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41 – 1 – 16·17 (Hacker · Podlech · Thiersch)

Ω

FAMILIE THIERSCH

Hier ruhet
Friedrich Wilhelm von Thiersch
Dr. theol. et phil. k. bayr. Geheimrath. Universitätsprofessor. etc.
geboren in Kirchscheidungen den 17. Juni 1784.
sanft entschlafen in München den 25. Febr. 1860.
Ihm folgte seine Gattin
Amalia von Thiersch geb. Löffler
geboren zu Gotha den 16. Juni 1794, gestorben den 23. März 18¿.
Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes. Hebr. 4.9.
Ihr Sohn
Ludwig Thiersch
Historienmaler,
* 12. April 1825, † 10. Mai 1909.
Selig sind die reines Herzens sind,
denn sie werden Gott schauen. Ev. Math. 5.V.8.
Pauline Thiersch. geb. Kirch
* 15. Januar 1829. † 13. November 1910
Wenn der Herr die Gefangenen Zions
erlösen wird, so werden wir sein
wie die Träumenden. Psalm 126, 1

Sockel

Hans Thiersch. * 22. Sept. 1864. † 11. Febr. 1865.
Friedrich Thiersch. kgl. Forstamtsassistent.
* 28. Januar 1838. † 10. Juni 1887 in Zweibrücken.
Paula Hacker. geb. Thiersch. * 19. März 1836.
† 23. Januar 1899 in Bayreuth.

Linke Seite

Ihm ging voran sein Vater
Philipp Benj. Thiersch
geb. den 1. Juni 1¿
gest. in München d. 21. Febr. 183¿
¿
Mathilde Podlech
geb. Thiersch
geb. 10. Febr. 1824
gest. 2¿. Dez. 1903

Rechte Seite

Maria Bertha Thiersch
geb. Zeller.
Sie entschlief in Christo
den 12. Juli 1868, 49 Jahre alt.
Ich will schauen Dein Antlitz
in Gerechtigkeit.
Ich will satt werden, wenn ich
erwache nach Deinem Bilde.
Psalm 17. 13.

Ω

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Dr. phil. et theol. Friedrich Wilhelm von Thiersch

* 17.6.1784 (Kirchscheidungen bei Freiburg a. d. Unstrut)
† 25.2.1860 (München)
Altphilologe, Geheimer Rat, Universitätsprofessor und Präsident der BAkdW

Männer der Zeit (1860)

Friedrich Wilhelm Thiersch.

Dieser weise Nestor unserer Philologen und Schulmänner, der vor kurzem in München unter großer Theilnahme der Gebildeten sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum feierte, ist am 17. Juni 1784 zu Kirchscheidungen bei Freiburg an der Unstrut geboren. Er gehört, wie fast alle unsere Alterthumskenner und philologischen Gelehrten, dem deutschen Norden an. Nachdem er sich in Naumburg und auf der Fürstenschule zu Pforta für die Universität vorbereitet, begann er Theologie und Philologie in Leipzig zu studieren, von wo er sich 1807 nach Göttingen wandte. Im folgenden Jahre habilitirte er sich mit einer lateinischen Abhandlung über Platons Gastmahl an der altberühmten Georgia Augusta und erhielt zugleich eine Lehrerstelle am Gymnasium, ward aber bereits 1809 als Professor an die neuerrichtete hohe Schule nach München berufen, wo er sehr bald ein philologisches Seminar begründete, das 1812 mit der Akademie vereinigt wurde, und die bekannten Acta philologorum Monacensium (3 Bde., 1811–26) herausgab. Mit Friedr. Heinr. Jacobi, der damals auch nach Bayern übersiedelte, war Thiersch Einer der ersten nach München berufenen Norddeutschen, und hatte, auf königlichen Befehl zu wichtigen Aemtern gelangt, als Protestant und deutscher »Ausländer« sehr viel zu leiden von der Mißgunst, mit welcher zu jener Zeit noch die ultramontane Partei nicht minder wie das bigotte Volk die Fremdlinge betrachtete. In Bezug auf Thiersch verstiegen sich die Anfeindungen des Pöbels bis auf heimliche Messerstiche im Dunkeln auf der Gasse. Während der von Christoph von Aretin ausgehenden Streitigkeiten hatte Thiersch besonders durch seine Schrift »über den angenommenen Unterschied zwischen Nord- und Süddeutschland« (München 1810) viel böses Blut erregt. Seitdem sind wohl die Stimmungen friedfertiger geworden; auch haben protestantische Franken, jetzt mit Minister v. d. Pfordten, im Regiment Fuß gefaßt, während nach einander zwei protestantische Königinnen, Therese und Marie, Jene König Ludwigs Gemahlin aus Hildburghausen, Diese die dem Hohenzollernschen Geschlechte ungehörige Gemahlin von König Max II., sich die Liebe der Bayern zu erringen wußten. Beide Nachfolger des alten Maximilian Joseph, der Sohn und der Enkel, gewöhnten wie ihr Vorfahr das Volk principiell und fortgesetzt, wenn auch mit Unterbrechungen, wie Donniges’ und Dingelstedts Entlassungen neuerdings bewiesen, an die Berufungen ausgezeichneter Männer Norddeutschlands. Und so ist im Laufe der Zeit die Stimmung gegen Thiersch zu München in ihr Gegentheil umgeschlagen; man erkennt die Verdienste, die er sich um das Land erworben, allgemein dankbar an, und bei seinem Jubiläum beeilten sich alle Classen der Bevölkerung, ihm Zeichen der Hochachtung darzubringen. Daß fürstliche Huldbeweise und akademische Ehren nicht fehlten, versteht sich von selbst.

An dem deutschen Befreiungskampfe von 1813 nahm Thiersch soweit es die Verhältnisse gestatteten, mit Wort und Schrift regen Antheil; noch regere Sympathien fast weckte in ihm später der Freiheitskampf Griechenlands, und er verfehlte nicht, sich selbst an Ort und Stelle zu begeben und mit allen Kräften dahin zu wirken, daß Griechenland und Deutschland sich immer mehr nähern und in ihren politischen, wie geistigen Interessen Zusammenhalten sollten. Das Werk: »De l’ètat actuel de la Gréce et des moyens d’arriver à sa restauration« (2 Bde., Leipzig 1833) giebt Aufschluß über seine Bestrebungen.

Als ausgezeichneter Philolog hatte sich Thiersch schon vorher durch seine »griechische Grammatik, vorzüglich des Homerischen Dialekts« (Leipzig, 1826) und seine Bearbeitung des Pindar (2 Bde., Leipzig 1820) ausgewiesen. Die Schrift »über die Epochen der bildenden Kunst bei den Griechen« (2. Aufl., München 1829) hat das Verdienst, die für das Studium der Antike im höchsten Grade wichtige Frage nach der Chronologie der hellenischen Künstler und Kunstwerke fast zuerst mit in Anregung gebracht zu haben, wenn auch die von Thiersch gewonnenen Resultate durch die neueren Untersuchungen Welckers, Jahns, Brunns, Overbecks u. A. vielfach erschüttert worden sind.

Gleichfalls, wenigstens zum Theil, archäologischen Inhalts sind die im Verein mit Schorn, Gerhard und Klenze herausgegebenen »Reisen in Italien« (Bd. 1, Leipzig 1826); Thiersch selbst war 1822 in Italien gewesen. Einflußreicher aber, als alle seine früheren Werke, wurden die Schriften »über gelehrte Schulen, mit besonderer Rücksicht auf Bayern« (3 Bde., Stuttg. u. Tüb. 1820–37 und »über die neusten Angriffe auf die Universitäten« (Stuttg. u. Tüb. 1837), insofern Thiersch 1829 den Auftrag zur Entwerfung eines Schulplanes für die bayerischen Gymnasien erhielt und darin das in jenen Werken verfochtene Princip des Festhaltens an den klassischen Studien zur That werden ließ. Und wenn schon die letztgenannten zwei Schriften manche Stimmen gegen sich gehabt hatten, so war der Streit, der sich an das Werk »über den gegenwärtigen Zustand des öffentlichen Unterrichts in den westlichen Staaten Deutschlands, in Holland, Frankreich und Belgien« (3 Bde., Stuttg. u. Tüb. 1838) anschloß, ein noch heftigerer und allgemeinerer. Der Freimuth und die Entschiedenheit des Verfassers konnte natürlich nicht ohne Angriffe von der andern Seite bleiben.

