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Das Grab ist nicht erhalten
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Reichardt, Franz; 28.4.1825 (Augsburg) – 22.1.1887 (München); Portraitmaler, Gemälderestaurator und Sammler
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* 28.4.1825 (Augsburg)
† 22.1.1887 (München)
Portraitmaler, Gemälderestaurator und Sammler
Nekrologe Münchener Künstler.
Am 22. Januar starb der als Portraitmaler, insbesondere aber als Gemälderestaurateur bekannte Franz Reichardt. Derselbe, geboren am 28. April zu Augsburg, war anfänglich von seinen Eltern zum geistlichen Stande bestimmt, lernte jedoch bald Zeichnen unter der Leitung Eigners, welcher nach längerem Sträuben von Reichardts Vater endlich durchsetzte, daß der talentvolle Junge ganz der Malerei sich widme. Weitere Ausbildung genoß Reichardt in Deschlers Atelier, woraus auch Alois Hauser, Joseph Anzmann (gest. 11. Juli 1886 zu München), Schwaiger und Andere hervorgingen. Erhebliche Förderung fand Reichardt 1847 und 1848 zu München, woselbst der Künstler, nachdem er sich bald darauf zu Augsburg auf eigene Füße gestellt hatte, seit 1851 seinen bleibenden Aufenthalt nahm. Hier erwarb er sich in kurzer Zeit viele Freunde, die ebenso seine Leistungen anerkannten, wie sie seinen im geselligen Leben durchschlagenden, urwüchsigen Humor und sein Talent als Arrangeur zu schätzen wußten. Mit unermüdlicher Leidenschaft sammelte er Kunsterzeugnisse aller Art, welche, wenn auch von den Unbilden der Zeit und des Mißverstandes auf das jammerwürdigste beschädigt, an Reichardt immer einen theilnehmenden artistischen Arzt fanden, der mit sorgsamstem Eingehen und innigem Verständniß ihre Leiden reparirte und sie selbst möglichst in integrum restituirte. Bald glich seine Wohnung einer orthopädischen Anstalt, wo krüppelhafte Heilige, defecte Genre- und sturmlahme Marinebilder, große kranke Jagdstücke, abgelebte Familieportraits auf Holz, Kupfer und Leinwand, um Hülfe und Rettung flehten, die ihnen auch nach thunlichster Möglichkeit zutheil wurden. In seinem Atelier saßen die Patienten wie in einer Klinik und warteten mit resignirter Geduld und fester Zuversicht, bis die Reihe der Restauration oder Amputation an sie kam. Und es war wirklich vergnüglich zu sehen, wie der kleine, anscheinend noch junge Meister die auf Gnade und Ungnade angerückten alten Collegen in Behandlung nahm, nach Natur, Charakter, Wohnort und Stand inquirirte, hier die von boshafter Hand aufgeklexte üble Nachrede kritisch verschwinden ließ, dort die ebenso leichtfertig abgeschädigten Lasuren wieder aufblitzte, vergleichsweise zur Consultation mit den verwandten alten Meistern in die Pinakothek oder in Kirchen- und Bildersammlungen rannte und kein Mittel und Recipe unversucht ließ, um, wie ein guter Anwalt, seinen Clienten weiß zu waschen und in das beste Licht zu setzen. Daß er dann von seinen Reisen und Consultationen alles mögliche von Hausrath und Waffen, alten Büchern, Stichen und Handzeichnungen zusammenbrachte, ist selbstverständlich, ebenso daß ein solches Talent dem wackeren Frhrn. v. Aretin, als derselbe daran ging, die im Lande zerstreuten Kunstschätze des Wittelsbacher-Hauses zu sammeln und vor weiterem Ruin und Verschleppung zu retten, hochwillkommen sein mußte. Mit der rastlosen Gier eines Schatzgräbers ermüdete Reichardt niemals neue Schätze anzuschürfen, überall nachzupirschen und wie ein kluger Adept echte gute Werke auszuspüren. Dabei erhielt alles, was durch seine Hand ging, neuen Schliff und frische Politur; boswillige Zungen zischelten freilich, daß manch neuer Schund alte echte Patina erhalten habe. Aus Jux und Laune manch hochweisen und untrüglichen Dünkel über das Eis zu führen, ist theilweise auch ein gutes Werk, wenn es nicht mit dolosem Gemüth und betrüglicher Hinterlist effectuirt wird; etwas Simonides zu spielen, oder à la Pseudo-Kallisthenes zu agiren, ist nicht allein im wissenschaftlichen Gebiete, sondern auch im weiten Felde der freien Kunst kein Ding der Unmöglichkeit, zumal wenn jeder ehrenwerthe Sammler immer nur nach Werken erster Güte und ersten Ranges trachtet und nur die besten Namen in seiner Gallerie zuläßt oder duldet. Jeder Restaurator empfindet gewiß, wie Tiecks Eulenböck, einen unbeschreiblichen Genuß, wenn ein richtiger Dilettant und »Kenner« den Fachmann belehrt und seine tiefen Errungenschaften an den Mann bringt. Bei solchen Gelegenheiten riß dem ehrlichen Reichardt dann der ohnehin nicht feste Faden der Geduld, und er konnte mit einer wahrhaft homerisch-schwäbischen Grobheit dem Unbefugten ein »Licht aufzünden« oder »aufspielen und heimgeigen,« daß Jedem die Schuppen von den Augen fielen und dem Besserwissenwollenden die Ohren klangen.
