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Hier ruht
Ihre Exzellenz
Frau Felice von Mussinan
geb. Reinhard
Generallieutnants-Gattin,
geboren 29. Sept. 1833. gestorben 27. Febr. 1901.
J. Lallinger
Linke Seite
Diese Grabstätte gehörte
früher der k. b. Hofsängerin
Henriette Rettich,
gestorben 14. Sept. 1854,
im 57. Lebensjahre.
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* 1815 (Böhmen)
† 14.9.1854 (München)
Sängerin
Artistisch-literarischer Teil.
Sprechsaal.
Die Cholera-Epidemie konnte nicht abziehen, ohne — wie im Jahre 1836 mit Vespermann — der Kunst noch einen Verlust beizubringen. Fräulein Henriette Rettich, eine aus der glänzenderen Zeit unserer Oper stammende Zierde der hiesigen Hofbühne, der sie seit 1841 angehört hat, erlag in der eben vergangenen Woche binnen 20 Stunden der tödtlichen Krankheit. Dieser intensive und überraschende Fall erregte beim Publikum eine Sensation, die sich über die ganze deutsche Kunstwelt erstrecken wird. Die vollendete musikalische Bildung, die künstlerischen Vorzüge der Verewigten überhaupt, so wie auch die Trefflichkeit ihres Gemüthes sind zu bekannt, als daß sie einer Lobrede bedürften. Noch am 8. September, dem Namensfest der Königin Marie, sang sie die »Martha« mit Auszeichnung und 5 Tage darauf fand sie in ihrer zweiten Heimathstadt München denselben beweinenswerthen Tod, den ihre Kunstgenossin Henriette Sontag in so weiter Ferne hatte suchen müssen.
Münchener Punsch Nro. 39. Sonntag, den 17. September 1854.
Henriette Rettich.
k. b. Hofkapell- und Hof-Opern-Sängerin.
Mit dem am 14. ds. Mts. erfolgten Hinscheiden dieser Künstlerin erleiden die ohnehin seit geraumer Zeit kränkelnden Zustände der hiesigen Oper, ja unmittelbar die Münchener-Musikwelt im Allgemeinen einen empfindlichen Verlust. Wenn man sich nämlich nicht verhehlen kann, daß die Gesangskunst in Deutschland überhaupt von der früher eingenommenen Höhe gänzlich herabzusinken droht; wenn wir allenthalben der Wahrnehmung begegnen, daß auch in diesem Zweige ästhetischer Bestrebungen das Gründliche, nach klaren, strengen Prinzipien Erlernte vor dem sogenannten »genialen« Charlatanismus oder der blinden Rohheit bloß äußerlicher Mittel die Segel streichen muß: so hat man sich zum Gegensatze hievon wohl an dem Andenken an unsere verblichene Künstlerin zu erbauen, welche die Schönheit natürlicher Gaben durch geeignete Ausbildung und Anwendung in dem ihr zustehenden Kreise zu einer in ihrer Art vollendeten Gestaltung zu bringen wußte. Henriette Rettich, Böhmin von Geburt, also schon an der Wiege gleichsam mit dem dieser Nation in so hohem Grade eigenen musikalischen Talente ausgestattet, erhielt ihre weitere musikalische und Stimm-Ausbildung an dem bis in die neuere Zeit weitberühmten Konservatorium der Musik in Prag; von mehreren Bühnen, auf denen sie das reiche Kapital ihrer Kehle zur Geltung zu bringen suchte, sehen wir sie, nach den spärlicher Notizen, die uns zur Zeit zu Gebot stehen, zuerst in Wien, kurz darauf an dem damals eine sehr gute Oper besitzenden ständischen Theater in Grätz, ihre künstlerische Laufbahn fortsetzen. Von Grätz aus bewirkte die sich erstarkt fühlende Künstlerin im Jahre 1841 ein Gastspiel an der Münchener