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38 – 10 – 8* (Cula)

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Das Grab ist nicht erhalten

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Cula

† 13.11.1892 (München), 17 Jahre alt
»Amazonen«-Darstellerin aus Dahomey

Allgemeine Zeitung (5.11.1892)

Anthropologische Gesellschaft. Montag, den 7. November: Außerordentliche Sitzung. Local: Centralsäle, I. Stock. Anfang Abends 8½ Uhr. Seperatvorstellung der Dahomey-Amazonen. Die Betheiligung von Damen an dieser Sitzung ist gestattet. Die Mitglieder werden ersucht, das Programm beim Eintritte vorzuzeigen.

Allgemeine Zeitung Nr. 308. München; Samstag, den 5. November 1892.

Der Wendelstein (10.11.1892)

Vermischte Nachrichten.

Aus München, 8. Nov., wird dem »Wdlst.« geschrieben: So ein Impresario hat auch nicht immer gute Einfälle, sonst hätte man uns nicht zu Beginn der rauhen Jahreszeit die Kinder der heißen Zone, die Amazonen, zugeführt. Wie mögen diese Aermsten unter dem nordischen Winter leiden, wenn sie nicht bald in ein südlicheres Klima transferirt werden! Wir bewunderten bei Buffalo Bill's »Wilder West« die ächten Abkömmlinge einer im Aussterben begriffenen Menschenrace, versetzten uns mit der darauf folgenden »Suahelli Karawane« unter die Bevölkerung des alten Pharaonenreiches, beide Schaustellungen waren in ihrer Art hochinteressant, nicht minder anziehend wie belehrend aber wirkt ein Besuch bei der Amazonentruppe in den Centralsälen. Es wird in der Münchener Presse aus purer Gefälligkeit gar manches gelobt und herausgestrichen, was minder preiswürdig erscheint, wie z. B. der verflossene japanesische Circus James, welcher aber auch ein seinen Leistungen entsprechendes Geschäft machte, nämlich so gut wie keines. Es war hohe Zeit, daß der jüdische Böhme Rosenberg oder wie er sich selbst englisch taufte »James« von hier verduftete, sonst hätte er Mangels ausübender Artisten die Arena schließen müßen. Die Einnahmen waren trotz jüdischer Reklame und trotz aller täglichen Anpreisungen und Reklamen selbst in dem bekannten Weltblatt vom Färbergraben so armselige, daß der arme Direktor die Gagen nicht mehr erschwingen konnte und sich auspfänden lassen mußte, wie uns Angestellte erzählten. In der Amazonentruppe hingegen haben wir in der Thit eine Sehenswürdigkeit allerersten Ranges vor uns. Freilich konnten wir die Legitimationen und das Nationale der Kriegerinnen nicht prüfen, aber vorausgesetzt, daß uns der Unternehmer keine Imitation vorführt – heutzutage kann man nicht mißtrauisch genug sein – lohnt sich ein Besuch bei den Amazonen reichlich. Wir zählten 36 »Damen« und 8 »Herren«. Das Alter der Amazonen schwankt zwischen 15 und 25 Jahren, dazu kommt noch die erst 10 Jahre alte Schwester der Oberkriegerin Gumma. Die Krieger sind große, herkulische Gestalten, die Kriegerinnen kaum von Mittelgröße. Die Tänze, Gesänge und Kampfspiele, die sie vorführen, sind von packender Wirkung, grotesk, eigenartig und zeigen von ungewöhnlicher Gelenkigkeit wie von theatralischem Talente. Nach der Vorstellung mischen sich diese »Wilden« harmlos unter das Publikum, mit dem sie Händedrücke wechseln und von dem sie Trinkgelder in Gestalt von Cigarren und Tabaken heischen, jedoch nehmen sie im Nothfalle auch Kleingeld dafür entgegen. Nachdem bekanntlich Frankreich den König von Dahomey mit Krieg überzog und dem Negerstaate möglicher Weise den Garaus macht, könnten unsere Amazonen leicht die letzten Kriegerinnen sein, die je wieder Europas gastlichen Boden betreten. Von diesem Gesichtspunkte aus bietet die uns vorgeführte Truppe daher ein erhöhtes Interesse. In ihrem heißen Vaterlande mögen diese Kriegerinnen zu fürchten sein, hier in München geben sie sich ganz civilisirt und lammfromm, ja sanft wie die Tauben und lange nicht so blutdürstig als unsere »Damen der Halle«, wenn sie von einer »Gnädigen« gereizt werden.