Die Verdienste des alten Thiersch sind dreifacher Art. Zuerst hat er durch seine gelehrten Untersuchungen über die antiken Dichter und Künstler der Alterthumswissenschaft im Ganzen beträchtlichen Vorschub geleistet, sodann hat er zu der geistigen Wiedergeburt Griechenlands sehr viel beigetragen, und drittens sind vor Allem durch seine Bemühungen die Zustände auf den hohen Schulen in Bayern wesentlich verbessert worden, ja er ist es eigentlich, den man den Begründer der philologischen Studien in Bayern nennen kann. Endlich war es auch Thiersch, der bei Gelegenheit des Göttinger Universitätsjubiläums zu den seither regelmäßig abgehaltenen Versammlungen deutscher Philologen und Schulmänner den ersten Anlaß gab und die in den nächsten Jahren zu Mannheim, Gotha, Cassel, Erlangen und Dresden stattgefundenen durch seine anregende Persönlichkeit zu beleben verstand.

Männer der Zeit. Biographisches Lexikon der Gegenwart. Leipzig, 1860.

Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München (1983)

Thiersch Friedrich Wilhelm, Dr. phil. et theol., von, 1784 (Kirchscheidungen bei Freiburg a. d. Unstrut) – 1860, Altphilologe, Geheimer Rat, Universitätsprofessor und Präsident der BAkdW; er studierte in Leipzig und Göttingen und wurde 1809 als Professor an das neueingerichtete Wilhelms-Gymnasium in München berufen, wo er der Begründer der philologischen Studien in Bayern (»Praeceptor Bavariae«) wurde; bei den damaligen von J. Chr. von Aretin ausgehenden Verfeindungen gegen die Nordlichter wurde er wegen seiner Schrift »Über die angenommenen Unterschiede zwischen Süd- und Norddeutschland« heftig angegriffen (Mordanschlag!); das von Th. gestiftete Philologische Institut wurde 1812 mit der BAkdW und 1826 mit der Münchner Universität vereinigt; wie er sich im Befreiungskrieg 1813 mannhaft betätigte, so bewies er auch wärmste Anteilnahme für den griechischen Freiheitskampf; während seines Aufenthalts in Griechenland 1831/32 trug er dazu bei, dort eine günstige Stimmung für Bayern zu schaffen, die die Berufung König Ottos zur Folge hatte; seit 1848 war Th. Präsident der BakdW.

Hauptwerke: Acta philologorum Monacensium, Griechische Grammatik, vorzüglich des homerischen Dialekts, Über die Epochen der bildenden Kunst unter den Griechen, Über gelehrte Schulen – mit besonderer Berücksichtigung auf Bayern.

© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.

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Ludwig Thiersch

* 12.4.1825 (München)
† 10.5.1909 (München)
Genremaler, Historienmaler und Kirchenmaler

Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart (I. 1898)

Gespräche mit einem Münchener Meister.

Von
Louise v. Kobell.

Ich werde nie das Entzücken vergessen, das meinen Freund Karl Piloty beim Anblick Venedigs erfaßt hat, als wir auf unsrer Fußreise im Herbste 1847 dort anlangten,« sagte Professor Ludwig Thiersch, Sohn des bekannten Philologen F. Thiersch, behaglich mit seiner Frau und mir in seinem Atelier sitzend und uns dabei die Zeichnungen seiner Skizzenbücher zeigend. »Die wunderbare Stadt prangte damals im Festglanze, da die Naturforscher dort tagten. Von ihren wissenschaftlichen Vorträgen machten wir zwar keinen Gebrauch, desto mehr lernten wir, im feurigen Jugendeifer – Piloty war einundzwanzig, ich zweiundzwanzig Jahre alt – an den Mosaiken der Marcuskirche, an den Gemälden von Paul Veronese in San Sebastiano, in der Kirche dei Frari an Titians herrlichem Altarbilde, Madonna mit Heiligen und mit der knieenden Familie Pesaro im Vorgrunde; das sind lebensvolle Porträts von packender Naturwahrheit, und wie ergriff uns Mariä Himmelfahrt, in der Accademia delle belle Arti – und St. Marcus, der einen verurteilten Sklaven befreit, von Tintoretto, in welchem Gemälde wohl das Höchste geleistet ist, das an koloristisch wirkungsvoller Malerei geleistet werden kann.

»Piloty kopierte in späterer Zeit das Meisterwerk, und sein Schüler Hans Makart inspirierte sich an diesem Tintoretto für seine farbenfeurigen Schöpfungen. Wir kehrten von dem Venetianer Aufenthalt so kunstenthusiastisch nach München zurück, daß sich alsbald jeder von uns an die Staffelei setzte und unter Professor Schorns Leitung darauf los malte. – Den zuerst erwählten Bildhauerberuf verließ ich für immer, obgleich ich Ludwig Schwanthalers Schule besucht und mich bereits durch eine Reihe wohlgelungener Büsten bemerkbar gemacht hatte. Schwanthalers Rede war nicht ohne Wirkung geblieben, als er in seiner originellen Art einmal zu mir sagte: 'Jch geb' Ihnen den Rat, mein Lieber, wenn Sie ein bißl Phantasie haben, dann werden Sie Maler; die Bildhauer sind nicht zu beneiden; wenn's gut geht, kriegt einer in seinem Leben vielleicht einen Fries, sonst bleibt ihm nichts übrig, als die bekannten Konditorfigürln für den Kunstmarkt zu machen'.«

»Da heißt es auch,« sagte ich, »glaub meinen Worten und nicht meinen Werken, aber es ist einerlei, wie es gemeint war, denn so verdanken wir es Schwanthaler, daß Sie Maler geworden sind.«

»Und ich habe es nie bereut, da schon mein erstes größeres Bild 'Sakuntala im Kreise ihrer Gespielinnen' günstig aufgenommen wurde. Piloty malte damals Rienzi, wie er zu Rom in Mitte einer Versammlung von Adel und Volk eine seiner Freiheitsreden hält.«

Die Revolutionsbewegung, die im Jahre 1848 Europa durchbrauste, zündete ebenfalls in Bayern; schwärmten die Schüler der Kunstakademie gleich den Universitätsstudenten einerseits für eine Freiheitsära, so trugen sie andrerseits nach Kräften zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptstadt bei und zur Wehr gegen Uebergriffe Exceßsüchtiger. Statt Feder und Pinsel handhabten sie nun die Waffen, allerdings nur die ausgemusterten Musketen des Zeughauses!

Die Akademieschüler wählten Ludwig Thiersch zu ihrem Kommandanten, und Piloty stand als hochgewachsener Flügelmann in der ersten Kompagnie. Eifrig zogen täglich verschiedene Freicorps unter Trommelschlag aufs Marsfeld hinaus, wo sie exerzierten und manövrierten; manch ehrwürdiger Professor und Meister fand sich darunter.

Als sich die Wogen der Volkserhebung gelegt hatten, wurden wieder von allen Seiten Feder und Pinsel ergriffen, und Ludwig Thiersch malte unter der Wucht der frischen Eindrücke »Jean Cavalier, die Cevenner Bauern zum Kampf auffordernd«, welches Gemälde, gleich dem vorhin erwähnten, Lob und einen Käufer fand.

Nun reiste Ludwig in das Land seiner Sehnsucht, Italien, zunächst nach Rom.

