gefaßt, die Choristin auszuzischen. Diese trat endlich auf; ihre edle Gestalt, bescheidene Miene und ein Zug sanfter Weiblichkeit nahmen schon für sie ein gegen die etwas gespreizte, kokette Manier der alternden Grassini. So war die Ungunst der Stimmung bereits durch das bloße Erscheinen sehr gemildert und es wagte sich keine mißbilligende Stimme zu erheben. So wie aber die ersten Töne von den Lippen der Sängerin erklangen, war es, als ob ein elektrischer Funke alle Hörer getroffen, man horchte gespannt auf, Ueberraschung und Staunen wuchsen mit jeder Minute, denn man sah ein Wunder sich vor Aller Augen begeben. Die Grassini selbst gerieth in Verwirrung, wurde befangen, verunglückte halb. Genug, die Anfängerin erfocht durch den bloßen Wohllaut ihres Organs den vollständigsten Sieg über die ausgebildete Meisterin, und so hatte sich die ihr zugedachte Schmach in den höchsten Triumph verwandelt. Die Königin Karoline von Baiern sandte das junge Mädchen nun sogleich zur weiteren Ausbildung nach Italien, wo der Kapellmeister Orlandi und der ausgezeichnete Sänger Ronconi ihre Gesanglehrer wurden. Zurückgekehrt nach München trat sie dort zunächst wieder als Gräfin im »Figaro« auf und erregte Enthusiasmus in dieser Rolle; sie wirkte dann in der italienischen Oper noch eine Zeitlang weiter, doch trieb ihr Geist und ihr Talent sie immer mehr zur deutschen Oper hin. Deshalb ging sie 1825 nach Wien, wo jedoch die große Oper eben damals eingegangen war, denn man besaß nur die mittelmäßige Truppe des Kärntnerthortheaters, und dies war keine Hofbühne, sondern blos Privatunternehmung mit gar keinem oder ganz geringem Zuschuß. Diese Verhältnisse konnten kein würdiges Feld für die mächtigen Gaben unserer Sängerin darbieten, und ein einziger Umstand mag das beweisen. Sie wünschte in der Rolle der Leonore im »Fidelio« aufzutreten, doch der Director schlug es ihr ab, weil, wenn sie einmal in dieser Oper gesungen habe, nachher Niemand dieselbe ohne sie würde hören wollen. Indessen hatte man in München doch gefühlt, was man an ihr verloren. Es wurden ihr Anerbietungen gemacht und sie 1827 vom Münchener Theater für 4000 Gulden jährlich engagirt, nachdem sie bei einem Gastspiel in Berlin, von dem an ihre eigentliche großartige Entwicklung datirt, mit der Sontag und der Catalani siegreich concurrirt hatte. Wer die Schechner nicht in diesem einen Jahre 1827 gehört hatte, kann, so wird uns versichert, sich keinen Begriff von der wunderbaren Gewalt ihrer Stimme in deren leider nur kurzer Blüthezeit machen. Schon 1828 ward sie durch eine lange Krankheit in ihrer Wirksamkeit gehemmt, und nach zwei Jahren war der Abstand zwischen Einst und Jetzt schon unermeßlich. Seit sie sich 1832 mit dem als Gallerieinspector und Rath in München angestellten Maler Waagen vermählt hatte, war sie der Kunst fast ganz verloren, mehrere Anfälle von Brustkrankheit ließen sie nur selten auftreten und eine vorzeitige Entbindung entfernte sie endlich ganz von der Bühne, die sie seit 1835 nicht mehr betrat. Vergebens versuchten berühmte Aerzte alle Mittel ihrer Wissenschaft gegen den Eigenwillen der Natur; es trat ein gänzliches Versagen des herrlichsten Organs ein, welches die neuere Theatergeschichte kennt. Nanette Schechner zog nicht, wie die Sontag, Pasta, Catalani u. A. durch Europa, durch die Welt, um Triumphe zu feiern. München, Wien, Berlin und einige andere deutsche Städte waren die einzigen Zeugen ihrer Kunst. Ja faßt man den Kern ihres künstlerischen Daseins zusammen, so drängt es sich in die wenigen Monate, wo sie in Berlin in 25 beispiellosen Triumphen den Gipfel der Kunst erklomm. Ihre Emmeline in der »Schweizerfamilie«, Donna Anna, Euryanthe, Rezia, Leonore im »Fidelio«, vor allen aber auch ihre »Iphigenia« und »Vestalin« waren die Höhepunkte dessen, was die seltenste Fülle und Schönheit des Gesanges vielleicht je zu leisten vermochte. Ihr Spiel hatte nicht dieselbe großartige künstlerische Bedeutung. Sie lebte, zurückgezogen vom Theater, noch 25 Jahre und starb zu München am 30. April 1860.
Frauen der Zeit. Supplement zu Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart. Leipzig; 1862.
2.