Als Einer der ersten seiner Zeit excellirte Reichardt im Abnehmen alter Fresken, die er mit behutsamer Ausdauer und minutiöser Sorgfalt auf Holz oder Leinwand übersetzte, darunter die Wandbilder des Imhof-Hauses zu Augsburg und die solchergestalt in das Münchener Nationalmuseum geretteten Freskogemälde, welche beim Abbruch zwei alter Häuser in der Promenadestraße (an ihrer Stelle erhob sich das heutige Lebling-Haus) zum Vorschein kamen. König Ludwig I. erschien fast täglich an der Fundstätte und verfolgte in Reichardts Atelier die gelungenen Fortschritte der Restauration. Schade, daß damals nicht die gleiche Sorgfalt den Rottmann'schen Fresken in den Arkaden zutheil wurde, deren Rettung und Erhaltung einzig auf diesem Wege der Convertirung möglich gewesen wäre!
Bedeutende Restaurationsarbeiten lieferte Reichardt in der Kirche zu Piping und im Schlosse zu Tegernsee, für das Nationalmuseum, den Fürsten Zeil, die Grafen Enzensberg, Luxburg, Leyden, Quadt, Toerring, für die Freiherren v. Malsen, Cetto, Mirbach, für den sammeleifrigen Ritter Mayer von Mayerfels, den kunstsinnigen Senffabrikanten Develey und viele Andere. Während Aufträge von auswärtigen Gallerien und sogar aus Amerika und Australien einliefen, hatte Reichardt kein Glück mit der Restauration der Wandbilder aus der bayerischen Geschichte in den Arcaden. Der heillose Umstand, daß die Maler damals auf einen nicht hinreichend präparirten Grund und dann mit Fresko- und Oelfarbentechnik durcheinander hantirten, hätte jedem Anderen gleichfalls unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet. Reichardt hatte nebenbei mit Eifersüchtelei und Mißgunst zu kämpfen; neidhämmelige schöne Seelen bewarfen ein vollendetes Bild mit Eiern oder kratzten ein Monogramm ihrer Bosheit hinein. In Summa hätte es nur ein Mittel gegeben, welches der wackere Lindenschmit mit dem Bilde seines Vaters in pietätvoller Weise auch zur Ausführung brachte: die ganzen Gemälde herauszuschlagen und auf der zweckmäßig bereiteten Fläche wieder völlig neu zu malen – aber in derselben Tonart und Stimmung und nicht um eine Octave tiefer wie am Isarthore, wo die herrliche Leuchtkraft der Farben so unnöthig verdüstert wurde. Daß doch die Menschen immer noch experimentiren müssen und Keiner aus dem schaden des Anderen seine historische Lehre zieht! Und kommen die ehrlichen Deutschen wirklich zur richtigen Einsicht, dann behandeln sie alles doctrinär statt mit praktischer Unbefangenheit....
Ein sehr verdienstliches Unternehmen Reichardts war die diplomatische Herausgabe von »Herzog Wilhelms Turnierbuch.« (München 1880 bei J. A. Finsterlin. Vgl. Lützow, Zeitschrift für bildende Kunst. 1881. XVI. B., S. 441.) Hans Schenk, der Wappenmeister Herzog Wilhelms IV., hatte jedes während der Jahre 1510–1518 abgehaltene Turnier, an welchem sich sein Herr betheiligte, mit größter Sorgfalt notirt, Costüme und Wappen der Ritter, Schmuck und Zimier der Rosse sammt den Turnierlanzen und dem Verlauf des Turniers wie ein guter Persevant heraldisch-wissenschaftlich »geplasanirt und gedisidirt;« dazu ließ der Herzog durch den edlen Meister Ostendorfer in Regensburg in der Zeit von 1541–1544 31 Blätter in Wasserfarben ausführen und in einen köstlichen Lederband festen. Der Schatz erregte das Wohlgefallen des im Mai 1632 mit Gustav Adolf in München weilenden Herzogs Bernhard von Weimar in solchem Grade, daß er denselben mit anderen Kleinodien einsackte und mitspazieren ließ. Erst 1816 erinnerte sich einer seiner Nachfolger des Unrechts und gab den kostbaren Miniaturcodex an den bayerischen Kronprinzen und nachmaligen König Ludwig I. zurück, worauf das ganze Werk in Lithographie von Clemens und Theobald Sennefelder nachgebildet und durch Hrn. v. Schlichtegroll bevorwortet herausgegeben wurde. Das lieferungsweise erschienene, Blatt für Blatt getreu und prachtvoll colorirte Werk war längst im Buchhandel verschwunden und die Steine waren abgeschliffen, weßhalb eine neue Ausgabe, zumal aus Anlaß des 700-jährigen Jubiläums der Wittelsbacher, sehr willkommene Aufnahme fand.