Ein beredtes Zeugnis für seinen dortigen Fleiß geben seine Skizzenbücher, denn wie viel hat er darin festgehalten! Mt wenig Strichen, aber stets charakteristisch sind Kunstwerke aus Kirchen und Palästen wiedergegeben, die Staffagen am Petersplatz und an der Piazza Montanara, die Villa Borghese nach Sonnenuntergang mit dem glühenden Abendhimmel und den dunkeln Baumsilhouetten, das Porträt Cäsar Borgias nach Raffael, ein schöner, schlimmer Kopf; Augen und Mundwinkel sagen: Widerspruch giebt es nicht. Hier der heilige Petrus in Raffaels Disputa, und Johannes voll Kraft und Weichheit; die lieblichen drei Haupttugenden aus den Stanzen; und da das Osterfest in der Sixtina, der weißgekleidete Papst, die Kardinäle, Kavaliere, Senatoren, das in Andacht und Schaulust aufgelöste Volk; die leichtfüßigen Tänzerinnen einer Osteria; die Wasserpflanzen an der Tiber, die lungernden Kühe auf dem Campo Baccino; die goldgesäumten Wolken, unter denen sich eben ein Marienfest vollzieht – allenthalben eine künstlerisch aufgefaßte Natur.

Die Erwerbung dieser in Form und Inhalt vorzüglichen Blätter wäre ein großer Gewinn für Kunstschulen.

»Mit heimatlichen Grüßen bepackt,« sagte L. Thiersch, »besuchte ich in Rom alsbald meinen Landsmann August Riedel, der wie kein andrer das Sonnenlicht auf die Leinwand zu zaubern verstand. Um mich in ähnlicher Richtung zu erproben, malte ich ein bekanntes römisches Modell, die Chiaruccia mit ihrem Töchterlein, im Grünen vom Sonnenlicht rückwärts gestreift. Diesem Bild schlossen sich mehrere aus dem Leben der Campagnolen gegriffene Studien an, die sämtlich von Engländern erworben wurden.

»Selbstverständlich stand ich häufig an dem Vormittag, an welchem Overbecks Atelier dem Publikum geöffnet war, unter der gedrängten Menge, welche des großen 'Präraffaeliten' Werke betrachtete. Rings an den Wänden hingen seine von tiefer Frömmigkeit durchdrungenen Kohlenzeichnungen, Christus auf dem Oelberg, die Grablegung, die Bekehrung des heiligen Thomas und so weiter. Sie sind in echt christlichem Geiste erfunden und bringen eine weihevolle Stimmung hervor. Der Meister selbst mit seinem milden Gesichtsausdruck, dem schlicht gescheitelten Haar, mit seinem einfachen, gewinnenden Wesen erweckte unwillkürlich in mir das Gefühl, so etwa müsse der Lieblingsjünger Jesu ausgesehen haben.

»Von jüngeren Künstlern waren es besonders der Bildhauer Wittich, der Landschaftsmaler Franz Dreber und der Historienmaler Gungl, an welche ich mich anschloß. Wir stifteten mit noch andern jungen Deutschen eine Tafelrunde in einer einfachen Weinkneipe bei der Fontana Trevi. Jeder brachte sein bescheidenes Mahl, Schinken, Salami und Brot, selbst mit. Die älteren Künstler hatten ihr Standquartier in dem bekannten »Café Greco« aufgeschlagen; und ging es dort vornehmer und würdiger zu – erschien ja sogar König Ludwig I. von Bayern des öfteren als Gast – , so beherrschte die junge Tafelrunde eine zwanglose Lustbarkeit, wenn auch manchmal bei den Kunstgesprächen die Antithesen hitzig aneinander prallten. Unsre Ausflüge in die Campagna, ein längerer Aufenthalt in Olevano im Sabinergebirg wirkten äußerst belehrend auf mich. In Olevano traf eines Tages ein junger Landschaftsmaler, Arnold Böcklin, ein. Interessant war es, wie im Gegensätze zu Franz Dreber, der mit einer großen Mappe auszog und mit sorgfältig durchgeführten Bleistiftzeichnungen heimkehrte, Böcklin, mit einem keinen Skizzenbuch bewaffnet, tagelang im Anschauen der Natur verweilte und höchstens einige abkonterfeite Baumblätter und Felsen als Beute mit nach Hause brachte, um erst hier die gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten. Später wurde Böcklin durch die Schönheit einer Römerin, die er porträtierte, auch zum Figurenmalen angespornt.«

Von Olevano aus unternahm Thiersch mit Oswald Achenbach und Albert Flamm eine Fußtour nach Civitella, Cervara, Subiaco und Tivoli, wo sie in der Villa d'Este durch die herrlichen Cypressengruppen in bewunderndes Staunen gerieten. Die letztgenannten Künstler malten ihre Studien direkt nach der Natur.

Nach Rom zurückgekehrt, verließ Achenbach baldigst die ewige Stadt, während die übrigen ihren Aufenthalt verlängerten. Insgesamt arbeiteten diese Kunstjünger wie in einer Feueresse der Begeisterung, und in den Mußestunden vergnügten sie sich nach Herzenslust, schwärmten für die herrlichen Frauen und Mädchen an der Tiber, liebelten und liebten. Böcklin vermählte sich mit seiner schönen Römerin. Ludwig Thiersch war durch die Herzensneigung für seine in Bayern lebende Braut Pauline Kirch gegen den Zauber der Italienerinnen und fremder Huldinnen gefeit.

Mit warmem Interesse die Mosaiken studierend, legte er den Grund zu seinen späteren Arbeiten auf dem Gebiete der Kirchenmalerei im alten Stile. Und hatte er sich durch seine Ausflüge den Sinn für die ideale Auffassung der Landschaft erweitert, so dehnte sich jene auch auf die menschliche Gestalt aus, angesichts der großartigen Schöpfungen Michelangelos und Raffaels.

Während seiner Reise nach Neapel und nach Sizilien blieb er in Entzücken gebannt.

»Ach, das Theater von Taormina!« rief er beim Aufblättern des Skizzenbuches, »fast eine Woche verbrachte ich in dem kleinen Aufseherhäuschen; tagsüber entlockte die wunderbare Sonnenglut den Blumen und Kräutern ihre Würze, ein frischer Luftzug strich darein, das tiefblaue Meer dehnte sich endlos aus; ferne erschien im Duft Kalabrien, und fast gegenüber erhebt sich in einsamer Höhe der Aetna, von Waldungen, Blumen- und Aschenfeldern umgürtet. Nachts lag die unbestimmte Landschaft träumerisch im Mondschein; es ward einem eigentümlich ums Herz, so ganz zwischen Luft und Licht eingebettet zu sein.«

Wieder in Rom, erkrankte er an den schwarzen Blattern. Da war er geflohen und gemieden; nur sein Arzt und sein achtzigjähriger Diener verließen ihn nicht. Nachdem er schon dem Tode nahe gewesen, wurde er durch sein Schicksal ins Leben zurückgeführt, und zwar in ein vielversprechendes, denn mitten in seine schwere Rekonvalescenz platzte die Einladung seines Vaters, mit ihm nach Griechenland zu reisen. Diese Nachricht verlieh seinen ermatteten Nerven neue Spannkraft.

Vater und Sohn trafen sich in Ancona. Sie fuhren von hier nach Korfu, Zante, Patras, Korinth.

»Ueberwältigend,« sagte Ludwig, »wirkte nach dem steilen Aufstieg zur Festung Akrokorinth die Aussicht auf den korinthischen und den äginetischen Golf, sowie auf die Bergkette mit dem riesigen Parnaß. Und bewegt war ich, als uns der Dampfer von Kalamata nach dem Piräus brachte. Schon von weitem zeigten sich die langgestreckten Linien der die Ebene Attikas beherrschenden Gebirgszüge des Pentelikon und des Hymettos. Vor dem letzteren glänzten die rotbraunen (Die ursprünglich blendend weißen Säulen aus pentelischem Marmor sind nach der Wetterseite mit einem rostfarbigen Ueberzuge bedeckt, welcher nach Liebigs später vorgenommener Untersuchung aus einer Flechte besieht. Diese Flechte nannte Liebig nach dem Vater Ludwigs »Thierschit«.) Säulen des Parthenon über dem sanften Grün des Oelwaldes im Kephissosthal.