Nanette Schechner hatte in ihrer Vaterstadt die künstlerische Laufbahn begonnen, in Wien jedoch (1826) ihren ersten Aufschwung genommen. Dort waren sie, ihre Mutter und der Bruder Xaver mit Helmina und den Ihren bekannt geworden, um manche fröhliche Stunde mitsammen zu verleben. Nanette (eigentlich Anna) stand in der vollsten Pracht und Blüthe ihrer Kunst. Im täglichen Leben erschien sie als ein freisames Münchener Kind, kräftigen Körperbaues, mit apfelrundem Gesicht von bräunlicher Färbung, eingerahmt von prachtvollem schwarzen Haar. Ein paar dunkle Augen unter dichten Brauen blitzten funkelnd in die Welt hinaus. Eine unverwüstliche Munterkeit zog unablässig die schwellenden Lippen von den blanken Zähnen. Eine Antwort blieb sie nie schuldig, weder im Scherze noch im Ernste, und selbige Antwort hatte immerdar Hand und Fuß. Ueber alles ging ihr ein guter Spaß, aber er mußte kernhaft sein. Ihre herrliche Stimme, ihre musikalische Begabung und ihre echte Kunst der Darstellung waren den Zeitgenossen wolbekannt; für die Nachkommen haben sie natürlich keine Geltung mehr. Doch ist als bleibend merkwürdig ein wunderlicher Widerspruch zu erwähnen: dieselbe kernhafte Münchnerin, welcher derbe Kost und steifes Bier so waidlich mundeten, und die im alltäglichen Verkehr sich als das Vorbild eines sog. kecken Zahnes bewährte, war unrettbar dem Lampenfieber preisgegeben. Sobald sie die Bühne betrat, ward sie von wahrer Galgenangst befallen. Nur allzuoft geschah es, daß sie – während nach einer großartigen Leistung das entzückte Haus in stürmischen Beifall ausbrach – hinter den Coulissen dem Elend eines Neulings zur See unterlag. Und mit der Zeit nahm solcher Jammer zu, statt durch Gewohnheit und Erfolg sich abzustumpfen; schließlich wuchs die unerklärliche Zaghaftigkeit ihr dergestalt über den Kopf, daß Nanette noch in der Blüthe ihrer Jahre die dramatische Thätigkeit aufgeben mußte, weil die Stimme, obschon durch die weitere Ausbildung noch vorzüglicher geworden, hinter den Lampen endlich ganz und gar versagte, wie es sonst höchstens einer Anfängerin zu geschehen pflegt.
Der Sängerin Vater war seines Zeichens ein Mechaniker, mit vielen Kindern gesegnet. Sein Wohlstand war nie ein glänzender gewesen und endlich zu einem bedenklich niedern Grade gesunken, als eben noch zu rechter Zeit seine Tochter in die Lage kam, ihm wieder aufzuhelfen. Die Mittel zur Ausbildung verdankte das junge Mädchen der kunstsinnigen Königin Karoline. Nanettes Mutter, eine kluge und betriebsame Frau, wüßte dafür zu sorgen, daß die so glücklich gewonnene Ausbildung sich verwerthe. Innerhalb weniger Jahre wurde das Haus von Satzschulden befreit. Am häuslichen Herde waltete Wolbehagen nach altbürgerlichem Zuschnitt, dem jener marketenderhafte Anflug nicht fehlte, zu welchem das Münchener Wesen von damals überhaupt sich zu neigen schien, und dem die späte Bekanntschaft der Mama mit dem Reiseleben und der Theaterwirthschaft natürlich keinen Eintrag gethan hatte. Der gesellige Verkehr war der ungezwungenste von der Welt. Man kam und ging Abends wie Tauben zum und vom Schlage. Zur Essenszeit erschien ein Kalbsbraten, die regelmäßige Münchener Nachtkost; wer Lust danach empfand, langte sitzend oder stehend zu. An Bier durfte es selbstverständlich so wenig fehlen, als etwa zu Neapel in einer Abendgesellschaft an frischem Wasser. In München ist Bier ein Lebenselement. Von Förmlichkeiten und Umständlichkeiten war bei Schechners nirgends eine Spur. Morgenbesuche, Kartenabgeben und dergleichen Firlefanz wurden in diesem urwüchsigen Kreise gründlich verachtet. Womit indessen keinesweges gesagt sein soll, daß Mama Schechner nicht auch ihren kleinen gesellschaftlichen Ehrgeiz hatte. Sie veranstaltete nämlich hie und da eine förmliche Abfütterung, und wer da nicht gehörig seinen Mann stellte, verwirkte unfehlbar ihre Gnade. Ein paar Gäste, denen sie besonders wolwollte, wurden einst bei solchem Anlaß Abends zuvor schon in Beschlag genommen und am nächsten Morgen überwacht, damit sie ja kein zweites Frühstück nähmen. Sie waren Hausgenossen, sogenannte »Zimmerherren« im zweiten Stocke bei dem Gerhart'schen Ehepaar. Der eine hieß Heinrich Ernst; er ist bald darauf ein berühmter Künstler geworden. Vom anderen ist noch etwas einzuschalten, bevor von Heinrich Ernst wie von der Schechner weiter gesprochen wird.
Chezy sah sich ganz mit dem Wolwollen empfangen, das zu treffen er erwartet hatte. Als er sich wegen einer Unterkunft Rathes erholte, sagte Mama Schechner, sie glaube, daß bei der »Madame« Gerhart ein Zimmer frei sei. (Man sagte damals, so weit die deutsche Zunge reichte, noch Madame und Demoiselle, Mademoiselle oder Mamsell; Frau und Jungfer klangen nicht vornehm genug, Fräulein aber zu vornehm für den Mittelstand). Die dienstfertige Mama wälzte ihre zwei Centner auf den offenen Gang hinaus, wie er in beiden Stockwerken je zwei Flanken des kleinen Hofes beherrschte. Im Zimmer vernahm man, wie sie mit ihrer durchdringenden Stimme den Namen der Vermietherin rief. Die meldete sich ohne Verzug. »Ich habe einen jungen Herrn für Sie,« sagte die Hausfrau. »Ist er sauber?« fragte die droben. In Baiern bedeutet wie in Oesterreich sauber so viel als hübsch; die oberdeutschen Mundarten von Pannonien bis zum Peißenberg sind ja bekanntlich eines Ursprunges und klingen so verwandt, daß der Alemanne, Franke und Sachse sie kaum unterscheidet. – Die Antwort lautete: »Freilich. Er wäre schon eine Todsünde werth.« Die Gerhart drückte ihr Bedauern aus, daß sie für die nächsten 14 Tage nur die »Chaluppe« zur Verfügung habe; danach werde freilich die große Stube frei. Die s. g. Chaluppe war ein dunkler Schlafwinkel. Der Miether bequemte sich einstweilen damit vorlieb zu nehmen, da ihm angeboten wurde, sich beliebig im Familienzimmer aufzuhalten, wo er den größten Theil des Tages über ungestört bleiben könnte, da Gerhart, der Actuar, in einer Kanzlei arbeitete und die Frau meistens in der Küche zu schaffen hatte. Vormittags war Chezy wenig, Nachmittags gar nicht zu Hause. Das erste seiner Collegicn (Maurer, später Staatsrath und Mitglied der »Ottokindischen« Regierung in Hellas) ward in der Früh von 6–8 Uhr gelesen; ein anderes Nachmittags (Puchta) von 4–5. Mehr als diese zwei Vorlesungen hatte der neue Studio nicht belegt. Mit Nachschreiben gab er sich nach den ersten acht Tagen nicht mehr ab, nachdem er innegeworden, daß Mephisto recht hat, wenn er spricht, daß der Lehrer nichts sage als was im Buch stehe. Die freie Zeit aber benützte er in den ersten Wochen, die Gemäldesammlungen etc. auswendig zu lernen und sich mit den Umgebungen der Stadt bekannt zu machen. So verging die Zeit des Aufenthaltes in der Chaluppe, obschon sie etwas länger währte als bis nach Ablauf der ursprünglich verabredeten 14 Tage.
