Ω
KONRAD MAX
KUNZ
CHORDIREKTOR
UND KOMPONIST
* 29.4.1812
† 3.8.1875
ER VERTONTE DIE
BAYERNHYMNE
1979
IN SEINE
GEBURTSSTADT
SCHWANDORF
ÜBERGEFÜHRT
Ω
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* 29.4.1812 (Schwandorf)
† 3.8.1875 (München)
Komponist
Lokales und Provinzielles.
München, 5 August
Vorgestern Mittag ist dahier der pens. k. Hoftheaterchor-Direktor Herr Konrad Max Kunz gestorben. Der Verlebte, als Komponist herrlicher Männerchöre in den weitesten Kreisen bekannt, war ein Mann von umfassender Bildung, dem bei seinem Wissen und seiner eminenten musikalischen Begabung wohl ein besseres Loos als das eines Chordirektors gebührt hätte, das ihm sicher auch beschieden worden wäre ohne Intriguen, deren Kunz sein Leben lang nicht vergessen konnte. Mit der von Wagner angebahnten musikalischen Richtung konnte der Verstorbene sich nie befreunden, er lebte und starb treu der Muse unserer klassischen Altmeister, selbst ein Stück musikalischen Klassikers. Kunz hat sich außer seinem amtlichen Wirken insbesondere durch Hebung des Männergesangs dahier große Verdienste erworben, die ihm in engeren Kreisen ebenso ein bleibendes Andenken sichern werden, wie seine Kompositionen nicht Eintagsfliegen, sondern Schöpfungen von bleibendem Werthe sind.
Bayerischer Kurier No. 215. München; Freitag, den 6. August 1875.
Konrad Max Kunz.
Ein Nachruf von Martin Greif.
(Aus der »N. Fr. Presse.«)
Noch bis vor wenigen Jahren sah man jeden Morgen auf dem Trottoir der großen Maximiliansstraße in München von der Gegend des Hofgartens herauf einen alten Herrn der langen Seitenfront des Hoftheaters langsam zuschreiten und in eine der Thüren derselben einbiegen, über dessen Anblick der Fremde unwillkürlich stehen bleiben und erstaunen mußte. Von untersetztem Körperbau, war er fast übermäßig korpulent. Seine dicken Beine mit den weiten Stiefeln, um welche immer die gleichen Hosen schlotterten, trugen ihn nicht mehr ganz leicht, aber die Haltung des breitschulterigen Oberkörpers war gleichwohl eine sichere, wenn auch das Haupt häufig sinnend vorgebeugt war. Das ganze Jahr trug er eine und dieselbe Kleidung, eine graue, rauhaarige, stets zugeknöpfte Joppe; im Winter trug er eine noch dickere und längere darüber. Der auffallend große Kopf, dem ein fast weißer Vollbart ein ehrwürdiges Aussehen verlieh, war mit einem breitkrämpigen alten Filzhute bedeckt. Unter den dichten schwarzen Brauen blickten ein Paar mächtige braune Augen, die mit gerwaltigen Augengläsern bewehrt waren, hervor. Der Schnitt des ovalen Gesichtes war nicht besonders edel, aber der Ausdruck gleichwohl geistvoll, wenn auch derb. Die Augen waren das Bedeutendste an der ganzen Physiognomie; sie verriethen auf den ersten Blick den gescheiten, geistig hochstehenden, vollkommen klar denkenden Mann. Meistens trug er einen ungewöhnlich wuchtigen baumwollenen Regenschirm, den er in der geschlossenen Faust nachzog. Die vor dem Theater versammelten Personen, meist Choristen, grüßten den Ankommenden achtungsvoll; er erwiderte freundlich, doch nicht besonders lebhaft den ihm dargebotenen Gruß im Weitergehen, jedoch nur selten hielt er bei ihnen an, aber nicht etwa aus Stolz, sondern weil es nicht nöthig war; seine Schritte hatten selbst etwas Praktisch-Verständiges, dem Ziele Zustrebendes.