Der Wendelstein Nr. 256. Katholisches Volksblatt für das bayerische Oberland. Rosenheim; Donnerstag, den 10. November 1892.

Allgemeine Zeitung (12.11.1892)

München, 11. November.

Se. königl. Hoheit der Prinz-Regent hat heute Vormittag in Begleitung der General-Adjutanten Generalmajore Graf Lerchenfeld und Frhr. v. Zoller, der Flügeladjutanten Generalmajor Frhr. v. Branca und Major v. Widenmann, dann des Erzgießers v. Miller und des Universitätsprofessors Dr. Ranke die zur Zeit hier weilende Amazonentruppe in den Centralsälen besucht. Der Director der Amazonen, Hood, und der Geschäftsführer Pinkuß erläuterten während der Vorstellung die Gebräuche der Völker von Dahomey, worauf die Truppe ihre Exercitien und Tänze nebst Gesängen ausführten. Der Prinz-Regent sprach sich dem Direktor gegenüber sehr anerkennend über die exacte Ausführung der militärischen Uebungen und der sonstigen Produktionen aus.

Allgemeine Zeitung Nr. 315. München; Samstag, den 12. November 1892.

Der Wendelstein (13.11.1892)

Vermischte Nachrichten.

Aus München, 16. Nov., wird dem »Wdlst.« geschrieben: Wie wir bereits in einem Vorgängigen berichteten, gestaltete sich die Beerdigung der Amazone Kula auf dem südlichen Friedhofe zu einem argen Scandale. Wir verzichteten darauf, demselben persönlich anzuwohnen bezw. uns mit dem großstädtischen Mob zu vermischen, weil wir unsere Pappenheimer von ähnlichen Anlässen her zur Genüge kennen. Aber was heute die hauptstädtische Presse über die Vorgänge vom Dienstage auf unserem Campo santo zu erzählen weiß, übertrifft doch noch unsere bisherigen Erfahrungen. Die auf 20,000 Köpfe geschätzte Menge führte zu Ehren der braunen Kriegerin einen wahren Hexensabbath am hellen Tage auf, um ihrer zügellosen Neugierde zu fröhnen. Kaum hatte sich der Leichenzug der Amazonentruppe in Bewegung gesetzt, wälzte sich das ebenso rücksichts- als pietätlose Rachechor, an der Tete selbstverständlich wie immer die Vertreterinnen des schwachen Geschlechts und die hoffnungsvolle Schuljugend, gleich dem wilden Heere mit elementarer Gewalt kein Hinderniß achtend, hintendrein. Zerstampfte Grabhügel, umgestürzte Grabsteine, zerschmetterte Marmorkreuze bezeichneten das Schlachtfeld. Weiber zetterten, Kinder schrieen, Männer fluchten und die grünen Schutzengel küßten den Boden. Der Leichenzug war im Nu zerrissen, es herrschte ein unbeschreiblicher Tumult, die tapferen Teutonen hieben mit Schirmen und Stöcken um sich und die Amazonentruppe war nahezu gezwungen, ihr Leben gegen die europäischen Wilden oder wild gewordenen Europäer mit der blanken Waffe zu vertheidigen. Wozu doch die häßliche Schaulust führt! Was mögen sich die »Wilden« bei solchem Anblicke gedacht haben! Unsere »Neuesten« konstatiren angesichts des abscheulichsten Scandals mit herkömmlicher Genugthuung, daß es nicht die Bevölkerung Münchens war, die sich in solch häßlichstem Lichte gezeigt, sondern jene »bekannte und gefährliche Sorte, wie sie leider in den meisten Großstädten existirt.« Leider können wir dem Blatte nicht ganz beipflichten. Es waren nicht blos die »Münchener Taugenichtse«, die sich so abscheulich aufführten, sondern es manifestirte sich wieder einmal die »Bestie im Menschen«, welche in solchen Momenten alle Kultur abstreift und nur ihrem wilden Instinkte folgte. Im kleineren Maßstabe bietet sich dasselbe Bild oft und oft bei der Erstürmung bereits übervoller Trambahnwägen auf der Heimkehr von Nymphenburg, nach Theater-, Concert- und Ballschluß an der Garderobe, bei den Rennen am Oktoberfeste, kurz überall, wo das »souveräne« Volk in Massen auftritt und zur Selbsthilfe greift. Es ist das kein schöner Zug in der Bevölkerung der Großstadt und beweist nur zu deutlich, wie weit die Menschen heute noch von wahrer Bildung und Gesittung entfernt sind. Die hochlöbliche Polizei aber, welche die entfesselte Menge ebenfalls kennen könnte, sollte eben bei solchen Anlässen nicht mit einer Handvoll Gendarmen auftreten wollen.