Der Zimmernachbar war Heinrich Ernst, damals noch nicht 20 Jahre alt, aber bereits ein kunstfertiger Geiger ersten Ranges. Was eine Nessel werden soll, muß früh brennen. Ernst und Chezy, bei der Schechner mitsammen bekannt geworden, behagten einander und verständigten sich dahin, in des Musikers Zimmer zu schlafen, im anderen, dem größeren, zu wohnen. Die beiden betrieben gemeinsam zwei wichtige Angelegenheiten: sie dichteten eine Oper und strebten nach höherer Ausbildung im löblichen Billardspiel. Die Oper hieß das Galgenmännlein und hatte, wie der Name bekundet, das bekannte Märchen zur Grundlage. Ernst hatte, als er zu Ende des Sommers München verließ, die meisten Musikstücke in der Grundweise fertig, namentlich alle Arien, Duette, Terzette etc. sammt den Chören. In Frankfurt verlor er das Textbuch, das nur in der einzigen Urschrift vorhanden war; und so brannte der Schuß von der Pfanne. Die Ausbildung auf dem Billard dagegen kam zu befriedigendem Abschluß. – Frühmorgens trieb Ernst auf der Geige angestrengte Seiltänzerei, woran der Kamerad nur dann Anstoß nahm, wenn zufällig neue Saiten aufgezogen waren und dicht beim Steg eingespielt wurden. Eine solche Uebung soll für den Künstler so vortheilhaft sein wie für sein Saitenspiel. Ernst verglich sie mit dem Tanzen in schweren Stiefeln, wodurch der Fuß an Leichtigkeit und Sicherheit für jene Stunden gewinnt, worin er leichtbesolt zu hüpfen hat. Doch welche Meisterhand immer auch den Bogen bei der Stegübung führe, der unglückselige Hörer kommt sich vor, als wäre über der Magengrube sein Leib von einer Darmsaite umspannt und als zögen nervige Fäuste diese von beiden Seiten hin und her. In den späteren Vormittagsstunden fanden sich häufig musikalische Besucher ein, bewaffnet mit allerlei bedrohlichem Rüstzeug; doch sah die Sache gefährlicher aus als sie war, da Ernst, abgesehen von der Stegfolter, in der holdseligen Kunst keinen Spaß verstand. Außer ihm durfte keiner bei ihm kratzen. Es gab allerdings vielen Lärm, aber keine Mißtöne, als höchstens beim Stimmen. Schlechte Musik wäre im Hause der großen Sängerin umso übler angebracht gewesen, als das Nest der Nachtigall zugleich ein Nachtigallennest war. Ein paar von Nanettes Schwestern besaßen ebenfalls starke Stimmen von seltenem Wolklange. Weßhalb nichts für ihre Ausbildung geschah, ist mir unbekannt geblieben. Wenn die Mädchen in der Küche oder am Waschtroge das unbenutzte Metall zu ihrem Vergnügen verwendeten, glichen sie nicht übel jungen Bären, die in der Wildniß mit Goldklumpen spielten, als wären es gemeine Wackersteine; nichtsdestoweniger behielt der todte Schatz seinen innern Werth.
In Bezug auf solches Nachtigallenthum war es sicherlich kein unpassender Scherz, wenn die weißen Würste, welche im Schechnerhause wie überall in München massenhaft verzehrt wurden, den Namen der »Mehlwürmer« erhielten. Die Bezeichnung hatte übrigens noch ihren besonderen Ursprung vom Keferloher Markt her. Dieser Roßmarkt auf der weiten Heide westlich von München am rechten Ufer der grünen Isar war ein Volksfest, wo der Münchener sich in altbaierischer Weise wolsein ließ und namentlich übermäßig brutal war. Mit dem Ausrufe »alles keferloherisch!« war jede Unzukömmlichkeit entschuldigt, sobald man nur das Feldzeichen des Tages, ein Sträußchen von gemachten Blumen, am Hute trug. Diese Sträußchen waren nicht ganz so theuer als Pariser Kunstblumen; sie kosteten Stück für Stück drei bis sechs Kreuzerlein. Nanette versäumte mit den Ihren nur dann das Fest, wenn sie zufällig nicht in München verweilte. Chezy traf sie dort. Im offenen Wagen wurde eben eine Herzstärkung genommen; sie bestand aus einer ungeheuren Schüssel voll weißer Würste aus dem nächsten der brodelnden Kessel. »Sind die Mehlwürmer gut, Nachtigall?« fragte hinzutretend der gute Bekannte mit keferloherischer Ungezwungenheit. Die Sängerin langte mit den enthandschuhten Fingern in die Schüssel, holte ein Pärlein heraus und reichte es dem Fragenden mit der lustigen Antwort hin: »Die Zeiserl fressen's aa«. (Zeiserl sagen Oesterreicher und Baiern, Zeisele die Alemannen, Zeisig die Schriftsprache.) Seitdem behielt Chezy unter seinen Freunden den Beinamen, mit welchem er drei Jahrzehnte später seinen Enkel förmlich und feierlich belehnt hat. Die Weißwürste aber hießen fortan Mehlwürmer und gelegentlich wurde ein Neuling belehrt, daß aller Naturgeschichte zum Trotz auch Zeiserl, Finken und Gimpel dergleichen fräßen, und zwar am liebsten aus Nanettes Hand. Die aber wäre arm geworden, wenn sie alle, die es gern gehabt, so hätte ätzen wollen. Die Zahl der Bewunderer hieß begreiflicher Weise Legion, aber die große Künstlerin war durchaus nicht gefallsüchtig und besaß eine gute Art, den Schmachtlappen zu heilen, wie dem Zudringlichen die Thüre zu weisen. Sie gab sich nicht einmal dazu her, den Beifallklatschern der Tagespresse auch nur einigermaßen schön zu thun.