Wer war dieser seltsame, ja beinahe komische und doch so stattliche, respektable Mann? Es war der langjährige, erprobte Direktor des Theaterchors, der treffliche, allen deutschen Männergesang-Vereinen wohlbekannte Komponist Konrad Max Kunz, dessen Tod die Zeitungen jüngst gemeldet haben. Wem es nun erlaubt war, ihm nachzufolgen durch die finsteren Gänge nach dem der Bühne angrenzenden Singzimmer, der konnte bald sehen, was in dem aparten Alten steckte. Ohne viel Worte ging er an die Arbeit, und er ruhte nicht, bis er sie bewältigt hatte. Die von ihm abgehaltenen Proben waren nicht eben die angenehmsten Stunden der ihm Untergebenen, denen er im Uebrigen leutselig und liebreich, ja selbst freundschaftlich begegnete. Der kleinste Fehler, und es wurde von ihm abgeklopft. So geduldig und ausdauernd er war, wurde er nicht selten errregt und dann, wie man so sagt, massiv grob; ein geborner Oberpfälzer (er war in der Gegend von Amberg zu Hause und eines Thürmers Sohn), verstand er seinen urwüchsigen, dem altbayerischen nahe verwandten Dialekt musterhaft zu handhaben. Wen er einmal herunterputzte, der hatte genug für einige Zeit. Dafür arbeitete aber auch sein Chor mit einer Präzision, die dem Rufe des gediegenen Meisters würdig war. Ohne eine eigentliche Passion für seinen Brodberuf zu besitzen, zeichnete ihn ein wohlanständiger Ehrgeiz und ein starkes Pflichtgefühl aus. Er that, was ihm aufgetragen wurde, willig und ohne Widerspruch, stets bereit, auch sein besseres Wissen der Autorität unterzuordnen. So wenig ihm persönlich die eindringende neue Musikrichtung zusagte, so trug er doch sein Bestes zur gelungenen Aufführung modischer Opernwerke bei. Seine Seufzer und Flüche ließ er erst im Kreise der Bekannten los. Nach der ersten Aufführung von »Tristan und Isolde« verglich er in seinem Mißmuthe die Wagner'sche Musik mit jener in Japan üblichen, raffinirten Todesstrafe, die darin besteht, daß der Delinquent, ohne sonst Mangel leiden zu müssen, einfach konsequent verhindert wird, einzuschlafen.
Wir sahen schon, daß den selbstständig denkenden und dabei etwas bequemen Mann nicht allzu enge Bande an die Coulissen schmiedeten, hinter denen er so oft die langen Jahre durch den Takt schlug und in all' dem Feenzauber und sentimentalen Ueberschwange als unsichtbarer Geist thatkräftig, wenn auch oft unwirsch, mitwirkte. Wem gehörte nun des Wackeren tiefere Sympathie und Leidenschaft an? Die Wahl eines wahrlich nicht alltäglichen Menschen konnte keiner gemeinen Sache gelten. Jeder wird rathen: seinem künstlerischen Schaffen, seinen Kompositionen, deren er ja bekanntlich eine immerhin erkleckliche Zahl geliefert; ich glaube, er war bei Op. 64 angelangt. Es mag nun wohl sein geheimeres Herz an diesen reifen und mehrentheils wohl aufgenommenen Früchten der Eingebung und des Fleißes mit Vorliebe gehangen haben, aber der Welt wurde dieser Schaffensdrang und Stolz nicht eben besonders bemerklich. Er kannte das Maß seiner Kräfte zu wohl und gab sich niemals hochfliegenden Illusionen hin. Dazu wußte er, daß man in der Musik zumal nicht eigentlich erst zu schaffen anfangen darf, wenn Andere aufhören; er hatte im Ganzen resignirt und baute nicht an goldenen Zukunftsschlössern. Eine an Kunz weit mehr hervortretende Seite war sein Trieb und Talent zur höheren Geselligkeit, ein Vorzug, den nur ein Thor geringschätzen kann.