»Der erste Gang in Athen galt der Akropolis. Mein Vater, der schon verschiedene Abhandlungen über das Erechtheion geschrieben, wollte sich an Ort und Stelle von dem Tempelbau nähere Kenntnis verschaffen. Zu den sich an diese Gegmd knüpfenden Mythen gehört auch die Sage von dem Streite Poseidons mit Athene. Hier soll dieser seinen Dreizack in den Felsen gestoßen haben, so daß man das Meeresrauschen aus der Tiefe vernehmen kann.

»Während mein Vater sich seinem Studium hingab, betrat ich das Parthenon, dessen Marmorboden vollständig erhalten ist, aber die wunderbaren Statuen von Phidias sind dahin, und noch jetzt gerät mein Blut in Wallung bei dem Gedanken an den Leichtsinn der Türken, die einen solchen Wunderbau als Pulvermagazin benutzt und seine Zerstörung verschuldet haben. Im Jahre 1687 schlug eine venetianische Bombe in den Tempel, und die darauf folgende Explosion zersprengte ihn in zwei Teile.

»Unvergleichlich ist die klassische Schönheit der Architektur mit der Ausschau auf den Golf von Aegina, auf die fernen Berge des Peloponnes, alles im weichen Sommerduft schimmernd, in einer Färbung, die auf der Erde sonst nirgend mehr zu finden ist.

»In Athen wurden wir und Professor Lassaulx von der Königin Amalie in Audienz empfangen. Es entspann sich hierbei zur großen Erheiterung der Königin zwischen den beidm Gelehrten ein äußerst lebhafter Meinungsaustausch über die Abstammung der heutigen Griechen. Lassaulx vertrat heftig Fallmerayers Annahme, in der gegenwärtigen Generation fließe kein Tropfen hellenischen Blutes mehr, und ebenso heftig und entschieden beharrte mein Vater auf der entgegengesetzten Ansicht.

»Bei einem unsrer Spaziergänge folgte mein Vater dem langgehegten Herzenstrieb, das Grab Ottfried Müllers zu besuchen, der das Opfer seiner Wissenschaft geworden. Ein herumlungernder Albanese führte uns an die zum Andenken des Philologen errichtete Stele und meinte superklug und fast voxwurfsvoll: 'Der Fremde kannte unsern Helios nicht, der gab ihm aber einen Schlag' – seine drastische Handbewegung ergänzte das übrige. War doch Müller beim Kopieren einer Inschrift vom Sonnenstich getroffen worden und starb daran. Auf dem Heimwege durch den Olivenhain recitierte mein Vater die schönen Verse aus Sophokles' 'Oedipus auf Kolonos', in welchen der Chor die Fruchtbarkeit der Gegend besingt.

»Der blinde Oedipus war mit seiner Tochter Antigone in die Nähe der Theseusstadt gekommen und bekam nun auf seine an den Chor gerichtete Frage, wo sie sich befänden, die Antwort: 'Im heiligen Haine des Bacchus; hier weilt der Gott gerne unter den fruchtbeladenen Laubhängen, in welchen die Nachtigall wehklagt'

»Dichtung und Wirklichkeit drangen derart auf mich ein, daß ich mir sofort im Geiste den Einzug des Bacchus mit seiner Ariadne ausmalte, im Gefolge Göttinen ähnliche Frauen. Ich fixierte zu Hause meine Vision und führte sie später in Farben aus.

»Denkwürdig ist mir auch der Ausflug auf dem königlichen Kutter nach den Cykladen Milos, Siphnos und Zea. Ein heftiger Sturm trieb uns eine volle Nacht auf der See umher, so daß wir erst acht Uhr morgens den Hafen von Milos erreichten. Der kreisrunde Golf ist rings von Bergen umragt, und unser nächstes Ziel war selbstverständlich, die Stelle aufzusuchen, wo die wunderbare Venus zum einstigen Jubel der Kunstwelt ausgegraben worden war. Am nächsten Morgen trat Windstille ein, so daß wir zwei Tage nicht vom Fleck kamen. Mißgünstig sahen wir den verschiedenen vorüberfahrenden Dampfern nach. Unsre einzige Unterhaltung an Bord waren zahlreiche um uns spielende Delphine.

»Mein Vater reiste Anfang Oktober nach Deutschland zurück; ich blieb in Athen, denn es reizte mich, den in einem neugriechischen Volksliede geschilderten 'Charos' bildlich darzustellen.»

»Ist dieser Charos,« fragte ich, »gleichbedeutend mit dem Charon, dem bekannten Fährmann der Unterwelt?«

»Er hat, soviel ich weiß, nichts mit ihm gemein. Dem Glauben der hellenischen Gebirgsbewohner gemäß bedeutet ein heftiges Gewitter den Zug der abgeschiedenen Seelen durch die Lüfte unter des Charos Führung. Hier sehen Sie die Abbildung des Kartons, den ich in Athen gezeichnet.«

Ich erblickte im unteren Teile der Zeichnung ein sonniges Thal mit seinen Bewohnern; oberhalb sieht man, wie sich Kinder, Jünglinge, Mädchen, Frauen, Männer, Greise zurücksehnen nach der Erde und nach den Ihrigen, wie sie wehklagend und händeringend zu Charos flehen, sie zurückzugeben, und wie er, taub und unempfindlich gegen alles menschliche Gefühl, seines grausamen Amtes waltet. Charos' Gestalt hebt sich titanenhaft ab von dem Troß der Unglücklichen, die ihn umgeben – unverkennbar liegt in dessen Zügen und Haltung das ewig Unerbittliche.

Diese Schöpfung Thierschs fand während seines Aufenthaltes zu Athen großen Beifall bei der griechischen Bevölkerung. Alt und jung, vornehm und gering wollte dieses nationale Gedicht im Bilde sehen. Bewunderten es die Herbeiströmenden fast andächtig, so bewunderte der Künstler hingegen die klassischen Profile der Beschauer, unter welchen ihn manche Gestalt an Achilles, an Paris und Helena, vielleicht auch an Circe gemahnte. Alsbald wurde er in Athen zum Professor der Malerei ernannt und durch ihn dort das Studium der Perspektive und Anatomie eingeführt.

Von der Königin erhielt er den willkommenen Auftrag, die bei früherer Anlegung ihres Gartens ausgegrabenen Antiken aufzustellen. Somit wies er da unter Lorbeer, dort unter Cypressen, unter Oleander und Rosen den steinernen Ueberresten einer großen Zeit den richtigen Platz an; zu den vorzüglichsten zählte er ein Hochrelief, den Kampf des Odysseus mit den Freiern, und eine Büste des Demosthenes.

Königin Amalie, welche ihren Garten leidenschaftlich liebte und täglich in dessen kunstvollen Anlagen spazieren fuhr, das Ponygespann selbst kutschierend, ließ sich von Thiersch in ihrem Gartenkostüm sowie in Gesellschaftstoilette porträtieren. Das letztere Gemälde erhielt der Königin Bruder, Großherzog Peter von Oldenburg.

Eines Tages holte der russische Gesandtschaftssekretär von Nekludoff den Künstler im Wagen nach Daphni ab (auf dem Wege nach Eleusis), damit Thiersch die aus dem zwölften Jahrhundert stammende Kirche dortselbst besichtige; er sollte nach deren Mosaiken die in Athen der russischen Gesandtschaft überlassene Nikodemuskirche aus dem zehnten Jahrhundert ausmalen. Bevor er an dieses Werk ging, waren die Schafe ausgetrieben worden, die sich den ehrwürdigen Bau zum Stall erkoren hatten, und ward die zur Hälfte eingestürzte Kuppel wieder hergestellt.

Da sich Thiersch unterdessen durch einige Versuche im »wahren Fresko« für die übernommene Aufgabe vorbereiten wollte, reiste er nach München und arbeitete auf der Nordseite der neuen Pinakothek unter Nilsons Leitung. Dazwischen machte er verschiedene Ausflüge nach Freising, wo seine Braut im Elternhause weilte, und alsbald feierte er dort seine Vermählung mit ihr.