Hier ist beiläufig anzumerken, daß Nanette im Jahre 1832 oder 33 sich vermälte. Die Mutter soll der Verbindung Schwierigkeiten in den Weg gelegt haben, weil sie, wie es hieß, den Vogel nicht hergeben wollte, der goldene Eier legte. Der Widerstand blieb vergeblich. Eine erste Liebe hatte Nanette demselben ohnehin schon zum Opfer gebracht; jetzt war sie lange genug eine Tochter gewesen, um endlich einmal an sich selbst denken zu dürfen. Ihr Gatte, Herr Waagen, stammte aus Berlin und war ein Bruder des bekannten Kunstschriftstellers. Die Ehe war eine glückliche, gesegnet mit ungefähr einem halben Dutzend von Kindern. Im Kreise der Ihren tröstete sich Nanette für das seltsame Mißgeschick, das sie im Vollbesitze ihrer Kraft aus der künstlerischen Laufbahn warf. Sie starb 1860.
Wilhelm Chezy: Erinnerungen aus meinem Leben. Zweites Buch: Helle und dunkle Zeitgenossen. I. München vom Frühjahr 1829 bis zum Herbst 1831. Schaffhausen, 1864.
Unsere Hofbühne feierte am 15. August 1885 die 100. Aufführung des »Fidelio«; sonach liegt zwischen dieser 100. Aufführung und dem ersten Erscheinen des unsterblichen Werkes ein Zeitraum von dreiundsechzig Jahren. In Nannette Schechner war eine der berufensten Vertreterinnen dieser Heldin herangereift.
Der Musikkritiker Ludwig Rellstab nennt die Schechner die einzige Künstlerin, von welcher im gesanglichen Theile dieser Partie die große Schröder-Devrient übertroffen wurde, während in der Genialität der Darstellung die letztgenannte als unübertroffen gilt.
»An strahlendem Glanze, an fern hintreffender Gewalt und Größe des Umfangs ist ihre Stimme jeder uns bekannten überlegen«, schreibt ein hiesiger Referent gelegentlich der ersten Fideliodarstellung der Schechner, »ihr Klang theilt dem Hörer ein unbeschreibliches Entzücken mit und bei der üppigen Fluth des Wohllautes, welche diesem Munde entströmt, dünken wir uns in eine höhere Welt versetzt«. Nanette Schechner verließ leider am 1. Mai 1826 den Kreis ihrer hiesigen Thätigkeit, um in Wien ein vortheilhafteres Engagement anzutreten, doch bereits zwei Jahre später gelang es der Intendanz, diese seltene Kraft wieder zu gewinnen. Am 17. October 1831 heirathete die Sängerin einen Herrn Waagen, erkrankte in Folge einer unglücklichen Geburt und verlor die Stimme. (nach einer anderen Version an der Cholera.) Frau Schechner-Waagen wurde 1834 pensionirt und starb am 29. April 1860. Nanette Schechner wird für alle Zeiten die genialste und größte Sängerin unserer Hofbühne gewesen sein.
Die Scheinwelt und ihre Schicksale. Eine 127jährige Historie der Münchener kgl. Theater im populärer Form und als Jubiläums-Ausgabe. Zu Ehren des fünf und zwanzigjährigen Dienst-Jubiläums Seiner Excellenz des Herrn General-Intendanten Freiherrn von Perfall von Max Leythäuser. München; 1893.
Schechner Nanette, geboren 1806 in München, wurde zuerst im Chor der italienischen Oper in München verwendet, woselbst sie, kaum fünfzehn Jahre alt, eintrat. Durch ein Gastspiel des italienischen Sängers Grassini gelang es ihr, eine kleine Solopartie zu erhalten, die sie zur außerordentlichsten Zufriedenheit durchführte. Ihr hübsches Stimmchen fiel auch der anwesenden Königin auf, die sich für die junge Künstlerin zu interessieren begann und sie 1822 zur weiteren Ausbildung nach Italien sandte.
Nach München zurückgekehrt, trat sie sofort in die Reihen der ersten Sängerinnen. Die Wirkung der italienischen Schule blieb nicht aus, denn jede Partie, die ihr anvertraut wurde, führte sie zur größten Zufriedenheit der Kunstkenner durch. Doch trotzdem ihre Erfolge an der italienischen Opernbühne in München von Rolle zu Rolle wuchsen, trieben sie doch ihr Geist wie ihr Talent immer mehr und mehr zur deutschen Oper hin.
Sie nahm daher 1825 einen schmeichelhaften Antrag an das Hoftheater in Wien an, wo sie Gelegenheit hatte, sich in einem höchst ehrenvollen Wirkungskreise zu bewegen, und sich aus ihre weitere Laufbahn entsprechend vorzubereiten. Nach zweijähriger, wirkungsvoller Tätigkeit am Wiener Hofoperntheater, folgte sie einer Gastspieleinladung nach Berlin. Mit diesem Gastspiel, das von sensationellem Erfolge begleitet war, begann eigentlich ihre großartige Entwicklung.
Der Beifall steigerte sich zum Jubel der von Rolle zu Rolle immer stürmischer, immer enthusiastischer wurde. Sie feierte damals einen doppelten und dreifachen Sieg, denn zu gleicher Zeit gastierten auch die Sontag und die Catalani, mit denen sie jedoch die Konkurrenz bestand, ja es gab damals sogar Stimmen, die sie in gewissen Partien der einen oder der anderen berühmten Kollegin vorzogen.