Viel wohlgemuther und fast sichtbar rascher verließ »Papa Kunz« zu Mittag oder an Operntagen spät Abends die Räume, welche Vielen noch mehr als die Welt bedeuten, mit dem groben blauen Sacktuche sich häufig den Schweiß von der Stirne trocknend, den ihm die »heitere Kunst« in Menge hervorgetrieben. Nur Einen Weg gab es für ihn von dort, den nämlich in das Wirthshaus; aber so sehr er auch nach der Erfrischung schmachtete, so ließ er sich doch beileibe nicht von dem nächsten Wirthsschilde fangen. Er nahm den Trunk für eine ernste Sache und hatte es auch wirklich durch lange Uebung zu einer ungemeinen Kennerschaft gebracht. Jederzeit wußte er, wo es den besten »Stoff« gab, und dahin zog es ihn magisch. Er wäre jedoch nicht im Stande gewesen, allein und still in den Krug vor sich schauend dazusitzen, wie es der gedankenlose Trinker thut. Um der Unterhaltung nicht zu entbehren, begnügte er sich lieber mit der zweiten Qualität, wofern die erste nicht ganz vorzüglich war. Kein Lokal war ihm zu schlecht; er sah nie auf das Aeußere beim Wirthshaus. Blieb er plötzlich in einer lange besuchten Gaststube aus, so durfte man sicher darauf rechnen, daß es an der Schänke nicht mehr recht sauber war oder doch, daß sich eine andere, bessere Quelle aufgethan habe. Wohl trank er viel, so viel es nur der schmale Beutel ihm erlaubte, aber nie merkte man ihm das Geringste an, und stets vergalt er den ihm Gesellschaft Leistenden das nächtliche Uebersitzen durch seine köstliche Unterhaltung, seinen Humor und seine ernsten Gedanken auf das reichlichste. Wie Viele, Alt und Jung, hat er nicht erbaut, erhoben, belehrt, wie viel Samen des Guten hat er nicht ausgestreut auf guten und schlechten Boden in weisem sokratischen Gespräche! Welche edle, vornehme Gesinnung, welche Theilnahme für alles Hohe und Schöne, welche Begeisterung für alles Heilige und Große, welchen Haß gegen das Falsche und Schlechte offenbarte er so, der schlichte brave Mann, wenn er sich auch in seinem Redefeuer nicht immer in salonfähigen Ausdrücken bewegte. Und wie weit war sein Blick, wie zutreffend sein Urtheil! Jeder Gesprächsstoff war ihm geläufig; er besaß ein vielleicht nicht sehr breites, aber solides und helles Wissen und ein Interesse für Alles. Sein scharf beobachtender, direkt aus der ersten Quelle, aus dem Leben schöpfender Verstand wußte sich Alles zu erklären und zu deuten. Sein Herz konnte betrogen werden, denn es war edel und weich im Grunde, selten aber sein Kopf. Nie hat er eine falsche Größe, ein hohles Götzenbild angebetet, nie ein Talent überschätzt, aber auch nie unterschätzt. Er war völlig unbefangen und neidlos, und deßhalb vielleicht liebte er nicht, über seine eigene Kunst zu sprechen; er hätte zu viel zu verdammen gehabt. Man konnte ihn nicht leichter vertreiben, als wenn man dieses Thema öfter nach einander aufwarf. Mit klassischer Grobheit fuhr er, wo er Autorität besaß, dazwischen. Nach vollbrachtem Tagewerk wollte er ruhen und die am meisten angespannten Fibern sich auszittern lassen. Gesang oder einen Musikvortrag im Wirthshause anzuhören, war für ihn vollends unerträglich; er ward in hellen Zorn darüber versetzt. Er betrachtete eine solche harmlose Produktion als eine ihm persönlich zugefügte feierliche Beleidigung. Die Zither haßte er auch als Instrument ob ihres die Nerven aufregenden Klanges; wehe dem, der in seiner Gesellschaft eine solche anschlug! Manchmal freilich wich er aus eigenem Antriebe von seinem Grundsatze ab, und er trug auch wohl, aufgefordert, eine seiner scherzhaften Kompositionen, doch stets mit halblauter Stimme vor. Sein Chor: »Oan Knödl sied't scho«, sein Podagra-Lied, das er auf Grund eigener Erfahrungen gedichtet und in Töne gesetzt, kamen oft an die Reihe; am stolzesten aber war er auf seine in alterthümlicher Weise komponirte Ballade, die mit dem unausschreibbaren Verse beginnt: »Der Bauer geht hintern Zaun – –«. Er hatte den Text dazu in Gemeinschaft einiger Freunde nach langer, in's Kleinste gehender Feile festgestellt und behandelte denselben als einen wahren Kanon des Gesanges. Jeder neu eingeführte, ihm zusagende Gast bekam ihn zu hören. Wenn er mit tiefem Basse gedämpft das Lied intonirte, so sah er den Andern mit seinen großen, hoch aufgeschlagenen Augen fragend an, während auf seinem leise an den Satyrtypus streifenden Antlitz tiefer Ernst lag; der Schalk war ganz versteckt. Ausnahmsweise sprach er unter vier Augen wohl auch über Musik, doch durfte der Andere kein Fachgenosse seyn. Auf dem Heimwege in früher Morgenstunde vertraute er mir auch einmal an, warum er nie etwas Größeres, zumal nichts für das Theater, geschaffen habe; dem Sinne nach habe ich es schon oben vorausgenommen. »Das, was mir vorschwebte, konnte ich nicht leisten, und was ich hätte zu Stande bringen können, genügte mir nicht,« sagte der bescheidene Meister.