Hofbühne, das mit so günstigem Erfolge verlief, daß sie als willkommener Ersatz für eine seit längerer Zeit empfundene und vergeblich auszufüllen gesuchte Lücke engagirt wurde. Seit dem Jahre 1842 also, d. i. seit 12 Jahren, hat Henriette Rettich an hiesiger Hofbühne gewirkt, zahlreiche Verehrer ihrer Kunstleistungen gewonnen, ja war während dieses relativ nicht unbeträchtlichen Zeitraums mehr denn einmal, und wiederholt erst in neuester Zelt in die schmeichelhafte Lage gekommen, jüngere, mit großen Ansprüchen und großem Geräusche sich ankündigende Gestirne auftauchen, eine kurze Weile leuchten und — neben sich verschwinden zu sehen. Im Zusammenhalte mit der Weltlage und den großen politischen Bewegungen scheinen solche Erfolge klein, nichtig, unbedeutend. Bei der Betrachtung eines Künstlerlebens, zumal in einem Zweige der Kunst, der nur durch den vergeßlichen Reiz des Ohres auf die Gemüther zu wirken hat, fallen aber solche Züge voll und schwer in's Gewicht, weil sie eben auch nur im Gefolge wahrer, gründlicher, stichhaltiger Vorzüge denkbar sind. Henriette Rettich's Stimme war nicht eine von den stärksten, noch von den umfangreichsten; dafür aber von einem glockenreinen, gleichen, geschmeidigen Metallklange, der, selbst in den höchsten Lagen rund und weich, niemals schneidend wurde. In Bezug auf Reinheit der Intonation darf unserer verblichenen Künstlerin wohl nachgerühmt werden, daß sie selten ihres Gleichen hatte und auch von den berühmtesten Sängerinnen nicht darin übertroffen wurde. Ein anderer ihrer Hauptvorzüge war der leichte Ansatz, die nie fehlende Sicherheit im Vortrage der schwierigsten Passagen, von denen manche kaum auf einem Instrumente mir derselben Fertigkeit, Eleganz, Schnelle und Klarheit nachzuahmen sein mochten. Der colorirte Gesang war das heimische Element unserer Künstlerin; in ihm bewegte sie sich mit fast ausschließlicher Vorliebe, und, so viel wir uns entsinnen, versuchte sie niemals, der hochdramatischen oder tragischen Muse Zugeständnisse abzugewinnen. Glänzende Erfolge stehen ihr außerdem im Konzerte, im Liede zur Seite. Wie kein Licht ohne Schatten, so auch mußte Henriette Rettich oft dem Vorwurfe begegnen, daß ihre Vokalisation eine nicht verständliche und die Laute verwischende sei, daß sie in ihrem Vortrage jener Wärme des Gefühles entbehre, die von der kälteren Stufe der bloßen Bewunderung zu jener des Mitempfindens, der Rührung hinaufleitet. Wir haben keinen Beruf, solchen Einwürfen alle und jede Berechtigung abzusprechen. Aus reinen Motiven widmen wir diese Zeilen der Dahingeschiedenen; aber wir gestatten uns, auf die Nothwendigkeit hinzuweisen, daß auch in ästhetischen Leistungen kein härterer Maßstab angelegt werden sollte, als der des Lebens überhaupt. Nicht Alles kann an Allen gut, vortrefflich sein, und wer im Leben wie in der Kunst nur eine, oder gar mehrere Seiten zeigt, denen wir das Prädikat der Ganzheit, der Trefflichkeit nicht versagen können, der hat doch gewiß den nächsten, natürlichsten Anspruch auf unsere Duldung und Nachsicht auch für seine Schwächen, eine Duldung und Nachsicht, die wir ja täglich, stündlich für uns selber in Anspruch zu nehmen bestimmt sind. Henriette Rettich war keine