In den wonnigen Honigmonaten zu Athen malte er den kolossalen Christus als Weltherrscher in der Kuppel der Nikodemuskirche, dabei wie einst Michelangelo mit verdrehtem Halse auf einem Polster liegend. Die Helligkeit des Freskogrundes, der aus einem Gemisch von Kalk und weißem, pulverisiertem Marmor zusammengesetzt war, erhöhte die Leuchtkraft seiner Farben. Bald erstanden noch auf Wänden, Pfeilern und in der Altarnische Maria, Patriarchen, Propheten, Evangelisten und Heilige – alle auf Goldgrund, alle von erhabener Schönheit, wie die Athener einstimmig bezeugten, und wie die griechischen Zeitungen hervorhoben.

Auch im geselligen Leben erblühten den Neuvermählten Freuden. König Otto und seine Gemahlin bekundeten ihre Liebenswürdigkeit gegen sie und luden sie zu den prächtigen Hofbällen, die eine Fülle schöner Erscheinungen in nationaler Tracht aufwiesen, denn damals waren bei dm Griechen noch rote Fes mit langen Quasten, rote Jacken, weiße Fustanellen an der Tagesordnung, und die Hofdamen der Königin trugen die Fes und die reich in Gold gestickten Jäckchen zu langen französischen Seidenroben. König Otto legte einmal Thiersch die Frage vor, wie man den Kunstsinn im Volke wecken könne?

Thiersch meinte, es läge viel natürliche Begabung und Sinn für das Schöne im Volke, zu dessen Ausbildung die Vorführung guter Kunstwerke wohl am meisten beitragen würde. Die Anfänge dazu seien durch die im Antikensaale der Kunstschule aufgestellten Gipsabgüsse gemacht, und die gewünschten Resultate würden gewiß nicht ausbleiben.

Vielfach verkehrten Thierschs in dem gastlichen Hause des preußischen Gesandten v. Thile. Da wurde musiziert und vorgelesen, bald ein Schattenspiel, bald ein Tableau zum besten gegeben. Die Seele der Geselligkeit war die junge Schwägerin des Gesandten, Fräulein Wanda v. Gräfe, welche später als Frau v. Dallwitz reizvolle Erzählungen und kunsthistorische Aufsätze unter dem Pseudonym Walther Schwarz herausgab.

Beredt erzählte Thiersch von der vor dem Krimkrieg entflammten politischen Begeisterung der Griechen in der orientalischen Frage; waren doch für jede Provinz Komitees eingesetzt, Geldsammlungen im größten Maßstabe betrieben, selbst der Aermste brachte sein Scherflein dar – bewaffnete Scharen zogen nach Epirus, nach Thessalien, nach Maina – und 5000 Mönche vom Berge Athos sollen sich bereit erklärt haben, den Rosenkranz mit der Schußwaffe zu vertauschen, falls die Regierung die Bewegung leiten würde – ja, wenn die europäische Diplomatie nicht gewesen wäre!

Mit dem Bewußtsein, seine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit der russischen Gesandtschaft in Athen gelöst zu haben, kehrte Thiersch 1855 mit Frau und der kleinen Helene, denn ein Töchterlein war inzwischen angekommen, nach der Heimat zurück. Nicht ohne Widerwärtigkeiten, da in Venedig und Verona die Cholera herrschte und in Tirol Ueberschwemmungen ihre Fahrt hemmten. Die Brennerbahn schlummerte noch in der Zukunft, und der Lohnkutscher beherzigte das Eile mit Weile. Endlich sahen sie den schönen, ersehnten Tegernsee, wo die Eltern sie erwarteten und in ihre Arme schlossen.

Bald erging abermals an den Künstler die Aufforderung, eine griechische Kirche durch seine Malereien zu schmücken. Diesmal betraf es die Kirche zur Helligen Dreieinigkeit in Wien (am alten Fleischmarkt), deren Renovierung ein Komitee und Baron Sina veranlaßten. Der Bau stammte aus der Zeit Josephs II.; weil in jener Epoche eine griechische Kirche noch nicht an der Straße stehen durfte, stand sie in einem Hofe. – Unter den verschiedenen Gestalten des Alten und Neuen Testaments, die Thiersch in diesem Gotteshaus malte, befinden sich unter andern die Namenspatroninnen der vier Töchter Sinas: Irene, Helene, Anastasia, Iphigenia. – Im Lauf der Zeit wurde das an der Straße gelegene, die Kirche verdeckende Schulgebäude in eine Kirchenfassade mit Türmchen griechischen Stils umgewandelt. Karl Rahl schmückte jene Fassade durch eine gemalte Dreieinigkeit, den Verbindungsgang durch Medaillons mit Heiligen. Als Thiersch später einmal die Kirche besuchte, erfuhr er zu seiner Verwunderung von dem Sakristan, daß sämtliche Fresken darin von dem Maler Rahl herrührten. Vergebens behauptete Thiersch ihm gegenüber seine Urheberschaft: der Sakristan erwiderte nur mit einem beharrlichen, ungläubigen Kopfschütteln. Dieser Vorfall ist ein Kommentar zu den Namensvariationen bei manchem Gemälde, denn wie oft mag ein Küster oder Aufseher schuld daran sein, daß dieses Bild bald einem Hemling, bald einem Memling, bald einem Mömmelingen, einem van der Maire, van der Goers, de Witte, Lievin van Lathem und Gerard Horenbout zugeschrieben, jenes heute einem Lukas v. Leyden, morgen einem Christophorus in die Schuhe geschoben, ein andres abwechselnd als Schoreel oder Mabuse bezeichnet wird.

Nachdem Thiersch in Wien seine Arbeitet vollendet, bezog er im selben Jahre (1856) sein Atelier im Garten des elterlichen Hauses an der Karlstraße zu München, um die bereits erwähnten Entwürfe »Charos«, den »Bacchuszug«, »Thetis Klage um Achilles« auf Bestellung des Barons Tina in Oel auszuführen. »Ich war eben ganz in meinen Bacchus vertieft,« erzählte Thiersch, »da ging die Thür auf, und Freund Böcklin, den ich seit unserm Aufenthalte in Rom nicht mehr gesehen hatte, trat ein. Nach herzlicher Begrüßung erfuhr ich, daß er bei der Ausmalung einer Villa in Hannover mit deren Besitzer ein Zerwürfnis gehabt und deshalb mit Frau und Kindern die Stadt verlassen habe und nach München gereist sei. Er bat mich, sein zu Rom angefangenes Bild 'Pan im Schilfrohr' bei mir fertig malen zu dürfen. Selbstverständlich willigte ich ein und stellte ihm das Zimmer neben meinem Atelier zur Verfügung. Nun begann ein schönes Dasein für uns beide. Der eine interessierte sich für die Arbeit des andern, die dadurch lebhafte Förderung bekam; wir schwärmten für Rom, für das griechische Altertum, für die Mythen und Sagen Anakreons, Ovids, Theokrits, die Böcklin von Grund aus kannte. Etwas trocken und kurz angebunden, wußte er allem die humoristische Seite abzugewinnen, wie sich auch in seiner Kunst so vielfach zeigt. Auf dem Panbilde tritt das Tierleben in reizender Unmittelbarkeit hervor. Die Sonne dringt durch das Röhricht und malt einzelne runde Lichtflecke auf den feuchten, mit braunen abgefallenen Schilfblättern bedeckten Boden. Im Sonnenstrahl schweben zittrigen Fluges zartfarbige Libellen und werden von den ans Trockene steigenden Fröschen mit lüsternen Augen verfolgt; der Beschauer wird derart in die landschaftliche Scenerie versetzt, daß er glaubt, das Flüstern des Windes im Schilf zu hören. Das Bild erregte damals das größte Aufsehen unter den Künstlern, weil eine so feine Naturbeobachtung bisher unbekannt war.