Die Kunst, zu trinken, und die des Gespräches sind Schwesterkünste. In den langen Abenden zumal, wenn er theaterfrei war, baute sich vor ihm, indem er sich so mit seinen Nachbarn unterhielt, ein ganzes System von Flaschen auf. Seine Mittel gestatteten ihm nicht, die Weinkarte täglich zu studiren, und so trank er meistens einen leichten Landwein. Aus Vorsicht gegen die tückische Gicht nahm er von Zeit zu Zeit dazwischen einen Löffel voll Natron oder Aehnliches zu sich, dem er immer einen tüchtigen Schluck aufsetzte. Die flüssige Unterlage legte er sich aber stets vorher im Brauhause, er war Stammgast im sogenannten Bräustübl, das, im hintersten, schmutzigsten Winkel des Hofbrauhauses gelegen, nur den angesehensten Bekannten des Braumeisters zugänglich ist. Keine Lampe, nicht einmal ein Talglicht, blos ein fichtener Spahn, der von Zeit zu Zeit von einem der Honoratioren mit der feuchten Hand geschneuzt wird, erleuchtet den kellerartigen, dunsterfüllten Raum. Kunz war dort, doch nur während der Wintermonate, fast täglich zur Erholung und Konversation. Im Sommer suchte er mit Vorliebe die kühlen, angenehmen Keller auf. Ein Lieblingsort war für ihn, besonders in den letzten Jahren, da er seinen Gehalt als Pension in Muße verzehren durfte, der Franziskaner-Keller, jenseits der Isar auf luftiger Höhe erbaut. Schon um 4 Uhr am Nachmittage sah man ihn aus den Anlagen unfern dem Friedhofe, wo er nun ruht, hervorwandern und mit bedächtigem Schritte der Brücke zugehen, die hinüber in die Vorstadt zu jener Burg des Gambrinus führt. Er bereitete sich seinen Abenddurst auf einem längeren Spaziergange, denn nie trank er ohne Durst.
Doch auch weitere Exkursionen, zumal im Frühjahr, machte er stets allein, ein Lieblingsbuch, das ihm aber geschenkt seyn mußte, in der Tasche, in die sterile und doch so anziehende Umgegend der schönen Hauptstadt des Bierlandes. Der weiten Region, in welcher die beiden hohen abgestumpften Thürme der alten Frauenkirche gleich zwei Bierkrügen mit sammt dem Deckel allerorten winken, war er wie kein Anderer kundig. Er war ein vorzüglicher Botaniker, stets brachte er einen großen Strauß seltener Blumen und Kräuter mit nach Hause, den großen Hut hatte erdann mit einem grünen Buschen besteckt, der ganz zu dessen Format paßte. So begegnete ich ihm oft weit draußen im stillen Feld. Aber seine Streifereien in die liebe Natur hatten allemal auch einen praktischen Zweck. Er war nämlich ein großer Liebhaber der Schwämme, weniger der giftigen als der genießbaren, am besten mundeten ihm die feinsten darunter. Auch die Bereitung derselben verstand er meisterlich. Oft kochte er sich, der alte Junggeselle, zu Hause in seinem Stüblein, das jener Kammer nicht unähnlich sehen mochte, in welcher er als armer Student dereinst gewohnt. Das noch dazu Nöthige kaufte er selbst ein; er sott sein halbes Pfund Rindfleisch und verzehrte es und seine Schwammerlinge dazu mit leckerem Gaumen.
Bei seinen bescheidenen materiellen Mitteln hat er sich seinen Stolz als Mann, seine volle Unabhängigkeit doch stets bewahrt. Schmerzlich entbehrte er den Nebenbezug, der ihm lange Zeit als Dirigenten des Männergesang-Vereins, dem er treue und fruchtbare Dienste geleistet, zugeflossen, aber niemals machte er mehr den Versuch, die von ihm freiwillig aus Ueberdruß niedergelegte Stelle wiederzuerlangen. Vielmehr reizte er noch die ihm grollenden Sangesbrüder und rächte sich auf eine höchst geniale Weise für die erlittene Kränkung. In seiner von dem Geiste echten Humors eingegebenen Satyre: »Die Moos-Gau-Sänger-Genossenschaft Moosgrillia« deckte er mit schonungslosem Spotte die Blößen an dem heutigen Sängerthum auf und geißelte in dem Anhange nicht minder grausam die Unnatur der Zukunftsmusik. Die Kritik des »Tannhäuser« ist das Schärfste, was man lesen kann. Die kleine Schrift wurde denn auch während des deutschen Sängerfestes in Dresden plötzlich von der Kolportage ausgeschlossen. Kunz war auf sie versessener als auf irgend eines seiner musikalischen Produkte. Häufig erkundigte er sich nach dem Absatz beim Verleger (Manz'sche Buchhandlung); die Herstellung einer zweiten verbesserten Auflage beschäftigte ihn fortwährend.