Der Wendelstein Nr. 263. Katholisches Volksblatt für das bayerische Oberland. Rosenheim; Freitag, den 18. November 1892.

Allgemeine Zeitung (14.11.1892)

Bayerische Chronik.

Tod in der Fremde. Die Amazone Kula, welche vor einigen Tagen wegen Lungenentzündung in das Krankenhaus aufgenommen wurde, ist am Sonntag gestorben.

Allgemeine Zeitung Nr. 317. München; Montag, den 14. November 1892.

Der Wendelstein (16.11.1892)

Vermischte Nachrichten.

Aus München. 14. Nov., wird dem »Wdlst.« geschrieben: Die bereits erwähnte Amazonentruppe in den Centralsälen hat gestern wieder einmal eine Kriegerin verloren. Eine ihrer Schwestern mußten die Amazonen zu Breslau, eine zweite in Prag zu Grabe geleiten. Morgen begraben sie die Kriegerin Kula auf dem südlichen Friedhofe. Die wilden Töchter der heißen Zone vertragen wohl das rauhe, nordische Klima nicht gut. Als wir der Separat-Vorstellung vom 4. ds. anwohnten, hustete eine Amazone ganz bedenklich. Vielleicht war es die jetzt Verschiedene. Uebrigens gehört wenig dazu, sich im Amazonenkostüm eine Lungenentzünduug zu holen, woran die arme 17jährige Kula nach nur 3tägigem Krankenlager sterben sollte. Die Amazonen exercierten an jenem 4. Novbr. halb nackt, wie sie sind, – die Krieger mußten sich noch viel decolletirter produziren – im ungeheizten weiten Saale unmittelbar an den Fenstern postirt. Ohne wärmende Kleider hätten wir Nordländer eine Lungenentzündung riskirt und dann erst diese heißblütigen Kinder des heißen Afrikas. Solche exotische Menschenracen sollte man uns nur im Hochsommer vorführen, die jetzige Jahreszeit ist ja Gift für afrikanische Lungen. Müßte der englische Unternehmer für jedes Haupt der ihm anvertrauten Schwarzen dem König von Dahomey eine hohe Entschädigung im Verlustfalle leisten, dann würde er sich wohl gehütet haben, diese armen Menschenkinder den Unbilden eines nordischen Winters auszusetzen. Die Vorführungen sind ja interessant, selbst der Kgl. Hof nahm ein großes Interesse daran, aber human ist es nicht, Afrikaner im Winter nach München zu transportiren. Humaner denkende und handelnde Unternehmer pflegen uns sonst um diese Zeit mit ihren exotischen Schützlingen zu verlassen. Aber was liegt an so einem Paar Menschenleben, wenn nur der Unternehmer ein gutes Geschäft macht!