tragische, sondern Coloratur-Sängerin und wenn wir als Gipfel und als Typus ihrer Leistungen an die »Königin« in den »Hugenotten« erinnern, wird jeder einsichtige Leser der Bemerkung zustimmen, daß es nicht immer die Schuld der darstellenden, sondern zuweilen auch der schaffenden Künstler, der Komponisten ist, wenn auch feurigere Naturen dabei kalt bleiben und kalt lassen. Wir schließen, was wir, wie gesagt, aus freiem Antriebe unternahmen und womit wir gleichsam nur die Rekapitulation eines Künstlerlebens geben wollten, dessen Leistungen das kunstsinnige Publikum seit Jahren erfreuten und entzückten. Fast hätte man in diesen Tagen, wo die Gesammtheit wie der Einzelne so herbe, kaum Einen schonende Verluste erleiden, einer Entschuldigung nöthig, wenn man die Blicke der Trauernden an einzelnen Grabeshügeln zu verweilen bittet: aber die Zeit wird kommen — hoffentlich ist sie nahe! — wo man aus der Summe der Verlorenen wieder nach bekannteren schmerzlich vermißten Einzelnen sucht; und wenn dann wieder Leben und Freude in die Gesellschaft eingekehrt sind, wenn die nun vergessenen Musen ihren Wiedereinzug in die fast verödeten Theaterräume halten und dort — vergeblich! nach einer ihrer liebsten Schwestern fragen: dann dürfte, auch durch den Hinzutritt gewisser äußerer Umstände, der durch den Tod von Henriette Rettich hervorgerufene Eindruck bei allen Kunstfreunden ein neuer, wärmerer, empfindlicherer werden, als man vielleicht jetzt, noch inmitten der brandenden, Verderben schwangern Wogen treibend, zuzugestehen geneigt ist.
H. T.
Neue Münchener Zeitung Nr. 222. Montag, den 18. September 1854.
Artistisch-literarischer Theil.
Sprechsaal.
Heute Vormittags 10 Uhr fand im Frauendom unter Mitwirkung der k. Hofmusik und des k. Hoftheaterchors der Trauergottesdienst für Fräulein Henriette Rettich statt. Eine große Zahl von Personen aus den gebildeten Ständen wohnte der schmerzlichen Feier bei. Die Damen der k. Hofkapelle erschienen hiebei als Klägerinnen; unter den mannlichen Klägern befand sich auch der k. Hoftheaterintendant Dr. Dingelstedt. Das bekannte herrliche Requiem von Ett in C kam hiebei zur Aufführung. Die Bahre schmückten Immortellen und reiche Kränze von lebenden Blumen.
Münchener Punsch Nro. 42. Sonntag, den 8. Oktober 1854.
Miscellen.
München, 7. Okt. In der Metropolitankirche zu U. L. Frau war heute Vormittags der Seelengottesdienst für unsere schwer vermißte Künstlerin Frln. Henriette Rettich, wobei ein erhebendes Requiem von Ett unter Mitwirkung der k. Hofkapelle zur Aufführung kam.
Mnemosyne. Beiblatt zur Neuen Würzburger Zeitung No. 82. Mittwoch, den 11. Oktober 1854.
Oeffentliche Versteigerungen.
Morgen Montag: Weinstraße No. 8/1 von 9–12 und 2–5 Uhr Versteigerung des Mobiliar-Rücklasses der k. Hof-Opernsängerin Frl. Henriette Rettich, bestehend in werthvollem Schmuck (zum Theil mit Brillanten) und sonstigen Pretiosen, Silberzeug, sehr eleganten Meubles von Nußbaumholz, ein Flügel von Mayr, Krystall, Porzellan, Bronce, Betten, Matratzen, Leib-, Tisch- und Bettwäsche, werthvoller Damen-Garderobe, verschiedene Theater-Costümes, Kücheneinrichtung von Kupfer, Messing und Eisen etc. etc.
Münchener Tages-Anzeiger No. 42. Sonntag, den 11. Februar 1855.