Der persönlichen Freunde hatte Kunz trotzdem gewiß weit mehr als der Widersacher, zumal nach seiner gänzlichen Pensionirung. Alle, die ihn genauer kannten, schätzten ihn hoch als Menschen wie als Mitbürger. Seiner politischen Ueberzeugung blieb er stets getreu, und er bekannte sie, wo es ihm Pflicht schien, ohne Furcht und Scheu, wenn er sich auch sonst von dem aktiven Parteileben ferne hielt; eine Enthaltsamkeit, die bei dem Künstler immer erklärlich ist. Seine Liebe zum deutschen Vaterlande war, ohne daß er auf seinen Heimathsstolz verzichtete, eine helle reine Flamme. Der war von seinem Umgange ausgeschlossen, der für Deutschland kein Herz und Verständniß hatte. Ein Beispiel möge dieses beweisen – ein Beispiel, aus dem zugleich erhellt, mit welchem Zauber Kunz persönlich zu fesseln wußte.
Um die Mitte der Sechziger-Jahre kam ein reicher und gelehrter Engländer nach München, auf der eiligen Durchreise nach dem Mittelmeere und Afrika begriffen. Seine Absicht war, dort seinem Lieblingsstudium, der Käferkunde, obzuliegen. Er hatte bereits seine Dienerschaft in den fremden Welttheil vorausgeschickt, und an weit von einander entlegenen Worten, in Marokko und Konstantine, standen unterschiedliche Elephanten für ihn bereit, auf denen er seine Expedition auszuführen gedachte. Der Afrika-Reisende fand in München, das ihm aus früherer Zeit bekannt war, alte Bekannte, darunter in erster Reihe Kunz. Nachdem er einige Wochen mit ihnen in geselligem Verkehre zugebracht, beschloß er, das Ende der Regenzeit in jenen Ländern hier bei Papa Kunz abzuwarten. Bald war er der unzertrennliche Gefährte desselben, mit dem er getreulich alle Stationen der täglichen Einkehr durchmachte. Oft saßen die Zwei ganz allein miteinander, traut und ernst in deutscher Sprache, die der Engländer vortrefflich sprach, sich unterhaltend. Der vielgereiste Fremdling hatte, obgleich er noch erst ein Vierziger war, bereits gänzlich weißes Haar und glich mit seinem langen wallenden Barte und der hohen gefurchten Stirne einem Harfner der Sage. Kunz hatte großes Wohlgefallen an ihm und pries dessen treffliche Eigenschaften, wenn er, was freilich selten vorkam, einmal länger sitzen blieb, als der Andere. Unvermerkt verflossen dem sich traut und wohl fühlenden Entomologen Wochen und Monate dahin. Die Regenzeit im fernen heißen Afrika war längst vorüber und er schien noch immer auf ihr Ende im kalten Norden zu harren. Seine Elephanten hatten in Marokko und Constantine die besten Tage und seine Bedienten nicht minder. Wieder nahte eine Regenzeit und damit neuer Anlaß, zu warten. Aber noch kam ein dritte Regenzeit heran und eine vierte, der gute Engländer saß noch immer in München. Er saß auch noch da, als der deutsch-französische Krieg ausbrach, doch dann nicht mehr lange. R. war im Innern ein Feind Deutschlands, so vorsichtig er dieses auch verbarg; aber eines Tages offenbarte er im scheelen Neide auf die Erfolge der deutschen Waffen, auf welcher Seite er eigentlich stand. Mit einer Grobheit, die nicht wiederzugeben ist, donnerte ihn Kunz nieder, aber nicht genug, er verließ mitten am Abende das Gastlokale und kehrte nicht eher wieder, als bis der vereinsamte Engländer zu seinen Elephanten nach Afrika abgereist war. Alle Versöhnungsversuche wurden von Kunz mit der Erklärung abgeschnitten, R. möge nach zehn Jahren wiederkommen, dann werde er ihn vielleicht wieder sprechen können. Die große Siegeszeit lasse er sich nicht von einem gefühllosen Ausländer verbittern. Der Komponist des herrlichen Uhland'schen Gesanges: »Wenn heut' ein Geist herniedersteige«, hatte er, wenn auch hart, nicht wacker gehandelt? Aber seinem Jubel über die Thaten des deutschen Volkes und die Verwirklichung auch seines Jugendtraumes, über das Wiedererstehen des deutschen Reiches gab er auch als Musiker bewegten Herzensausdruck. Ich habe auch mein Scherflein beigetragen, sagte er mir, indem er die Partitur zweier Siegesmärsche vorzeigte, die er, den Tag von Sedan zu feiern, komponirt hatte.