»Böcklins Lieblingspflanzc, der Epheu, der im Garten meiner Eltern Bäume umschlang und Lauben bildete, gab ihm Anlaß zu Blätterstudien, deren Ergebnis in dem wunderbaren, später gemalten Bilde zu sehen ist: »Ein flötenblasender Knabe«. Er steht am Eingang einer von Epheu und Rosen umrankten Grotte und bezaubert durch sein Spiel die innen sitzende Nymphe. (Schackgalerie.) Nach einigen Wochen bezog Böcklin ein eignes Atelier. Da entwarf er das humoristische Gemälde »Der panische Schrecken«. Durch das Erscheinen Pans flieht der in Furcht gesetzte Hirte über Stock und Stein einen Berg hinunter. Die Naturwahrheit in der verscheuchten Ziegenherde, in den sonnenverbrannten Gesträuchen und in dem schwärzlichen Felsgeröll ist außerordentlich markant; der Tiermaler Friedrich Foltz konnte bei dem Anblicke nicht genug staunen, daß dies alles aus Erinnerung und freier Erfindung geschaffen sei. (Schackgalerie.) Unter den einflußreichen Verehrern, die sich Böcklin durch seine Arbeiten errungen, sind Paul Heyse, Franz Lenbach, Arthur v. Ramberg zu nennen. Durch sie war Graf Schack auf den Künstler aufmerksam gemacht worden, und wie bekannt, erwarb Schack manch Böcklinsches Meisterwerk für seine Galerie. Im Jahre 1858 erhielt Böcklin einen Ruf als Professor an die Kunstschule zu Weimar.

»Vor seiner Abreise bekam er den Typhus. Noch ist mir erinnerlich, wie er bewußtlos, zum Skelett abgemagert und mit einem geisterhaften Ausdruck seiner hellblauen Augen in einem dürftig ausgestatteten Zimmer lag, denn Böcklin gehörte damals nicht zu den Kapitalisten. Ich fürchtete das Schlimmste für meinen Freund – zu allem Unheil war noch sein jüngster Knabe von der Krankheit ergriffen. Bald fühlte sich auch das Töchterlein unwohl, und weil der Arzt dessen Entfernung aus dem Hause verlangte, nahm ich es zu uns. Trotzdem brach bei der Kleinen der Typhus sehr bald aus, so daß der Arzt ihre Rückkehr zu den Eltern gestattete. Nun starb der Knabe; der Schmerz der armen Mutter war ergreifend zu sehen. Sie bewahrte aber eine bewunderungswerte Ruhe und zeigte sich aufopfernd in der Pflege ihres Mannes und ihrer Tochter. Endlich genasen sie, und jetzt war es möglich, nach Weimar zu ziehen (1858).«

In dieser Schilderung aus Böcklins Leben und in vorstehender, improvisierter Kritik seiner Bilder kennzeichnet sich Thiersch als echten Freund und als echten Künstler. Denn nur ein wahrer Freund ist einer so warmen Anhänglichkeit fähig und nur ein wahrer Künstler einer so ursprünglichen und dennoch verständnisvollen Auffassung.

Im Jahre 1860 besuchte Thiersch infolge einer Einladung den russischen Gesandten in München, Herrn v. Severin. »Schon bei meinem Eintritte,« erzählte Thiersch, »kam Severin mit ausgebreiteten Armen auf mich zu und fragte: 'Wollen Sie zu uns nach Petersburg kommen?' Und aus seiner weiteren Rede vernahm ich, daß Fürst Gregor Gagarin im Aufträge der Präsidentin der Petersburger Akademie, Großfürstin Maria Nikolajewna, mich an diese Anstalt berufen wolle, um eine Sektion für religiöse Malerei an derselben zu begründen. Die Kaiserin wünsche gleichfalls, daß die alten Traditionen der byzantinischen Malerei in Einklang mit den Anforderungen der neuen Kunst gebracht würden.

»Dies plötzliche Anerbieten warf einen Zündstoff in mein Dasein und Wirken. Meine Familie ließ ich vorderhand zurück und fuhr im Mai 1860 nach Stettin, durch den Kronstadter Meerbusen, an der Festung Kronstadt vorbei durch die Newa, angesichts der prächtigen Sommerpaläste bis zur Akademie der Künste in Petersburg.

»Die Akademie, in der mir Wohnung angewiesen wurde, ist ein riesiges Gebäude mit fünf Höfen und beherbergt jahraus jahrein Lehrer, Schüler und Diener, im ganzen achthundert Personen.

»Der Front entlang erstreckt sich die Gemäldesammlung alter und neuer Meister. Raffaels Stanzen sind dort in Originalgröße kopiert. Zum ruhigen Beschauen kam ich anfangs nicht, denn Audienzen, Geschäftsgänge, Abmachungen und Bestellungen folgten ununterbrochen aufeinander. Nur zwischendurch bewunderte ich den Winterpalast, die Eremitage, die Isaakskirche im griechischen Tempelstil mit der goldenen Hauptkuppel und den vier kleinen Nebenkuppeln, die Reiterstatue Peters des Großen auf einem kolossalen Granitblock u. s. w.

»Die Petersburger Professur wurde mir vorenthalten, 'weil eine Berufung nur auf Vorschlag des Professorenkollegiums und nach kaiserlicher Bestätigung erfolgen könne'. Statt dessen wurde ich zum Ehrenmitglied der Petersburger Akademie ernannt und erhielt den Auftrag, die Palastkapellen der Großfürsten Michael und Nikolaus Nikolajewitsch nach dem Muster einer alten Kirche in Rostow, unweit Moskau, auszumalen. Hatte doch Kaiser Alexander II. bei seinem Regierungsantritte jedem der genannten Großfürsten einen Palast erbauen lassen. Da sauste ich denn mit der Eisenbahn in Begleitung eines mir als Dolmetsch beigegebenen Architekten nach Moskau.

»Der Anblick vom jenseitigen Ufer der Moskwa auf den Kreml mit seinen Palästen und Kirchen, mit den krenelierten Mauern der festungsartigen Bauten, die Spielarten von Farben, grün, blau, gold in den Kuppeln, all dies ist von der höchsten Eigenart; auch fällt einem die merkwürdige Kirche des Iwanblaschenny auf, ein buntes Konglomerat von Spitzen und Kapellen mit verschiedenen Bekrönungen.

»Nachdem wir die Wunderwerke Moskaus besichtigt, fuhren der Architekt und ich mit einem flotten Dreigespann nach der Stadt Rostow.

»Nun hielten wir vor einem ehemaligen Kloster mit vier ziemlich verfallenen Kirchen, deren Gemäldespuren mein Leitstern sein sollten. Die Malereien waren unbeholfen, aber der dramatische Zug, der bei größeren Kompositionen durch die byzantinischen Bilder geht, war ihnen eigen. Ich gewahrte sogleich, daß derartige Vorwürfe Jahre von Arbeit bedingen würden, und der Entschluß stand fest in mir, meine Frau und meine Kinder nach Petersburg kommen zu lassen. Dort arbeitete ich nach dem vorgesteckten Plan, führte jedoch meine Gemälde in Stereochromie aus. Als meine Frau das riesige Gerüst sah, auf dem ich herumkletterte, erschrak sie förmlich. Und wenn ich in Athen bisweilen geglaubt hatte, vor Hitze vergehen zu müssen, so dachte ich in Petersburg vor Kälte ein Eiszapfen zu werden.«

»Da alles in dem altchristlichen Stil hergestellt werden mußte,« bemerkte ich, »und dieser strenge Vorschriften hat, mag es schwer gewesen sein, keinen Anachronismus in den Nimben, Gewändern, Engelsflügeln zu begehen und die Heiligen stilgemäß knieen zu lassen.«

»Das letztere wäre so wie so ein Verstoß gewesen, denn russische Heilige knieen nicht, sondern sie stehen. Die Leidensgeschichte Christi durfte ich nur in den Cyklen zur Darstellung bringen, nicht an den Hauptstellen. Beim Abendmahl steht traditionell Christus hinter dem Tische, und die Jünger nahen sich, einer nach dem andern, mit verhüllten Händen.«

»Um dies alles zu wissen, mußten Sie ebensoviel studieren wie malen, und bei Vollendung der Arbeit wird wohl Ihrem Innern ein Dank entströmt sein, daß der Guß gelungen!«

»Den Eindruck, den meine Malereien hervorbrachten, erfuhr ich eigentlich erst bei der Einweihung des Palastes.«

»Boileau sagt zwar, ce ne sont que festons, ce ne sont gu'astragales, aber man hört trotzdem gerne davon, also, bitte, erzählen Sie.«

»Bei der beißenden Kälte eines Dezembervormittags 1861 hielt ich mit meinem Schlitten vor dem Palaste des Großfürsten Michael Nikolajewitsch und wurde sofort von einem Haushofmeister, der mir als Mentor zur Seite blieb, über eine Nebentreppe in den Bankettsaal geführt, wo ein wahres Heer von rotbefrackten Lakaien hin und her rannte und eine Riesentafel mit Blumen, Obst und Konfekt beschwerte. Nebenan befand sich der für die kaiserliche Familie bestimmte Speisesaal. Schon das mit einer goldschimmernden Tapete abwechselnde Getäfel an den Wänden hatte eine Mischung von Prunk und Gemütlichkeit, den Kronleuchter bildeten grünbronzene, naturwahre Weinranken, auf dem prächtigen Kamin zeugten die Figürchen und Vasen von feinem Kunstsinn, die Möbel waren aus europäischen und asiatischen Holzarten, die Platten, Aufsätze und Armleuchter aus Silber und Gold gefertigt.