Der Wendelstein Nr. 261. Katholisches Volksblatt für das bayerische Oberland. Rosenheim; Mittwoch, den 16. November 1892.

Der Wendelstein (17.11.1892)

Vermischte Nachrichten.

Aus München, 15. Novbr., wird dem »Wdlst.« geschrieben: Ein wundersam milder Herbsttag lockte heute schon in den Vormittagsstunden eine große Volksmasse nach dem südlichen Friedhof, dem »Campo santo«, der Hauptstadt. Neugierde ist ja ein hervorstechender Zug der Münchener Bevölkerung und da draußen lag unter Blumen aufgebahrt eine gar seltene Todte, die Amazone Kula. Der Andrang der Neugierigen, welche die kleine schwarze Kriegerin auf ihrem »Paradebett« sehen wollten, nahm nach Schluß der Volksschulen zwischen 11 und 12 Uhr beängstigende Dimensionen an. Das junge Volk stürmte in den Friedhof als gälte es ein Kinderfest ersten Ranges und die Erwachsenen durften sich doch von der Jugend nicht übertrumpfen lassen. War das vor dem Leichenhause ein Schieben, Drängen und Stoßen, ein Lärm und Geschrei, ein Geraufe fast wie seiner Zeit zur Königsleiche. Zwei an der Ein- und Ausgangsthüre zum Leichensaale postirte Diener waren der erstürmenden Menge nicht gewachsen, denn um den Wirrwarr vollzumachen, war nur die eine Flügelthüre geöffnet, vor der sich die Masse staute. Groß und Klein raufte sich mit wildem Ungestüme durch die enge Pforte, Hüte flogen umher, die Kleider gingen in Fetzen, ein Wunder nur, daß Niemand erdrückt wurde. Es ist etwas Häßliches um diese abscheuliche Neugierde der Großstädter. Um die Passage für den Leichenzug um 1 Uhr freizuhalten, war der betreffende Platz mit Seilen abgegrenzt, aber schon von 10 Uhr an postirte sich hinter der Seilenkette eine immer stärker anwachsende Menschenmasse aus allen Ständen, den höchsten wie den niedersten. Während das sonst es so eilig habende Volk von München, die Männer und Frauen von Isar-Athen, keine fünf Minuten Zeit hat, um den nächsten Trambahnwagen abzuwarten, sondern sich mit unglaublicher Wildheit in die übervollen Waggons hineinrauft, in vorliegendem Falle konnten dieselben Leutchen volle drei Stunden ruhig der Dinge harren, die da kommen sollten. Gegen zwölf Uhr kam ein Piquet Gendarmerie zur Aufrechthaltung der Ordnung angerückt. Was bedeutet aber so eine Handvoll grüner Schutzengel gegenüber einem nach Tausenden zählenden neugierigen Popolus Monachensis! Als endlich die Amazonen angefahren kamen, um ihrer auf dem Felde des Geschäftsgeistes gefallenen Schwester das letzte Geleite zu geben, erwies sich die heilige Hermandad völlig machtlos. Die »Wilden« aus Dahomey konnten sich gewiß zu ihrer Genugthuung überzeugen, daß die Münchener Bevölkerung doch noch beträchtlich wilder sein kann als selbst die wildesten afrikanischen Raubhorden. Die den Wägen entsteigenden Amazonen mußten sich mit den blanken Krummsäbeln ihrer Haut wehren, um nicht erdrückt zu werden und sich einen Weg zu bahnen. Er spielten sich ungefähr dieselben wüsten Scenen auf dem Orte des Friedens ab, wie seiner Zeit beim Empfange Bismarcks auf dem Wiener Bahnhof. Bei solchen Anlässen kann man sehen, welchen gefährlichen, rücksichtslosen Mob eine Großstadt birgt. Die gebildet sein wollenden Spree-Athener hieben mit Stöcken aufeinander und balgten sich, daß es eine Schande war. So und ähnlich führen sie sich aber stets auf, sobald es irgendwo etwas gratis zu schauen gibt. Wir schämten uns eines so roh sich gebärdeten Publikums vor den »Wilden«. Letztere werden ihren Fetischgötzen gedankt haben, als sie mit heiler Haut wieder der Stadt zufahren durften. Nach einer kurzen Zeremonie im Leichensaale, wo die Amazonen ihre Klagelieder anstimmten, bewegte sich der Zug zum Grabe, an welchem der Bruder der Dahingeschiedenen eine Trauerrede in seiner Landessprache hielt. Der Direktor der Truppe bezw. der Unternehmer Hood spendete »Trauerkränze«, eine Sitte, für welche die Amazonen kein Verständniß haben.