Er hat sie erlebt, die stolze große Zeit, und darum dürfen wir ihn, der ein tüchtiger edler Sohn seines Volkes war, glücklich preisen, ungeachtet der bitteren Tropfen, die wohl auch in seinen Kelch gemischt waren. Sein Gedächtniß aber werden die Tausende, die seine kernigen Lieder gesungen, rühmen und in Ehren halten.
Martin Greif: Der Sammler Nr. 92. Belletristische Beilage zur »Augsburger Abendzeitung«. Samstag, den 14. August 1875.
Vermischtes.
München, 9. Jan. Von Seite des Bayerischen Sängerbundes wurde der Beschluß gefaßt: dem Altmeister Konrad Max Kunz, zu Lebzeiten Komponist und Chor-Direktor am kgl. Hoftheater, besonders bekannt durch seine Volkslieder, auf dem südlichen Friedhofe in München ein des beliebten Tondichters würdiges Denkmal zu errichten. Die Mittel hiezu sollen zunächst durch die Vereine des Bayerischen Sängerbundes aufgebracht werden, aber auch Beiträge der sonstigen zahlreichen Freunde und Verehrer des Verstorbenen nicht allein dankbarst angenommen werden, sondern erwünscht sein. Die Anmeldung, bezw. Einsendung etwaiger Beiträge möge bis spätestens 31. März l. Js. erfolgen.
Bamberger Neueste Nachrichten Nro. 11. Dienstag, den 11. Januar 1876.
Für den verlebten k. Chordirector Conrad Max Kunz beschloß s. Z. die in Regensburg tagende Delegirten-Versammlung des »bayerischen Sängerbundes« das Grab des unvergeßlichen Meisters im südlichen Friedhofe Münchens anzukaufen und durch ein einfaches Monument in Form einer Büste des Verewigten, der Nachwelt zu bezeugen, wie hoch die bayerischen Sänger und Sangesfreunde ihren hochbegabten Landsmann und Meister ehrten. Wie wir vernehmen, werden jetzt von den betreffenden Vereinen die letzten Anstalten für Ausführung dieses Beschlusses getroffen.
Freisinger Tagblatt No. 125. Zugleich Amtsblatt für Freising und Moosburg. Mittwoch, den 31. Mai 1876.
Niederbayerisches.
Landshut, 3. Juli. Dem schlichtesten Manne galt es, einem Meister der Töne galt es, eine Ehrenschuld abzutragen, als am ersten Tage des Julimonates der »Regensburger Liederkranz«, von der Landshuter Liedertafel zu Besuch gebeten, mit dieser vereint in einem Konzerte um ein Scherflein bat. Dem Sänger, dem im Leben gar mancher sehr bescheidene Wunsch unerfüllbar blieb, besann man sich nach seinem Tode, so vielen Dank zu schulden. Fast klingt es zu milde, wenn man den Sängern zuruft: »Spät kommt ihr, doch ihr kommt!« Eilf Monate sind es ja heute, daß der Komponist und Dirigent Konrad Max Kunz im Krankenhause zu München die Augen schloß. Fast schien es undankbar, nur eine Nummer aus der reichen Zahl der Meisterwerke des Mannes im Programme des Abends zu bieten. Ergab sich aber schon durch dieses einzige Werk desselben eine glänzende Probe dafür, in welch hohen Rang der Geehrte des Abends selbst neben den Namen eines Mendelssohn, eines Vinzenz und Franz Lachner und anderer Koryphäen der Tonkunst zu stellen sei, so möge dieses bedenklichen Punktes hinsichtlich der Auswahl der Tonstücke des Abends nicht mehr erwähnt werden.
Es ward auch so uns klar: Weil er so ruhig, so harmonisch und so voll die Rolle ohne Lärm zu machen ausgefüllt, klafft nun, wo einst der Mann sich still bescheiden eingefügt, so groß und weit die Lücke, die sein Tod gerissen.
Keine schöneren Worte vermögen wohl des Mannes Werth der Nachwelt vor Augen zu halten, als trüge dessen Denkstein einst die Erinnerungsworte an »Elslein«, »Hymne an Odin«, »an Hertha«, »Wenn heut' ein Geist hernieder stiege«, »Das Haus benedei ich, und preis' es laut«; seine Volkslieder, sein Ecce quam bonum werden in jedem Sängerkreise, sein »Meister, der ersann«, in seiner engern Sänger-Schaar noch oft eine Thräne aus dem Auge rollen lassen.