München, 28. Aug. Der einst so gefeierten Sängerin Henriette Rettich, welche im September vorigen Jahres der Cholera zum Opfer fiel, ist dieser Tage auf dem neuen Friedhofe ein einfaches aber geschmackvolles Marmordenkmal gesetzt worden. Unter der Bezeichnung ihres Namens und Todestages steht der Vers:
»Nun preist sie Gott mit jenem Sang,
Der einst zu unserm Herzen drang.«
Der Bayerische Landbote No. 241. München; Mittwoch, den 29. August 1855.
Henriette Rettich war die erste »Eudoxia« in Halevys Jüdin, und das erste »Gretchen« in Lortzing's »Wildschütz«. Die Kritik rühmte ihre schöne, liebliche Stimme nicht minder als ihre brillante Gesangstechnik; ihre Koloraturen glichen einem Perlenregen. Die gefeierte Sängerin gehörte unserer Oper von 1842 bis zu ihrem, am 14. September 1854 erfolgten Tode an.
[...]
Bis dahin war von den ersten Mitgliedern des Hoftheaters noch kein Opfer gefallen, als am Donnerstag den 14. September die ausgezeichnete Coloratur-Sängerin Henriette Rettich, nachdem sie am 8. September noch »bei festlich beleuchtetem Hause, zur Feier des allerhöchsten Namensfestes Ihrer Majestät der Königin die »Martha« gesungen hatte, plötzlich verschied. Dingelstedt erzählt:
»Dienstags, in später Abendstunde, ließ die Unglückliche mich bitten, zu ihr zu kommen. Ich fand sie vollkommen bei Besinnung und auf das sichtlich nahe Ende wunderbar gefaßt. Sie übergab mir die Schlüssel zu den Schränken und Schatullen, worin ihre Baarschaft, ihr Schmuck aufbewahrt wurden und dankte mir mit rührenden, mehr gehauchten, als gesprochenen Worten für den letzten Liebesdienst, für alles Gute und umarmte mich — zum Abschied auf ewige Zeiten. Ich weiß zur Stunde nicht, Wie ich die Treppe heruntergekommen, von der Eiseskälte der blauen Lippen bis in's tiefste Herz durchschauert. Der Krankenwärter, der mir leuchtete, mußte mich stützen. Er sah mich bedenklich von der Seite an und brummte, während er die Hausthür hinter mir zuschloß: »Hätten auch was G'scheidteres thun können, als daher kummen!«
Die Scheinwelt und ihre Schicksale. Eine 127jährige Historie der Münchener kgl. Theater im populärer Form und als Jubiläums-Ausgabe. Zu Ehren des fünf und zwanzigjährigen Dienst-Jubiläums Seiner Excellenz des Herrn General-Intendanten Freiherrn von Perfall von Max Leythäuser. München; 1893.
Rettich Henriette, geboren 1815 in Böhmen, gestorben 14. September 1854 in München, wurde im Prager Konservatorium ausgebildet und begann ihre theatralische Laufbahn auf mehreren kleineren Bühnen, sang auch in Wien, später in Graz und wurde am 1. Mai 1842 ans Münchner Hoftheater engagiert, wo sie bis an ihr Lebensende verblieb. Sie hatte daselbst Gelegenheit, mehrere Partien bei der Erstaufführung zu singen und zwar: am 18. April 1842 »Eudoxia« in »Jüdin«, am 12. Mai 1844 »Gretchen« in »Wildschütz«, am 12. Januar 1845 »Elektra« in »Idomenäus«, am 27. Februar 1848 »Martha« und am 10. November 1850 die »Bertha« im »Prophet«. Ihre Glanzrolle jedoch, in der sie nur wenige Rivalinnen hatte, war »Die Königin« in »Hugenotten«. Sie galt als ausgezeichnete Koloratursängerin.
Ludwig Eisenberg’s Grosses Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Leipzig, 1903.