Fortab flatterten ihr nun die schmeichelhaftesten Gastspieleinladungen von den bedeutendsten Bühnen Deutschlands ins Haus, und eine jede wollte die nun »berühmte Schechner« nach ihrem großen Wettstreit in München zuerst bei sich als Gast empfangen. Sie schlug jedoch vorläufig alle dies bezüglichen Anträge aus und trat als Mitglied in den Verband des Münchner Hoftheaters, und erst von dort aus erschien sie von Zeit zu Zeit aus den bedeutendsten deutschen Theatern. 1832 vermählte sie sich mit dem Maler Waagen.
Eine heftig auftretende Brustkrankheit bedingte die größte Schonung. 1835 erschien sie das letztemal auf den Brettern. Der Verlust, den die deutsche Oper hierdurch erlitt, war grenzenlos. Am 29. April 1860 verschied sie. Die Stimme der Sch. war von seltenster Schönheit und Fülle, von reinstem Metallklange und rief eine unwiderstehliche, wahrhaft bezaubernde Wirkung hervor. Neben ihren bedeutenden Stimmmitteln glänzte sie auch durch ihre schlichte, einfache, natürliche Darstellungsart, die ohne alle Prätension einen geradezu bedeutenden Eindruck hervorrief. Da bei war sie noch durch bestechende äußere Mittel von der Natur ausgezeichnet. Für den »Fidelio«, die »Emmeline«, »Donna Anna«, »Euryanthe« soll es keine geeignetere Sängerin gegeben haben.
Ludwig Eisenberg’s Grosses Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Leipzig, 1903.
Schechner-Waagen Nanette, 1806 (München) – 1860, Hofsängerin; sie ging aus der 1821 errichteten Gesangschule an der italienischen Oper unter Leitung des Maestro Orlandi auf Veranlassung König Max’ I. hervor; bereits 1822 wurde die unvergleichliche Sängerin durch einen glücklichen Zufall für die Münchner Hofbühne gewonnen; sie verehelichte sich 1832 mit dem Kunstmaler Waagen; München, Stuttgart, Karlsruhe, Wien, Berlin, Hamburg, Leipzig und Dresden haben ihre enthusiasmierenden Leistungen bewundert; die Hauptrollen dieser Primadonna waren Curiato, Servilia, Lady Macbeth und das Ännchen im »Freischütz«; wegen einer Krankheit mußte sie schon mit 29 Jahren ihren Beruf aufgeben; Sch. zählt zu den bedeutendsten Erscheinungen der Münchner Hofoper.
© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.
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* 1800 (Hamburg)
† 26.11.1873 (München)
Historienmaler, Landschaftsmaler, Lithograph und Schriftsteller
Waagen, Karl, geb. zu Hamburg im Jahre 1800. Zur Kunst bestimmt, besuchte er die Akademieen von Dresden und Prag und ging dann nach München, um dort die Technik der Fresko-Malerei zu erlernen, und mehrere kleine historische Oelgemälde für einige Freunde in Schlesien auszuführen. Nachdem er hierauf in Breslau eine geraume Zeit als Porträtmaler beschäftigt gewesen war, nahm er Theil an der Restauration der für das königliche Museum zu Berlin bestimmten Gemälde, bei welcher Gelegenheit er sich durch fast zweijährige Uebung unter Schlesingers Anleitung die nöthigen Kenntnisse in diesem Fache aneignete. Ein längerer Aufenthalt in Rom wurde theils zu Studien und Skizzen, theils zur Ausführung einer größern Landschaft, welche später der Kunstverein in Berlin kaufte, angewendet.
Nach Deutschland zurückgekehrt, machte er in München Versuche in der Lithographie, und erhielt im Jahre 1831 einen Ruf als Direktor des k. lithographischen Instituts zu Berlin, den er jedoch abzulehnen sich genöthigt sah, weil seine damalige Braut (Nannette Schechner) durch kontraktmäßige Bestimmungen in München gefesselt war. Obgleich er seitdem einige kleine historische Gemälde, so wie mehrere Bildnisse en miniature und in Oel ausführte, beschäftigte er sich doch besonders mit kunstkritischen Studien und Entwürfen, ohne jedoch in den letzten Jahren etwas der Art der Oeffentlichkeit übergeben zu haben.
Adolph von Schaden: Artistisches München im Jahre 1835 oder Verzeichniß gegenwärtig in Bayerns Hauptstadt lebender Architekten, Bildhauer, Tondichter, Maler, Kupferstecher, Lithographen, Mechaniker etc. Aus den von ihm selbst entworfenen oder revidirten Artikeln zusammengestellt und als Seitenstück zum gelehrten München im Jahre 1834 herausgegeben durch Adolph von Schaden. München, 1836.
Hiesiges.
In der letzten Zeit hat man hier viel von einem kostbaren Gemälde gesprochen, welches Hr. Karl Waagen um einen Spottpreis an sich brachte, restaurirte und dann als einen herrlichen Corregio für 12000 fl. an den Herzog von Leuchtenberg verkaufte. Dieses Bild hieß es, sei früher einem hiesigen Künstler in die Hand gekommen, der es verkannt habe; dieser wies aber eine solche Ehrenbezeugug als ungegründet öffentlich von sich. Wahr ist hingegen, daß früher derselbe Hr. K. Waagen um einen ähnlichen Spottpreis einen Van Dyk kaufte, nachdem sich mehrere hochgestellte Künstler wochenlange bedacht hatten, ob sie zugreifen sollten oder nicht, bis der kunstverständige Restaurateur das Kunstwerk an sich gebracht, seinen Werth gezeigt hatte, und die Herren sich umsonst hinter den Ohren kratzten. Hr. Waagen zeigt durch seine Ankäufe überhaupt großes Geschick und er dehnt allmälig das Geschäft eines Kunsthändlers in's Große aus. Einen Theil seiner bedeutenden Gemälde soll er an den König von Würtemberg verkauft haben.