Eine kostbare Acquisition machte Reichardt 1860 mit einem unzweifelhaft von Dürers Hand stammenden, unvollendeten »Salvator mundi.« (Vgl. den nicht ganz getreuen Holzschnitt in J. Sighart: Geschichte der bildenden Künste in Bayern. 1863. S. 627, und Thausing: Dürer. 1876. S. 225.) Das 0,47 breite und 0,57 hohe Holztafelbild ist, gleichviel ob dasselbe wirklich als letztes Werk Dürers zu betrachten ist oder von demselben schon früher beiseite gestellt wurde, für die Art der Dürer'schen Malweise und deren Technik das unbestritten lehrreichste und interessanteste Object. Dürer hatte die ganze Composition, wie einen Holzschnitt, in scharfen Contouren mit dem Pinsel aufgezeichnet und sorgfältigst scharffirt; einzelne Theile, z. B. die haarfeinen Locken und das lackrothe Gewand, gleich prima fertig gemalt. Das Ganze gewährt den Eindruck, als hätte man dem Meister während der Arbeit über die Schulter geschaut. Das Bild befand sich als »das letzte Stuck, so Albrecht Dürer nit gar aufgemacht« in der Familie Imhof zu Nürnberg, wo selbes ein englischer Kunstsammler erstand. Als Reichardt die Nachricht erhielt, setzte er dem neuen Besitzer nach, erreichte ihn noch richtig zu Bamberg und brachte dann das theuer errungene Kleinod im stillen Triumph nach München. Hier aber fand das Bild, dessen Authenticität niemals beanstandet wurde, einen unerwartet kühlen Empfang; gerade der unbezahlbare Umstand, daß es nur theilweise vollendet und halb untermalt war, diente zum Vorwande, dasselbe abzuweisen; Philipp Foltz erklärte dasselbe »schon des Formats wegen« als kein Galleriebild. (Wenn das Format maßgebend sein sollte, so müßte vielleicht ein Drittel Bilder aus unseren Pinakotheken entfernt werden. Bald darauf sprach derselbe Philipp Foltz dasselbe Urtheil über Holbeins »Madonna mit den Maiglöckchen« – vgl. Woltmann: Holbein. 1866. I, 328 –, welches damals leicht zu haben gewesen wäre! Die Schrullen des Gallerie-Directors Foltz dürfen nicht vergessen werden; sie ändern indessen nichts an unserer jederzeit bereitwillig gerühmten Anerkennung für den vorzüglichen Lehrer und Akademie-Professor.) Eine Einladung, das Bild nach Paris zu schicken oder selbst dahin zu bringen, lehnte Reichardt, welcher kurz zuvor daselbst geweilt und allerlei niedliche Sächelchen von da mitgebracht hatte, mit der unnöthig spitzen Bemerkung ab, es sei für einen Experten der umgekehrte Weg ebenso leicht und kurz. Andere Unterhandlungen scheiterten an dem Eigensinn des Eigenthümers, welchem der Restaurationsteufel eines Tages die heillose Idee eingab, das Bild »auszumalen,« wie es Albrecht Dürer gethan hätte. Als unser über das Gelingen des unsinnigen Unternehmens sehr erfreute Künstler sein Werk einem Bekannten wies, gerieth dieser in eine wahre Berserkerwuth. Es dauerte ziemlich lange, bis Beide sich ausgetobt hatten. Reichardt begriff indeß sein Vergehen und ließ die gottlose Uebermalung so subtil wie möglich wieder verschwinden. Damit war aber auch sein Eifer und Interesse abgekühlt; das Bild kam schließlich 1873 an Hrn. Alexander Posonyi nach Wien. Reichardt arbeitete weiter als Restaurator und Sammler und stapelte in seinem nächst dem Athenäum gelegenen Häuschen eine solche Menge von merkwürdigen Alterthumsgegenständen, Schnitzwerken und Bilder auf, daß dem Insassen beinahe kein freies Fleckchen und Winkelchen blieb. Das ganze kunst- und culturhistorisch hochinteressante Material wird, dem Vernehmen nach, baldmöglichst durch J. M. Heberle zu Köln zu einer fröhlichen Auktion gebracht.
Allgemeine Zeitung Nr. 182. München; Sonntag, den 3. Juli 1887.