Der Wendelstein Nr. 262. Katholisches Volksblatt für das bayerische Oberland. Rosenheim; Donnerstag, den 17. November 1892.

Illustrirte Zeitung (3.12.1892)

Das Begräbniß der Amazone Cula in München.

Die Truppe der »Amazonen von Dahomey«, die früher in Leipzig, Berlin und andern Orten gastirte, gibt gegenwärtig in München vielbesuchte Vorstellungen. Kürzlich riß der Tod eine Lücke in die kriegerische Schar. Die jugendliche, kaum 17 Jahre alte Cula unterlag den verderblichen Einflüssen des nördlichen Klimas. Sie starb geduldig und ergeben im Krankenhause, und ihre Leiche, im Todtensaale des südlichen Friedhofes aufgebahrt, wurde zum Ziele Tausender von Neugierigen und Theilnehmenden. Die verstorbene Amazone lag im einfachen gelben Sarg, angethan mit dem schmucken Kriegscostüm, das weiße Käppi auf den schwarzen Locken und die Patrontasche mit dem Todtenkopf um die Hüfte geschnallt. Das Antlitz der Todten trug einen milden, friedlichen, sozusagen kindlichen Ausdruck. Der Contrast zwischen der braunen Cula und den neben ihr aufgebahrten weiblichen Todten in schneeweißen Gewändern und wachsbleichen Gesichtern war ein befremdender. Am 15. November nachmittags fand das Begräbniß der Amazone statt, eine Leichenfeierlichkeit, wie sie München noch nie sah. Vor Abgang des mit Kränzen prächtig geschmückten Sarges traten drei Krieger und zwölf Amazonen in vollem Kriegsschmuck und mit ihren Gewehren bewaffnet an diesen heran und küßten die verstorbene Schwester. Die Oberkriegerin Gumma winkte ihr unter den leisen Klagetönen der übrigen mit einem Tuche Abschiedsgrüße zu, dann wurde nach der Sitte der Dahomeyer der Todten der Mund verbunden und die beiden großen Zehen der Füße zusammengeknüpft, worauf der Zug ins Freie trat. Ernst und feierlich ward der Sarg ins Grab hinabgesenkt. Der Oberkrieger sprach eine Anzahl Sprüche, wonach die übrigen Dahomeyer, mit geschultertem Gewehr, gleichfalls einige Worte murmelten. Nach dieser Ceremonie sprach der Bruder der Hinabgesenkten die Leichenrede. Diese lautete in der Uebersetzung ungefähr wie folgt: »Cula! Wir alle stehen mit großem Schmerz an deinem Grabe. Vergib uns, wenn wir dir etwas böses gethan haben. Du bist mit uns aus der schönen Heimat in dieses Land gegangen in der Hoffnung, daß du sowie alle wieder heimkehren würden. Nun ist es aber anders gekommen. Du bist todt! Wir trauern alle um dich! Doch das sage ich dir: Warst du wirklich so krank, daß du sterben mußtest, dann sind wir zufrieden. Wenn man dich aber vergiftet hat (Die Amazonen, sehr mistrauisch gegen die Weißen, glaubten an eine Vergiftung.), dann ruhe so lange nicht in deinem Grabe und verfolge die Bösen, bis du gerächt bist! Lebe wohl! Schlafe in fremder Erde! Wir gedenken auch dann deiner wenn wir wieder in unsere Heimat zurückgekehrt sein werden!« Als der Redner, der während dieses Nachrufs in der einen Hand sein Schlachtmesser, in der andern den Säbel hielt, geendet hatte, warfen sämmtliche Mitglieder der Truppe Erde auf den Sarg. Damit war die eigenartige Feierlichkeit zu Ende, bei welcher die Amazonen eine imponirende Ruhe bewahrten im Gegensatz zu der vieltausendköpfigen Zuschauermenge, die wie eine wilde Horde die Spalierbildung durchbrach, die Gensdarmerie zurückdrängte, Grabsteine und Kreuze umwarf und Anlagen zerstampfte. Der Gottesacker glich, wol kaum zum Ruhme der Civilisation, einem Schlachtfelde.