Münchner Tagblatt No. 125. Montag, den 6. Mai 1839.
Nachrichten vom September.
Artistischer Verkehr.
München, 10. Sept. Herr Karl Waagen hat nun, neben seinem Geschäft mit Gemälden älterer Schulen, auch ein solches mit Werken jetzt lebender Meister eröffnet.
Kunstblatt No. 92. Donnerstag, den 18. November 1841.
Todes-Anzeige.
Freunden und Bekannten bringen wir die Trauer-Anzeige daß
Herr Karl Waagen,
königl. preuß. Geh. Hofrath,
den 26 November, 9½ Uhr Vormittags, nach kurzem Krankenlager im 74sten Lebensjahr in die Ewigkeit aberufen wurde.
Die tieftrauernd Hinterbliebenen.
Allgemeine Zeitung Nr. 333. Augsburg; Samstag, den 29. November 1873.
Verschiedenes.
München, 26 Nov. Heute Morgens starb, wie schon erwähnt, nach kurzem Krankenlager, hinweggerafft als ein Opfer der neugrassirenden heimtückischen Brechruhr, der kgl. preuß. Geh. Hofrath Karl Waagen. Geboren im Jahr 1800 zu Hamburg, wo sein Vater, der als Porträt- und Landschaftsmaler bekannte Bilderhändler Friedrich Ludwig Heinrich Waagen, eine Zeichnungsschule und Akademie eröffnet hatte, wurde der junge Karl früh zur Kunst bestimmt, während sein älterer Bruder Gustav (geb. 1794) den classischen Studien und in den Befreiungskriegen dem Soldatenstand angehörte, und erst später der Kunstforschung sich zuwendete und bald zu einer achtunggebietenden Autorität und verdientem Kunstschriftsteller emporarbeitete. Gustav Waagen starb als Geh. Regierungsrath und Director der Gemäldegallerie der Berliner Museen am 13 Juli 1868 auf einer Kunstreise zu Kopenhagen. Vgl. die schöne Denkrede von Fr. Halm in den Sitzungsberichten der königl. Äkademie. 1870. I. Bd. Heft III. S. 366 ff. und Steffens: Was ich erlebte. 1844. IX. Bd. S. 277. Von Altwasser (bei Waldenburg in Schlesien), wohin sich sein Vater zuletzt zurückgezogen hatte, besuchte Karl Waagen die Akademien von Prag und Dresden, wo er, namentlich durch die persönliche Bekanntschaft mit Tieck angeregt, ebenmäßig der Poesie wie der Erlernung der bildenden Kunst sich hingab. Seinen dichterischen Versuchen har er in späteren Jahren selbst den Stab gebrochen; doch blieb er zeitlebens der Feder getreu, mit der er zuletzt überhaupt die Palette vertauschte. Nachdem Waagen zu München auch noch die Technik der Frescomalerei erlernt und mehrere kleine historische Oelgemälde für einige Freunde in Schlesien ausgeführt hatte, gieng er um Porträte zu malen nach Breslau, betheiligte sich dann an der Restauration der für das königliche Museum zu Berlin bestimmten Gemälde, bei welcher Gelegenheit er sich durch fast zweijährige Uebung unter Schlesingers Anleitung die nöthigen Kenntnisie in diesem Fach aneignete. Auf seiner Reise nach Italien kam Waagen nach Wien, wo er längere Zeit verweilte. Führich erzählt (vgl. seine Selbstbiographie in der »Libussa« 1844) dankbar wie Karl Waagen, welcher Zutritt in der höheren und besseren Gesellschaft hatte, »aus allen Kräften seines edlen und kunstlicbenden Herzens sich der »Genofeva« (Führichs) annahm,« ohne den Maler vorerst persönlich zu kennen. Ebenso interessirte sich Waagen für den jungen Schwind, der durch seinen »Hochzeitszug des Figaro« die Aufmerksamkeit der vornehmen Kreise erregt hatte. Im Jahr 1827 traf Waagen in Rom ein, wo er reichliche Skizzen und Studien sammelte, eine größere Landschaft fertigte (welche später der Kunstverein in Berlin erwarb) und im Café Greco mit allen Künstlern, insbesondere aber mit dem durch lebenstreue Freundschaft verbundenen Führich und Dr. Oesterley aus Göttingen verkehrte. Nach Deutschland zurückgekehrt (1828), machte er in München Versuche in der Lithographie. Einen ehrenvollen Ruf (1831) als Director des königlich lithographischen Instituts nach Berlin lehnte er ab, weil seine Braut, die gefeierte Sängerin Nanette Schechner (geb. 1806) durch contractliche Bestimmungen in München gefesselt war. Im Jahre 1832 schloß er den durch zwei Töchter und drei stattliche Söhne beglückten Bund, von denen der älteste als Hauptmann und Divisions-Adjutant den jüngsten Krieg mitmachte, während der zweite (Adalbert) sich der Landschaftsmalerei mit glänzendem Erfolg widmete, der jüngste (Wilhelm) wendete sich zu naturwissenschaftlichen Studien, insbesondere der Geologie rmd Paläontologie, habilitirte sich als Privatdocent an der Münchener Hochschule und gieng 1871 nach Indien, von wo er im heurigen Sommer krank zurückkehrte, um in deutschen Bädern Hülfe für seine durch das tropische Klima erschütterte Gesundheit zu suchen. Karl Waagen schuf seit seiner Verheirathung noch einige kleinere historische Gemälde — eine »Madonna,« einen »Christus als Weltrichter« zeigte 1834 der Kunstverein — auch malte er mehrere Bildnisse en miniature und in Oel, unter denen namentlich das Porträt seiner Frau (auch 1835 im Kunstverein ausgestellt) Aufsehen erregte und in Raczynski's Kunstgeschichte (II, 446) gerühmt wurde. Außerdem beschäftigte er sich besonders mit kunstkritischen Studien und Entwürfen und schrieb vieles Derartige für Zeitungen und Journale. Das großartige Project, das weltbekannt gewordene Bild seines Freundes Kaulbach, die »Zerstörung Jeusalems,« durch Meister Heinrich Merz stechen zu lassen, erfreute sich zwar einer ausgezeichneten künstlerischen Lösung, [1] jedoch nicht des verdienten materiellen Lohnes. Obgleich tief erschüttert durch den Tod seiner Frau (1860) und das plötzliche Ableben seines zärtlich geliebten Bruders, griff Karl Waagen, der früher schon die Lösung politischer und socialer Fragen versucht und manche Flugschrift mit und ohne seinen Namen veröffentlicht hatte, wieder zur Feder, insbesondere vor und nach dem Concil, wo er mit einer beinahe jugendlichen Begeisterung seine Parteistellung gegen Rom manifestirte und mit nahezu leidenschaftlichem Feuereifer die Sache des Altkatholicismus, weniger mit Geschick und Wissenschaftlichkeit, als durch unermüdliche Ausdauer und zähe Festigkeit, vertheidigte. Waagen war fast mit allen hervorragenden Zeitgenossen persönlich bekannt und hatte Freunde in allen Lagern ohne Unterschied der Partei, ebenso aber auch Feinde in allen Schattirungen.