Die pietätvolle Stimmung aller Mitwirkenden gegen den Gefeierten gebot jedes Lied mit höchster Kunstaufwendung durchzuführen, und auch die begleitende Musik half zu dem oftmals anerkannten Gelingen der Produktion erheblich mit.
Die Menschen haben einen Freund verloren, – uns Sängern war er mehr. Ein Sänger.
Landshuter Zeitung Nr. 152. Dienstag, den 4. Juli 1876.
Kunz, Konrad Max, achtungswerther deutscher Tonkünstler und Componist, geboren am 30. Decbr. 1812 zu Schwandorf in der Oberpfalz in Baiern als Sohn eines Stadtthürmers daselbst, besuchte und absolvirte mit Auszeichnung das Gymnasium zu Amberg, wo er neben vorzüglichem Unterrichte in den classischen Sprachen auch treffliche Unterweisung in der Musik genoss und so absichtslos den Grund legte, aus dem seine spätere Wirksamkeit herauswuchs. Denn anfänglich an der Universität München dem Studium der Medicin obliegend, zwang ihn seine Mittellosigkeit, dasselbe bald aufzugeben und seinen Lebensunterhalt mit Clavierunterricht zu erwerben. Ein glücklicher Zufall machte ihn mit dem damaligen Hofkapellmeister Hartmann Stuntz bekannt, unter dessen Leitung er ein tüchtiger Tonkünstler wurde. Späterhin dirigirte er mehrere Gesangvereine, darunter die Münchener Liedertafel, die er mitgründen half und für die er Chöre schrieb, welche, zündend durch Kraft und Fülle, wie »Odin, du Schlachtengott«, »Hymne an Hertha« und »Wenn heut' ein Geist herniederstieg'« (Uhland), oder wirksam durch Sinnigkeit und Anmuth, wie »Das Haus benedei' ich« (Uhland) und »Elslein« (im Volkston), sehr verbreitet sind und überall, wo Männergesang gepflegt wird, mit Vorliebe gesungen werden. Im J. 1845 wurde K. als Chordirigent an das Münchener Hof- und Nationaltheater berufen, welchen Posten er mit grosser Gewissenhaftigkeit und bestem Erfolge bis wenige Jahre vor seinem Tode ausfüllte; der Münchener Hoftheaterchor verdankt zumeist ihm die Begründung seines Rufes, der weit über Deutschland hinausreicht. Am 3. Aug. 1875 starb K. im allgemeinen Krankenhause zu München. – K. war nie verheirathet; er lebte als Sonderling, unzugänglich feineren Umgangsformen, in seinem Aeusseren ein Diogenes, dabei aber ein biederer Charakter, voll derben drastischen Humors, wovon Compositionen wie das »Metzelsuppenlied«, »Die Podagraisten« u. s. w. zeugen. Erwähnt sei noch seine Brochüre »Die Stiftung der Moos-Gau-Sängergenossenschaft Moosgrillia« (München, 1865), eine beissende Satire auf das Sangesbruderthum. F. W.
Musikalisches Conversations-Lexikon. Eine Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften. Berlin, 1876.
Kunz: Konrad Max K., Componist, geb. am 30. December 1812 als Sohn eines Stadtthürmers [Wächter, der von einem Stadtturm aus die Umgebung beobachtet] zu Schwandorf in der Oberpfalz, empfing am Gymnasium zu Amberg und dann auf der Universität zu München, wo er dem Studium der Philosophie und Philologie oblag, hohe Gewandtheit in den klassischen Sprachen, aber auch frühzeitig schon die trefflichste Unterweisung in der Musik, wozu er die größte Befähigung hatte, welche durch den Hofkapellmeister Hartmann Stuntz glücklich erkannt und streng wissenschaftlich ausgebildet wurde. Seine Mittellosigkeit zwang ihn durch Clavierunterricht den Lebensunterhalt zu erwerben (daher seine »Praktische Pianoforte-Schule«, 1841, opus 2), auch leitete er als Chormeister die »Münchener Liedertafel« und die »Bürger-Sänger-Zunft« und darf deshalb mit Recht als einer der Väter des deutschen Männergesangs gelten. In Folge seiner Leistungsfähigkeit in der Führung großer Massen wurde K. als Dirigent zum ersten Sängerfeste in Freising 1844 und 1847 nach Regensburg berufen, inzwischen 1845 als Chordirigent am Münchener Hof- und Nationaltheater angestellt, welchen Posten der wackere Mann mit größter