Illustrirte Zeitung Nr. 2579. Leipzig und Berlin, den 3. Dezember 1892.

Allgemeine Zeitung (29.12.1892)

Mittheilung.

Anthropologische Gesellschaft. [...] Mit größter Spannung lauschte man nun den Mittheilungen Dr. Max Buchners und Dr. Hugo Zöllers über die Dahomey-Amazonen. Ersterer war nie in Dahomey, erklärt aber hinlänglich orientirt zu sein, um sagen zu können, daß bei den hier vorgeführten Amazonen sich Wahrheit mit Dichtung paare; die Mädchen sind zwar keine Amazonen, stammen jedoch von der Sklavenküste, sind wahrscheinlich dort gekauft und für die Schaustellung gedrillt worden. Dr. Zöller hat zweimal Dahomey durchquert. Unsre Gäste, sagt er, stammen zweifellos von der Sklavenküste, sowohl dem Typus wie der Sprache nach, auch ihre Gesänge zeigen afrikanische Stimmung; aber Dahomey-Amazonen sind sie nicht. Diese sehen ganz anders aus, besitzen eine ganz merkwürdige Gleichförmigkeit des Typus und der Ausbildung der Muskulatur, weil sie aus gefangenen Kindern herangezogen und gedrillt werden. Sie erscheinen als eine wirkliche Elitetruppe. Die hier vorgeführten Amazonen haben einen verschiedenen Typus und eine andere Ausrüstung; die Dahomey-Amazonen machten den Eindruck eines wohlgeschulten Balletcorps, führten Streitäxte und sangen patriotische Lieder; ihre Uniformen sind viel luxuriöser (Sammetleibchen). Sie dienen vom 15. bis zum 20. Jahre, werden dann Fetischpriesterinnen oder vom König an seine Beamten verschenkt. Was er in Dahomey gesehen, war grundverschieden von der hiesigen Production. Dr. Buchner und Prof. Dr. Rüdinger hoben den hohen Werth derartiger Schaustellungen hervor, die uns Angehörige fremder Völker vor Augen führen, wenn auch einiger Humbug der Anziehungskraft für das große Publicum wegen mit unterläuft. Prof. Dr. Rüdinger theilte noch mit, daß bei der hier verstorbenen Amazone eine Anzahl wichtiger primärer Gehirnwindungen secundär geblieben war.

Allgemeine Zeitung Nr. 361. München; Donnerstag, den 29.12.1892.



© Reiner Kaltenegger · Gräber des Alten Südfriedhofs München · 2007-2025


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