[1] Für einen nach Rom gesendeten Pracht-Abdruck erhielt Waagen ein für den Maler, Stecher und Unternehmer gleich schmeichelhaftes Schreiben Papst Pius' IX. (Vgl. Nr. 176. »Allg. Ztg.« 1864.)
Allgemeine Zeitung Nr. 333. Augsburg; Samstag, den 29. November 1873.
Nachruf
dem königl. preuß. Geheimen Hofrath Karl Waagen, gestorben am 26. November 1873.
In kurz verwichener Zeit verlor der Alterthums-Verein wieder ein höchst werthvolles Mitglied, den in weiten Kreisen bekannten k. pr. geh. Hofrath Karl Waagen.
Geboren im Jahre 1800 zu Hamburg als Sohn des Portrait- und Landschaftsmalers Fr. L. Heinrich Waagen wandte er sich seiner Zeit, mit guten wissenschaftlichen Grundlagen versehen, der Kunst zu, besuchte die Academieen zu Prag und Dresden, wurde in Oelmalerei auf dem Gebiete der Historie und des Portraits, in Fresko und Miniatüre wechselnd zu Berlin, Wien, München, Breslau thätig und eine große Ausbeute von Studien hatte sein Aufenthalt in Rom zur Folge. Im Jahre 1828 von da nach Deutschland zurückgekehrt, wählte er München zu seinem ständigen Aufenthaltsorte. Seit einer so langen Reihe von Jahren bewahrte er sich die hohe Achtung, welche er sich schon erworben hatte, in gleichem, man kann wohl sagen stets wachsendem Maaße. Denn seine vielseitige Befähigung auf den Gebieten der verschiedenen Kunst-Zweige, sein lebhaftes Interesse für Förderung anderer Strebenden und seine spezifisch wissenschaftlichen kunsttheoretischen Kenntnisse wurden stets besser erkannt, wie denn die Vortrefflichkeit seines Charakters in jeder Beziehung und seine angnehme Bescheidenheit bei doch gerechtem Bewußtsein seines Werthes ihm immer mehr Geneigtheit zuführen mußten.
Nach einiger Zeit legte Waagen Pinsel und Palette weg, um sich gänzlich der Kunstwissenschaft zu ergeben und zwar im weiteren und engeren Sinne. Gelang es ihm hier auch nicht, zu jener Berühmtheit zu gelangen, deren sich sein Bruder Gustav Waagen, Direktor der Gemälde-Gallerie der Berliner Museen, mit so vollem Rechte erfreuen durfte, so hatte er doch einen weiten Blick, in den meisten Einzelnfällen war seine artistisch-kritische Diagnose die richtige, und es ist sicher, daß sich eine gute Zahl neuzeitlicher jüngerer Kräfte, welche als unfehlbar betrachtet sein wollen, sehr viel Glück wünschen könnten, wenn sie nur einen Theil seines Kennerblickes als Erbe überkommen hätten.
Waagen schrieb im Verlaufe der Zeit verschiedene Brochüren auf gemeintem, aber auch auf politischem und gegen seine letzte Zeit auch auf religiösem Gebiete. Wir berücksichtigen mehr die erstgenannten. Wenn dieselben auch, weil ihr Gegenstand in Hintergrund trat, jetzt begreiflicher Weise weniger Aufmerksamkeit erregen können, so wird Waagen's Name in der Kunstgeschichte jedenfalls nicht unbetont bleiben könnm, wenn auch beispielsweise in einem bedeutenden Fall in einer Art Mittelbarkeit. Er untemahm es bekanntlich, Kaulbach's »Zerstörung von Jerusalem« in einem Stich von großem Umfange zu veröffentlichen. Meister Merz vollendete das Werk im Jahre 1852 in trefflichster Weise, und der Erfolg war bedeutend, ungeachtet ein nicht viel später erschienener kleiner Stich eines Anderen Concurrenz machte. Indessen jener Erfolg war ungeachtet aller voraussichtlichen Anerkennung beim nöthigen Aufwande außerordentlicher Mittel keineswegs auch »materiell« sicher. Somit tritt die Annahme eines etwa überwiegend spekulativen Grundes der Herausgabe völlig bei Seite, und es ist rein die eine Absicht Waagen's in's Auge zu fassen, dem berühmten großartigen Kunstwerke der Malerei auch durch möglichste Größenverhältnisse in der Wiedergabe desselben auf alle Gefahr hin gerecht zu werden.
In dieser und in vieler anderen ehrenden Thätigkeit verlebte Waagen seine Tage, geliebt von denen, welche sich seine Freunde nennen konnten, herzlich geehrt von denen, welche sein gediegenes, ruhiges Walten und die Sicherheit seines Urtheiles zu beobachten Gelegenheit hatten. So unser ganzer Verein. Alle waren ihm geneigt und Freunde, wenn auch dies Wort nicht fiel, und Alle bedauern wir unseren Verlust tief.