»Der Ruf: 'Der Zar!' drang von außen herein; um den Kaiser zu sehen, eilte ich so schnell wie möglich wieder hinunter, drückte mich in eine Ecke, von wo ich alsbald die angekommenen allerhöchsten Herrschaften an mir vorüberschreiten, die mit Statuen und exotischen Gewächsen verzierte Paradetreppe hinaufsteigen sah: Alexander II., die Kaiserin, Großfürsten und Großfürstinnen, mit Ausnahme von Michael Nikolajewitsch und seiner Gemahlin. Es flimmerte einem förmlich vor den Augen, so viel Juwelen funkelten ringsum. Das Gefolge war farbenreich wie meine Palette.

»An einem Treppenabsätze hielt der Zar inne und nahm von einem Geistlichen ein in Gold gefaßtes Heiligenbild entgegen. Dasselbe stellte des Großfürsten Michael Schutzpatron dar. Die Zarin hielt ein goldenes gefülltes Salzfaß. Minister Adlerberg ein Stückchen Brot. Fast gleichzeitig erschienen Großfürst Michael in Uniform und seine Gemahlin, welche ganz in blaue Seide gekleidet war. Unter zeremonieller Verbeugung und zärtlicher Umarmung empfing der Gefeierte das Heiligenbild, das Salz und Brot. Dann bewegte sich der Zug in die Kapelle. Der wie ein Christbaum sich aufbauende Kronleuchter erhellte den dicht mit Herren und Damen gefüllten Raum, den auf Goldgrund gemalten Gottessohn, Maria, Engel und Heilige.

»Ein graubärtiger Geistlicher in goldgesticktem Ornate sang im tiefsten Baß die üblichen Gebete für die Kaiserfamilie ab, der rotbefrackte Männerchor respondierte mit laut dröhnenden Stimmen, der Knabenchor, in roten Röcken, fiel mit so weichen Modulationen ein, daß mein Gemüt erschüttert ward. Nach 1½stündigem Gottesdienste wurden die Malereien besichtigt. Alexander II. drückte mir seine volle Anerkennung in französischer Sprache durch die Worte: 'C'est beau, c'est très beau!' aus. Die Kaiserin sagte mir deutsch, sie fühle sich gehoben durch das viele Schöne, das sie gesehen. Der Großfürst Michael 'glaubte die in der Kuppel gemalten Engelschöre mitsingen zu hören' – noch da und dort ein warmes Wort, ein Händedruck – ich war vielleicht der Vergnügteste in dem Zuge, der sich nun durch alle Räume des Palastes bewegte. In das lukullische Mahl, das nahezu 500 Gäste vereinte, schmetterte eine Regimentsmusik im Nebenzimmer Mozarts Champagnerlied und sonstige Melodien aus 'Don Juan'.

»Bei der im Jahre 1863 stattfindenden Palasteinweihung des Großfürsten Nikolaus Nikolajewitsch hatte ich einige Tage vorher wegen der von mir gefertigten Gemälde in der Kapelle einen kleinen Strauß mit der Großfürstin Alexandra auszufechten. Nach altem Brauche sollten nämlich die Hauptheiligen mit geschlagenem Gold- oder Silberblech bis auf Kopf und Hände überdeckt werden. Denken Sie sich, wie da einem Maler zu Mute wird, der in Gewandung und Faltenwurf die Würde der Gestalt hervortreten läßt. Ich bat also dringend die Großfürstin Alexandra, welche diese Verblechung schon angeordnet hatte, einen Gegenbefehl zu geben. Meinen Bitten zufolge beschränkte sie sich darauf, Christus und Maria nur mit Brustschildern und Kronen schmücken zu lassen, in welchen kostbare Edelsteine und ein feuriger Diamant strahlten.

»Sonst verlief die Feier nahezu wie die bereits beschriebene, wieder erntete ich Lob für meine Malereien, besonders gefiel hier das jüngste Gericht; wieder ergriff mich der Kirchengesang, wieder strahlten Kronleuchter, Diademe und Agraffen ihre Lichter aus. Und erst wenn man einen russischen Hofball gesehen, weiß man, bis zu welcher Intensität das Diamantenblitzen und Leuchten gesteigert werden kann. Dazu die fremdartigen Uniformen, worunter die kaukasischen am meisten auffallen, denn auf einem russischen Hofball sieht man viel des Ungewohnten; wer die Sehergabe gehabt hätte, würde vor allen Geladenen den preußischen Gesandten ins Auge gefaßt haben, da Otto v. Bismarck damals in Petersburg accreditiert war.

»Bei einem intimen Thee, den die Großfürstin Maria Nikolajewna dem preußischen Museumsdirektor Waagen gab, der eben an dem Buche: 'Die Gemäldesammlung der Kaiserlichen Eremitage zu St. Petersburg' arbeitete, war das steife Zeremoniell verbannt. Die Geladenen waren Fürst Gregor Gagarin, Professor v. Neff, Direktor Waagen und ich. Die Großfürstin schenkte selbst den Thee ein und leitete das von Kunst und Galerien handelnde Gespräch in gewinnender Weise. Der Saal, in dem wir saßen, enthielt moderne Skulpturen italienischer Künstler. Rückwärts von der Großfürstin sah man eine fliehende Daphne, wie gerne hätte ich meinen Stift herausgezogen, um Großfürstin und Marmorbildnis abzuzeichnen. Eine solche Dame könnte zu ihrem Porträt kein edleres Beiwerk wählen.

»Auf dem Balle, welchen sie in ihrem Palaste zur Verlobungsfeier ihrer Tochter Prinzessin Marie Maximilianowna mit Prinz Wilhelm von Baden gab, waren auch die Künstler geladen. Prinzessin Marie drückte mir ihr Wohlgefallen an meinen Arbeiten aus und übertrug mir später die Ikonostasbilder (Bilderwand vor dem Altar) ihrer Kapelle in Karlsruhe.«

»Also knüpfen sich nur schöne Erinnerungen an Ihren Petersburger Aufenthalt?«

»Mit Ausnahme der im Jahre 1863 täglich ausbrechenden Feuersbrünste, deren Urheberschaft man den Polen aufbürdete, als Rache für die grausame Unterdrückung ihres damaligen Aufstandes.

»In Petersburg hatte sich im Volke die Sage verbreitet, die Polen besäßen eine Flüssigkeit, die sich, auf Holz gestrichen, bei höherem Stand der Sonne von selbst entzünde. Und als am Hauptmarkte alle Magazine und Waren verbrannten, ward die Panik so groß, daß jedes Haus seinen Wächter erhielt, der alle Aus- und Eingehenden auf ihre Gefährlichkeit oder Harmlosigkeit zu prüfen hatte; es versteht sich daher, daß man auch beim besten Leumund ein geplagter Mann war.