Gewissenhaftigkeit und eiserner Ausdauer bis wenige Jahre vor seinem Abscheiden ausfüllte. Ihm hatte der Münchener Hoftheaterchor die Begründung seines weit über Deutschland hinaus reichenden Rufes zu danken. Für die Münchener Liedertafel componirte K. seine berühmt gewordenen Chöre, z. B. den mächtig dahin brausenden Schlachtgesang an »Odin«, die »Hymne an Hertha« (gedichtet von Dr. Ludwig Koch, vierstimmig als op. 7 Leipzig bei Breitkopf & Härtel), das feierlich großartige »Wenn heut ein Geist herniederstiege« nach Uhland und dessen Brautgesang »Das Haus benedei' ich«, den »Nachtgruß« (von Eichendorff, vierstimmig 1877 als Manuscript bei Aibl, op. 12), auch setzte er ältere Lieder, wie »Ach Elslein«, »Prinz Eugenius« (nach der ursprünglichen Melodie von 1719), dann »Odo olam« (nach einer hebräischen Ritualmelodie), aber auch köstliche Burlesken, z. B. die »Zwei Knödel«, das »Metzelsuppen-Lied« (op. 9) nach Uhland, das Kneiplied »Auf beim Spund«, op. 17 (Text von Otto v. Reichert) und die Ballade »Der Bauer geht hinter'n Zaun«, welche als wahre Muster contrapunktischer Bravour betrachtet werden müssen. In dem großen Künstler-Maskenfest 1840 (Albrecht Dürer-Fest), welchem K. als »wilder Mann« (gezeichnet von Eugen Neureuther) beiwohnte, schrieb unser Tondichter als opus 1 die Aufzüge, Zwischenspiele, Menuett und Polonaise (für Clavier bei Falter 1840), dann die »Aufzüge für Naturtrompeten und Pauken« zum Festzug beim 700jährigen Bestehen der Stadt München (op. 15), zwei Märsche »Den Siegern und Gefallenen«, 1870–71, für Cavalleriemusik. Die weiteste Verbreitung erhielten seine »200 kleine zweistimmige Canon's, den Umfang einer Quinte nicht überschreitend (Supplement zu jeder Pianoforteschule), opus 14«, München 1877 bei Aibl, welche mit Vorwort von Dr. Hans v. Bülow, dann mit französischem Text von E. Laurent (1878), englisch von L. Rothfeld, ebenso mit schwedischem, russischem und dänischem Text erschienen. Außerdem gab K. »Oberpfälzische Bauerntänze« (Mainz 1855) heraus und lieferte die vierstimmige Bearbeitung der Melodien zu G. Scherer, »Die schönsten deutschen Volkslieder« etc. Die Zahl seiner großentheils noch ungedruckten Weite belauft sich auf 64. Besondere Erwähnung verdient noch die von dem heitersten Geiste echten Humors eingegebene Satire »Die Stiftung der Moos-Gau-Sänger-Genossenschaft Moosgrillia« (München 1866 bei Hermann Manz, 32 S. 8°), worin K. mit schonungslosem Spotte die Auswüchse des Sangesbrüderthums geißelte, aber auch seinem Unmuth über die Zukunftsmusik die Zügel schließen ließ. Sie kann, sowol in Tendenz wie nach ihrer Schreibart, als ebenbürtiges Seitenstück zu Jos. Ant. Koch's »Rumfordischer Suppe« gelten. K. war ein seltener Charakterkopf, ein biederer wahrer Mann, ohne Falsch, kerndeutsch, ein idealer Künstler, aber in rauher, fast unerträglicher Schale, eine ganz sokratische Natur, frei von aller Sucht nach äußerem Glanze, mit reicher Schöpfergabe, Originalität und tiefster Empfindung für den reinen Charakter der Kunst ausgestattet. Kein Kind des Glücks fand er nie die ihm gebührende Muße noch die höhere Wirksamkeit, daher sein mehr als bescheidenes, zurückgezogenes, ja verstecktes misanthropisches Leben. Er starb arm, wie er immerdar gelebt, am 3. August 1875 im Allgemeinen Krankenhause zu München. Seine Freunde setzten ihm auf dem südlichen Kirchhofe eine von Rudolf Schwanthaler gemeißelte Porträtbüste, welche überraschend und unwillkürlich an jene im Museo Napoli befindliche Herme des Sokrates gemahnt.
Vgl. die gelungene Charakterzeichnung von Martin Greif in Nr. 92 des Augsb. »Sammler« vom 14. August 1875 und H. Mendel, Musikal. Conversat.-Lex. 1876, 6. Bd., S. 200. Hyac. Holland.
Dr. phil. Hyazinth Holland: Allgemeine Deutsche Biographie. Leipzig, 1883.