Waagen war bekanntlich der Gemahl der berühmten Sängerin Nanette Schechner. Nur zu früh löste der Tod die Bande des glücklichen Bündnisses, und die Sorge für die Erziehung einiger Töchter und Söhne war unserem Freunde allein anheim gestellt. Er löste seine Aufgabe in würdigster Weise. Wie Jene in ihrem ehrenden Berufen, haben sich auch Diese hohe Achtung errungen — der Eine auf militärischer Laufbahn, der Zweite als Meister der Landschaftsmalerei, der Dritte als Naturforscher.
Der Blick auf den schönen Erfolg seiner Vatersorgen verklärte den späten Lebensabend Waagens, und es mochte ihm dieser sein Lohn wohl noch um Vieles beglückender erscheinen, als alle bewährte Thätigkeit in Kunst, Politik und Anderem. Und wohl mit Recht. Denn in der Welt ihren Parteien liegt schließlich nicht das Glück, — sondern in der Familie und im Segen ihrer nie ersterbenden Dankbarkeit.
Friede seiner Asche!
Franz Trautmann.
Franz Trautmann: Die Wartburg No. 8. Zeitschrift für Kunst und Kunstgewerbe mit Berücksichtigug der Neuzeit. Dezember 1873.
Waagen: Karl W., kgl. preußischer Geh. Hofrath, Maler und Kunstfreund (Vater der Vorigen), geboren 1800 in Hamburg, † am 26. November 1873 zu München, erhielt als Sohn des Porträt- und Landschaftsmalers und Kunsthändlers Friedrich Ludwig Heinrich W. in dessen Zeichnungsschule und Akademie die erste praktische Anleitung, während Karl's Bruder Gustav W., der nachmalige Kunsthistoriker (vgl. Lier in A. D. B. XL, 410—414), der wissenschaftlichen Forschung sich zuwendete. Von Altwasser (bei Waldenburg in Schlesien), wohin sein Vater zuletzt übersiedelte, besuchte Karl W. die Akademien von Prag und Dresden, wo er, namentlich durch die persönliche Bekanntschaft seines mütterlichen Oheims Ludwig Tieck, gleicher Weise der Poesie wie der bildenden Kunst oblag. Seinen dichterischen Versuchen hat er in späteren Jahren selbst den Stab gebrochen, doch blieb er zeitlebens der Feder getreu, mit der er endgültig die Palette vertauschte. Vorerst machte er sich zu München noch mit der Technik der Freskomalerei vertraut, malte mehrere kleine Oelbilder für einige Freunde in Schlesien, ging mit Porträtaufträgen nach Breslau, bethätigte sich als Gemälderestaurateur am königl. Museum in Berlin, nachdem er durch zweijährige Vorbereitung unter Schlesinger's Anleitung die nöthigen Kenntnisse erworben. Längere Zeit weilte W. in Wien, wo er in der höheren Gesellschaft durch seine Kunst Zutritt und Einfluß gewann. So erzählt Führich in seiner »Selbstbiographie« dankbar, wie W. »aus allen Kräften seines edlen und kunstbegeisterten Herzens sich Führich's erster Schöpfungen ('Genofeva') annahm, ohne den Schöpfer derselben vorerst persönlich zu kennen«. Ebenso begeisterte W. den jungen Schwind, dessen »Hochzeitszug des Figaro« die Aufmerksamkeit der maßgebenden Kreise erregte. 1828 ging W. nach Rom, wo er Skizzen und Studien zu einer Landschaft sammelte (welche später der Kunstverein in Berlin erwarb) und im Café Greco mit allen Künstlern im lebhaftesten Austausch verkehrte, namentlich mit Führich und Dr. Oesterley aus Göttingen. In München machte sich W. mit der Lithographie so tüchtig bekannt, daß er 1831 einen ehrenvollen Ruf als Director des kgl. Lithographischen Instituts erhielt; er lehnte ab, weil seine Braut, die gefeierte Sängerin Nanette Schechner (geb. 1806) contractlich an München gefesselt war; sie wurde 1832 seine Gattin. W. schuf mehrere historische und religiöse Bilder, darunter eine »Madonna«, »Christus als Weltrichter« (1834), Bildnisse in Miniatur und Oel (Porträt seiner Gattin 1835 vgl. Raczynski, Geschichte d. neueren Kunst, 1840, II, 446), beschäftigte sich mit kunstgeschichtlichen Studien, deren Resultate in Fachschriften und Journalen niedergelegt wurden. In seinem Auftrag unterzog sich Heinrich Merz (s. A. D. B. XXI, 482) der vier Jahre in Anspruch nehmenden Aufgabe, Kaulbach's »Zerstörung Jerusalems« in Kupfer zu stechen, ein Unternehmen, welches trotz der meisterhaften Lösung nicht des verdienten materiellen Lohnes sich erfreute.
Tief erschüttert durch den Tod seiner edlen Gattin (1860), griff W., der früher schon an der Lösung politischer und socialer Fragen sich versucht und manche Flug- und Streitschrift mit und ohne seinen Namen veröffentlicht hatte, wieder zur Feder, insbesondere vor und nach dem Concil (1870), wo er, obwohl Convertit, mit beinahe jugendlicher Begeisterung seine Parteistellung gegen Rom manifestirte und in leidenschaftlichem Feuereifer die Sache des Altkatholicismus mit Ausdauer und zäher Festigkeit bis zu seinem Lebensende vertheidigte.
Vgl. Nagler, Künstlerlexikon XXI, 28. — Hamburger Künstlerlexikon 1854, S. 279. — Beilage 333 der Allg. Zeitung, 29. November 1873. — Trautmann in der „Wartburg“ 1873, Nr. 8.
Hyac. Holland.
Dr. phil. Hyazinth Holland: Allgemeine Deutsche Biographie. Leipzig, 1908.