»Zu meiner Erholung von der Anstrengung bei den Kirchenmalereien porträtierte ich noch den Großfürsten Nikolaus Nikolajewitsch, seinen Generaladjutanten Baron Korff und dessen schöne Tochter, sowie den Beichtvater des Großfürsten und andre Hofbeamte.«

*

Noch weisen mannigfache Kirchen im In- und Auslande Thierschs hochgehaltene Malereien auf: die Auferstehung Christi in der protestantischen Markuskirche zu München (1876), die Ikonostasbilder in der griechischen Kirche in London (1880), die Ikonostasbilder für eine neue griechische Kirche in Paris (1892), der segnende Christus für die Kirche in Reichenhall (1893), eine Himmelfahrt für die Kapelle des syrischen Waisenhauses in Jerusalem (1894), Kartons zu sechs Glasgemälden für St. Mangnus in Kempten (1895).

Außer den größeren bereits erwähnten Gemälden gehören zu den hervorragendsten: »Paulus Predigt auf dem Areopag« (in Athen), »Jesus als Kinderfreund« (London), »Alarich in Athen« (Amerika), »Jesus auf dem Leidenswege« und »Christi letzte Versuchung«.

Aber nicht nur im großen Stil klassischer und biblischer Vorwürfe hat Thiersch sein bedeutendes Talent bethätigt, sondern auch in seinen Genrebildern, in welche er oft eine heitere, anmutige Realistik wirft. Zum Beispiel: »Der schwierige Uebergang«. Ein hochstämmiger Wald, einige klein zersprengte Felsstücke, ein rieselnder Wildbach, vor welchem ein junges Paar überlegend steht, wie da hinüberzukommen sei. Unterstützt von dem Begleiter will das Mädchen gerade den Sprung auf einen vorstehenden Stein wagen – man kann es nicht ohne Entzücken betrachten.

»Zeigen Sie mir das Mädchen, das hierzu Ihr Vorbild gewesen,« sagte zu dem Künstler ein reicher Amerikaner, der das köstliche Gemälde sah und sofort kaufte, »ich heirate das Mädchen auf der Stelle.«

Aber Thiersch zeigte es ihm nicht, denn es war seine Tochter Paula, und nach Amerika wollte er sie nicht ziehen lassen.

Aus dem Erlöse einer Porträt-Tournee in dem Herzogtum Anhalt-Dessau erbaute sich Thiersch ein behagliches Familienhaus in der Schönau bei Berchtesgaden. Er nannte es »unser liebes Köppeleck«, da es in der Waldecke des Köppellehens steht. Nach vollendetem Bau beschloß er, das Speisezimmer auszumalen, und hierbei ging es fröhlich zu, denn nebst dem Familienoberhaupt malten sein Sohn, seine talenwollen vier Töchter mit und der junge schwedische Künstler K. G. Hellqvist, der sich die Gunst ausgebeten hatte, helfen zu dürfen. Die Aufgaben verteilten sich; diesen fielen die Figuren, jenen die Arabesken und Pflanzen zu. Die Hauptwand übernahm der Hausherr selbst. Er stellte ein Brautpaar dar, das sich unter einem blumenumrankten Thronhimmel glückselig zutrinkt; dienstbare Geister entsteigen mannigfachen Blütenkelchen, Amoretten brauen eine Bowle. Auf den Seitenwänden zauberte Hellqvist tanzende und musizierende Genien hervor, unterhalb recken sich friedlich gesümmte Drachen. In einer großen Fensternische zeigte er die Arbeit im Hause durch eine Spinnerin und die Arbeit auf dem Felde durch einen Schnitter. Im Erker hat Thiersch friesartig über den Fenstern Musik, Tanz, Malerei und Bildhauerei durch Kinderfiguren versinnbildlicht. Fischfang und Jagd sieht man an den Erkerwänden. Das Genie und die Lustbarkeit der Pinselführenden blitzten bald da, bald dort hervor. Zur höheren Weihe mischte sich die Minne ein.

Während einer Arbeitspause hatte Hellqvist in einem Zimmer des oberen Stockes auf eine Wandfläche ein Bild hingeworfen, das ein Wikingerschiff im Sturm darstellte, auf dessen geblähtem Segel der Name Julia stand – unter Julias Flagge sollte Hellqvists Lebensschiff fortan fahren. Als er Julia, Thierschs dritter Tochter, das Bild zeigte und die entscheidende Frage an sie stellte, gab sie aus voller Seele ihr Jawort. Die Eltern willigten freudig ein.

Ein Hochzeitsfest wie das am 12. September 1882 in Köppeleck gefeierte, bei dem die Neigung den Bund geschlossen, alle Teilnehmer von der besten Laune prickelten, die Glückwünsche von Herzen kamen, ringsum die Buchen grünten und die Cyklamen blühten – war eine reine Glücksidylle.

Und wenn das junge Ehepaar um der Kunst willen bald nach Frankreich, bald nach Skandinavien, bald nach Norddeutschland eilte, den Sommer und

Herbst brachte es doch stets bei den Eltern zu, in der Schönau, wo der berühmte Freilichtmaler seine Skizzen zu den Historienbildern »Sancta Simplicitas«, die »Brandschatzung der schwedischen Hansastadt Wisby« entwarf, ferner meisterhafte Genrebilder und Porträts, unter diesen das seines Schwiegervaters.

Da sitzt der Gemütsmensch und große Künstler vor seinem Landhause, das schwarze Sammetkäpplein auf dem Haupt; den Hintergrund des Gemäldes bildet sonnenbeschienenes Buschwerk, so daß die beschattete, in kühlem Luftton gehaltene Gestalt sich wirksam von dem lichten Sonnenschein abhebt.

Ein kurzes Wirken als Professor an der Berliner Kunstakademie war das letzte Aufflackern des schwedischen Meteors, denn Hellqvist starb bald nach vorhergegangener geistiger Umnachtung. (November 1890.)

Frau und Kinder, sowie Schwiegereltern, empfanden tief den auch für die Kunstwelt schweren Verlust. So hat durch diese und durch sonstige Ereignisse auch in Thierschs Leben das Schicksal schwarze und lichte Farben aufgetragen.

*

Rüstig und ungebeugt malt noch der Altmeister bald eine Begebenheit aus der profanen Geschichte, bald ein Vorkommnis aus der heiligen Schrift, bald ein liebliches Enkelporträt, denn er weist die stattliche Zahl zehn bei seinen Kindeskindern auf.

Gegenwärtig (Februar 1897) malt er ein Deckengemälde im neuen Justizpalaste zu München; er trägt darin der die Welt bewegenden »Frauenfrage« Rechnung, indem er eine ungerecht Verstoßene unter den Schutz der Justitia stellt.

Louise von Kobell: Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart. Erster Band (Januar bis März 1898). Stuttgart und Leipzig, 1898.

Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München (1983)

Thiersch Ludwig, 1825 (München) – 1909, Historien- und Kirchenmaler; jüngster Sohn des Philologen F. W. von Th., studierte er auf der Münchner Kunstakademie erst als Bildhauer bei L. M. von Schwanthaler, dann als Maler bei P. von Hess, J. Schnorr von Carolsfeld und K. Schorn; während seines längeren Aufenthalts in Rom widmete er sich besonders älteren Meistern, namentlich auch den alten Mosaiken in den dortigen Basiliken, 1852 ging er nach Athen, wo er Professor der Malerei wurde, 1856 malte er die Fresken der Wiener griechischen Kirche, 1860–1864 führte er in St. Petersburg (= Leningrad) in den Palastkapellen der Großfürsten Michael und Nikolaus in stereochromischer Manier Gemälde auf Goldgrund aus; seit 1864 schuf er in München viele historische (Charon der Seelenführer, Alarich in Athen, Triumphzug des Bacchus) und Altargemälde (u. a. für die protestantischen Kirchen in München [St. Markus = »Himmelfahrt Christi«], Kempten und Bad Reichenhall, für die neue griechische Kirche in London und das syrische Waisenhaus in Jerusalem); daneben malte Th. auch Genreszenen mit Motiven aus den bayerischen Bergen.

© Dr. phil. Max Joseph Hufnagel: Berühmte Tote im Südlichen Friedhof zu München. Zeke Verlag; 4. Auflage. Würzburg, 1983.



© Reiner Kaltenegger · Gräber des Alten Südfriedhofs München · 2007-2025


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